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»Curae vacuus hunc locum
adeas, ut curae vacuus abire
possis, nam non curatur, qui
curat.«
Alter Badspruch.
Im Schwarzwald vor viel hundert Jahr
Im engen Tal ein Klösterlein war,
Drin hausten viel andächt'ge Brüder
Und sangen Psalmen und Bußelieder;
Der Frömmste von der frommen Herde
War Bruder Rippold, der Vielgelehrte.
Der saß und saß in seiner Zell'
Und rührte sich nicht von der Stell',
Wollt' alles wissen, was heilige Schrift
Und Gott und die Welt und die Menschheit betrifft.
Oft saß er noch beim Lampenschein
Des Nachts auf harter Holzbank allein,
Und legt' die Bücher nicht aus der Hand,
Bis bleiern der Schlaf ihn übermannt.
Allein, so wie es oftmals ergeht,
Zu vieles Brüten den Menschen verdreht,
Sein Blick ward träg, sein Kopf ward schwer,
Als wenn ein Brett dran genagelt wär',
Und in einsamen Stunden, statt sich zu erfreu'n,
Bildet' er die törichsten Sachen sich ein.
Wenn er 'mal tüchtig nießen mußt',
Glaubt er, es fehl' ihm auf der Brust;
Versetzt' ihm einer einen Nasenstieber,
Vermeint' er, es gäbe das Nervenfieber,
Und hatt' eine Mück' sich aufs Haupt ihm gesetzt,
Gedacht' er sich schon zum Tode verletzt.
So schuf er mit Mißtraun und Krittlichkeit
Dem ganzen Kloster Verdrießlichkeit,
Bis endlich der Abt am Versammlungstag
Mit gerunzelter Stirne solches sprach:
»Wohl weiß ich, es hat jeder Mensch in dem Stillen
Seine eigenen Mücken und Käfer und Grillen,
Doch wie Ihr's treibt, Herr Rippold, so ist's nicht erlaubt,
Ihr habt wahrhaftig Hornschröder im Haupt!
In der Einöde draus mögt Ihr gehen spazieren
Und mit fixen Ideen den Wald ennuieren,
Aber unser Konvent ist kein Narrenhaus,
Ihr müßt noch heut aus dem Kloster hinaus!«
Da faßten die Brüder Herrn Rippold schnelle
Und setzten ihn jäh vor die Gotteshausschwelle,
Und warfen ihm noch, mit bösem Gelach,
Brevier und Brotsack zum Fenster nach.
... Wo jetzt ein wohlerbaut Badehaus prangt,
War alles Wildnis. Von Dornen umrankt
Stand dunkel und finster der Tannenwald,
Des wildsten Getieres Aufenthalt,
Und ungestört von verderblicher Jagd
Sagten Füchse und Eulen sich dort gute Nacht.
Betrübt zog dort der Herr Rippold ein,
Ihn freute nimmer der Sonnenschein,
Und selber die herrliche Waldesluft
Erschien ihm wie Moder und Leichenduft.
Nur im dicksten Dickicht gefiel es ihm recht
Wie einer Kreuzspinn' in ihrem Geflecht,
Und verdrießlich brummt' er in langen Bart:
»O Leben! wie bist du bitter und hart!
Ich wollt', es würde mich einer ermorden,
Oder ich wär' ein flinkes Eichhorn geworden,
Das klettert und hüpft doch und knackt seine Nuß,
Mich aber erlöst nur der Tod vom Verdruß.«
Bei solcherlei Schwermut war es kein Wunder,
Daß er täglich kränker ward statt gesunder,
Er schrumpfte zusammen als wie ein Greis,
Die Haare bleichten ihm silberweiß,
Und es dauerte kaum Tag und Jahr,
Daß er wirklich nah an dem Sterben war.
Da nahm er mit fiebrig zitternder Hand
Sich Spaten und Axt von der Klause Wand,
Um draußen am Bach beim Granitgestein
Sich zu hauen ein Grab als Totenschrein.
Sein dumpfes Hacken am Felsen erklang
Wie Sterbegeläut den Wald entlang.
Und als nun vollendet die Grabeshöhle,
Befahl er dem Herrn seine sündige Seele
Und sprach: »Du falsche Welt, gute Nacht!«
Und legt' sich hinein in den finstern Schacht.
Doch in diesen gesegneten Talesgründen
Ist nimmer und nimmer der Tod zu finden,
Und wie er so lag und zu sterben gedachte,
Erbebte der Boden und wankte und krachte;
Feucht weht' es ihn an – er vernahm mit Erstaunen
Ein unterirdisches Rauschen und Raunen,
Wie Sprudeln von Quellen schlug's an sein Ohr,
Rick – rack – und wrumm! Da hob's ihn empor.
Ein mächtiger Wasserstrahl mit Gebraus
Warf jählings Herrn Rippold zum Grabe hinaus,
So hoch wie der nächste Tannenbaum
Flog triefend er in den leeren Raum,
So daß, als er glücklich herab war gekommen,
Er wirklich ein tüchtiges Sturzbad genommen.
Da stand er und schüttelte dreimal sich,
Und beschaute sich selber verwunderlich;
Ein neues Leben durchzuckte die Glieder,
Als kehre die Kraft und die Jugend ihm wieder.
Den Quell sah er sprudelnd blinken und winken,
Er wußt' nicht warum, er mußt' davon trinken.
Er schöpfte mit hohler Hand sich die Flut,
O Wunder! das schmeckte so fremd und so gut,
Von schäumenden Perlen durchwallt und durchzischt,
Als hätte ein Berggeist den Trank ihm gemischt.
Und schnalzend sprach er: »Wie wird mir – o Schauer,
Das sprudelt ja salzig und kohlensauer!
Dringt stärkend und lösend durch Mark und Gebein
Wie niemals der feurigste Edelwein!
Du gütiger Himmel, hab' Dank für die Spende,
Nun geht meine Trübsal und Krankheit zu Ende,
An diesem Heilbrunn, statt Grab und Tod
Erglänzt mir ein neues Morgenrot!«
Herr Rippold dachte ans Sterben nicht mehr,
Er schleppt' einen Steinkrug zur Quelle her
Und trank und trank ohne Unterlaß
Schon am ersten Tag über sieben Maß.
Kaum hob sich des andern Tages die Sonne,
So trank er schon wieder mit neuer Wonne,
Und nahm sein Bad in der bergfrischen Welle
Und schnalzte vergnüglich gleich einer Forelle,
Ward zusehends lustig und jodelt' und sang,
Daß ein fröhliches Echo den Tannwald durchklang.
Auch mehrte sich merklich sein Appetit,
So daß er mit unverzagtem Gemüt
Einen ganzen Schinken und Brotes drei Laib
Verzehrte, als wär's nur ein Zeitvertreib.
Als zweiter Nimrod, mit Bogen und Pfeil
Durchzog er die Waldung von jetzt an in Eil',
Schoß Hirsche und Eber, und kam auch ein Bär,
So sprach er: »Das freut mich nur um so mehr,«
Und schlug mit gewaltig erhobenem Stein
Aus freier Hand den Schädel ihm ein.
Denn wer hier trinken und baden kann,
Den ficht kein Ungeheuer 'was an.
Herr Rippold lebte zu selbiger Zeit
In der allereinsamsten Einsamkeit;
Es führte zu ihm nicht Steg, nicht Pfad
Und niemals waren ihm Menschen genaht;
Nur selten bei seiner Einsiedelei
Trieb ein Hirtenkind seine Herde vorbei.
Doch früher, bevor er die Quelle entdeckt,
War Herr Rippold immer gewaltig erschreckt,
Wenn er die Maid nur von ferne erschaute,
Und sprang, dieweil ihm wahrhaftig graute,
Scheltend, so weit ihn trug sein Fuß,
Ins Waldesdickicht mit Groll und Verdruß,
So daß die Hirtin betrübt oft klagte
Und im stillen zu sich selber sagte:
»Dies scheint, soweit ich es beurteilen kann,
Ein frommer, aber ein grober Mann.«
Der Hirtin Antlitz war zart und fein,
Sie schaute sanft in die Welt hinein,
Und ihre Wangen, ein wenig bleich,
Schufen ihr Aussehen träumend und weich.
Sie hütet' am Saum vom Tannenwalde
Die Herde auf grüner Bergeshalde,
Trank die würzige Bergluft in vollen Zügen
Und spielte mit ihren Lämmern und Ziegen.
Nun fügte sich's einmal von ungefähr,
Daß Herr Rippold jagend den Wald kam daher,
Und wiederum, was sonst ihn so schreckte,
Er von ferne den Strohhut der Hirtin entdeckte.
Doch heute erschien er durchaus nicht verdrossen,
Am Waldsaume stand er wie festgegossen
Und dachte: »O seltsamer Wechsel der Zeit! –
Sonst floh ich meilen- und meilenweit,
Jetzt mag ich durchaus nicht mehr von der Stelle;
Ist dies vielleicht auch eine Wirkung der Quelle?«
Drauf faßt' er einen tapfern Entschluß
Und bewegte zur Jungfrau hinab seinen Fuß
Und sprach, doch nicht ohne innere Sorgen
Und bedeutend verzagt: »Recht guten Morgen!«
»Schön Dank!« gab ihm die Hirtin zurück,
Dann warf er auf sie einen seltsamen Blick
Und schwieg. Eine längere Pause entstand,
Bis daß Herr Rippold sich wieder ermannt
Und mit tapferm Herzen zum zweiten sprach:
»Es scheint mir heut ein sehr schöner Tag.«
Dann aber, als wäre zu viel schon geschehn,
Verschwand er, ohne sich umzusehn.
Doch item und item – wer weiß wie's geschah! –
Des andern Tags stand er wiederum da,
Und wären die Tannen nicht still und diskret,
So wüßt' man auch, was sie noch weiter geredt;
Doch jedenfalls blieb es bei stiller Verehrung
Und kam zu keiner nähern Erklärung.
Da begab sich, daß nach etlicher Frist
Am gewohnten Platze die Maid ward vermißt.
Sie lag zu Haus schier gefährlich krank.
Herr Rippold sprach: »Gott Lob und Dank!
Nun find' ich doch endlich Gelegenheit,
Ihr zu dienen in Treue und Freundlichkeit!«
Und eines Morgens, um sechs Uhr präzis
– Es wehten die Lüfte gar lieblich und süß –
Sah man, wie Herr Rippold besorgt und gerührt,
Die Hirtin am Arm zu der Quelle geführt,
Er schöpfte ein Glas und sprach zierlich und schön:
»Das trinket zu Eurem Wohlergehn,
Dann rat ich Euch', etwas zu promenieren,
Sodann ein zweites Glas zu probieren,
Und unmaßgeblich will mich bedünken,
Wir könnten in Zukunft gemeinsam hier trinken!«
Und item und item – wer weiß wie's geschah –
Sie sagte nicht nein und sie sagte nicht ja,
Doch Herr Rippold ging bald in den Tannwald hinaus
Und suchte den höchsten Baumstamm sich aus,
Und schlug einen Nagel hoch oben in Stamm
Und hing seine Einsiedelkutte daran.
Die Hirtin aber ward unverweilt
Durch des Quells erquickenden Zauber geheilt,
Fuhr wieder zu Berge, stark und groß
Und blühte als wie eine Frühlingsros'.
Und item es dauerte wieder nicht lang,
Tönt' festlich im Tale der Glockenklang.
»Was wallt dort zum Klösterlein?« Mancher frug,
Und die Antwort war: »ein Hochzeitzug.«
Am Portale stund mit den Brüdern der Abt
Im vollen Ornate, beringt und bestabt,
Und sprach: »O Rippold, geprüfter Mann,
An Dir hat der Himmel ein Zeichen getan,
Und weil Du, der leidenden Menschheit zum Frommen,
Der Quelle zuerst auf die Spur bist gekommen,
Sollst Du, befreit von Gelübde und Zwang,
Die Au dort verwalten dein Leben lang,
Sollst Herberg' halten für Männer und Frau'n,
Sollst Stuben zum Trinken und Baden erbau'n,
Sollst alles, was dienlich, schaffen heran,
Selbst Damensalon und Kegelbahn.«
Und wieder erklangen die Glocken gar traut.
Da kniete Herr Rippold mit seiner Braut,
Da sprach der Abt am geschmückten Altar
Seinen Segen über ein glückliches Paar,
Und gab sie zusammen als Mann und Frau ...
Das ist die Geschichte von Rippoldsau.