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Die Mutter.


Sie zogen nun auf sein Vaterschloß Ellensburg, das Eleonore von ihrer Mutter geerbt, und bei ihrer Ankunft zu Nyborg wurden ihnen zu Ehren – wie drei Donnerworte ... drei Kanonenschüsse gesprochen, die Eleonore sich so übersetzte »Lebt in Frieden!« die Ulfeld aber wohl richtiger so verstand: »Fahrt zum Teufel!«

Ulfeld hatte während der Verwirrung der Dinge in seiner Abwesenheit nicht gehört, daß seine Mutter, Frau Brigitta Brokkenhuus, gestorben war. Und, um sie freudig zu überraschen, gingen sie vorzüglich auf Eleonorens Rath und gute Meinung, nach Frau Brigittens Hause, das in vollständiger Stille und Eintönigkeit der Welt dastand, dem äußerlich kein Wandel anzusehen war; denn die Fenster spiegelten die Sonne, die Wolfsköpfe an der Pforte machten ihr altes, verschwieg'nes Gesicht, und das Treppengeländer war glatt in der Hand, wie sonst. Sie gingen in ein Zimmer. Auch da stand Alles, wie sonst. Ulfeld setzte sich; Eleonore fand eine Harfe, stimmte sie leis', und spielte dann leis', und dämpfte demohnerachtet noch öfter die Töne mit der Hand und horchte, ob ihres lieben, befreieten Gemahles liebe Mutter, die nur zu redliche Frau Brokkenhuus, nicht bald in der Thür erscheine? Sie warteten lange. Endlich erschien Corfitz's Halbschwester, welche Frau Brigitta in dem Familienbilde als Hund hatte malen lassen – also die gute Alte hatte ihren Zorn abgelegt und das gute Kind ihres Mannes zu sich genommen, als ihre Pflegerin im Alter. Und Eleonore freute sich herzlich, denn nun war auch der Empfang ihres leiblichen Sohnes gewiß recht sanft, recht herzlich – und sie weinte schon im Voraus. Denn sie führte der Großmutter zugleich ihre schnell erwachsenen Enkeltöchter zu, deren zweite, Ellen Christina, besonders Eleonoren glich und sehr schön war, aber sehr leicht gesinnt, ein junger Corfitz an Sinn und Gemüth, nur noch schrecklicher für sie, als Mädchen. Doch das konnte die strenge Großmutter ja doch nicht gleich sehen; auch wußte sie ja nicht, daß Corfitz allen den Seinen schon lange, seit dem Thränentode seiner armen Schwester Dorothea, verboten hatte, ihm mehr von der Mutter zu sprechen, niemals nach ihr gefragt, noch sich um sie gekümmert hatte, und sie nicht um ihn, wie es geschienen, doch nicht, wie es gewesen. Heut' war heiliger Weihnachtsabend und Eleonore kam der Mutter den Sohn bescheren.

Corfitz's Halbschwester, die indessen schon ziemlich alt geworden, trug aber Etwas, in ein weißes Tuch eingeschlagen, das ihr jetzt vor Schreck über die unvermutheten, gleich erkannten Gäste vom linken Arm fiel, und es waren Trauerkleider, die eben erst fertig geworden sein mochten. Corfitz ging also gleich auf das Nebenzimmer los – seine Halbschwester aber, die nicht wußte, welchen Titel sie ihm jetzt zu geben hätte, rief ihm, hastig und ängstlich warnend, zu: Man gehe nicht hinein! Man warte doch! Man gehe doch nicht hinein! – Aber Corfitz war schon hinein. Da kam sie nahe zu Eleonoren, drückte ihr die Hände, weinte und sprach: Ach, welches Glück, daß Sie erst heute kommen – ich meine, für die gnädige Frau Kanzlerin – die Selige zu sagen, kann ich mir gar noch nicht angewöhnen und auch noch nicht glauben, daß der Mensch, ja so eine gute, alte Dame so auf ein Mal soll selig werden – denn bis auf die letzte Stunde bat sie Gott nur um die einzige Gnade ...

Daß ihr Sohn doch kommen möchte! sprach Eleonore. –

Ja manche Mütter können nicht ersterben, bis ihr verlorner Sohn kommt; dann machen sie gleich die Augen zu und sind selig! Frau Kanzlerin aber bat Gott dagegen, daß er nicht eher kommen möchte, bis sie die Augen zu hätte! Ich glaube nun gar, sie ist aus Furcht gestorben ... aus Gram und Schande gewiß! Die arme Mutter!

Mein Kind, oder Du alte Jungfer, Du bist auch recht albern geworden! versetzte Eleonore.

Mein Gott, habe ich Sie beleidigt, Sie allerelendeste Frau und Mutter, wie die selige Frau Kanzlerin Sie immer nannte, als sie noch recht unselig war! Mein Gott, verzeihen Sie! Was man Jahre lang so eingehört, was sich einem so eingebeizt hat Tag und Nacht, bei Tage unter Verwünschungen ... der Ehre wegen .... und Nachts unter Gebeten – und Frau Kanzlerin konnte beten, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen – das fällt, wie reifer Samen endlich einmal aus der morsch gewordenen Kapsel heraus, wie es gewiß auch jetzt aus dem reifen Herzen der Frau Kanzlerin gefallen ist, dem lieben Gott vor die Füße oder auf seine Seele, und vielleicht ist sie, nämlich die selige Frau Kanzlerin, schon darum allein selig, daß sie es aus dem Herzen, ja das ganze Mutterherz, und ihre ganze Muttergestalt dem lieben Gott hingeschüttet hat – wie sie immer wünschte! Nun vergeben Sie mir nur, man verwöhnt sich in jedem Hause, worin man so lange ist und bekommt die Stimme, die darin schallt, oder wie ein Geist d'rin umgeht, und nur der Kukuk in der Uhr bleibt bei seinem alten, festen Tone zu allen Stunden und Zeiten, und was es auch schlägt, er sagt sein immer gleiches Kukuk! Kukuk! dazu. Mein Gott, ich denke, Sie wissen nun Alles lange selbst, Sie haben sich lange schon darein geschickt, meinte Frau Kanzlerin, sonst müßten Sie ja todt sein! Oder, meinte sie auch wohl zuweilen: Eine Mutter, und bloß eine Frau, das ist ein Unterschied. Ich selber bin eine Blinde in solchen Dingen, denn mir hat Gott nicht gegeben, einen Mann zu sehen, oder ein Kind zu sehen – und ich bin recht froh, und habe recht froh gelebt und nur geweint über ander Leut's Leiden. Das können Sie redlich glauben!

Eleonore ging ihrem Corfitz nach in das Zimmer, schon um den so herzlich wohlgemeinten Worten dieser unschuldigen Seele zu entkommen. Sie sah nun wohl: wie jeder Sonnenstrahl doch von einem Blumenkelche wo aufgefangen und eingesogen wird, so war das Herz von der Mutter ihres Mannes der Brennspiegel gewesen, in dessen Grunde sich alle Strahlen des Leides gesammelt; aber das Mutterherz hatte sie nicht fort von sich werfen können, sondern war still daran verkohlt. Scham überfiel sie, nicht Reue – denn sie sah, auch hier hatte ein Weib Denselben geliebt, den sie liebte. Und dieser Stärkung bedurfte sie jetzt. Denn sie ging in das Wohnzimmer ihrer Schwiegermutter, das zum Schein ganz das bequeme, traute Wohnzimmer einer alten Frau war. Aber das Erste, was ihr auffiel, war ein Maler, derselbe niederländische Maler, der für Corfitz »Die Hochzeit« und für sie selbst »Das Schweißtuch« gemalt hatte. Er verneigte sich höflichst auf ihren Gruß, ohne aufzustehen, malte aber emsig fort. Er malte »Die Mutter im Sarge«. So schlich sie weiter. Auf ihrem Tischchen am Fenster lag ihre Brille, und ihr Gebetbuch. Auf ihrem großen, breiten, goldumbordeten Raritätentische aber sah sie ein Ding, wie ein junges Spanferkel, liegen – aber es war ein Buch in Schweinsleder gebunden, worauf aber die Borsten noch waren. Sie that es auf – und es war ihres Mannes Ehrenrettung. Weiter hin lag ein in Dina's Blut getauchtes Schnupftuch unter doppelter, hoher Glasglocke, und das Tuch selbst und die inwendig an das geschliffene Glas geklebte Ueberschrift oder der Taufname des Tuches schimmerten wunderbar in der engen, friedlichen Abgeschlossenheit. Daneben lagen – »Wachskerzen von meiner Tochter und Corfitz's Schwester Dorothea Trauerabend, die sie im Sarge beleuchtet haben.« Die Lichter schliefen unter ihrer Glocke mit ihrem Lichte wunderbar, wie in einer Bibel Gottes Wort schläft. Daneben lag Dorothea's künstlich, klösterlich gearbeiteter Jungfrauenkranz, den sie im Sarge als letzten Schein des Lebens getragen, und den Eleonore gar wohl erkannte. Weiter hin lag das Kochbuch, das Corfitz dem am guten Essen gestorbenen Thronfolger Christian V. aus Paris verschrieben. Gleichfalls unter Glocke und Taufnamen. Zwischen diesen und andern Dingen hin, lag, wie eine steifgestorbene, erstarrte, gelbe Schlange, der mit Gold beschlagene Stock des armen, alten, durch Corfitz gestürzten, redlichen Günthers, und, wie eine vom Teufel hingelegte, schwarze Krone zu dem allen, auch Günther's kleines, dreieckiges Hütchen, womit er die armen Leute besonders gegrüßt. Weiter hin lag ein Buch aus Thomesen Sehested's zerstreuter Bibliothek, und ein Catilina von Salust auf Pergament »von den Patronenmachern wieder gekauft«. Daneben stand sein Himmelsglobus, und dahinter an der Wand hing des armen Mannes Perücke. Aber daneben hing auch »das zerrissene Halstuch der Jolessa, von einem Soldaten gekauft«. Auf dem Tische lag außer vielen andern Sachen noch »falsches Geld«, das Corfitz hatte schlagen lassen, und ein gedrucktes Exemplar des Friedens zu Bremsebroe und zu Roskild. Ueber dem Tische jedoch hing ein Bild mit lebensgroßen Menschen. Auf einer Seite stand der König Christian V., auf der andern der alte Kanzler und Beide sahen zu, wie Eleonore als Engel mit Zärtlichkeit ihren Ulfeld anbetete, der mit einem Pferdefuße abgebildet war. Sie trat zu dem Maler, der für Geld auch das Bild gemalt hatte, wie er das Gegenwärtige so eben malte, aus welchem erst bloß das fertige Gesicht – auch wie ein Schweißtuchgesicht – heraus sah, aber als das Schrecklichste, Markdurchdringendste im Zimmer, als bittres, bittres Todtengesicht einer Mutter. Sarg und andre Staffage lag noch im Frühlingsschöpfer-Nebel der Kunst, und schimmerte erst in Umrissen hervor, wie angrünende Bäume. Im Bilde war oben auf ein gemaltes Pergament der Vers geschrieben:

    »Ach, wäre nur die Nacht vorbei!«
    »So seufzt die Mutter still,
    »Dann seh' ich ihm in's Auge frei
    »Und frage, was er will ...
    »Was Er im Himmel will!«

Eleonore war mehr todt wie lebendig, und Ulfeld, der auf der andern Seite des Malers gestanden, ging jetzt von ihm, Eleonore mit ihm, und lehnte sich mit ihrem Arm an seinen Arm, und mit ihrem Haupt an seine Schulter. So schlichen sie hinweg. Er stand dann und sprach zu Eleonoren: Wer wird sich so das Leben schwer machen! Welche Mutter? Welchem Sohne? Ist eine Mutter die Giftbiene der Lebensblumen? Oder ein Weib das Thränenschöpfrad am Lebensstrome ihres Mannes. Ach, ein Weib hat auch Freude am Manne – eine Mutter hat nur den Sohn. Dummheiten! fuhr er fest und lächelnd fort. Das soll eine Art Weltgericht sein, nicht, wo Gott, der Sohn, die Welt richtet, sondern, wo die Mutter ihren Sohn – den Teufel – (also, wer ist Sie?) richtet, indem sie ihn durch die Welt richten läßt. Eine alberne Anticipation! Eine mütterliche Supposition! Schafft Mutter und Maler und alle den Kram weg, befahl er, nahm seine geliebte Tochter, die im Nebenzimmer geblieben, und ging. Eleonore blieb noch einen Augenblick. Da Ulfeld hieher gewiß nicht wieder kam, befahl sie heimlich an »die Gemalte«, daß Alles so bleiben solle.

Es muß auch, laut Testament; erwiederte die treue Seele. Das Haus ist mein unter der Bedingung – sonst müßt' ich ja betteln gehn.

So schied sie von ihr. Auf der Treppe kam ihr Ulfeld entgegen und frug sie mit Autorität: Ellen! Ich frage Dich auch ein einziges Mal, was denkst denn Du im Grunde des Herzens von mir?

Eleonore erröthete; dann antwortete sie: Ich glaube, die Stelle in der Bibel muß eigentlich so heißen: Das Weib wird Vater und Mutter verlassen, und ihrem Manne anhangen! Ich will nicht glücklicher sein, als meine Mutter; durch unser Leben lernen wir erst das Leben der Alten und Todten begreifen, sie lieben, und gönnen ihnen gern die Ruhe ...

... »Wie Wir sie uns wünschen« – Eleonore, willst Du nicht laut dazu setzen. Wie Du willst. Aber unsere Kinder lieben uns wieder.

Ich Dich nicht lieben? frug sie, wie über eines Geistes Wort in ihr erstaunt und erschreckt.

Ich liebe Dich auch! sprach er gelassen. Und sie gingen, und kamen zum heiligen Weihnachtsabend nach Ellensburg, und Corfitz ging in seine Kinderstube, und Eleonore in seiner Mutter Zimmer und saß, ohne es zu wissen, an demselben Kamine, wo Frau Brigitta Brokkenhuus gesessen, das Feuer brannte darin, wie jemals, und beglänzte und wärmte sie – und es war, als wenn Ulfeld's Mutter nicht weggewesen, eben so rothgipflig, so flackernd und hüpfend, wie kleine Geister und Irrlichter für die Irrlichter der Erde, die Menschen, schwebte es in dem schwarzen Schlunde. Wie in einer Zaubergrotte schlummerte sie ein, als ein leises Klopfen mit dürrem Fingerknöchel an ihre Thür sie erschreckte, daß sie auffuhr, denn es war ihr, als wenn Anna, von Dina's Kinde kommend, wieder klopfe. Aber, der hereintrat, war ihr Lehrer und liebender Freund, der Doctor Sperling, und sie durchplauderte die Nacht mit ihm. Denn Corfitz, der nicht schlafen können, kam ihr schon entgegen, als sie selbst ihn holen gegangen. Wie Sperling versichert, so geschah es. Es kamen in den nächsten Tagen und Wochen heimlich die angesehensten Männer zu ihnen. Denn ganz Dänemark war wie aus den Wolken gefallen und rieb sich die Augen, und fast alle Adlichen weinten, und suchten Rettung und Hülfe bei Ulfeld, ohne den sie nicht untergegangen wären. Deßwegen war seine Ankunft aus Schweden ein Donnerschlag in die aufgestellte Milch der Königin gewesen. Jetzt aber war der Käse gemacht – doch nur auf dem Papier vor den Augen; aber die aus der neuen Gewalt hervorgehenden Gesetze und Thaten stellten erst ganz an das Tageslicht, was geschehen war. Nur die Hauptstadt ist zufrieden und die stets zufriedenen Bauern besonders aber damit, daß sie vom Adel nicht mehr in den Rauch gehangen werden dürfen, und die nicht begreifen, daß die Freiheit bloß eine Ehrensache ist; sagten die Gäste. Der Arge fühlt selber den Guten und Unschuldigen in seine Gewalt gegeben – und wenn die Kinder der Königin weg waren, ward wenigstens Ulrich Gyldenlöwe König, welche Bemerkung Sperlingen das Blut in's Gesicht trieb, aber ihn selbst zu weiter nichts, wenn auch alles dazu Nöthige möglich gewesen wäre; ob ihm Ulfeld gleich sagte, daß Erich IV., das Lamm oder Schaaf, und Sechs Bastarde hinter einander schon Könige in Dänemark gewesen. Sperling fühlte aber aus verschiedenen Gründen an den seidenen Strick um seinen Hals, und er sagte dagegen für Ulfeld: Axelsön hatte auch nur eine Tochter des Königs und ward König, und Einar Tambeskiälf, der kein Narr war; und Hiarne machte gar nur dem friedfertigen König Frodo die Grabschrift – wofür er König ward. Und am Ende wird die Krone doch getheilt, wie Magnus Sigurdsön mit Harald Gille. Nur Geld ... oder Friede! Die acht heimlichen Abgesandten des Adels aber, wovon der Reichsadmiral Bielke, Ulfeld's Bruder der Kanzler, und sein Bruder der Generallieutenant, in Schweden nur die sichtbaren Griffe von den langen, in der Scheide des Landes daran befindlichen, Schwertern waren, verließen sich besonders darauf, daß es bei der Erbhuldigung zu Copenhagen in Norwegen furchtbar gestürmt habe, Schiffe, worunter das Kronenschiff, untergegangen seien, und daß ein im Schlafe erdrosselter Mann mit Namen Dan wieder lebendig geworden und seinen Erwürger erwürgt habe. Uebrigens, wenn der König auf dem Rathhause gleichsam versiegelt und die Stadtthore verschlossen gewesen wären, würde Jeder König gesagt haben, der König sei gezwungen worden, sein Recht wie seine Freiheit hinzugeben; so müsse auch im Gegentheil für alle Folgezeit wahr bleiben, und Adel, Geistlichkeit und Volk sagen dürfen, daß der Adel gezwungen worden sei, Recht und Freiheit durch einen Federzug hinzugeben. Auch könne man schriftlich ein Narr sein, wenn man es vorher im Kopfe sei, und hinter aller Schrift bleibe die Vernunft und die Freiheit stehen, wie der deutsche Kaiser schon immer in Urkunden und Privilegien so schön sage – also auch in einem Königsprivilegium so schön sagen würde: »Allen frühern, höhern und bessern Rechten unbeschadet.«

Ulfeld fand Alles wahr und gut; aber er fühlte sich plötzlich alt, so alt, wie vor langen Jahren gestorben; denn seit dem Besuche in dem Gerichtszimmer seiner Mutter bedünkte es ihm, wie seiner Seele, so auch seinem Leibe nach: er lebe nicht mehr, er habe nicht gelebt, denn ihm habe ein Etwas bei allem seinen Wirken und darum in seinen Werken, im Herzen gefehlt. Ja, er legte manchmal die flache Hand auf die Stelle des Herzens und fühlte, ob ein Herz in ihm schlage? Und um so lauter und rascher schlug es! In dieser Zwischenzeit der Demuth, die jedem Menschen doch ein Mal im Leben kommt, in diesem düstern, kalten, reizlosen Regenwetter der Seele erzählte ihm Eleonore ihren Traum, wie sie ihn als Mann, und den Vater als alten heidnischen Gott gesehen – worauf er ihr entgegnete: und ich die Mutter als christliche Frau! vergiß das nicht. Auch ein Staatsmann weiß, was in Wahrheit ehrlich ist und christlich wäre! Wir können es nur nicht mehr brauchen, oder noch nicht! vergiß das nicht, liebe Seele! Vergiß auch nicht mein, wenn Du des Vaters gedenkst und der Mutter. In Papier kann man Wasser kochen, sogar über Flammenfeuer, und die leichte Hülle, der flüchtige Topf, brennt erst an, wenn das Wasser kocht. Mein Spiritus kocht in mir auch sehr bald! Der Mensch ist auch von Papier, von Lumpen ein Lump! Du wirst mich nicht lange mehr haben! – Sie glaubte das nicht, und weinte darum auch nicht.

Indeß hatte Eleonore, die ihres Mannes politische Spielwuth kannte, die Männer doch angehört; und der Hof hatte mit Recht ein Auge über Ellensburg, wie ein gelber, scheeler Mond. Hannibal Sehested kam also auch, stellte sich Freund und willig zu Allem. Und selber Eleonore traute ihm noch, so scharf und scharfsinnig sie über ihres Ulfeld's Geschick auch wachte. Denn Terlon, der Einzige, der Sehested's Verrätherei verrathen konnte, war, und wahrscheinlich auf Ulfeld's Betrieb, der auf des Herrn von Frankreich alte, geäußerte Habsucht fußte, nach Paris gereiset. So waren denn alle Umgarner durch Sehested umgarnt. Ulfeld mußte seiner leidenden Brust wegen unerläßlich in ein Bad, nach Spaa, gehen, um welche Erlaubniß er bei Hofe wie ein Schulknabe nachgesucht und vom neuen, gestrengen und hitzigen Rector – der Augen ausschlug und Nasen und Ohren abschneiden ließ, wie dem namenlosen Ordonanzreiter in Copenhagen geschehen war – dem Herrn von Dänemark auch erhalten. Zugleich aber war schon der, als der treuste, gestrengste Ordonanzreiter bekannte und durch die grausame Behandlung Ulfeld's dem neuen Herrn und besonders der neuen Herrin wohlempfohlene Obrist, nun General Fuchs, voraus nach den Niederlanden, nach Brügge, gesandt worden – um das in sein Lager einfallende und einzufangende Wild, den Wolf Ulfeld, ruhig im Dickig liegend, abzulauern.



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