Paul Scheerbart
Das große Licht
Paul Scheerbart

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Viertes Kapitel

Als alle wieder ruhig auf der großen Dachterrasse saßen, fuhr der Baron abermals in seiner Erzählung fort:

»Am nächsten Tage kam denn auch der große Nabob aus Indien; er hatte große schwarze Augen, denen man die Begeisterungsfähigkeit gleich anmerkte. Natürlich richtete es mein Freund William so ein, daß er bald mit Fräulein Flora zusammen kam.

William bestieg mit den beiden und mir sein großes Turmpanorama. Da drehte sich ein Turm mit fünf Stockwerken ganz langsam um sich selbst. Und im kleinen Turmzimmer des ersten Stockwerkes saßen wir vier an einem runden Tisch in bequemen Sesseln und blickten hinaus. Und vor uns zog eine Art Winterlandschaft mit Blumen vorüber, die den Eisblumen nicht unähnlich sahen. Es waren aber ganz große Eisblumen. Das Starre des Glases wirkte hier ganz natürlich.

Die Flora gab ruhig zu, daß diese phantastischen Eisblumen, die natürlich ganz seltsame Formen zeigten, alles nur in Weiß und Grau – wirklich ganz natürlich wirkten. Weller sah mich an, und ich merkte, daß er unruhig wurde. Der Nabob saß ganz schweigsam da und starrte die weißen und grauen Astgewächse mit seinen großen Augen aufmerksam an.

»Du pflegst doch sonst nicht«, sagte Weller zu seiner Großnichte, »mit Deiner Meinung so zurückzuhalten.«

»Ich habe aber auch nicht nötig«, erwiderte sie, »mich immerfort zu wiederholen.«

»Finden Sie«, fragte der Nabob, »diese seltsame Eiswelt nicht wundervoll?«

»Das schon«, versetzte sie, »aber wenn ich die Kosten bedenke, die eine derartige Anlage verursacht hat, so kann ich mir doch nicht verhehlen, daß hier recht viel Zeit und Geld verschwendet wurde. Bei uns in Deutschland hat man im Winter solche Landschaften billiger.«

»Solche aber«, rief nun der Nabob mit flammenden Augen, »in keinem Falle. Sehen Sie denn nicht die wundervolle Struktur der grauen Stämme und Äste? Sehen Sie nicht, daß alles Weiße blütenartig ist? Und wie mannigfaltig die vielen Stengelgebilde sind – dort das ganz Schlaffe – dort das Straffe – hier das Strahlenartige! Oh – das gibts doch nicht in der Natur. Sie müssen so was geträumt haben, wenn Sie behaupten, so was schon in Deutschland gesehen zu haben.«

»Ich bin für das Praktische und träume sehr selten!« sagte Flora.

Und Weller rieb sich vergnügt die Hände und führte uns auf steiler Wendeltreppe zum zweiten Stockwerk empor.

Da saßen wir denn ebenso wie im ersten und sahen Schattenspiele – eine Glasblumenwelt, in der alle Effekte auf die Schattenwirkung hinarbeiteten; das Licht kam mal von oben und mal von unten und dann wieder von einer Seite oder von hinten.

Alles Farbige war gedämpft – nichts Grelles. Nur die Schatten waren oft grell. Der Nabob fragte die Flora, ob sie so was auch schon in Deutschland gesehen habe.

»Ich habe«, sagte sie da, »oft die Schatten im Walde des Abends gesehen und finde diese Schatten nicht so mannigfaltig wie jene.«

Da wurde der Nabob ärgerlich und schwieg, bewunderte dafür die vorüberziehenden Blumen mit allen ihren Schatten immer aufmerksamer.

Im dritten Stockwerk wars zuerst ganz finster – und dann sahen wir phosphoreszierende Blumen in dieser Finsternis. Und das erregte – so wie Geistererscheinungen – es war ein bischen unheimlich.

Fräulein Flora hüllte sich in Schweigen, der Nabob rauchte eine Zigarette.

»Ich wollte mal«, sagte William, »die Seelen der Blumen zur Darstellung bringen – ich wollte Geisterblumen bieten. Ich bin ja auch ein großer Freund der natürlichen Blumen.«

»Dann verstehe ich nicht«, rief nun die Flora, »warum Du Dich derartig in Unkosten stürzest; man kann doch das Geistige nicht mit stofflichen Mitteln herstellen.«

Es kamen nun Blumen, die nur aus Geißlerschen Röhren bestanden, und die entzückten den Nabob so, daß er sich plötzlich die Ohren zuhielt und deswegen um Entschuldigung bat.

»Aber«, sagte er, »ich kann nicht gut sehen, wenn ich auch hören muß.«

Wir waren lange mäuschenstill und ließen die Geisterblumen langsam an uns vorüberziehen.

Im vierten Stockwerk wurden uns welke verblühte Blumen in Glas vorgeführt.

»Oh«, rief da der Nabob, »hier haben wir die Poesie des Sterbens.«

»Es sieht aber«, sagte ich, »nur so aus, als wäre da was gestorben. All die Formenpracht gibts garnicht in der absterbenden Natur.«

»Jedenfalls«, meinte die Flora, »ist es sehr gut, wenn der Großonkel die tote Natur in seinen Glasblumen zur Darstellung bringt; den Eindruck des Lebendigen wird er ja doch nie mit seinen Glasgeschichten erzeugen.«

»Da könnten Sie«, sagte nun langsam der Nabob, »auch die ganze Kunst verdammen; Ölfarben und Marmor sind auch nie zum Leben zu bringen.«

Fräulein Flora Mohr wurde verlegen und redete etwas unzusammenhängend.

Weller stieß mich bedeutungsvoll an, und wir stiegen dann ganz nach oben in das fünfte Stockwerk und sahen dort eine ganz frische Frühlingspracht mit unsäglich vielen bunten Knospen.

Und dann drückte Weller auf einen Knopf, und es waren wieder andre Knospen da – in anderen Formen und Farben.

»Nun«, rief William lachend, »lebt diese Frühlingspracht – oder lebt sie nicht?«

Und er drückte immer noch mal auf seinen Knopf – und wir sahen die Blumenfelder immer wieder anders.

Die Flora sagte:

»Da sind immer wieder nur Farben und Formen – weiter nichts. Es fehlt doch die Seele!«

»Hm!« sagte William, »du wolltest dich doch nicht wiederholen.«

»Das fragt sich, ob hier die Seele fehlt!« sagte der Nabob.

Mein Freund ließ jetzt noch eine größere Anzahl von durchsichtigen Vergrößerungslinsen als Blüten vortreten – und dadurch veränderte sich das Bild so plötzlich, daß der Nabob ganz erregt aufsprang.

Als ich nachher mit William allein war, sagte der:

»Die Flora hat ja gewissermaßen Recht; ich gebe zu, daß immer nur Farben und Formen kommen. Aber – ist es nicht ein bischen anspruchsvoll, wenn man immer gleich den Kern der Natur entdecken will?«

Ich mußte das bejahen und sagte tröstend:

»Vergiß auch nicht, daß wir den Kern der Natur eigentlich garnicht kennen.«

»Und«, rief nun mein Freund vergnügt, »ich weiß ja doch, daß Floras Seele stets in ihrem Kunstschlosser steckt.«

Danach begab man sich zum Diner, und die Damen erklärten dem Baron, daß sie die Flora für ein unglaubliches Geschöpf hielten.

»Aber solche Geschöpfe«, sagte der Baron, »gibts eben in Europa.«

»Ein merkwürdiges Land!« riefen da die japanischen Damen – beinahe im Chor.


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