Heinrich Schaumberger
Zu spät
Heinrich Schaumberger

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Zu spät

Fritz ließ Peter nicht wieder aus seiner Nähe. Daß der so unerwartet Gefundene die Nacht in ihrem Quartier zubrachte, fand Bernhard begreiflich, weniger das unbedingte Vertrauen, das Fritz jetzt schon dem gar zu heruntergekommenen Menschen bewies. Ihm entging nicht, wie dessen Augen habsüchtig funkelten, als er beim Einpacken Fritzens reichen Kleidervorrat bemerkte. »He, du,« schrie er, »der Donner soll mich erschlagen, wenn du nicht einen ganz unvernünftig großen Plunder mit dir herumschleppst. Wozu der Quark? Dabei fällt mir ein, meinem Anzug sieht man den Schiffbruch gar zu sehr an, die Leut' mögen unterwegs und in Madison nicht schlecht dreingucken, heißt's: ich wär' dein Schwager! Mir ist's egal, aber deinetwegen möcht's gut sein, du borgtest mir ein paar von deinen übrigen Lumpen, – 's ist nur wegen dem Abstich!«

Fritz runzelte die Stirn; nach einigem Besinnen wählte er jedoch einen vollen Anzug aus der Kiste und übergab ihn, ohne ein Wort zu sagen, dem grinsenden Peter. Als dieser sich im Nebenzimmer umkleidete, sagte Bernhard leise: »Um Gottes willen, Fritz, sei auf der Hut, laß dich mit dem Menschen nicht zu tief ein. Trau' ihm nicht, er hat keine guten Absichten!«

234 »Was meinst du? – Sollt' er mich betrogen haben von wegen dem Bärble?«

»Das nicht, – das gewiß nicht! – Die Augen, mit denen er deine Sachen betrachtet hat, die ängsten mich. Fritz, laß ihn nicht merken, daß du Geld hast!«

»Was denkst du auch? – – Nein, Bernhard! Der Peter ist ein liederlicher Strick, aber so weit ist er doch noch nicht!«

»Ich möcht' ihm nicht unrecht tun, – aber seine Augen und sein schamloses Wesen, – Fritz, wer so seine Schande auskramt, dem ist alles zuzutrauen!«

»Du siehst, ich kann ihn nicht entbehren!«

»Freilich – eben drum warne ich dich! – Laß ihn um Gottes willen nichts von deinem Geld merken!«

Fritz nickte Bernhard zu, da Peters Eintritt ihr weiteres Gespräch unterbrach. Bald nach Tisch begaben sich alle drei zur Ruhe; Bernhard mochte Peters Geschwätz nicht anhören, und Fritz war wieder so in sich versunken, daß er alles um sich vergaß. Als ihm Bernhard vor dem Niederlegen noch einmal die Hand drückte und treuherzig sagte: »So, nun schlaf' in Ruhe, hoffentlich gestaltet sich die Geschichte ganz nach deinem Wunsch!« – war ein tiefer Seufzer seine einzige Antwort.

Wie beneidete Fritz seine Gefährten um ihren tiefen, gesunden Schlaf! Mit offenen Augen wälzte er sich im Bett umher, lauschte auf das Ticken seiner Taschenuhr, auf den regelmäßigen Atem seiner Schlafgenossen, – wie langsam, langsam schlich die Zeit hin.

Gegen Mittag des folgenden Tages hatten die drei Bergheimer Neuyork schon weit hinter sich; schnaubend dampfte die Lokomotive durch das winterliche Hudsontal 235 aufwärts, Albany zu. Fritz hatte zuerst den Vorsatz ausgesprochen, direkt nach Westen zu reisen, doch fügte er sich ohne Widerrede dem Wunsch Bernhards, der ihn bat, den Umweg nicht zu scheuen und ihm bis Albany oder Buffalo das Geleite zu geben. Fritz fügte sich um so williger dieser Bitte, da er wohl kannte, aus welch uneigennütziger Absicht sie hervorquoll, da es ihm selber schwer ward, sich von Bernhard zu trennen, und, – da ihn jetzt die Kürze der Zeit, in der er Bärble treffen sollte, fast erschreckte. Wie auf der ganzen Reise, so auch diesmal, saß er teilnahmlos in einer Ecke, kaum, daß er dann und wann mit einem flüchtigen Blick die Gegend musterte. Die Entscheidung fürs Leben, der er entgegenging, der ihn jede Umdrehung der Räder näher brachte, ließ ihn nicht ruhen.

Bernhard beobachtete sorgenvoll den Freund, um so sorgenvoller, da er ahnte, was in ihm vorging. Gerne hätte er ihn getröstet, aber wo Trost hernehmen in solcher Lage? Hoffnungen durfte und wollte er nicht in ihm erwecken, – und was sollte er sonst sagen, auch wenn sie allein und unbeobachtet gewesen wären? – Seufzend kehrte er sich endlich ab und wendete all seine Aufmerksamkeit den auch im Winterkleide so reizvollen Umgebungen zu, durch welche sie der Bahnzug führte. Bernhard war im Winter den Rhein hinab gewandert, und als sie jetzt in den bergigen Teil des Hudsontales eintraten, drängten sich ihm unwillkürliche Vergleiche zwischen dort und hier auf. Wie gerne hätte er seinem vollen Herzen Luft gemacht, aber es war niemand, mit dem er hätte reden können. Fritz lehnte jedes Gespräch durch stummes Kopfschütteln ab, und Peter durchwanderte fortwährend die Wagen. Zunächst fiel dies Bernhard nicht besonders 236 auf, als er aber bemerkte, wie sich Peter mit allerlei verdächtig aussehendem Volk einließ, mit einigen wilden Burschen in kurzem sehr vertraut ward, teilte er seine Besorgnisse Fritz mit und warnte ihn ernstlich. Fritz nickte wohl zu seinen Bemerkungen, aber Bernhard seufzte, – er sah, seine Worte waren in den Wind geredet.

In Albany fühlte sich Bernhard ebenso unbehaglich wie in Neuyork, nach einigen Tagen ging die Reise weiter nach Rochester. Dort fand sich auch kein passendes Unterkommen, Bernhard begleitete den Freund bis nach Buffalo. – Hier endlich erklärte er, zu Peters unendlichem Vergnügen, dem der nüchterne, besonnene Bernhard höchst unbequem war, doppelt, da er sich von ihm durchschaut fühlte, in Buffalo bleiben und vorläufig sein Glück versuchen zu wollen. Bernhard begleitete den Freund nochmals aus der Stadt zum Bahnhof, – es war ein trauriger Abschied, als sie sich nun trennten. Bernhard mußte den Freund ohne Trost von sich lassen, Fritz schied ohne Hoffnung. »Ich kann dir's jetzt nicht vergelten, was du an mir getan hast«, sagte Bernhard, »aber vergiß nicht, was mein ist, ist auch dein; bring' ich's zu was, so hast du bei mir zu jeder Zeit eine Heimat! – Und, Fritz, nimm dich zusammen, laß dir den Kummer nicht über den Kopf wachsen; geht's schief mit dem Bärble, verlier' den Mut nicht, für dich ist deswegen noch nicht alles verloren; mit der Zeit vergißt sich auch das größte Leid. Besonders das schreib' dir ins Herz: ein ordentliches Leben kann man jederzeit noch anfangen, dazu ist's nie zu spät! – Gott behüt' dich, Fritz, und lenke alles zum besten!« – Noch lang' winkte er mit der Mütze dem Scheidenden nach.

Wieder rasselte und klapperte der Zug durch beschneite 237 und beeiste Gegenden, über endlose Ebenen dahin. Fritz hatte Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen, Peter kümmerte sich wenig um ihn.

Stille saß Fritz in seiner Ecke und schaute achtlos hinaus in die Schneewüste, in das Schneegestöber oder den Sonnenschein, – wer weiß, ob er von beiden etwas bemerkte. Je näher dem Ziel, desto heißer, ungestümer erwachte auch die Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen; er hätte sich Flügel wünschen mögen, um schneller zu ihr zu eilen. Ach, und wenn sie ihn von weitem kommen sah, mit holdem Schreck zuerst sich abwendete, aber dann, gerührt von seiner Liebe und Treue, die sich ja jetzt bewährte, mit leuchtenden Augen, glühenden Wangen ihm entgegeneilte, ihm die Arme entgegenbreitete, an seine Brust flüchtete, ihn: »mein lieber, lieber Fritz!« nannte und nun sein war für alle Zeit, – ach, solche Bilder trieben ihm oft das Wasser in die Augen. Wie so gern hätte er hoffen mögen, aber das Stoßen und Puffen der Lokomotive, das Rasseln und Klirren der Räder und Ketten sang eintönig fort und fort: »Zu spät, – zu spät, – zu spät!« – und verschwunden waren alle fröhliche Aussichten, der alte Schmerz durchwühlte ihn, oft ballte er heimlich die Fäuste, um nicht aufzuspringen und laut hinauszuschreien. Ach, es ist gar so traurig, mit einem tiefen Weh im Herzen, mitten unter lachenden, plaudernden Menschen, verlassen, vereinsamt durch die Welt zu jagen, einem erhofften, gefürchteten Ziel entgegen!

Endlich war Madison in Wisconsin erreicht. Klopfenden Herzens verließ Fritz die Bahn. Ist Bärble in der Nähe? – wird er sie finden? – und wie wird er sie finden? – Diese Gedanken trieben ihm wechselnd Hitze und Frostschauer aus. Und doch mußte er sich in Geduld fassen, Peter liebte durchaus Überstürzung nicht, und nach der anstrengenden, kaum unterbrochenen Eisenbahnfahrt von Newyork bis Madison erklärte er bestimmt, ehe er es unternehme, Jakob und das Bärble aufzuspüren, müsse er erst einige Tage rasten, seine Glieder fielen fast auseinander. Klug hatte er Jakobs Adresse für sich behalten, kein Bitten, kein Versprechen vermochte sie ihm abzudringen, und so mußte sich Fritz in Geduld fassen und ruhig abwarten, bis es Peter belieben würde, seine Entdeckungsreise anzutreten. Endlich, nach drei endlosen Tagen, erklärte er sich zur Abfahrt bereit. Fritz wollte ihn begleiten, dies duldete jedoch Peter um keinen Preis, dagegen versprach er, wenn es irgend zu ermöglichen sei, werde er das Bärble gleich mitbringen, um sie so ganz sicher dem Jakob aus den Klauen zu reißen.

Mit welchen Gefühlen Fritz dem dahinbrausenden Bahnzug nachblickte, mit welcher Ungeduld er Peters Rückkehr erwartete, wie er hin- und hergeworfen ward zwischen Hoffnung und Verzweiflung – es mag übergangen werden.

Endlich nach vier Tagen spät in der Nacht kehrte Peter zurück. – Aber wie ward Fritz, als statt des heiß ersehnten Mädchens – der Grundmüllersjakob – in sein Zimmer trat.

Peter machte ein verlegenes Gesicht, nach kurzer mürrischer Erklärung, Jakob habe ihm um keinen Preis den Aufenthalt seiner Schwester verraten, so habe er keine andere Wahl gehabt, als ihn selber mitzubringen, Fritz möge sehen, wie er mit ihm zurecht komme, verließ er das Zimmer.

Eine Weile standen sich die Männer schweigend 239 gegenüber. Anfangs wollte Fritz trotzig die Blicke Jakobs aushalten, aber es gelang ihm nicht, diese ruhigen, klaren Augen waren ihm unerträglich, mehrmals wechselte er die Farbe, dann wendete er sich ab. Beschämt über seine Schwäche biß er sich auf die Lippen, aufzublicken wagte er dennoch nicht, er fürchtete dem Ausdruck von Teilnahme und Mitleid wieder zu begegnen, der ihn so erschreckt hatte. Die Beschämung verwandelte sich bald in heftigen Zorn, Jakob erschien ihm als der heimtückische Räuber seines Glückes; ein Gedanke an Verrat und Hinterlist durchzuckte ihn, – konnte nicht Jakob das Mädchen unter irgend welchen Vorspiegelungen nach Amerika gelockt und so jede Aussöhnung vereitelt haben? – Seine Augen blitzten, mühsam an sich haltend, stieß er hervor: »Und was hast du hier zu suchen? – was willst du von mir?«

Unmerklich zogen sich Jakobs Augenlider zusammen, auf seiner klaren Stirn erschienen sekundenlang kleine Runzeln. »Ist das dein Willkommen?« fragte er. »Gib mir die Hand, dann wollen wir offen und ehrlich reden, wie sich's für Deutsche geziemt!«

»Offen und ehrlich!« – lachte Fritz rauh. »Oh, – dich kenn' ich jetzt, dein scheinheiliges Wesen nützt dir nichts, hab' dir in die Karten geguckt!«

»Fritz, – bist du bei Trost?« unterbrach ihn Jakob. »Was gibt dir ein Recht zu solch hartem Vorwurf?«

»Verstell' dich, – verstell' dich nur! – Mädle magst du berücken, mich aber führst du nicht hinters Licht. Deiner Falschheit bin ich auf der Spur, und ich deck' sie auf! – Wo ists Bärble?«

»Welcher Falschheit bist du auf der Spur?«

»Wirst's bald erfahren! – Wo ists Bärble?«

240 »Soll ich mich von dir beschimpfen lassen?« brauste Jakob auf. »Red' jetzt, was ist das mit der Falschheit?«

»Beim Bärble will ich dir's sagen, – jetzt bleib' mir drei Schritt' vom Leib'!«

Jakob war bleich geworden und kniff die Lippen zusammen. »Nein«, rief er plötzlich, »von dir laß ich mich nicht in Zorn bringen! – Was willst du beim Bärble? – seid ihr nicht gänzlich auseinander?«

»Hab' ich dich, Fuchs? – Gestehst du deine Umtriebe? – Woher weißt du, daß wir gänzlich auseinander sind?«

»Fritz, komm' zu dir! – Von Halifax bis Madison ist ein weiter Weg, und was das Bärble mir verschwieg, haben mir die Amhofs erzählt. Was denkst du von mir? Meinst am Ende gar, ich hätte das Bärble nach Amerika gelockt, weil ich mit ihr in Halifax zusammenkommen bin und ihr ein Unterkommen verschafft habe? – O du! – Wenn du mir so was zutraust, solltest du nicht wenigstens das Bärble besser kennen? Meinst wirklich, sie läßt sich so leicht umwenden und verlocken? – Und du willst zu ihr, willst dich mit ihr aussöhnen? – – Sag' was soll ich von dir halten?«

Fritz hatte sich auf einen Stuhl geworfen und ließ den Kopf hängen; wie Keulenschläge trafen ihn Jakobs Worte, keines klaren Gedankens mehr fähig, hatte er nur noch das dumpfe Bewußtsein: ich bin ein verlorener Mensch, mir ist nimmer zu helfen! Was ich auch beginne, immer und stets pack' ich's beim verkehrten End' an!

Jakob ließ Fritz Zeit, sich zu sammeln; mit inniger Teilnahme betrachtete er den Schulkameraden, – wie war er so schmal und bleich geworden, seit er ihn nicht mehr 241 gesehen. »Fritz«, sagte er herzlich und setzte sich ihm gegenüber. »Fritz, laß uns vernünftig zusammen reden. Bist du wirklich bloß und blank Bärbles wegen nach Amerika gegangen?«

»Und was hast du danach zu fragen?«

»Hör' mich an, Fritz! – Du weißt, ich hab' das Bärble eher lieb gehabt als du; weil sie dir aber den Vorzug 'geben hat, war ich still und hab' mich damit getröstet, daß sie mit dir glücklich werden würde. Nun hab' ich freilich nur allzubald merken müssen, daß du nicht der Mann fürs Bärble bist, daß ihr Zwei zusammenpasset wie Stahl und Stein, – von da begann mein Unglück. Ein paarmal warnte ich das Bärble, kam aber damit so schlecht an, daß ich ihr gänzlich aus dem Weg ging. Ich wollt' sie vergessen, aber ich konnt' nicht, je mehr Müh' ich mir 'geben hab', desto lieber ist sie mir 'worden. Und nun denk', wie mir zu Mut gewesen sein mag, da sie sich immer fester an dich hing, und ich doch ihr Unglück mit dir voraussah! An jenem Sonntag, da wir im Dorf zusammengerieten, war ich zum letztenmal bei ihr, damals hab' ich ihr auch angetragen, sie sollt' mich heiraten. – Du siehst, ich bin ganz aufrichtig! – Natürlich hat sie mich rundweg abgewiesen. Ich aber sah voraus, daß ihr nicht zusammen gut tun würdet; zum Abschied sagt' ich darum zum Bärble, ich geh' nach Amerika und bleibe ledig, brauchte sie mal einen Freund, sollte sie an mich denken!«

»Also doch? – Und das sagst du so gelassen, als wär's gar nichts? – Aber weiter, weiter, was nachher?«

»Ist gar einfach! Mein Bruder schrieb mir natürlich genau, was in Bergheim, besonders was zwischen dir und 242 dem Bärble vorging, und da ihr an der Kirmse gänzlich auseinanderkamt –«

»Mußte dein Bruder dem Bärble so lange die Ohren voll schwätzen, bis sie einwilligte, übers Wasser, – zu dir – zu gehen!« unterbrach ihn Fritz und rannte in der Stube auf und ab. »Verdammt! – Und ich, – ich merk' nichts!«

»Natürlich, wie kannst du merken, was nicht ist. Tu' doch nicht so toll! Muß ich dir noch einmal sagen, daß du durch solchen Argwohn ganz allein das Bärble 'runtersetzest? – Hör' jetzt ruhig zu! – Also: da mein Bruder hört, das Bärble wolle nach Amerika auswandern, erkundigt er sich genau und schreibt mir, auf welchem Schiff sie die Überfahrt macht, wann sie in Bremen abreist und in Neuyork ankommen muß. – Du kannst dir denken, daß ich nun auch keine Ruhe mehr hatte, – ach, meine Lieb' zu dem Mädle war in der Fremde nur noch größer geworden. Siehst du, Fritz, ich sag' dir's frei, da es nun mit dir aus war, jetzt faßte ich Hoffnung. – Brauchst mich nicht so anzugucken, – ist dabei ein Unrecht? Ledig bleiben kann das Mädle nicht, das wäre ja das Törichtste, was sie beginnen könnte, und wenn du einmal ihr Mann nicht sein solltest, warum nicht ich? Meine alte Liebe gibt mir ein Recht auf das Mädle vor jedem andern. Also erwarte ich das Bärble in Neuyork, aber das Schiff, auf dem ich sie wußte, blieb aus! Ach, was ich in diesen Tagen ausstand, ist nicht zu beschreiben. Endlich bringen Zeitungen die Nachricht, das Schiff sei in Neuschottland auf den Strand geraten. Ich besann mich natürlich keine Minute, – eine Stunde danach war ich auf dem Wege nach Halifax. Und ich kam zu rechter Zeit! – Mit Bärble hab' 243 ich mich beredet, – mußt nicht meinen, daß ich sie überstürzte, so was ist nicht meine Art. Aber da sie mir freiwillig erklärte, zwischen euch wär's aus, ganz und für immer, ja, Fritz, da hab' ich ihr gesagt, wenn sie erst ihren Kummer überwunden hätte, dann wollte ich sie noch einmal fragen, ob sie nicht meine Frau werden könnte.«

Fritz bog sich ächzend zusammen. Jedes Wort ging ihm wie ein Stich durch und durch. Er hätte Jakob so gerne gezürnt, und doch konnte er nicht, Zorn über sich selbst, Scham, Reue überwog jedes andere Gefühl. »Und 's Bärble?« fragte er endlich tonlos.

»Ja, siehst du, Fritz, das eben ist's, warum ich selber zu dir 'kommen bin!« sagte Jakob weich. »'s weiß der liebe Gott, wie du mich dauerst, wie gern ich dir beiständ, – aber es ist nichts zu machen, Fritz, glaub' mir. Darauf hat mir's Bärble voll in die Augen geguckt, hat mir die Hand gegeben und gesagt: ›Du weißt, wie's um mich steht. So gern wie den Fritz kann ich keinen Menschen mehr haben, ich sag's gleich jetzt, ich werd' ihn auch niemals gänzlich vergessen. Dagegen acht' ich dich wie sonst keinen Menschen. Ich will sehen, wie sich's mit mir gestaltet. Willst du in ein paar Jahren noch einmal anfragen, will ich dir ehrlich und aufrichtig sagen, ob ich deine Frau werden darf oder nicht!‹ – Das war ihre Antwort.«

Fritz hatte das Gesicht in den Händen verborgen, und heiße Tränen quollen durch seine Finger. – Was hatte er verloren, um welchen Schatz hatte er sich gebracht! Jakob nahm seine Hand und fuhr fort: »Du wirst das Bärble kennen. Wenn sie einmal das sagt, dann ist jeder Gedanke an sie von deiner Seite unnütz. Es wird ihr ins Herz schneiden, daß du doch fester an ihr hängst, als es 244 den Anschein hatte, aber ihren Sinn ändert auch das nicht. Fritz, damals, wie mich das Bärble fortschickte, war's mein Trost, daß es eben ihres Glückes wegen geschah, – darum hab' ich mein Leid ertragen. Jetzt ist's umgekehrt. Was dir nicht vergönnt war, will ich versuchen, – da hast du meine Hand darauf, es soll mein ganzes Dichten und Trachten darauf gerichtet sein, das Bärble recht glücklich zu machen! – Ist dir das nicht genug?« fuhr er fort, als Fritz seine Hand von sich stieß. »Was willst du mehr? – Hast du das Bärble wahrhaft gern, muß dir nicht das der beste Trost sein?«

»O, – dich kenn' ich jetzt!« fuhr Fritz auf. »Aber an mir ist deine Kunst verloren. O, du Fuchs! Bist also doch deiner Sache noch nicht ganz sicher, weil du mich so eifrig aus dem Wege schwätzen möchtest?«

»Nein, sicher bin ich meiner Sache noch nicht, bilde mir das auch nicht ein!« sagte Jakob nachdenklich. »Wenn ich dich aber dahin bringen möchte, dem Bärble nicht vor die Augen zu kommen, geschieht's nur deinet- und ihretwillen. Was soll's nützen? – Ihr machst du neuen Jammer, und dich bringst du vollends um allen Verstand. – Fritz, denk', ich wär' dein Bruder, und hör' mich an. Du bist krank, kränker als es aussieht, du bedarfst der Ruhe, Warte und Pflege, – kehr' um, geh' nach Bergheim zurück, du passest nicht nach Amerika. – Kehr' um, eh' dir übel mitgespielt wird. Mach' dich vom Peter los, das ist ein abgefeimter Spitzbube, in dem ist keine gute Ader! – Kehr' um, so bald als möglich; bist du erst daheim, werden dir andere Gedanken kommen, auch der Weg zum Glück ist dir nicht gänzlich versperrt. – Geh'! – das Bärble will ich von dir grüßen, sie soll dir schreiben –«

245 »Und meinst du im Ernst, damit laß ich mich abweisen?« schrie Fritz außer sich. »Du hältst mich für dümmer als ich bin! Nein, und abermals nein! So leichten Kaufes wirst du mich nicht los, ich will, – ich muß mit dem Bärble reden, und sollt' ich wie ein Hund ganz Amerika durchspüren. Mein Elend ist so groß, daß es auf ein bisle mehr oder minder nicht ankommt; aber es wäre ganz unerträglich, müßte ich mein Lebtag den Gedanken mit mir herumschleppen: nur noch einen Schritt, so war das Glück vielleicht doch mein, hätt' ich mich nicht beschwätzen lassen!«

»Daran dachte ich nicht,« sagte Jakob nach einigem Sinnen. »Sei still, schilt mich nicht, in bester Meinung habe ich den weiten Weg zu dir gemacht. Ich rede nicht mehr ab, du sollst den Grundmüllersjakob nicht mit Zweifeln ansehen. Gott gebe, daß euer Zusammentreffen gut abläuft! – Morgen bringe ich dich selbst auf den Weg, – habe nur keine Angst, ich störe euch nicht! – Nur eine Bedingung habe ich, der Peter darf nicht dabei sein, das ist ein erbärmlicher Blutsauger, hat der erst seine Schwester ausgespürt, wird sie ihn nicht wieder los!«

»Und du wolltest mich dem Bärble auf die Spur bringen?«

»Warum nicht? – Wenn ich dächte, daß sie dich wieder annehmen könnte, ich wär' der Erste, der sagte: geh' zu ihr. – Fritz, jetzt darf ich dir's sagen: ich hab' doch das Bärble viel, viel lieber wie du! Sieh', wenn ich dächte, es wär' zu ihrem Glück, ich wollt' mich freuen, ging sie mit dir nach Deutschland zurück. Doch das ist Gered'! Also morgen! – Mich dauert das Bärble, der alte Jammer kommt von neuem über sie, – doch ist das 246 einmal nicht zu ändern. Nur versprich mir Fritz, daß du sie nicht zu arg quälst, das arme Ding hat genug erfahren.«

»Jakob, Jakob, – mir ist's wie ein Traum! – Ach, warum bin ich nicht wie du?«

»Und liegt's nicht an dir selber, daß du's nicht bist? Es ist so was Kleines, und doch bringen's so wenige fertig. Sei ehrlich gegen dich und wahrhaftig gegen die Menschen! – Probier's nur einmal ernstlich, du wirst dich verwundern, was dir die Welt für ein anderes Gesicht zeigen wird. – Ja, Fritz, ich seh's kommen, daß du verzweifeln möchtest! Könnt' ich dann bei dir sein – – Fritz, laß dich vom Leid nicht überwältigen, denk', du bist ein Mann, denk' auch, du hast Eltern und einen Bruder, die hoffen auf dich und du bist ihnen viel Dank schuldig. Bring' sie nicht mutwillig in Schande und Kummer! Du hast schon Herzeleid genug angerichtet, fang' ernstlich an und mach's wieder gut!«

»Das ists, – Jakob, – wenn ich das könnt', dann wäre mir geholfen. Aber bei mir ist's zu spät, ich bin zu sehr verderbt, der Leichtsinn und die Unart ist bei mir zu Fleisch und Blut 'worden, ich werd' beides nicht los. Ganz allein das Bärble könnt' mich zurecht bringen, verläßt sie mich, ist's vorbei mit mir. Für mich wär's ein Glück, ich stürb' bald!«

»Es kommen für jeden Menschen Zeiten, wo er sich den Tod wünschen möchte, – hintennach sieht man ein, wie verkehrt das war. Auch du hast keine Ursache dazu. Und wenn du meinst, nur das Bärble könnte dir zurecht helfen, bist du im argen Irrtum. Hilfe und Beistand kann einem ja wohl von außen kommen, die Hauptsach' 247 muß man doch allein vollbringen. – Fritz, wenn dich das Bärble abweist, komm' zu mir, du sollst gehalten sein wie mein Bruder, und ich hab' auch ein untrügliches Mittel gegen Übel wie das deinige: rechtschaff'ne Arbeit! – Willst du?«

»Noch kann ich's nicht versprechen, – aber vergessen will ich deine Reden nicht. Dich kenn' ich jetzt erst, Jakob; du meinst's gut mit mir, ich seh's ein, das sei mein Dank!«

Kaum hatte Jakob das Zimmer verlassen, streckte Peter den Kopf durch die Tür. »Darf ich noch rein? Bin ich dir nicht zu schlecht, nachdem solcher Herrgottsengel bei dir war? – Die Pest in seinen Hals! Wer gibt dem Hund das Recht, dich gegen mich aufzubringen? – Aber wart', ich will verdammt sein, wenn ich ihm den Blutsauger und Spitzbuben nicht eintränk'!«

»Hast gelauscht? – Dann wirst du auch wissen, daß ich morgen ohne dich geh'. Vielleicht kommen wir nicht wieder zusammen, – da hast du ein Reisegeld, such' dir Arbeit und werd' ordentlich!«

»Gottes Donner, Fritz! – Ist das der Dank, daß ich dir auf die Spur meiner Schwester geholfen hab'?«

»Und was willst mehr? Soll ich dich deswegen lebenslänglich füttern?«

»s' ist gut, 's ist gut, Fritzle, ich werd' dir das gedenken!« schrie Peter und verließ fluchend Zimmer und Haus.

Am Morgen reisten Fritz und Jakob mit dem ersten Zuge ab, Peter ließ sich nicht sehen. Als sie auf einem kleinen Haltepunkt ausstiegen, schlüpfte auch Peter aus einem Wagen und folgte in einer Entfernung, die ihn vor 248 Erkennung sicherte, den Wanderern. Drohend hob er oft die Fäuste und fluchte wild hinter ihnen drein. In einem kleinen Städtchen, anmutig zwischen Hügel und Wald gelegen, trennte sich Jakob von Fritz, und dieser setzte seinen Weg, der ihn zwischen eingefaßten Feldern, dann und wann auch am Wald vorbeiführte, einsam fort. Es war windstill, dicht niederrieselnde Schneeflocken hüllten die Gegend in einen dämmerigen Schleier und machten es Peter leicht, Fritz zu folgen. Er hätte nicht so vorsichtig jede Deckung zu benützen gebraucht, Fritz war viel zu sehr in Gedanken, als daß er ihn hätte bemerken können.

Achtlos zertrat er die kleinen Fußtapfen, die ganz frisch vor ihm im Schnee sich zeigten und ihn ohne Mühe den rechten Weg finden ließen. Wild klopfte sein Herz; bald, in wenigen Viertelstunden sollte er endlich, endlich sie finden, sehen und sprechen, deretwillen er fern von der Heimat, im fremden Lande umherirrte. Seine Wangen glühten und brannten vor Sehnsucht und hoffnungsvoller Erwartung. – Ach, vielleicht ist es doch nicht so schlimm, als er fürchtet, vielleicht glaubt sie jetzt seiner Liebe; kann nicht auch in ihrem Herzen Sehnsucht nach der Heimat erwacht sein? Und ist er es nicht, der sie mit Ehre zurückführen will? Wie leiser, ferner Glockenton, wie lindes Wehen und Klingen zog es durch sein Gemüt beim Gedenken der Heimat. Heute war ja Weihnachtsheiligerabend! O, welche Fülle von Erinnerungen weckte das eine Wort: Weihnacht! Wie ward es im Herzen so lebendig, wie quoll es ihm so warm, so beseligend auf. Jetzt ward daheim in allen Häusern gescheuert und gefegt, das Weihnachtsgebäck bereitet; aus dem Wald wurden Tannengebüsche heimgeholt, die Geschenke nochmals geprüft und 249 zurechtgelegt. Auf allen Gesichtern lag eine erwartungsvolle Spannung, aus den Augen leuchtete heimliche Lust. O Weihnacht, Weihnacht! – Und wie ward seiner jetzt gewiß so oft mit Schmerzen gedacht, wie mochte sich die Mutter härmen, daß sie ihm keine Überraschung, keine Freude bereiten konnte. Ach, wie würde sie sich erst bekümmern, wüßte sie, wie er jetzt heimatlos, freundlos, einsam durch den fallenden Schnee dahinschritt! Ach, – und wieder, welch herrlichem Ziel ging er entgegen, was war das für ein Christfest, gelang es ihm, das Mißtrauen des Mädchens zu zerstreuen, gab sie sich ihm heute zu eigen. Sein Herz klopfte heftiger und seine Augen glänzten feucht!

Aber kein erfreuliches Zeichen kam seiner Erwartung entgegen. Still und tot lag die weite, weite Gegend vor ihm, kein Laut traf sein Ohr, nicht einmal den Schall der eigenen Tritte vernahm er, kein tröstlicher Anblick ermunterte das suchende Auge. Wie ausgestorben war die Welt, und der Schnee rieselte so dicht, so schwer, so traurig langsam und gleichförmig nieder, als wolle er alles Leben verhüllen, begraben für immer. War das nicht ein Bild seiner Liebe, seines Lebens? Die Liebe war ja auch gestorben, er hatte sie selber getötet; damit war alle Freude aus seinem Leben geschwunden, die Reue, der Schmerz verdunkelten, die Tränen umhüllten, begruben es. Das Feuer seiner Augen erlosch, die Glut seiner Wangen wich einer fahlen Blässe. »Zu spät!« rief es wieder in seinem Herzen, »zu spät!«

Eine Mattigkeit kam über ihn, die Füße wurden ihm schwer wie Blei, seine Augen irrten suchend umher, – keine Wohnung, keine Spur menschlichen Treibens weit 250 und breit, – Schnee, nichts als Schnee. Doch ja, dort vor ihm schritt eine weibliche Gestalt dahin, jetzt erst beachtete er die Spuren eines auffallend kleinen Fußes, – alles Blut drängte sich nach seinem Herzen, – war die einsame Gestalt das Bärble? – Die Müdigkeit war vergessen, er verdoppelte seine Schritte, – bald erkannte er auch die heimische Tracht der Wandlerin, – sollte es möglich sein, daß er so lange schon ihrer Spur nachgegangen?

Fritz mußte sich an eine Fenz lehnen, die überraschende Nähe der Gesuchten verwirrte ihn, er mußte sich erst sammeln, zu sich selber kommen. Was wird ihm beschieden sein? – so klopfte und pochte es in seinem Hirn. War es wirklich zu spät, tat er nicht besser, zu fliehen, wenigstens die Entscheidung hinauszuschieben? Wie sollte er leben, durfte er nicht einmal mehr hoffen? – Aber der Anblick der ruhig fortwandelnden Frauengestalt regte auch seine Liebe, seine Sehnsucht auf, alle Bedenklichkeiten vergessend, stürmte er ihr in beflügelter Hast nach.

Und sie war's, bald konnte er nicht mehr zweifeln; diese feine, schlanke Gestalt, dieser leichte, schwebende Gang, – ach, er kannte beides nur allzu gut. Schon war er ihr auf Rufweite nahe, aber der Schnee dämpfte den Schall seiner Tritte, achtlos schritt das Mädchen vorwärts, ahnungslos, wer ihr folgte, was ihr bevorstand. Fritz konnte nicht länger an sich halten, laut hallend rief er ihren Namen. Das Mädchen kehrte sich um, – wie gebannt blieb sie stehen und starrte zitternd, weinend auf den Nähereilenden.


»Und das ist dein letztes Wort?« fragte Fritz tonlos und preßte ihre Hand zwischen den seinen. »Du bleibst dabei?«

251 »In Gottesnamen, ich kann nicht anders!« weinte Bärble und versuchte vergeblich, sich loszumachen. »Sieh' mich nicht so wild an, Fritz, mach' mich nicht ängstlich. Ach, warum mußt du mich so erschrecken?«

»Warum, Bärble, warum kannst du nicht wieder gut werden? Zweifelst du noch immer an meiner Lieb'?«

»Die Lieb' ist nicht das Höchste und das Einzige! – Geh', laß mich, Fritz! – Ach, Gott im Himmel, ist denn niemand, der mir beisteht?«

»O, ich versteh' dich! – So fein ihrs anfangt, ich ertapp' euch doch! Gesteh's nur, dir liegt der Jakob im Sinn, und weil du noch nicht gleich von Lieb' reden magst, steckst du dich hinter die Achtung und Bravheit!«

»Fritz, du hast mir schon oft weh' getan, heut' machst du's vollends fertig. Siehst du nicht meine Angst? Hast du nicht ein Linsele Mitleid mit mir? Mußt du mich auch noch beschimpfen?«

»Bärble, – Bärble!« rief Fritz außer sich.

»Wenn's noch eines Beweises bedurft hätte, daß wir nicht zusammengehören, jetzt hast du ihn geliefert. Es hat alles seine Grenzen, auch meine Geduld! Fritz, – ich denk' noch nicht an den Jakob, überhaupt an keinen Mann. Aber werd' ich mit der Zeit Herr meines Elendes, kann ich dich so weit vergessen, daß ich, ohne Sünd' zu begehen, einem andern Treue versprechen darf, – kommt dann der Jakob und ist mit mir zufrieden, wie ich eben bin, – ich weis' ihn dann nicht ab.«

»O, mein Gott, – mein Gott! – Das kannst du so ruhig sagen?«

»Ruhig? – Ich war mein Lebtag wahrhaftig, dabei will ich verbleiben. Fritz, ich bin ein armes, blutarmes 252 Mädchen, hab' niemand in dem fremden Land, der mir angehört, sich um mich kümmert, – kannst du verlangen, daß ich im Alter verkomme, wenn ich nicht vorher verderbe?«

»Ach Bärble, bin ich nicht deshalb übers Wasser kommen? Du sollst es ja gut haben, keinen Finger krumm machen, auf den Händen will ich dich tragen.«

»Damit ist's vorbei, vorbei für immer, – wie oft soll ich's noch sagen? – Frag' mich nicht, warum, du weißt's so gut als ich, und ich verlier' kein Wort mehr darüber! – Geh' jetzt, Fritz, dring' nicht weiter in mich. Gott allein weiß, wie nahe mir's geht, daß ich so von dir muß, wo du mir übers Meer nach'gangen bist. Ich vergeß dir das nie, niemals Fritz, – aber nun laß mich, laß mich fort, ich ertrag's nicht länger!«

»Und nicht einmal ein freundlich's Wort hast du für mich?« fuhr Fritz aus dumpfen Brüten hervor.

»Was soll ich mehr sagen? Ach, Fritz, du weißt nicht, wie du mich plagst!« weinte Bärble. »Ist's nicht genug, daß du weißt, ich kann dich ewig nicht vergessen? – Komm', wir wollen scheiden! Du sollst mich ja auch nicht gänzlich aufgeben, denk', wir wären Geschwister, so lieb dürfen wir uns ja immer behalten!«

»Ha, ha, – jawohl, freilich! So lieb dürfen wir uns behalten, auch wenn du einen andern genommen hast!« lachte Fritz verwildert, und ein unheimliches Feuer flackerte in seinen Augen. »Jetzt hör' auch mich an, eh' du davonläufst, und denk' dran, wenn du einen andern nimmst. Ich bin ein nichtsnutziger Mensch, 's ist wahr, aber du hättest was aus mir machen können, du ganz allein. Nun ist's vorbei mit mir, ich bin ein verlor'ner Mensch, – und daran bist du schuld, du ganz allein!«

253 »O, Gott im Himmel, steh' mir bei! Er kommt von sich!«

»Ist's ein Wunder! Ja, schrei nur, er kommt von sich! – Wer hat's dahin gebracht – he? Und das sag' ich dir, das Leben ist mir verleidet, es ist mir zur Last, ich ertrag's nicht, – und wenn was mit mir passiert, merk' dir's, du, – du – hast mich auf dem Gewissen!«

»Fritz, dasmal schieß'st du über das Ziel hinaus!« rief Bärble und richtete sich hoch auf. »Wenn mit Worten Taten umzukehren wären, möchtest du recht behalten. Wer hätte am ersten Grund zu verzweifeln? – Ich oder du? – Hab' ich dich im größten Jammer also gekränkt? Hast du von mir einen Vorwurf, eine Drohung gehört? – – Ich sag' dir's jetzt, weil du mich dazu zwingst: du hast mir mein Leben verbittert; wie alt ich auch werde, was mir auch beschieden sein mag, – ich werde nie das wieder, was ich war. Und du hast's in der Hand, mich gänzlich elend zu machen, mich in Verzweiflung zu jagen, wenn du ausführst, womit du eben drohtest. Deine Worte werden mir ohnedem wie ein Fluch auf der Seele liegen, die werd' ich schon nimmer los mein Lebtag. Und ich kann dich nicht abhalten, Hand an dich zu legen. Aber das sag' ich dir: Tust du dir ein Leid an, – merk's, dann hast du vor Gott zwei Menschenleben zu verantworten, denn solchen Schrecken überleb' ich nicht! – Und nun sind wir fertig. Gott behüt' dich, Fritz, und steh' dir bei, – ich kann nur noch für dich beten!«

Fritz stand wie erstarrt; als sie sich zum Gehen wendete, hielt er sie fest und flehte: »Verzeih' mir, ich weiß nicht, was ich tu'! – Bärble, Bärble, verlaß mich nicht!«

»Solche Drohungen stößt ein rechtschaffener Mensch im 254 größten Elend nicht aus! – Laß mich! Ich weis' dich nicht gänzlich ab, ich werd' immer deiner gedenken und für dich beten, ich werd' im stillen um dich sorgen wie eine Schwester. Mehr kann ich dir nicht geben. Und jetzt laß mich los, nach solchen Reden müssen wir auseinander, je weiter, desto besser. Hältst du dich brav und wirst du ein rechter Mann, soll mir's lieb sein, wieder von dir zu hören, ja dich noch einmal zu sehen. – So komme mir nicht wieder vor die Augen.«

Fritz schlug sich mit beiden Fäusten ins Gesicht, brach in ein gellendes Gelächter aus und schrie: »Zu spät!« – Ich wußt's ja, es ist zu spät! – Ich bin ein verlorener Mensch!« 255

 


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