Heinrich Schaumberger
Zu spät
Heinrich Schaumberger

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Scheiden tut weh!

Das Veitenbärble stand mit ihrem Strickzeug unter der Haustür, sah sinnend hinein in den glühenden Abendhimmel, verfolgte mit den Blicken die Schwalben, die lärmend hoch oben ihre Kreise zogen, und mit tiefem Seufzer dachte sie: Ach, wer doch auch Flügel hätte und fortfliegen könnte, weit, weit fort, über Land und Meer, immer weiter, gleich in den lichten Himmel hinein!

»Träumst einmal wieder?« sagte eine brummige Stimme hinter ihr. »Weiß der Kuckuck, Mädle, was mit dir ist, man wird gar nimmer klug aus deinem Getu'! Was ist's nur schon wieder? – Hast wieder was mit dem Fritz?«

Als Bärble leise den Kopf schüttelte, trat die Bäurin ebenfalls in die Haustür, prüfte rasch den Himmel, nickte zufrieden und meinte: »Ein Wetterle, man kann sich's gar nicht schöner wünschen! – Ja, was ich sagen wollt': Bist im Ernst einig mit dem Fritz? – Ganz einig? – Nu – was hängst nachher den Kopf noch? – Mädle, den Fritz darfst nicht aus dem Garn lassen, nicht um alles in der Welt! – Mädle, 's ist mir schlecht genug 'gangen in der Welt, zweimal ist dein Vater auf und davon nach Amerika, und ich hab' mit dem Haufen Kinder dagesessen. Mädle, das waren Zeiten! – 's ist ein Wunder, daß ich's überstand! Aber vorwärts hab' ich's nicht bringen 84 können, mußt' froh sein, hielt ich uns so über Wasser. Ich dacht' immer: Sind deine Kinder erst groß, wird's besser, aber ich spür' nichts davon, konträr, der Sorgen werden alle Tage mehr; – 's ist eben der Jammer allzu groß, ist der Mann ein Latschmichel! Mir hat's den ganzen Tag schon fast das Herz abgedrückt. Denk' nur, nicht genug, daß dein Großer die Altenhäuser Schustersev' zu Fall gebracht hat – der Beck ist auch schon wieder auf dem Weg nach Bergheim. – Allgerechter Gott! Und wie?! – Als echter Vagabund und Stromer! – Was hat uns der Mensch schon für Geld gekostet! Erst das Lehrgeld, hernach, wie er unter den Soldaten stand, und dreimal haben wir ihn schon ausgerüstet und in die Fremde geschickt, – und jetzt kommt er wieder, abgerissen und voller Ungeziefer! – Ach, Mädle – ich mein', ich muß mir mein End' auftun!«

»Wißt Ihr's gewiß mit dem Bruder, dem Beck?«

»In der Stadt ist er gesehen worden von mehreren. – Er wird sich noch nicht zu uns getrauen; aber wie lange noch, so liegt er uns auf dem Hals, und was fangen wir mit ihm an? – – Ja – wie mir, so ist's noch keiner Frau gegangen! Und nun guck', Bärble, du bist noch mein einziger Trost, meine einzige Hoffnung! Kriegst du den Fritz, ist doch ein Kind richtig versorgt, und man hat was, auf das man stolz sein kann, nachdem soviel Unehr' über einen kommen ist. Und dann vergiß nicht, wir sind arm, Bärble, gar sehr arm, und der Haufen Geschwister ist so arg groß! Du kannst ein Segen werden für deine Eltern und Geschwister. – Drum, ach Kind, merk' dir, 85 was ich dir sag': Nimm dem Fritz seine Wunderlichkeiten nicht so schlimm auf, – halt' ihn fest um jeden Preis, halt' ihn fest, solche Gelegenheit findest du nicht wieder.«

Bärble zitterte leise; sie gab der Mutter die Hand und sagte: »Ich hab' Euch lieb, Mutter, mein Herzblut gäb' ich für Euch und die Geschwister – –« sie brach ab und eilte unter die Kastanie.

Die Bäurin schaute ihr kopfschüttelnd nach, sie ahnte ein heimliches Aber und wagte doch nicht daran zu glauben. Seufzend ging sie in das Haus zurück.

Bärble aber hatte den Kopf in beide Hände gelegt und plagte sich mit schweren Gedanken. Die Worte der Mutter machten ihr Pein. Bisher hatte sie ihre Liebe betrachtet als eine Sache, die nur sie allein, sie ganz allein angehe, jetzt erfuhr sie, wie schon lange auf die Empfindungen ihres Herzens Pläne gebaut, Hoffnungen gegründet wurden, die mit ihrem eigenen Glück wenig oder nichts zu schaffen hatten. Nichts berührt ein edles, feinfühlendes Gemüt schmerzlicher, als wenn es da Berechnungen und Erwartungen gemeinen Vorteils begegnen muß, wo es sich selbstlos und rein hingeben möchte, nichts dagegen heischend als gleiche lautere Liebe. Und Bärble gerade mußte dies um so herber empfinden, da ihr auch bei Fritz ganz die gleiche, selbstsüchtige, nur auf Vorteil und Gewinn gerichtete Sinnesweise schon soviel Kummer bereitete. Das Mädchen hatte die Empfindung, als sei ihr das Beste von sich selbst genommen, als habe sie nun dem Reichtum ihres Liebhabers nichts mehr entgegenzusetzen, was sie ihm völlig gleichstelle. – Wie durfte sie jetzt noch sagen: Ich will nur dich, da die Augen der ihrigen gierig nach dem Reichtum des künftigen Schwagers schielten? Wie konnte sie ihm 86 noch offen und frei in die Augen blicken, da Eltern und Geschwister nur darauf warteten, durch die neue, angesehene Verwandtschaft die eigne Ehre aufzuputzen? Durfte sie Fritz noch tadeln, wenn er um berechnender Klugheit willen seine Liebe verleugnete? – So arm, so verlassen hatte sie sich noch nie gefühlt. Bis heute hatte sie ihre Liebe als ihr freies Eigentum betrachtet und gehütet, über welches sie ganz allein und unbeschränkt zu entscheiden habe, – jetzt drängten sich fremde Gewalten in ihr Heiligtum und wollten, was sie aus freier Neigung getan und gegeben, als Pflicht von ihr fördern. Bärble war im tiefsten Grund ihres Wesens eine starke, selbstbewußte, selbständige Natur. Bei aller Innigkeit des Gefühls war ihr innere Klarheit unabweisbares Bedürfnis. Wie sie an ihrer Kleidung keine Unordnung ertragen konnte, so mußte auch in ihrem Inneren stets alles hell, glatt und eben sein. So quälte sie sich jetzt mit der Frage: Geht wirklich die Gewalt der Eltern so weit, daß sie befehlen dürfen, den mußt du lieben? War es Pflicht der Kindesliebe und Dankbarkeit, auch entgegen besserer Erkenntnis zu heiraten, nur um vielleicht Geschwistern und Eltern zu nützen? – Lang saß Bärble in sich zusammengesunken, und ihr Atem ging schwer! Allmählich färbte ein tieferes Rot ihre Wangen, sie richtete sich stramm auf, mit leuchtenden Augen flüsterte sie: »Nein, bis daher reicht kein Zwang! Was sollte aus der Welt werden, wenn nicht einmal vor dem Altar in der Kirche Wahrhaftigkeit zu finden sein soll? – Ich bin meinen Eltern Gehorsam schuldig und Dank und alles – sell ist richtig – aber vor dem Altar muß ich dem Mann Lieb' und Treu' geloben. – Soll ich mit einer Lüg' in den Ehstand treten? Meinen 87 Mann bloß der Eltern und Geschwister willen gleich in der ersten Stund' betrügen? – Nein, nein, tausendmal nein! Ich hab' den Fritz lieber als mein Leben, wie ich bestehen soll ohne ihn, versteh' ich nicht – aber kommt's so weit, daß ich ihn gar nicht mehr achten kann, wird er nicht von Grund aus anders, dann heirat' ich ihn nicht, mag draus werden, was da will! Lieber in die weite Welt, wenn mir's die Eltern nicht verzeihen, als mit Zwang und Unwahrheit in den Ehestand! – So – dabei bleibt's!«

Bärble strich ihre Schürze glatt und nahm eifrig ihr Strickzeug auf. Ein eigener Glanz lag auf ihrem Gesicht und trotz des feuchten Schimmers leuchteten ihre Augen. Sie war sich klar geworden nach allen Seiten; die Forderungen der Eltern ängsteten sie nicht mehr, sie hatte sie als ungerecht von sich gewiesen und sich von ihnen befreit, aber auch ihr Verhältnis zu Fritz hatte sich geändert, auch ihm gegenüber hatte sie einen fest bestimmten Standpunkt gewonnen. Wohl hatten sich die Worte wie Messer in ihr Herz gebohrt, aber sie atmete doch leichter und freier, nun sie das Schlimmste, was ihr begegnen konnte, das Unglück, vor dem sie so lange schon gezittert, und das sie doch nie fest ins Auge zu fassen gewagt, bestimmt und klar ausgesprochen hatte! Die Möglichkeit, Fritz aufgeben zu müssen, hatte wohl nichts an ihrer Furchtbarkeit verloren, aber sie empfand auch eine Vorahnung von der Kraft in sich, die sie aufrecht halten würde in den schwersten Stunden! Eine Ahnung ging in ihr auf von der Macht des Willens bei Wahrhaftigkeit und Lauterkeit der Gesinnung, bei ehrlichem Streben nach dem Rechten.

Sie war nicht fühllos gegen die Not der Ihrigen, es war ihr Ernst damit, wenn sie zur Mutter sagte: Mein 88 Herzblut gäb' ich für Euch und die Geschwister! Sich selbst, ihr eigenes Glück würde sie sich nicht bedacht haben, für die Ihrigen zu opfern – aber in ihrem Interesse heiraten, das vermochte sie nicht. Was sie tat, das mußte recht sein nach allen Seiten; für die Lehre: der Zweck heiligt die Mittel, hatte sie kein Verständnis. – Aber wie nun den Eltern beistehen? Wenn der Bruder wirklich als Vagabund heimkehrte – was sollte werden? Bange Fragen für ein treues Kinderherz, dem mit dem Willen nicht zugleich die Macht gegeben ist! Endlich fand Bärble auch hier den rechten Ausweg: sie stellte sich und die Ihrigen in den Schutz dessen, der die Blumen auf dem Felde kleidet; im innigen Gebet fand sie Trost und Ruhe.

Müßig ruhten die gefalteten Hände in ihrem Schoß, sinnend blickte sie hinein in das verglühende Abendrot, als sie näherkommende Männertritte aufschreckten. Fritz war das nicht, sie kannte seinen Gang ja so genau! Vorsichtig lugte sie durch die Zweige und verblaßte sich, – eine neue Prüfung stand ihr bevor, – es war der Grundmüllersjakob, der sie suchte.

Vorsichtig kam der kräftig gebaute, breit geschulterte Bursche, dem man ansah, wie ihn strenge Arbeit gehärtet, näher. Einen Augenblick blieb er unter den Büschen stehen, als erwarte er eine freundliche Einladung, näherzutreten, als sie aber ausblieb, strich er sich mit der Hand über die Augen, dann setzte er sich mit freundlichem »guten Abend!« neben das Mädchen. Bärble nickte, blickte angelegentlich auf ihr Strickzeug, und Jakob ließ die silbernen Ketten seiner Pfeife sinnend durch die Finger gleiten. »Bärble,« begann er, und wie er sich auch mühte, das Beben seiner Stimme konnte er nicht ganz unterdrücken, »Bärble, ich 89 geh' gern grad' aus – drum: ich hab' dich mit Absicht aufgesucht, möcht' noch einmal mit dir reden. Nimm's nicht übel, daß ich entgegen deinen Bitten doch noch einmal komm'; aber ich kann's nicht glauben, daß du mich für immer fortschicken wirst – ich kann's nicht! Du hast den Fritz gern – sell weiß ich. Aber heut ist nicht morgen, und über kurz oder lang kommt die Zeit, da du vom Fritz lassen mußt, bist du das, wofür ich dich halte und kenne – und was willst nachher anfangen? Wegen einem – sei still, ich sag' nichts über ihn! – Also: willst du zeitlebens den Kopf hängen lassen, einsam und ledig bleiben? – Bärble, das sind dumme Gedanken und unrechte obendrein. Du wirst sagen: ich kann den Fritz nicht vergessen! Aber ich hab's schon oft erfahren, mit der Zeit verheilt alles; – du lieber Gott, wie sollte die Welt bestehen, wär's anders! Und gar wenn man einen Menschen nicht mehr achten kann, seh' ich nicht ein, wie man sich seinetwegen auf die Dauer das Leben verbittern könnte. – Das Leben ist lang, Bärble, mein Fräle sagt: der Kummer hält den Tod ab! – – Bärble, mein Kleiner hat die Grundmühl' übernommen, in einem Vierteljahr hab' ich mein Erbteil bar auf dem Tisch – ich bin ein freier Mann und hab' einen schönen Anfang. Drunten im Unterland weiß ich ein schönes Mühlenanwesen, wohlgelegen, in gutem Stand, billig. – Bärble, ein Wort von dir, – morgen ist die Mühl' mein, und in vier Wochen ist Hochzeit!«

»Jakob, du guter, treuer Mensch! – Hab' Dank, hab' tausend Dank! Ich vergeß dir's nie – niemals!«

90 »Ist das alles?«

»In Gottesnamen: ja! – Ich kann nicht anders, Jakob!«

»Du würdest Fritz nicht gleich vergessen,« fuhr Jakob sehr leise fort, »ich weiß das – du solltest bei mir keine Kränkung erfahren, ich laß dir Zeit, dich an mich zu gewöhnen. – Bärble, Bärble – schick' mich nicht fort!«

»Ist's auch recht, so zu reden, Jakob? – Da kenn' ich dich besser! Keine Stund' ertrügst du den Gedanken: Meine Frau hat an einen andern gedacht vor dem Altar! – Nein, Jakob, wir sind beide nicht dazu geschaffen, krumme Wege zu gehen, drum wollen wir in Frieden und Freundschaft scheiden, – unsere Wege führen auseinander!«

»Das sagst du so leicht, und mir möcht' das Herz zerspringen!«

»Leicht? – Ach, Jakob, das denkst du! – Ich weiß allzu gut, was ich an dir verlier'! – – Geh', Jakob!« fuhr sie schluchzend fort, »geh', – such' dein Glück anderwärts! Du wirst ein Mädle finden, besser und tüchtiger, als ich, das dich von ganzem Herzen lieb hat, so lieb, wie du's verdienst! – Geh', Jakob, du wirst mich bald vergessen haben! – –«

»Vergessen? – Dich?« fiel ihr Jakob ins Wort. »Du kennst mich nicht, sagst du das im Ernst!«

»Jakob, – denk' an deine eignen Worte!«

»Du hast recht, Bärble, ich schlag' mich selber aufs Maul! Und doch hab' ich auch recht! – Du könntest Fritz vergessen – und du wirst ihn vergessen müssen! – Ich aber hab' dich schon jahrelang im Herzen getragen, kein Mensch hat drum gewußt! Wie du dann den Türkenfritz 91 gern hattest, wurd' ich oft wild und wollt' nicht mehr an dich denken, – aber es ging nicht, wie ich's auch anstellte, und so wird's bleiben. So wie dich, Bärble, find' ich keine wieder – drum: Nimmst du den Türkenfritz, bleib' ich ledig – ich darf dann wenigstens an dich denken!«

»Jakob, Jakob! – Du brichst mein Herz mitten entzwei!«

»'s ist vielleicht das letzte Mal, daß ich allein bei dir bin, drum laß mich reden – als einen guten Freund wirst du mich doch wenigstens gelten lassen – nicht?« Als Bärble ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckte, fuhr er fort: »Ja, ohne dich ist mir die ganze Gegend verleidet, aus dem Mühlenkauf wird nichts, ich geh' in die Fremde, je weiter, desto besser, vielleicht nach Amerika. – Jetzt, eh' wir auseinander gehen, Bärble, sag' mir: Was ist's, das dich mit Gewalt an den Türkenfritz zwingt?«

»Frag' die Sonn': Warum scheinst du? – Weiß ich's?«

»Ist mir ein Wunder, und – nun ja! – 's hat mich manchmal schon fast von Sinnen gebracht, daß 's erste Mädle der Gegend sich grad' in den – Türkenfritz vergucken muß! Sei ruhig, ich hab' dir's versprochen, ich sag' kein Wort über ihn. Nur das empört mich, daß er dir gar so schlecht für deine große Lieb' dankt! – Bärble, siehst du denn nicht, daß er nur seinen Spott mit dir treibt, daß er dich in Wahrheit auch nicht ein Linsele gern hat?«

Bärble sprang auf und sagte erregt: »Jakob, ich verzeih' dir deine harte Rede, ja, ich dank' dir drum, – sie hat mir die Augen völlig aufgemacht. Die ganze Welt mag dagegen streiten, ich weiß und bleib' dabei: der Fritz hat mich gern, wahrhaftig gern. – Dabei bleib' ich, und das 92 ist's, was mich nicht von ihm loskommen läßt. Freilich tut er mir oft weh, freilich macht er mich oft zum Gespött vor allen Leuten, – aber das geschieht nicht aus bösem Herzen, nicht mit Absicht und Überlegung. Mein Fritz ist der beste Mensch von der Welt, weichen Gemüts, um einen Finger kann man ihn wickeln mit einem einzigen guten Wort. Und er möcht' ja selber ein rechter, tüchtiger Mensch werden, aber ehe er sich's versieht, schlägt ihn eben der Hochmut, der Leichtsinn, – lauter Erbstückle von seinem Vater, – in den Nacken, und dann weiß er nicht, was er tut! Ja, – er hat mich gern, das ist gewiß; für ihn gibt's kein Glück ohne mich! Guck, Jakob, ich kenn' und versteh' den Fritz durch und durch; ich weiß, wo's ihm fehlt, weiß, wie er sich und seinem Glück selber im Weg steht, und wenn ihm eines helfen kann, bin ich's! – Jakob, du bist ein andrer Bursch, bist so viel – viel – anders, – besser, – tüchtiger wie der Fritz, – gönn's ihm, daß ihm jemand zurechthelfen will, er bedarf's! – Und ich – ach, jetzt weiß ich's, ich hab' ihn gern, grad' weil er nicht ist, wie er sein sollte und sein könnte, dauert er mich, darum kann ich nicht von ihm lassen. – Laß mir die Freude, einen rechten Mann aus ihm zu machen!«

»Ja, ja, ich seh's, ich bin gänzlich übrig!« klagte Jakob. »Aber du bist brav durch und durch, – ich muß dich loben! Du hast recht und unrecht zugleich, aber ich will dich nicht weiter beirren, bleib' auf deinem Sinn, wie's auch ausschlägt, du hast's gut gemeint! Bärble, – mein gut's Bärble! – – Leb' wohl – leb' wohl und werd' glücklich! – – Und vergiß nicht: An mir hast du einen Freund, weil ich lebe, wo ich auch bin! – Bärble, ich 93 seh's klar, was dir bevorsteht, – trifft's ein, denk' an mich, denk', beim Grundmüllersjakob find'st du jeder Zeit ein treues Herz und eine Heimat!«

Bärble sank auf das Bänkchen zurück. – Da ging Jakob hin, der gute, treue Mensch, – sollte sie ihn zurückrufen? – Aber wozu? – Was konnte sie ihm sagen? – Ein gutes, freundliches Wort, ja, das hätte sie ihm mitgeben können, das hatte er wohl um sie verdient! Und nicht einmal gedankt hatte sie ihm für sein letztes Angebot. – Hastig hob sie den Kopf, – zu spät. – eben verklangen seine Schritte in der Ferne! – Bärble verhüllte ihr Gesicht in die Schürze und weinte.

So fand sie Dorle, die bei anbrechender Dämmerung kam, die Freundin ins Dorf abzuholen. Anfangs riet sie auf einen neuen Zwist mit Fritz, als ihr jedoch Bärble die Begegnung mit Jakob kurz erzählte, warf sie die Lippen auf und schüttelte den Kopf. »Bärble, Bärble, was hast gemacht!« rief sie. »Du wirst's bereuen, denk' an mich! – Aber 's ist nun einmal, wie's ist, – so sei auch zufrieden und laß den Kopf nicht hängen bis zu den Füßen, du wunderlich's Mädle, du! Verhärmst dir dein Leben für nichts und wieder nichts! Wasch' dir die Augen hell und komm' mit ins Dorf, 's ist nur einmal Sonntag in der Woch', und der Fritz wird nunmehr auch auf dich warten!«

Letzterer Grund entschied; Bärble sehnte sich nach Trost, nach einem freundlichen Wort aus dem Mund dessen, dem sie einen treuen Freund zum Opfer gebracht. Dorle brachte ihr Haar und Kleider in Ordnung, drunten am Bach wusch sie sich mit dem Schürzenzipfel die Augen, dann schritten die beiden Mädchen Arm in Arm droben 94 beim Herrnhof übers Brückle, gingen am Eckenhaus vorbei und kamen beim alten Schulzenhof auf die Dorfgasse, eben als auch der Mond durch die Spitzen der Fichten auf dem Stammberg drüben ins Dorf lugte. Die Burschen standen noch auf einem Kreis zusammen in der Mitte der Gasse, flüchtig huschten Bärble und Dorle an ihnen vorüber und gesellten sich zu den Mädchen, die weiter oben im Dorfe in langer Reihe auf dem Bauholz saßen. Bei ihrem Näherkommen verstummte das Kichern und Lachen plötzlich, dagegen wurden die Köpfe zusammengesteckt, ein heimliches Tuscheln und Raunen lief durch die Reihen, und Bärble glaubte den Namen Türkenfritz zu hören. Sie konnte sich darüber keine Gewißheit verschaffen, denn eben zogen die Burschen singend die Straße herauf und forderten die Mädchen auf, mitzukommen. Die ließen sich nicht lange bitten, schlangen die Arme ineinander und schritten ebenfalls singend hinter den Burschen drein. Bärble bemerkte unter den Burschen auch den Grundmüllersjakob; als draußen beim Zieglershäusle kehrt gemacht wurde, kam er auf einen Augenblick neben Fritz zu stehen, und der Mond beleuchtete ihre Gesichter taghell. Sie hatte die beiden noch nie so nebeneinander gesehen, und jetzt erst fiel ihr auf, wie so viel stattlicher sich der Jakob ausnahm. Fritz war wohl schöner, aber der Ausdruck treuherziger Ehrlichkeit und fester Mannhaftigkeit in Jakobs Gesicht ließ das vergessen. Als habe sie sich selbst auf einer Sünde ertappt, so hastig, so glühend wendete sich Bärble ab, – das Bild ward sie doch nicht los.

Beim oberen Wirtshaus machten die Burschen halt, man stand in bunter Reihe zusammen, sang noch einige Lieder, dann begann lustige Unterhaltung. Mädchen und 95 Burschen neckten sich, Liebespaare wurden geärgert, – besonders von noch ledigen – bald aber bemerkte Bärble mit Schrecken, daß Fritz wieder einmal zum Gegenstande des allgemeinen Spottes ausersehen war. Zunächst mußte die Theaterfahrt vorhalten, und Fritz wurden bittere Dinge gesagt, – Bärble stand wie auf Kohlen. So sehr sie ihm auch die Strafe gönnte, der Hohn schmerzte sie doch, und als Fritz sich gar nicht zu helfen wußte, gar so albern sich benahm, trieb ihr der Ärger das Blut in die Wangen.

»Bist ein Hauptkerl, Fritz!« schrie der Dorfmüllers-Emil. »Die Mädle müssen dich eigentlich vergolden! Führst deine Liebschaften gleich fuderweis' in der Welt 'rum!«

»Sein Vater sagt immer: ›Mein Fritz ist nur ein halber Türk!‹« rief der Beckenkarl, »wenn aber das nicht ganz türkisch ist, nachher heiß' ich Hans!«

»Was kost't 's Dutzend Bräut'?« fragte der Michelsschneider.

»Wer die Wahl hat, hat die Qual!« fiel der lahme Schneidersmarkus ein. »Dem Fritz ist's so arg nicht zu verübeln, hat er manchmal Einfäll' wie ein altes Haus! Wer die Mädle der ganzen Gegend im Kopf hat, bei dem wird's spät Tag!«

»'s ist ein Glück, daß er so gescheite Gäul' hat, der Fritz wär' schon längst verloren!« schrie der Schmiedsdicker.

»Ja, gestern hätt' er um ein Haar seine Erleswies' nicht g'funden!«

»Der Donner soll dich regieren, du verfluchter Kretschwagen!« fuhr Fritz auf Markus ein, dem seine nach außen verbogenen Beine diesen Schimpfnamen zuzogen. »Was hast du dich an mich zu rechnen?«

96 »Ho ho, nur nicht grob und nicht großmäulig, du Schwänzlesschwänzler!« war die Antwort. »Alle Welt weiß, daß du auf dem Weg zur Wiese auf dem Wagen eingeschlafen bist.«

»Seine Mutter hat ihm beim Schreinersfrieder ein Kanapeele auf den Wagen bestellt, daß er ein andermal nicht 'runterfällt und sich Schaden tut!« lachte eine feine Stimme.

»Nu hab' ich's aber genug!« brauste Fritz auf.

»Meinst's selber?« rief der Beckenkarl, und alles lachte.

»Über eure dummen Reden lach' ich, – ich bin doch ein anderer Kerl, wie ihr zusammen!«

»Ja, der Fritz fragt nach keinem Menschen was, aber vor dem Kaffenetle, da hat er Respekt!« sagte Markus.

»Ist's wahr, Fritz, daß deine Mutter noch immer 'ne Gert' hinterm Spiegel stecken hat?« fragte eine Stimme.

Das war doch zu stark! Mit geballten Fäusten sprang er in den Kreis, aus dem die Stimme gekommen war, und wer weiß, was es gegeben hätte, wäre nicht der Grundmüllersjakob, der bemerkte, wie Bärble zitterte, dazwischen getreten. Er verwies den Burschen ihre Unart, mahnte Fritz zur Ruhe und stellte bald die Ordnung wieder her. Fritz dankte ihm seinen Beistand schlecht. Längst hatte er einen geheimen Zorn auf Jakob, den er als Nebenbuhler fürchtete, dessen Überlegenheit in allen Stücken er grollend anerkennen mußte. Dazu hatte er ihn aus dem Veitenhof kommen sehen, ahnte, was ihn dahin geführt haben mochte, – Grund genug für den Türkenfritz, den Ahnungslosen mit giftigen Reden anzufallen. Jakob ließ ihn erstaunt gewähren, als er ihn aber mit geballten Fäusten zum Kampf 'rausforderte, umschlang er Fritz blitzschnell mit beiden Armen, hob ihn frei in die Luft und 97 sagte: »Bitt'st jetzt um gut Wetter?« – Fritz mußte nachgeben und Frieden geloben, danach setzte ihn Jakob nicht eben sanft nieder und ging davon. Fritz schämte sich sehr, ein Stein fiel ihm vom Herzen, als er Bärble nicht mehr bemerkte, – hatte doch wenigstens sie seine Schande nicht gesehen. Um das Gelächter zu ersticken, griff er zu seinem gewöhnlichen Mittel, ließ Bier holen und war auch richtig bald wieder der Held des Abends.

Unterdessen saß Bärble in ihrer Kammer auf dem Bett und weinte. Spät klopfte Fritz. Der Jammer des gequälten Mädchens ging ihm doch zu Herzen, reumütig gelobte er ernstliche Besserung, dann erst gab ihm das Mädchen als Zeichen gänzlicher Versöhnung durchs Fenster die Hand. Nachdenklich ging Fritz heim; wie gestern dämmerte ihm der Gedanke auf, er sei eigentlich in Wahrheit ein recht nichtsnutziger Kerl, es sei nun wirklich Zeit, ein Mann zu werden. 98

 


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