Heinrich Schaumberger
Zu spät
Heinrich Schaumberger

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Unterwegs

Der glühende, endlose Julitag neigte sich; aber trotzdem die Sonne nicht mehr weit vom Untergang war, brannten ihre Strahlen noch heiß herein in die tiefe, heute besonders belebte Schleifgasse. Schwerbeladene, hoch aufgebaute Heuwagen knarrten und schwankten langsam die steile Höhe hinan; feiner, grauer Staub quoll unter den knirschenden Rädern hervor, wirbelte in dünnen Wölkchen durch die heiße, unbewegte Luft und verwandelte das frische Grün der Eichen- und Haselbüsche an den steilen Wegrändern, von deren äußersten Zweigen lange Heufahnen herabwehten, in ein eintöniges, mißfarbenes Grau. Aber trotz der glühenden Hitze, trotz des erstickenden Staubes schritten die Bauern vergnüglich neben den Wagen dahin, qualmten dicke Rauchwolken aus ihren kurzen Pfeifenstummeln, selten einmal mit den Hemdärmeln den Schweiß aus den roten, verbrannten Gesichtern wischend – Hitze, Staub und Schweiß gehören ja zur Heuernte, je ärger die Sonne brennt, desto besser. Im Schatten der Wagen folgten die Frauen und Mädchen, die langen Rechen auf der Schulter, die längst geleerten Brunnstützen in der Hand, jedes irgend entbehrliche Kleidungsstück lässig um den Leib geknüpft. Fröhlich lachten die roten 12 Gesichter aus den hellen Tüchern, welche sie zum Schutz gegen die Sonne um den Kopf gewunden hatten; trotz der Ermüdung waren die Zünglein wacker in Bewegung, oft, besonders dann, wenn junge Burschen mit ihrem Gefährt vorbei kamen, versteckten sie kichernd die Gesichter hinter ihre Schürzen.

»Weich' aus, Paule!« rief der Veitenbauer, eine hagere, etwas gebeugte Gestalt mit roten, fließenden Augen im verkniffenen Gesicht, seinem Sohn zu, als am oberen Ende der Schleifgasse unter dem Hexentor, zwei ins Kreuz gewachsenen Vogelbeerbäumen, dichte Staubwolken aufstiegen und Hufschlag eilender Rosse hörbar wurde. »Weich' aus! Der Türkenfritz fährt einmal wieder wie ein Narr; möcht' wissen, ob der auch noch gescheit wird!«

Bei dem Namen Türkenfritz fuhr das Veitenbärble, die hinter dem Vater dreinging, erschrocken zusammen und schmiegte sich so dicht an den Wagen, als wolle sie um alles in der Welt nicht von dem Genannten gesehen sein. Im vollen Rosseslauf, von Staubwolken umhüllt, rasselte auch richtig ein Leiterwagen herab, aber trotz der rasenden Flucht war die Warnung des Veitenbauers überflüssig gewesen, denn der schlanke Bursche, der lachend vorn auf dem Leiterwagen stand, hielt die schnaubenden Pferde fest im Zügel und wich jedem Hindernis gewandt aus. Schon von weitem faßte er die Veitenleute scharf ins Auge; als ihn aber nur die Mutter begrüßte, verschwand das Lächeln von seinem Gesicht; trotzig knallte er mit der Peitsche, daß die Pferde hinten und vorn ausschlugen, und es schien ihm Freude zu machen, wenn die Fußgänger erschrocken vor den schäumenden Tieren hinter die Bäume am Weg flüchteten.

13 »Kreuz, Hagel! Bist du verrückt?« schrie ein Bursche zornig, den hinter der Grundmühle, nach der scharfen Biegung des Weges, nur ein rascher Seitensprung vor den Hufen und Rädern rettete. »Ist das eine Manier zu fahren? Mußt du mit deiner Tollheit die Leute in Gefahr bringen?«

Fritz war selber heftig erschrocken, zügelte sein Gespann ein und brachte nach vieler Mühe die aufgeregten Tiere zum Stehen. »Wo willst hin?« rief er ziemlich kleinlaut nach dem Burschen zurück, der in Sonntagskleidern, mit einem Paar neuer Stiefeln über der Schulter, rüstig dahinschritt.

»Nach Grumbach – was fragst?«

»So mach' voran, kannst bis in die Erleswiesen mitfahren.«

Das ließ sich der Bursche nicht zweimal sagen, kletterte, während die Pferde schon wieder anzogen, auf den Wagen, lehnte sich neben Fritz, der noch immer frei stand, an die Wagenleiter, schlug sich Feuer und meinte. »Was ist mit dir? – Siehst ja ganz desperat aus!«

»So? – Ist dir's den ganzen Tag lacherig?«

»Nu – man braucht deswegen auch kein Gesicht zu machen, wie die Katz', wenn's donnert! – Holla! – ich hab's! – Ha ha – 's ist von wegen dem Bärble! – Daß mir das nicht gleich eingefallen ist!«

Das Lachen verdroß aber Fritz gewaltig; grob fuhr er seinen Kameraden an: »Bist ein Donnerskerl! Hörst das Gras nicht auch noch wachsen?«

»Huhu! – friß mich nur nicht! – Meinetwegen kannst du heulen oder lachen – 's ist mir ganz egal!«

Eine Weile war es still auf dem Wagen; der Bursche, 14 dessen gedrungene Gestalt und schwielige Ballen der Hände den Schuhmacher verrieten, machte sich mit seiner Pfeife zu schaffen; Fritz schwippte unmutig mit der Peitsche und ward noch verdrießlicher, da ihm kein Doppelschlag gelingen wollte. Unterdessen rollte der Wagen langsam auf der hochgelegenen Landstraße hin, von der man den weiten Werthagrund überblicken konnte. Die Sonne stand dicht über den Tannen des Kulms, ihre schrägen Strahlen vergoldeten die Erlen und Pappeln drüben am Fluß, deren Schatten sich endlos über den dunkelgrünen Rasenteppich breiteten. Trotz der weit vorgerückten Tageszeit waren die Wiesen noch voll fleißiger Menschen, die in fröhlicher Arbeit, vom Abendsonnengold umflossen, durcheinanderwimmelten. Hohe, turmartig aufgebaute Wagen fuhren zwischen langen, niederen Heuhaufen dahin, die alle noch droben Platz finden sollten; an anderen Stellen schichteten die Mädchen das halbtrockene Gras auf kleine Schober, ihre roten Halstücher, die kurzen, weißen Hemdärmel leuchteten, und nicht selten blinkten auch die durch langen Gebrauch polierten Rechenstiele wie Metall! Dazwischen tummelten sich jauchzende Kinder, Hunde jagten spielend umher, und von da und dort klang die Sense eines einsamen Mähders. Der leichte Abendwind brachte wohltuende Kühlung und trug süßen Heugeruch das Tal herab. Aufatmend sagte der Schuhmacher: »'s ist doch eine Gottespracht in der Welt, absonderlich in unserem Bergheim. Bin weit 'rum 'kommen draußen, aber so hab' ich's nirgends 'funden. – Ja, Bergheim ist eben Bergheim! – Und nun noch das Wetter! – Ich mein', euch Bauern müßte das Herz im Leib' lachen; solche Ernte ist lange nicht dagewesen.«

15 »Ja, 's hat sich was zu lachen!« murrte Fritz. »Wir Bauern sind die geplagtesten Leut' auf Gottes Erdboden. Kommt ein Mißjahr, können wir verhungern; geraten aber einmal die Früchte, gleich fallen Vieh und Getreide im Preis, und wir haben uns wieder vergeblich geschunden!«

»Ja 's ist ein Jammer, was sich so ein Jahr über für Großbauern zu Tod schinden, und zuletzt sterben sie obendrein noch Hungers!« höhnte der andere. »Fritz, du bist ein ganz miserabler Kerl! Wirst du denn nicht einmal genug kriegen?«

Fritz biß in voller Verlegenheit den Knoten an seiner Peitschenschnur ab; gern hätte er dem Kameraden heimgezahlt, aber er wußte, daß er gegen diesen doch nichts ausrichtete. Lachend und singend kam ein Schwarm Mädchen die Straße herauf, und als sein Begleiter die Hand als Schirm gegen die blendenden Sonnenstrahlen über die Augen hielt und scharf nach den Mädchen auslugte, sagte Fritz: »Ja, ja – sie ist's – ich seh's deutlich! Hör', Bernhard,« fuhr er fort, während die Pferde in ein Seitental einbogen und mit hochgehobenen Schwänzen durch den Sumpf am Quellrangen wateten, »hör', aufrichtig: Bist du und dein Dorle auch so oft bös zusammen?«

Bernhard sah dem Frager lachend in die Augen und meinte bedächtig: »Du fragst verfänglich! – Freilich, ganz glatt geht's auch nicht ab – aber solche Geschichten, wie bei euch – Gott bewahr' uns! – Nein, davon wissen wir nichts!«

»'s ist eine Not mit den verdrehten Mädlen!«

»Ja – wie man's treibt so geht's und wer ins Wasser schlägt, muß sich nicht beklagen, wird er bespritzt!«

16 »Ich dacht', so wird's kommen, nu werd' ich doch wieder das Kind erbissen haben! – Auf mich kommt alles 'naus!«

»O du gerechter Strohsack! Ich glaub' gar, du möchtest dich weiß brennen? – Na, nu sag' ich nichts mehr!«

»Man könnt' auch wunder denken, was ich verbrochen hätt',« entgegnete Fritz gezwungen leichtfertig. »'s war ein Spaß, weiter nichts, und wenn das Bärble so gar abstenat sein will – meinetwegen auch, deswegen reiß' ich mir nachher den Kopf nicht 'runter!«

»Meiner Seel', Fritz, daß du dir um irgendeiner Sach' willen den Kopf abrissest, darum war's mir noch nicht leid!« lachte Bernhard. »Du bist und bleibst eben der Türkenfritz! – Spaß! – O du armes Mädle, du! – Fritz, im Ernst, es wär' das beste, du ließest von ihr, 's ist ja schändlich, wie du sie zum Narren hast! Erst schwätzst du ihr den Kopf voll von der Theaterfahrt, ruhst nicht, bis sie einwilligt, mitzufahren, und wie nachher Gott den Schaden besieht, hast du noch zwei andere Mädle dazu bestellt. – Pfui Teufel! – 's hat sich alles in mir gedreht, wie ich in Ditterswind die Hämpelsmädle auf den Wagen loskommen sah; hätt' ich's nicht dem Bärble zulieb getan, keinen Schritt wär' ich weiter mitgefahren. Und heut noch vergeß ich nicht, wie das arme Mädle an allen Gliedern zitterte, wie ihr die Tropfen über die Backen 'runter kugelten! – Aber g'freut hat mich's in die Seel' 'nein, wie dich zuletzt die Hämpelsmädle heimschickten – so war's recht!«

»Du bist auch ein feiner Kamrad!« knurrte Fritz. »Aber 17 was frag' ich nach den Hämpelsgänsen, die sind mir ja noch lange nicht gut genug!«

»Zum Heiraten, aber zum Theaterfahren sind sie recht! – Fritz, um dein bißle Verstand war mir's lang leid, daß er so gar unnütz in der Welt umhergetragen wird – jetzt seh' ich, das war vergeblich!«

»Was soll das bedeuten?«

»Nichts, mir ist bloß klar geworden, daß du Häckerling haben mußt, wo andern Leuten das Gehirn sitzt.«

»Potz Dunnerschlag! Ich laß mir viel gefallen, was aber zu arg ist, ist doch zu arg! – Jetzt sag', was soll das heißen?«

»Daß du ein dummer Narr bist, wenn du's grad wissen mußt! – Ist's erhört, daß sich noch einer mit seiner Schand groß macht, den Hochmütigen spielt, wo er sich zu Tod schämen sollt? Siehst du's denn nicht, daß du diesmal radikal verspielt hast? Die Hämpelsmädle sind Gift und Galle auf dich – und 's Bärble – dasmal ist sie ernstlich bös, darfst mir's glauben!«

»Das Bärble? – Darüber lach' ich! Was will denn die? – Solch ein armer Schlucker muß froh sein, wenn sie ein Bursch, wie ich, nur anguckt!«

»So! – Ei da soll gleich ein Himmeldonner 'neinschlagen! – Halt' still – ich will 'runter, sonst passiert noch was! Du bist ja ein erbärmlicher Kerl! – Halt' still, sag' ich! – Im kleinen Fingernagel bedeutet das Mädle mehr wie du, so lang du bist, du großmäuliger Hochmutsnarr! Und nimm dich vor mir in acht! Alle Knochen schlage ich dir zusammen, hast du sie noch einmal zum Narren!«

Damit sprang Bernhard vom Wagen und verschwand 18 in den Büschen des Erlenbaches. Verblüfft schaute ihm Fritz nach, kraute die militärisch kurz gehaltenen Haare und überließ seine Pferde trotz der weit vorgerückten Zeit sich selber. Es war ja nicht das erstemal, daß ihm sein Schulkamerad, der Schustersbernhard, derb die Meinung gesagt hatte, – aber heut war es doch gar zu arg. Der Bauernstolz regte sich in Fritz. – Wie konnte sich solch ein armer Schlucker an ihn, den reichen Bauerssohn, rechnen? Obendrein, was gingen ihn seine Sachen an? Wer hieß ihn, sich zum Beschützer des Veitenbärble aufwerfen? – Aber doch wollte es ihm nicht gelingen, so recht in Zorn zu kommen! Bernhards Worte waren zu ernst, um sich bloß darüber zu ärgern, Fritz empfand ihre Wahrheit, und das machte ihm eine merkwürdige Unruhe. Auch die Drohung ging ihm im Kopfe herum, hatte doch Bernhard bei mehr als einer Gelegenheit gezeigt, daß es ihm Ernst war mit dem, was er sagte. So leichtfertig er sich auch gestellt, in Wahrheit war er tief erschrocken, als er hörte, Bärble sei ernsthaft böse. Bisher hatte er noch immer über die Theaterfahrt gelacht – jetzt ward ihm die Geschichte außer Spaß. Wieder kraute er sich die Haare; – mußte es ihm denn stets so gehen? Wenn er meinte, einen Hauptstreich auszuführen, über den alle Welt erstaunen müsse – immer kam's als lästerliche Dummheit heraus, und statt Ehre und Ansehen, brachte es ihm nur Schaden und Schande! – Fritz kam in eine gewisse Rührung über sein Mißgeschick. Unstreitig war er der erste Bursch der ganzen Gegend; wenn auch nicht an Reichtum, aber an Schönheit, Gescheitigkeit, Witz und Stärke tat es ihm kein Bursch zuvor – und doch ward er überall verlacht, verspottet; hätte ihm nicht sein Geld zu einigem Ansehen verholfen, 19 kein Mensch würde nach ihm gefragt haben. Woran das lag? – Ja, freilich, das war eben sein Unglück, ihm ging alles krumm! Wie herrlich hatte er sich nicht die Theaterfahrt ausgemalt, wie pfiffig, wie fein hatte er alles ins Werk gesetzt, – und wie war ihm seine Freude ins Wasser gefallen! Die Mädle werden gucken, hatte er gerechnet, wenn sie sehen, wie ich mit Schätzen versehen bin; sie werden sich um mich bemühen, mir schön tun, – da hab' ich so recht das Gereiß und sitz' im Glück, wie das Veigele im Rosengarten. – Und wie ging's? – Die Hämpelsmädle rümpften die Nasen, als sie das Veitenbärble erblickten, und gönnten ihm kein Wort; beim Abschied schlugen sie obendrein einen Lärm auf, daß ihm angst und bang wurde, die Ditterswinder könnten aufwachen und seine Schande vernehmen; zum Schluß hatten sie ihm gar gedroht, er solle sich vor ihrem Dorf in acht nehmen, lasse er sich einmal da blicken, wollten sie sorgen, daß ihm ohne Laterne heimgeleuchtet würde. Und Bärble? – Ja, die war nicht aus dem Weinen herausgekommen, nicht mit ihm ins Theater gegangen, und nachts samt dem Dorle, der Beckenmagd, in Ditterswind heimlich vom Wagen gesprungen und hatte ihn allein mit dem Bernhard heimfahren lassen. – War denn das erlaubt? – Und nun mußte er sich deswegen noch von Bernhard grob behandeln lassen, das Bärble wich ihm sichtlich aus – mit Schrecken gedachte er an den festen Willen des Mädchens – 's war wirklich zu arg, so schlecht, wie ihm, mußte es noch keinem Menschen gegangen sein. – Ganz recht hatte er ja freilich nicht gehabt; 's war dumm, daß er die Mädle zusammenbrachte – wäre er einzeln mit ihnen ins Theater gefahren, das hätte ein Vergnügen gegeben, und kein 20 Mensch konnte was dagegen sagen, – aber die Strafe war auch zu hart. Trübselig kaute er an seiner Peitschenschnur und knurrte: »Wer 's Malheur hat, der hat's eben!«

Aber diese Niedergeschlagenheit hielt nicht lange vor; der Gedanke richtete ihn mächtig auf: »Was da, was dort! Ich bin doch der Türkenfritz! 's ist ja nicht das erstemal, daß ich in der Bredulg sitz'! – Meinetwegen mögen die Leut' sagen, was sie wollen, ich bin doch der Türkenfritz und bleib' der Türkenfritz, und nach der Zeit kommt wieder eine andere! Das Bärble bring' ich 'rum, das hat keinen Streit, und den einfältigen Bernhard lach' ich aus! – Und wart't nur, ihr Bergheimer, ihr wißt gar nicht, was ihr an dem Türkenfritz habt, das ist einmal einer! Komm' ich nur erst dazu, mich so recht auszulassen, ergibt sich eine Gelegenheit – Dunnerschlag, 's ganze Dorf soll Maul und Augen aufreißen! Nachher will ich aber sagen: ›Ja, das kann der Türkenfritz – macht's nach!‹ Das sag' ich.« – Mit leuchtenden Augen streckte er die Schulter, straffte die Arme und ballte die Fäuste. Am liebsten hätte er gleich auf der Stelle so was recht Großes, Unerhörtes, in die Augen Springendes vollbracht! – »Herrgott,« sagte er, »wär' jetzt eine Gelegenheit da!! – Na, meine Zeit wird schon auch noch kommen, und dann, und dann!« Ein kräftiger Peitschenknall schloß als vielsagendes Ausrufungszeichen den Satz.

Fast fuhr er erschrocken zusammen, denn jetzt erst merkte er, daß seine Pferde, klüger wie ihr Lenker, den rechten Weg eingehalten und die Wiese erreicht hatten. Ein Blick auf die wartenden Eltern sagte ihm, daß vorläufig seine Zeit noch nicht gekommen, und als er endlich auf der Wiese hielt, drohte der Vater mit der Faust, die Mutter 21 aber stemmte beide Arme in die Seite und rief: »Bist's denn wirklich? Gottes Wunder, wo kommst her? Von Bamberg oder von Triptstrill? – Ein andermal binden wir dir einen Sessel auf den Wagen, daß du nicht 'runter fällst, wenn du einschläfst. – Wär' die Schand' nicht allzu groß, ich könnt' dich auf dem Fleck da ohrfeigen! Plagen wir uns bis auf's Blut, das Heu noch vor Taufall unter Dach und Fach zu bringen, und der Strick da schlenkert in der Welt herum, als wären Wagen und Pferde nur zu seinem Vergnügen da!«

»Potz Christoph von Nordheim! sag' ich's nicht?« keifte der Türkenhenner, ein verhutzeltes Männchen. »Großtun, ins Theater fahren, faullenzen – das ist dem Musje seine Sach'! Ich wollt' wetten, der hat wieder eine Dummheit ausgeheckt und darüber alles vergessen!«

Das Kichern der Mägde trieb Fritz das Blut ins Gesicht, zornig schrie er: »Potz Dunnerschlag, macht's nur nicht gar zu arg. Ich bin gefahren, was die Pferde laufen wollten!«

»Lüg' du!« fiel ihm sein jüngerer Bruder Gottfried ins Wort. »Jawohl, was die Pferde wollten! Wären die nicht g'scheiter gewesen wie du, wer weiß, wo ihr hingeraten wär't. Du wirst dein Lebtag kein Bauer! Herrgott, hätt' ich deine Kräfte, ich wollt' einen andern Kerl darstellen! – Jetzt nicht gebrummt! Aufgepaßt droben! – Läd'st du nicht ordentlich, werf' ich dich vom Wagen!«

Fritz schämte sich vor den Mädchen, noch mehr vor dem Bruder, der, seit seiner Kindheit schwach und kränklich, ihn dennoch an Fleiß und Ausdauer weit überholte, von seiner Umsicht und Bedachtsamkeit gar nicht zu reden. Scheltend gingen die Eltern heim; während des Gehens 22 warf der Türkenhenner seine Arme seltsam durcheinander, von weitem sah es fast aus, als wolle er einen unsichtbaren Feind abwehren.

Fritz hatte auf dem Wagen nicht Zeit zum Nachdenken. Gottfried warf ganze Haufen Heu hinauf und deckte ihn fast damit zu – so schämte er sich einstweilen ohne weiteres Sinnen. Nur wenn er die Mägde kichern hörte, biß er ein Stück von dem Grasstengel in seinem Mund ab und spie es zornig aus. In allerkürzester Zeit stand das Fuder fix und fertig, Fritz sprang herunter und schnauzte die lachenden Mädchen an: »Was steht ihr da und habt Maulaffen feil? – Marsch – heim, an die Arbeit!« Als Gottfried dem Wagen folgen wollte, schrie er: »Brauch' keinen Aufpasser! Bin ich gleich kein Bauer, ein Fuder Heu führ' ich noch allein heim!«

»Mir recht, daheim ist so alles liegen 'blieben!« war die ruhige Antwort. »Am Quellrangen gib Achtung, 's ist ein böser Fleck!«

»Ha, himmeltausend! Bin ich ein dummer Junge?« brauste Fritz auf. »Noch so ein Wort – und ich werf' dir die Peitsche vor die Füße und geh' auf und davon, mögt ihr dann zusehen, wie ihr zurechtkommt!«

»Ho ho – nur stet! Deinethalben bleibt keine Arbeit liegen, das solltest du wissen!« Damit ging Gottfried davon.

Verdutzt blickte Fritz dem Bruder nach; – war denn heute der Teufel los? Fluchend trieb er die Pferde an und schimpfte auf dem Weg: »'s ist nicht zu ertragen, wie mir's geht, ein Malheur jagt das andere. Daß mich meine Alten so 'runtergehunzt haben, das ist wieder ein Gaudium für meine Gesellschaft – vier Wochen geht's fort: 23 ›Fritzle, ist dein Sessel noch nicht fertig‹ Und das Lachen von dem Mädlesvolk – 's ist, um mit Fäusten drein zu schlagen! Ich hätt' auch die Mägde nur so erwürgen können, wie sie die Mäuler aufrissen, daß ihnen ja kein Pipserle entgeht und sie die Geschicht' recht breit treten können! – – Hü, Brauner!« schrie er und sprang auf die Deichselbäume, als er den Sumpf am Quellrangen erreichte.

Mochte nun der plötzliche Zuruf und das Schlagen der Deichsel den Sattelgaul erschreckt haben, oder scheute er vor der spiegelnden Wasserfläche – mit gewaltsamem Ansprung drängte das Tier gegen den Quellrangen hinaus, das rechte Vorderrad stieg am steilen Rand in die Höhe, der schwer beladene Wagen geriet in bedenkliches Schwanken, und Fritz konnte nur mit Mühe seinen Platz behaupten. Zum Glück kamen ihm die Zügel, die an die Wagenleiter befestigt waren, in die Hand, mit kräftigem Ruck riß er die Pferde zurück und seinem freundlichen Zureden gelang es, sie zu beruhigen. Als er sie erst wieder fest in den Zügeln hatte, war die Gefahr vorüber, und er erreichte ohne Unfall die Straße.

Aufatmend wischte er sich den Schweiß von der Stirn und murmelte: »So! – das hätte g'rade noch gefehlt – in der Nacht ein Fuder Heu ins Wasser zu werfen, obendrein am Sonnabend! Vor keinem Menschen hätte ich mich mehr sehen lassen dürfen. O, ich!! Der Gottfried hat recht, ich werd' mein Lebtag kein Bauer, ich bleib' ein tappeter Hansgradzu! – 's ist zum Lachen, was ich mir herwärts eingebildet hab', und jetzt muß ich heimschleichen wie ein begoss'ner Hund! – Und erst gar die Geschichte vor acht Tagen! – Die Haare möcht' ich mir ausreißen! – Was 24 will ich eigentlich, und wo soll's noch 'naus? Was nützt Geld und Gut, wenn man der Mann nicht dazu ist? Das Bärble, die paßt für mich und keine andere, die macht vielleicht noch was aus mir! Gott sollt' ich danken, daß solch ein Mädle was von mir wissen mag! – Ob's wirklich ihr Ernst ist? Zuzutrauen wär's ihr wohl! – Ach du lieber Gott, wenn sie nur diesmal kein dummes Zeug macht und sich belehren läßt, von heute an will ich ja gewiß und wahrhaftig ein anderer Kerl werden!« 25

 


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