Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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18. Neue Zeit für Dorf und Hirtenhaus.

Ja, auch für Bergheim und besonders für das Hirtenhaus war eine neue Zeit im Anzug, man spürte ihr Wehen überall, wenn auch bis jetzt zumeist an den Stürmen und Frostschauern, die sie begleiteten. Der Bergbauer war nun wirklich erwählter Schultheiß von Bergheim, ein neuer, in den Hauptsachen ihm gleichgesinnter Ausschuß stand ihm zur Seite, und auch der Amtmann, noch von ihrem ersten Zusammentreffen her sein Freund, half ihm, so viel er konnte, eine neue Ordnung der Dinge in Bergheim heraufführen. Aber das war ein schweres Werk, ging nur langsam vorwärts, und der Bergjörg wollte oft daran verzweifeln, ob es ihm je gelingen werde, Friede und Ordnung in der Gemeinde herzustellen.

Der Tod des Kirchbauern – zu so rechter Zeit er für ihn selber eintrat – für die Gemeinde war er ein schweres Unglück. Die Papiere fanden sich in gränzenloser Unordnung und Unvollständigkeit; war es schon fast unmöglich, die verschiedenen Kassen und die ihnen zukommenden Beträge nach den noch vorhandenen Beständen auseinanderzuscheiden, so mußte man es ganz aufgeben, den wahren Stand der Dinge festzustellen, da der Türkenhenner 170 und der Beckenphilpert jede Auskunft beharrlich verweigerten, der Ottensmärt in der That nichts wußte. Soviel war freilich bald klar: Es fehlten bedeutende Summen; aber ihre wirkliche Höhe war ebenso wenig zu bestimmen als ihr Verbleib, mit Gewißheit konnte man nicht einmal sagen, wer die Unterschleife begangen haben mochte, da gewisse Anzeichen dafür sprachen, daß der Kirchbauer wenigstens nicht der alleinige Thäter gewesen. Zuerst gingen der Türkenhenner und der Beckenphilpert tiefsinnig herum, fuhren zu dem und jenem Advokaten, kehrten aber stets niedergeschlagen zurück. Gegen die Nachbarn waren sie auffallend herzlich und demüthig, redeten auch kein Wort in die Gemeindeangelegenheiten. Kaum erkundeten sie jedoch den Stand der Dinge, kaum fühlten sie sich sicher, als sie die Köpfe erhoben, gekränkte Unschuld spielten, laut auf gründliche Untersuchungen drangen und überall lärmten: Den Kirchbauers dürfe nicht ein Heller von den veruntreuten Geldern geschenkt werden! Dazu näherte sich der Türkenhenner den alten Freunden wieder, die schon über das ungewohnte, straffe Dorfregiment klagten, schürte ihre Unzufriedenheit und machte viel böses Blut durch die heimlich ausgestreute Bemerkung: Dem Schulz und Amtmann sei nicht zu trauen, sie seien in der Geldgeschichte nicht eifrig genug; wäre er noch Schulz, dann sollte es ganz anders stehen!

So zogen sich neue Wolken über Bergheim zusammen, ehe noch die alten Ungewitter verschwunden waren. Der Schulz und der Amtmann erfuhren natürlich alle Reden des Türkenhenner, ließen ihn aber ruhig gewähren und 171 stellten sich, als hätten sie keine Ahnung von seinen Umtrieben.

Wieder einmal rief das Gemeindeglöckchen die Einundzwanzig zusammen, und als die Nachbarn alle versammelt waren, begann der Bergjörg: »Ihr Nachbarn, da habe ich eine Zuschrift vom Amt, worin der Gemeinde gerathen wird, da sich was Bestimmtes gegen den Kirchbauer nicht nachweisen läßt, soll sie nicht allzuhart gegen die Wittwe und die Kinder auftreten, die ohnedem geschlagen genug sind. Wir sollen einen Vergleich eingehen; die Wittwe ist bereit, fünfhundert Gulden herauszuzahlen. Seid Ihr damit zufrieden, soll die ganze Geschichte niedergeschlagen werden? Jetzt sagt Eure Meinung!«

Der Türkenhenner und sein Anhang murrten und steckten mit ihrer Unzufriedenheit auch die übrigen Nachbarn an; der Beckenphilpert brummte allerlei in den Bart, und da sich der Bergjörg einmal ganz still verhielt, diese und jene grobe Bemerkung mit Absicht zu überhören schien, schwoll dem Türkenhenner der Kamm, plötzlich platzte er heraus: »Die Nachbarn werden keine Narren sein und sich hinter's Licht führen lassen! Fünfhundert Gulden – das ist ja zum Lachen – fünfzehnhundert langen noch nicht hin! Die Nachbarn wissen auch gut genug, woran's fehlt; ging's in der Sach' mit rechten Dingen zu, würde es ganz anders klingen!«

»So, Henner, das wollt' ich von Euch nur hören!« sagte der Bergbauer und riß seine Weste auf. »Gottes Wetter auch 'nein! und Ihr habt das Herz, so was zu sagen? Daß Ihr's wißt, ich und der Amtmann kennen 172 schon lang' Eure Schliche – aber wir wollen Euch gern ganz beim Krips haben. – So – die Gemeinde ist Zeuge gegen Euch!« Der Türkenhenner war wie vom Donner gerührt, er mußte sich setzen, die Stube begann sich um ihn zu drehen. Nach einer Weile fuhr der Schulz fort: »Und nun, Henner und Ihr Nachbarn, hört, was ich sage. Der Henner kann mir nicht genug Steine in den Weg werfen, sogar meinen guten Namen tastet er an – und Ihr – Ihr seid wie immer seine Narren! Es liegt mir nichts dran, einen Menschen in's Unglück zu bringen, aber auf die Art habe ich's auch satt, Schulz zu sein. – Henner, Ihr macht Euch voreilig patzig! Die Sachen haben sich gedreht, ein paar Zettel sind aufgefunden, deren Schrift Eurer Hand auf's Haar gleicht; auch sonst sind faule Dinge an den Tag gekommen: Seid auf der Hut! – Nimmt jetzt die Gemeinde den Vergleich nicht an, leg ich auf der Stelle mein Amt nieder – dann will der Amtmann gründlich aufräumen. Dann, Henner, werdet Ihr beim Wickel genommen, Ihr ganz allein – nachher wird's freilich bald anders klingen, wer weiß, ob es bei funfzehnhundert Gulden bleibt, die Ihr der Gemeinde ersetzen müßt. Denn Ihr waret des Kirchbauern Vorgesetzter und Ihr habt für das Gemeindegut zu haften, nicht der Rechnungsführer! – So, das habe ich Euch sagen wollen; jetzt, Ihr Nachbarn, ich rede nicht zu und nicht ab, thut, was Euch gut dünkt!«

Das gab abermals großes Erstaunen unter den Bergheimern; das Ansehen des Schulzen stieg bedeutend, während der Türkenhenner von seinem eignen Anhang bedroht und verlacht wurde. Der Eckenhanfrieder schrie laut: »Den 173 Vergleich nehmen wir nicht an, um keinen Preis, denn zum Ersten sind tausend Gulden keine Sache, die man mit den Füßen wegstößt; zum andern aber, und das ist der Hauptpunkt, wird bei der Gelegenheit dem Henner auch sein Recht! Legst Du Dein Amt nieder, Schulz, wählen wir Dich auf's Neue, und so ist uns Allen geholfen!«

»Weiß nicht, was für ein Teufel in Bergheim sein Wesen treibt!« rief der Herrnbauer, als die Nachbarn laut ihre Zustimmung aussprachen. »Haben wir nicht Schande und Unglück genug im Dorf? soll die Feindschaft und der Haß in Ewigkeit fortgehen? – 's ist freilich wahr, dem Henner wäre ein Denkzettel ganz gesund, und wenn er so gar genau weiß, daß die Gemeinde um mehr denn fünfzehnhundert Gulden gekommen ist, hätten wir wohl das Recht, ihn selber beim Kragen zu nehmen. – Aber wohin soll das zuletzt führen? 's halbe Dorf bringen wir damit in's Unglück – da, seht Euch um, die bleichen Gesichter reden deutlich genug! Laßt's jetzt genug sein, ihr Nachbarn! Der Henner hat sich heut selber ein Denkmal aufgerichtet, dran er genug hat sein Lebtag. Er wird jetzt ruhig sein – fängt er aber doch wieder an zu hetzen, wissen wir, wo wir ihn zu packen haben, seine Geschichten werden nicht in den Rauch geschrieben! – Nicht gebrummt, nicht besonnen, der Vergleich wird angenommen, die Geschichte ist aus und vorbei, abgemacht!«

Wenn auch widerstrebend, die Nachbarn fügten sich doch; die Kirchbäurin überließ der Gemeinde das Kapital, das sie auf dem Schneidershaus stehen hatte, dadurch fiel die gerichtliche Klage gegen die Uhrmacherles von selbst 174 weg, die armen Leute waren für diesmal – hoffen wir für immer – gerettet.

Der Türkenhenner war schwer gedemüthigt, wieder eine Zeitlang verhielt er sich ganz ruhig; aber er war nun einmal eine Maulwurfsnatur, die sich nur im Dunkeln wohl fühlt und das Wühlen nicht lassen kann. Da und dort bohrte er doch wieder an, alle unlauteren Elemente sammelten sich um ihn. Offen wagte er dem Schulzen nicht mehr zu widerstehen, seine geheimen Bosheiten und Tücke ließ sich dieser nicht anfechten, ruhig und bestimmt ging er auf sein Ziel los.

Seine nächste Sorge wendete sich dem Hirtenhaus zu. Bald hing die Grundmauer und der westliche Giebel nicht mehr drohend über die Mergelgasse herein, helle Fenster leuchteten in's Dorf hinab, der Südboden war in ein wohnliches Zimmer verwandelt, und auch für den Hasenherle ein Kämmerchen hergestellt. Stube und Kammern leuchteten im reinen Kalkverputz, ein praktischer, netter Ofen ließ die Wohnstube fast noch einmal so groß erscheinen, neue, genau schließende Thüren hielten ohne Papierverkleisterung die Zugluft ab. Ein breiter, festgestampfter Weg führte zur neuen Hausthür, die Hausflur war erhöht und mit Backsteinen gepflastert, neben dem Ofenloch erhob sich ein bequemer Kochheerd. Links neben der Hausthür war eine Kammer eingerichtet, bestimmt zum Nachtlager für arme Handwerksburschen und anderes fahrendes Volk, wie auch zur Todtenkammer für Verunglückte und Selbstmörder. Besonders letztere Einrichtung fand Hansnikels ungetheilten Beifall, wie überhaupt der Alte mit der 175 Erneuerung des Hirtenhauses sich wahrhaft verjüngte. Zufrieden drückte er dem Schulzen die Hand und sagte: »Sua, Schulz, das ist mir einmal eine Einrichtung, da ist Sinn und Verstand drin! Ihr seid mein Mann! Ich hab's ja gleich gesagt, Mädle, hab' ich gesagt, paß' auf, der Bergjörg, das wird einmal ein richtiger Schulz! – – Sua, Schulz! Das Hirtenhaus wär nun in Ordnung! Habt Ihr für ein Todtenkämmerle gesorgt, macht aber auch das Werk fertig – laßt mein Beil anstählen – 's ist, weiß Gott! 'ne Schand für die ganze Pfarrgemeinde, wie's aussieht. Laßt's anstählen, daß Ruh' wird! – Und helft mir zu meinem Recht, Ihr wißt schon, von wegen der Geistlichkeit und dem Obst – thut's Schulz!«

»Hansnikel, werdet Ihr denn nicht einmal vernünftig?« lachte der Schulz. »Was das Beil betrifft, laßt mich in Frieden! Das Inventar bringt die Gemeinde nur in Nachtheil! Seht's als Euer Eigenthum an und laßt's verstählen oder kauft Euch ein neues, wie Ihr wollt!«

»Sua!! Sua, sua!!!« entgegnete Hansnikel und spuckte heftig. »Sua – da läuft der Has!! – – Sua! – – Aber hab' ich's nicht gleich gesagt? – Mädle, hab' ich gesagt, ich trau' dem Bergjörg nicht, paß' auf, der ist kein Haar besser wie der Türkenhenner! – – Sua! – 's ist 'ne betrogne Welt, keine Treu' und kein Glauben mehr unter den Leuten! – Nichts für ungut, Schulz, – Schulz ist Schulz! – Verklagt mich, ist's Euch nicht recht, nach Schulzen frag ich nicht soviel!« Damit spuckte er aus und ging davon.

Aber nicht blos für das Haus sorgte der Bergbauer, er nahm sich auch der Bewohner an. Christian war nicht mehr hier, er war Knecht in Dammsbrück und hielt sich brav – grade zu rechter Zeit fand er dies Unterkommen, wenige Tage später wäre er auf Antrag des Schulzen ausgewiesen worden. Auch so gab es noch genug aufzuräumen. Auf das Drängen des Bergbauern trat die Wasserchristel nach ihrer Confirmation in den Dienst des Grundmüllers, der zu ihrem Vormund ernannt wurde. Das jüngste Mädchen nahm sein Pathe, der Herrenbauer, zu sich, bei dem es gut aufgehoben war. Die Wassermaus ließ ihre Kinder ungerührt von sich; von Dankbarkeit wußte ihr Herz nichts, ihr Gemüth war voll Zorn gegen den Schulzen und Schreinerslorz. Der Schwarzen – ihr ältestes Mädchen hatte der Schulz selber, das jüngste der Schreinerslorenz zu sich genommen – bestellte die Gemeinde den Lorenz zum Vormund. Die Unglückliche kränkelte seit ihrer Rückkunft aus dem Spital, war auch sonst nicht mehr das alte Wesen – der milde Ernst des Schreiners, die Freundlichkeit, Sanftmuth und Geduld der Margelies, die sie treulich verpflegte, ihrem Kind eine rechte Mutter ward, vollendeten die innere Umkehr der Aermsten. Zu einem neuen Leben erwachte sie freilich nicht mehr, dafür war es zu spät, aber ein milder Lichtstrahl erhellte und erwärmte ihren Lebensabend.

Es traten auch Umwälzungen ein, auf welche sich der Einfluß des Schulzen gar nicht oder nur mittelbar erstreckte. Margelies lächelte oft, wenn das alte Mädle an Sonnabenden ihr Haar sorgfältig glättete und auf dem Wirbel zu einem dicken Knoten zusammendrehte, die 177 altmodischen, lange sorgfältig geschonten Kleider hervorsuchte und sich in dem Bruchstück einer Spiegelscheibe sorgfältig beäugelte. Was sie bezweckte, war unschwer zu errathen, ihre zärtlichen Blicke auf den Hasenherle, ihr zuthunliches, glückstrahlendes Wesen, so lange sich der alte Pfiffikus im Haus herumtrieb, sprachen deutlich genug. Und der Hasenherle war nicht blind! Aber diesmal ging er behutsam vor, beschäftigte sich vor den Augen der Hausgenossen vorzugsweise mit dem Hansnikel und wußte sich bald fest in dessen Gunst einzuschmeicheln. Lorenz wunderte sich im Stillen oft darüber, konnte auch bei allem Sinnen keinen Grund dafür auffinden, warum Hansnikel in neuester Zeit so einsilbig gegen ihn wurde, ja ihm geflissentlich aus dem Wege ging. Und doch war das so einfach und natürlich. Lorenz. der ernste, wahrhaftige Mann, empfand Mitleid mit Hansnikel, der sich wegen seiner eingebildeten Rechte immer mehr mit der Welt entzweite, sich ganz vergeblich abhärmte und das Leben verbitterte. Zwar freundlich, aber doch mit dem ihm eignen Ernst, suchte er Hansnikel das Thörichte seiner Meinungen und Forderungen, die – Beil und Schaufel vielleicht ausgenommen! – keinen vernünftigen Grund für sich hatten, nachzuweisen. Aber diese Ansichten waren schon längst zu festen Gebilden in Hansnikels Seele erstarrt, waren zu innig mit seinem ganzen Leben und Denken verwachsen, als daß er jetzt noch ihre Unhaltbarkeit hätte einsehen, sich von ihnen hätte befreien können. Sobald er auf dieses Gebiet kam, hörte sein vernünftiges Denken auf, starr und trotzig behauptete er seinen Sinn und hielt den für seinen Feind, der ihn von seiner Plage 178 befreien wollte. So auch Lorenz; seit der Schulz rundweg erklärt hatte, auch er lasse das Beil nicht anstählen, ward der Verdacht in ihm rege, ob nicht am Ende gar der Schreiner den Schulzen gegen ihn gestimmt haben könne? – Er theilte Hasenherle seine Befürchtung mit, und dieser machte sich kein Gewissen daraus, die Meinung des Alten zu bestätigen – schlug er doch damit zwei Fliegen auf einen Streich: reizte Hansnikel gegen seinen alten Widerpart und setzte sich selber in seinem Vertrauen fest. Seitdem krochen Hansnikel und der Herle viel in einsamen Winkeln herum, hielten lange Gespräche zusammen, die den wunderlichen Alten sichtlich erregten. Oft hörte man ihn murren: »Sua? – Bin ich nicht ein andrer Kerl als der Schreinersdingrich? Was? – Ich? – Und ich führ's durch, dem Schreiner zum Aerger; was der kann, vermag ich auch!« Fest und aufrichtig schloß sich dagegen die Hirtenlang an Margelies an. Aber wenn auch sonst in allen Stücken ein Herz und eine Seele – über einen Punkt konnten sich die beiden Frauen nicht einigen. Die Hirtenlang haßte den Hasenherle und ließ sich auch von der Margelies nicht abhalten, ihm alles erdenkliche Böse nachzureden und anzuthun. Die Heirathsgedanken der Schwester empörten sie, darüber gab es viel Zank; als jedoch alle Vorstellungen das Mädle nicht zur Vernunft brachten, klagte sie der Schreinerin: »Die alte Hexe schnappt gewiß noch über!« 179

 


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