Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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1. Ins Hirtenhaus.

Hirtenhaus! – Wie unschuldig, ja fast anheimelnd das Wörtchen klingt! Unwillkürlich denkt man dabei an ein malerisches, altes Häuschen, ein wenig verfallen und altersgrau zwar, aber doch nett, wohnlich, heimlich. Vor dem Häuschen umschließt eine lebendige Hecke von Hagebutten und Kreuzdorn ein sauberes Gärtchen; in der Gartenecke auf dem knorrigen, weißblühenden Hollunderbaum nistet die Grasmücke, unter dem weitvorspringenden Dach hat sich die Schwalbe angesiedelt und hält gute Nachbarschaft mit dem Rothschwänzchen, nur die Spatzen, die sich in den Löchern der baufälligen Giebelwand festgesetzt, stören dann und wann den Hausfrieden. Daneben streckt ein alter Nußbaum seine sparrigen Aeste hoch in die Luft und breitet sie über das Häuschen, als wollte er es beschützen vor Unbill des Wetters und Windes. Auf dem Bänkchen vor der Hausthür sonnt sich ein Alter, aus dessen runzelvollem Gesicht ein paar helle Augen klug und zutraulich in die Welt blicken; oft nickt er wohl auch dem Hund zu, der seinen Kopf auf des Herrn Knie legt, und streichelt ihm das 2 zottige Fell. Lugt dann noch ein blühendes Mädchengesicht verstohlen durch die halboffene Hausthür, dann ist das Bild ländlicher Stille, befriedeten Glückes vollendet.

Aber wie wenig entspricht dem die Wirklichkeit, wie verschwinden all die heiteren Bilder, sobald man weiß: Das Hirtenhaus ist das Armenhaus des Dorfes, der Sammelplatz alles Elendes, der Aufenthalt der Verkommenen, auch der Verworfenen. »Ins Hirtenhaus!« – begreifst Du nun die Bedeutung der kleinen Wörtchen? verstehst Du, was sie für den, dem sie gelten, besagen? – –

* * *

Der Kuckuck in der Schwarzwälderuhr rief eben die dritte Morgenstunde an.

Ein tiefer Seufzer in der dunkeln, kalten Kammer übertönte das Rasseln und Rauschen des Schlagwerks, und eine unterdrückte Männerstimme flüsterte: »Margelies! Margelies!« Eine Weile erfolgte keine Antwort, als aber der Name ängstlicher wiederholt ward, klagte eine Frau: »Laß mich, den Alp, der mich drückt, vertreibt kein Anruf. – – – Schon drei! – Großer Gott im Himmel, und heute noch in's Hirtenhaus!« Heftiges Weinen brach die Stimme.

In der andern Ecke ward es ebenfalls lebendig, ein Kinderstimmchen wisperte! »Marie, Mariele! – Hast den Kuckuck gehört?«

»Mehr wie Du!« war die wichtigthuende Entgegnung. »Schon um zehn, elf, zwölf, eins, zwei und jetzt wieder. 3 Siehst Du, ich hab ihn nun einen ganzen Tag vorausgehört. – Ach unser armer Kuckuck!«

»Warum geht er nicht mit?«

»Bist dumm! Weißt nicht? er wird ja verkauft?«

»Ach unser armer, armer Kuckuck!« jammerte das Kind. »Gelt, Mariele, das ist gar nicht wahr? gelt unser Kuckuck wird nicht verkauft?«

»So sei doch still!« suchte Marie zu beschwichtigen. »Ach Gott, wenn's mit dem Kuckuck allein abging! Sei still, heul' nicht, die Eltern haben so Kummer genug. Gieb Acht! – Wenn unser Kuckuck fortgetragen wird, passen wir auf, wo er hinkommt, nachher stellen wir uns vor's Haus, da hören wir ihn alle Tage.«

»Aachele – wir hören unsern Kuckuck alle Tag'!«

Die Mutter jammerte, der Vater schluchzte, und die erschrockenen Kinder stimmten laut in das Weinen ein. »Lorz, Lorz, so rede was!« klagte die Frau. »Du bist der Mann, hast Du keinen Trost?«

»Ja, ja, Margelies,« war die Antwort, gleich, gleich doch!«

Leise verließ der Vater das Bett, tastete sich zu den Kindern – auch ein drittes war erwacht – und redete ihnen freundlich zu: »Seid still, Kinderle, schlaft ruhig! Wird der alte Kuckuck verkauft, was thut's? Dafür schaff' ich euch einen neuen, viel, viel schönern!«

Die beiden Kleinen beruhigten sich, das Wasser stand ihnen noch in den Augen und schon patschten sie vor Freude in die Händchen, schliefen auch richtig bald ein. Nicht so Marie. Heftig schlang sie ihre Arme um den Hals des 4 Vaters und flüsterte ihm in's Ohr: »Wenn ich aus der Schule bin, dien' ich und verdiene viel, viel Geld. Und alles geb ich Euch – aber gelt, eines thut Ihr – Ihr kauft den alten, guten Kuckuck wieder? – Gelt, den alten?«

»Ja, ja, freilich!« flüsterte Lorenz, den diese Worte fast wieder außer Fassung gebracht hätten. »Du bist ein brav's Mädle! Aber schlaf! – Um acht geht die Schul' an, und Du weißt, jetzt mußt Du doppelt auf dem Zeug sein.«

Die Mutter saß noch aufrecht im Bett, hatte das Gesicht in die Hände gelegt und die Thränen tröpfelten ihr durch die Finger. Lorz versuchte vergeblich ihre Hände wegzuziehen, was er auch sagte, sie wollte sich nicht trösten lassen, blieb fest dabei: »Und wenn zehnmal unschuldig, darnach fragen die Leute nicht!«

»So brauchst Du Dich auch nichts um sie zu kümmern. Kommt keine Krankheit und Schwäche über mich, will ich sorgen, daß wir nicht lange im Hirtenhaus bleiben.«

»Drin waren wir doch,« rief Margelies und rang die Hände, »wenn auch nur einen Tag, eine Stunde; kein Mensch kann das wieder von uns weg bringen. Mir ist's nicht um mich, könnt' ich's allein auf mich nehmen, kein Wort käme über meine Lippen – mich jammern nur unsere Kinder! Auch die, und sie besonders sind verschimpft für's ganze Leben, werden verspottet, wo sie sich sehen lassen, verachtet, gemieden von Jedem. Dazu müssen sie sich hudeln und herumstoßen lassen, sollen ausfressen, was Andere einbrocken, da ist überhaupt nichts zu schlecht, nichts zu schändlich – ihnen wird's zugemuthet, sie sind ja aus dem 5 Hirtenhaus! Bis heut' war es meine Lust, die Kinder in Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit großzuziehen, nun ist alle Mühe umsonst, im Hirtenhaus werden sie bald an Leib und Seel verderben. Ach und wenn die Kinder umschlügen! – eh' ich das erleb', eh' wollt ich, ich wär gestorben!«

Lorenz hatte seine Margelies gewähren lassen, was sollte er auch erwidern? Nur ihr letztes Wort war ihm zuviel. Er ließ ihre Hände los und sagte streng: »So, das ist deine ganze Weisheit? Meinst Du nun wirklich, damit sei etwas gebessert und besonders den Kindern geholfen? – Margelies, Du dauerst mich, daß Du im Jammer Alles vergißt und nur allein an Dich denkst. Von mir nicht zu reden, was soll aus den Kindern werden, ging dein Wort in Erfüllung?«

»So war das gar nicht gemeint!« weinte Margelies.

»Drum eben ist's doppelt Unrecht! Mir sind die Kinder so fest an's Herz gewachsen als Dir, ich weiß auch, was ihnen im Hirtenhaus droht – aber mit Klagen und jämmerlichen Reden ist da nichts geholfen. Nimm Dich zusammen Margelies, daß wir nicht gänzlich zu Schanden werden. Je mehr Schlechtes die Kinder im Hirtenhaus hören und sehen, desto eifriger müssen wir ihnen ein gutes Beispiel vor Augen führen, müssen die Kinder behüten wie Augäpfel. – Margelies, das ist ein Großes, aber wenn wir's zwingen, und mit Geduld und Standhaftigkeit müssen wir's zwingen, – auch im Hirtenhaus sollen die Kinder gedeihen – dann können wir einmal getrost die Augen zuthun. – Du glaubst mir nicht? – Ja den Kopf müssen wir freilich oben behalten, sonst geht das nicht. Merk Dir 6 doch: Ein unverschuldet Unglück ist kein rechtes Unglück, wenn wir's nicht dazu machen, und wer treu seine Schuldigkeit thut, kann nicht gänzlich zu Schanden werden!«

Margelies schluchzte, tastete aber doch nach ihres Mannes Hand und sagte: »Hab' Geduld mit mir Lorenz! Es war schlecht von mir, so zu reden – es soll nicht wieder geschehen. Ich will beten, Lorenz, daß mich der Herrgott gesund und bei Kräften erhält! – Es ist ja wahr, so lange wir frisch und gesund zusammen sind, dürfen wir nicht klagen!«

»So höre ich Dich gern – halt aber auch daran fest! Dein Herz wird Dir noch manchmal schwer, arg schwer werden – wein' Dich dann aus in der Nacht oder geh' abseits, am Tag zeig' ein fröhliches Gesicht, ich thu's auch, so sauer mir's ankommt. Merk's, damit verderben wir unsern Feinden die Freud', sie müssen erkennen, daß wir uns nicht niederwerfen lassen. Nimm Dich zusammen auch der Kinder willen! Das ewige Flennen macht sie verstört, die armen Würmer wissen nimmer, wem sie angehören.«

»Ich dank Dir, Lorenz! – Hilf mir nur zurecht, Du bist der Mann, und habe Geduld!«

»Ja, Geduld haben wir beide von Nöthen! Halte daran fest: Was zu ermachen ist, wird ermacht! Sollte es aber doch länger dauern, ehe wir aus dem Hirtenhaus herauskommen, laß keinen Verdruß zwischen uns aufkommen, sonst ist's gefehlt. Gieb mir die Hand; Bergheim soll erfahren: Hirtenhaus oder Bauernhof, Herrenschloß oder Bettlerhäusle macht in Wahrheit keinen Unterschied, auf die Leute kommt's an, die drin wohnen! – Jetzt sei still, die 7 Kinder regen sich wieder, wir selber brauchen Ruhe, es steht uns ein schwerer Tag bevor.«

Es war schon lange stille in der Kammer, als der Kuckuck vier Uhr ankündigte. Die jüngern Kinder verschliefen diesmal den Ruf, Marie saß jedoch aufrecht zwischen Bruder und Schwester und weinte. Kein Wort des Gesprächs war ihr entgangen, faßte sie auch nicht Alles, soviel hatte sie verstanden: Die Eltern sorgten und härmten sich auch ihretwillen. Im schmerzlichen Gefühl ihrer Hülflosigkeit und Schwachheit rang sie die kleinen Hände; da sie die Eltern nicht trösten konnte, gelobte sie mit heißen Thränen, Vater und Mutter zur Freude zu leben, das kindische Wesen abzuthun, der Mutter beizustehen. »Die Geschwister behalt' ich im Aug' und leide nicht, daß sie ausarten. Gras trag' ich bei für die Ziegen und im Winter spinn' und strick ich mit der Mutter um die Wette. Ach du lieber Gott, mach' mich recht geschickt und fleißig und brav, es ist ja wegen der Eltern!« Mit einem Gebet auf den Lippen schlief sie endlich ein.

Lorenz lag still und athmete ruhig, aber seine Augen standen weit offen, und unter der Decke rang er die Hände. Der langsame Pendelschlag der Uhr war ihm unerträglich, jedes Tick-Tack traf ihn wie ein Schlag auf den Kopf. Er war daran aufzustehen, die Uhr zu stellen – aber was hätte er Margelies antworten sollen? Mit Mühe hatte er ihr den Sturm in seiner Brust verborgen, um sie aufzurichten, sich stärker gestellt, als er war; jetzt kam die Angst doppelt über ihn. Er marterte sich ab, einen Ausweg zu finden, seine Gedanken verwirrten sich bei der Frage: mußte es so kommen? 8

 


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