Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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13. Folgen.

Ein verhängnißvoller Sonnabend Nachmittag! – Das empfanden nicht blos die Hirtenhäusler. Auf dem Heimweg erhob sich ein großer Zank zwischen den beiden Gewaltigen des Dorfes. Der Kirchbauer machte dem 129 Schulzen heftige Vorwürfe, daß er über seinem Geschwätz das Handeln vergessen habe. »Mit all Deinem Lärmen und Toben, was hast Du erreicht? rief er zornig. »Nichts, gar nichts! Nur trotziger und wilder hast Du die Gesellschaft gemacht, die stehen jetzt gegen uns wie ein Mann. Und wie willst Du sie jetzt zwingen? Hast Du Dir heut schon das Heft aus der Hand winden lassen, wo noch Niemand wußte, wie es um uns stand – wie willst Du später gegen sie aufkommen? Ich sag's ja, Du bist und bleibst ein Narr, ein dummer Polterhans! Mäuse jagt man mit Klappern in den Sack, aber merkst Du nicht, daß der Lorenz ein geriebener Fuchs ist? Ich könnte mich selber ohrfeigen, wenn ich denk', wie er sich in's Fäustchen lacht und darauf sinnt, uns eine neue Schelle anzuhängen! Der Teufel heißt Dich auch die heutige Geschichte beim Amtmann breitschlagen? was plapperst Du heraus, was wir mit dem Uhrmacherle vorhaben? – Geh weg, ich seh's kommen, daß uns unsre Widersacher aufspielen, daß uns die Ohren gellen!« So sprach er noch lange fort, bis es dem Schulzen endlich auch zuviel ward; aber auf eine grobe Rede antwortete der Kirchbauer noch gröber – und in hellem Zorn gingen die Männer auseinander.

Während Margelies droben in ihrem stillen Boden auf den Knieen lag und mit heißen Thränen Gott für diese unerwartete Wendung ihres Geschickes zum Besseren dankte, während Lorenz herumging wie im Traum und sein Glück nicht fassen konnte – sollte er doch wieder als Schreiner arbeiten, war ihm doch jetzt ein sicherer Verdienst gewiß! – bewegten die übrigen Hirtenhäusler die 130 verschiedensten Empfindungen. Hansnikel zunächst war im Ganzen mit dem Gang der Dinge vollständig zufrieden; zwar ärgerte ihn die gewaltsame Haussuchung und die dadurch an den Tag gelegte Nichtachtung der Geistlichkeit noch etwas, aber das Viertel Brodmehl war doch auch nicht zu verachten, damit beruhigte sich sein Ehrgefühl. Fast behaglich klangen seine »Sua«, als nun der Hasenherle und Wasserchristian ihren Auszug aus der hinteren Kammer begannen. Sehr gemischt waren die Gefühle seiner Aeltesten. So sehr sie der Wassermaus die Schande und Demüthigung gönnte, so sehr sie sich darüber freute, daß der Hasenherle vor den Nachstellungen der beiden Weiber in Sicherheit gebracht war, eben so sehr jammerte sie sein Mißgeschick; der Gedanke, daß ihm vielleicht auf dem kalten Boden ein Unglück zustoßen könne, machte sie ganz trübsinnig. Niedergeschlagen schlich Hasenherle herum; die guten Bißle, die ihm nun entgingen, erbarmten ihn so sehr, daß er manchmal ganz unwillkürlich die Augen verdrehte und zu »schlottern« begann – worüber er sich dann, wenn er es merkte, nicht wenig ärgerte. Die Trostworte, die das Mädle an ihn verschwendete, richteten ihn auf, er begann zu hoffen: Noch ist Polen nicht verloren! Viel ernster und tiefer war die Erregung der Hirtenlang. Schon die Worte ihres Mariebärble hatten sie beunruhigt und wollten ihr nicht aus dem Sinn kommen, fort und fort grübelte sie, ob es denn wirklich auch für sie eine Schande sei, im Hirtenhaus zu wohnen. Sie sträubte sich dagegen, berief sich auf das Amt des Vaters, auf die Verwilligung der Gemeinde – vergebens, die Worte ihrer 131 Tochter ward sie nicht los. Fast kamen ihr die Thränen in die Augen, jetzt erst merkte sie, wie lieb ihr das Hirtenhaus geworden, wie ihr Leben damit verwachsen war. Sollte sie auf ihre alten Tage die Heimat verlassen? –»Nein,« seufzte sie, »das kann ich nicht!« Da kam die Haussuchung, und die Rohheit des Schulzen öffnete ihr plötzlich die Augen. Das war ja der thatsächliche Beweis, daß sie den übrigen Hirtenhäuslern vollständig gleichgestellt und gleichgeachtet wurde – also auch die Schande mit ihnen theilte! Ein Frösteln überlief die Hirtenlang – dem armen Weib ging zum erstenmal in ihrem Leben eine dunkle Ahnung auf von der Würde des Menschen; ein heißer Schmerz brannte in ihrem Herzen, sie fühlte sich in ihrem Heiligsten verletzt. – Machte ihr der Gedanke auch noch immer Pein, unwiderruflich stand der Entschluß in ihr fest: »Nach dem Tode des Vaters verlaß ich das Haus, ich will auch noch ein eigner, freier Mensch werden!« – Ganz ähnlich waren die Empfindungen des Wasserchristian, aber Selbstanklagen und bitt're Reue brachten ihn in eine tiefe Zerknirschung. Auf welchem Weg war er gewesen! – Was würden wohl das Mariebärble, der Schreinerslorz sagen, wenn sie wüßten, daß auch seine Hände nicht mehr ganz rein von fremdem Gut waren? Zwar waren es bis jetzt nur Kleinigkeiten, die er veruntreute: Da und dort ein halbes Päckchen Taback, eine Cigarre, manchmal hatte er auch vergessen, gefundene Kartkreuzer zurückzugeben – aber gestohlen war es doch. Zwar wußte kein Mensch darum, desto gewaltiger sprach die Stimme seines Gewissens in ihm: »Du bist ein elender, erbärmlicher Dieb! Noch 132 tausendmal schlechter als Deine Mutter, die nun ihr Vergehen büßt, während Du straflos ausgehst, täglich die Menschen betrügst, die Deinem ehrlichen Gesicht vertrauen und nicht ahnen, daß sich dahinter ein Dieb versteckt!« Eine unsägliche Angst kam über ihn, in dicken Tropfen stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Langsam schlich er auf den Boden, lehnte sich an eine Säule, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und schluchzte.

So traf ihn Lorenz. Erschrocken zog er dem Burschen die Hände vom Gesicht – als er aber auf alle Fragen, was ihm fehle, keine Antwort bekam, als die Bestürzung, das verstörte Wesen noch zunahm, zog er Christian in seinen Boden, schloß die Thüre, setzte sich neben den Fassungslosen und sagte ernst aber mild: »Christian, Dir liegt was Schweres auf dem Gewissen, ich merk's. – Hör' mich an! Du hast mich lang gedauert, daß Du mit sichtlichen Augen in Dein Unglück rennst und merkst es gar nicht! Ich habe mir auch vorgenommen, Dich zu warnen, Dir zu helfen, wenn's ging – wußt aber die Sache nicht recht anzupacken; ich wollt es gern dahin bringen, Du solltest selber an mich kommen! – Nun hast Du mich heut – weiß selber nicht wie's kommt – so gut verstanden, hast grade das gethan, was ich haben wollte – ich war schon voller Freude, weil ich denke, nun ist das Eis gebrochen! – Sieh, Christian, ich mein's von Herzen gut mit Dir, drum rede ich auch ohne Umschweife. Du hast was auf dem Gewissen! – Willst Du nun umkehren, schaffe zuerst das fort, es drückt Dir sonst die Seele wund und ist ein Hemmschuh bei allem Thun! Eine heimliche 133 Schuld auf dem Herzen, das ist ein Feind im Rücken, der einen nicht zur Ruhe kommen läßt, keinen Augenblick ist man vor seinem Angriff sicher. Eine heimliche Schuld auf dem Herzen ist ein Gespenst hinter Dir! Das zwingt Dich, Du mußt fort und fort zurückblicken, ob es noch nicht zum Sprung auf Deinen Rücken ansetzt – und dabei stolperst Du über einen Maulwurfshügel im Weg! – Christian, vertraue mir, sage mir ehrlich, was Dich quält, Du wirst sehen, es wird Dir leicht um's Herz! Was hast Du begangen?«

Christian kämpfte einen schweren Kampf; endlich aber legte er den Kopf müde an des Schreiners Brust und ein aufrichtiges Geständniß kam über seine zitternden Lippen. Lorenz drückte Christian die Hand, sonst war er still, er wollte dem Armen Zeit lassen, sich zu sammeln. Endlich sagte er: »Christian, ich danke Dir um Deinetwillen. Es ist ja freilich schlimm, arg schlimm, daß Du schon so weit gegangen bist, aber zu verzweifeln brauchst Du nicht, noch ist nichts verloren – freilich, hohe Zeit zur Umkehr ist's auch. Christian, denk ich wär Dein Vater – willst Du?«

»Ach Gott, Schreiner, wär's Euer Ernst?«

»Umsonst ist der Tod!« lächelte Lorenz. »Ich thu's auch nicht umsonst. Wenn Du mich als Deinen Vater ansehen willst, mußt Du mir in allen Stücken Gehorsam leisten. Willst Du?«

»Ich gelob's Euch!«

»Ich bin streng, Christian!«

»Je strenger, desto besser! Schreiner, mir ist als wär ich jetzt schon ein neuer Mensch – verlaßt mich nicht!«

134 Lorenz drückte seine Hand. Nach einer Pause begann er: »Eigentlich müßtest Du nun auch den Bestohlenen Dein Thun gestehen und sie um Verzeihung bitten – aber das sind rohe Kerle, Du wärest verschimpft, wie Du Dich auch fürder stellst. Willst Du es ihnen bei Heller und Pfennig ersetzen?«

»Doppelt und dreifach! Ich gelob's Euch.«

»Mag's dabei gut sein! Und nun, was ich weiter von Dir verlange. Gib mir Deine Tabackspfeife und versprich mir, daß Du keinen Zug thust, bis ich Dir's erlaube!«

»Da! – Ich – ich versprech's!«

»Fällt Dir's schwer? – Hilft nichts! Das war eines, zum Andern darfst Du keine Karte, keine Kegelkugel mehr anrühren, auch keinen Tropfen Bier trinken, den Du nicht ehrlich bezahlt hast! – Verstanden?«

»Ihr redet deutlich!«

»Zum Dritten endlich mußt Du überhaupt Wirthshäuser und liederliche Gesellschaft meiden und tüchtig arbeiten. Die Arbeit, Christian, das ist die Hauptsache. Und jeden Sonntag lies ein Capitel im neuen Testament! – So, das wäre ungefähr, was ich jetzt weiß – nach und nach wird noch mehr kommen. – Ja, daß ich's nicht vergeß: Aus dem Hirtenhaus mußt Du, je eher, desto besser. Sieh Dich nach einem Dienst um; auf großen Lohn darfst Du freilich noch nicht rechnen, das weißt Du selber, darauf kommt es auch für die erste Zeit nicht an, sieh zu, daß Du eine rechtschaffene Herrschaft findest, das ist die Hauptsache. Damit Du aber bis dahin nicht müssig gehst, kannst Du die Märmelsteine aufarbeiten. So – jetzt hebe 135 den Kopf auf, denn mit Jammern und Seufzen lockt man keinen Hund vom Ofen; freilich darfst Du auch nicht denken, mit einem ordentlichen Anfang sei schon Alles gut. Anfangen kann Jeder, aber aushalten, Christian, aushalten – da liegt's! – Geh jetzt hinunter und der Herrgott stehe Dir bei!«

 


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