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Georg erwachte. Ohne gleich zu wissen, was war, konnte er doch stracks und munter die Augen öffnen, fand sich erquickt vom kurzen Trunk traumlosen Schlafs, erinnerte sich aber jetzt, daß es geklopft hatte. Indem ertönte das Pochen wieder von der Tür her, Georg, sich erhebend, rief: »Herein!« die Tür öffnete sich, und es stand eine Gestalt von eben mittlerer Größe unerwartet darin, in einem feinen schwarzen Anzug; fast erschreckend aber war im ungemein zarten und weißen kleinen Antlitz die Erscheinung zweier Augen von tiefstem Kohlschwarz, deren Blick Georg erst Sekunden später aus sich ruhen fühlte, – linde, kam es ihm vor, überaus linde. Dahinter sah er nun auch den Maler.
»Ah Herr al Manach,« rief Georg erfreut und verwirrt, »wie schön von Ihnen! Treten Sie näher!«
Selber vorgehend, streckte er die Hand aus, fühlte sie von einer merklich kleinen, sehr glatten und weichen Hand kaum einen Augenblick ergriffen und fest umschlossen, und im nächsten schon sich selbst zurückgedrängt, ganz wie er war, auf fast unbegreifliche Weise unkörperlich, gleich als habe sein Wesen vom ganzen Wesen des Fremden einen magischen Druck erhalten, der ihn zurückwies.
»Welch angenehmer Aufenthalt!« erklang es jetzt melodisch. Der al Manach blickte sich freundlich um. »So schöne Gegenstände!« sagte er und umfaßte mit rundem, gleitendem Blick alles umher von der Alabasterschale hinter Georg über den grauen Rupfenvorhang der Bücherwand rechts zum kleinen Rundtisch, dicht neben dem Eingetretenen, – von gelber Kirsche mit eingelegtem Stern – vor dem breiten Mahagonisofa mit grüner Ripsbespannung, und wieder links hinüber zur Servante zwischen den beiden schwarzgoldenen, mit rötlichen Stricken umknoteten japanischen Reisekoffern am Boden. Und diese Dinge – Georg zu gewohnt, als daß er sie noch zu sehen pflegte – richteten sich nacheinander vor ihm auf und präsentierten sich freundlich und frisch.
»Nehmen Sie doch Platz«, bat Georg ein wenig verlegen, und der Fremdling ging mit leichter Bewegung durch die leere Zimmermitte zum Schreibtisch, wo er einen Augenblick durch das Fenster blickte, sagte: »Auch draußen, alles freundlich! Ein roter Hund kommt die Treppe hinab und geht über die Wiese ...« und begann, einen Arm auf die Platte gestützt, in dem offen daliegenden Handschriftbuche zu lesen. – Ja, Verse waren wohl Allgemeingut ...
Der Maler trat unterweil näher zur Servante und besah stillschweigend die schwarzen Widderköpfe mit vergoldeten Hörnern an den oberen Ecken, danach auf den zwei Brettern übereinander die kleine Sammlung von ein paar Frankenthaler und Höchster Gruppen, römischen Perlmuttgläsern, Ludwigsburger und Meißener Figuren, einer Mündener Terrine und einer großen himmelblauen Perlbörse mit Silberfransen, dieweil Georg erklärte, das wären so Dinge, die er im Hause zusammengeräubert habe. Nachdem er dem Maler eine kleine Gemüseverkäuferin mit buntgeblümtem Rock in die Hand gegeben hatte, zog der sich in das Sofa zurück, die Figur vor sich auf die blanke Tischplatte stellend.
Georg holte eine Zigarettenschachtel hinter dem Rupfen hervor nebst Streichhölzern; er und Bogner begannen zu rauchen, der al Manach winkte lächelnd ab.
Noch immer war es still.
Um etwas zu äußern, sagte endlich Georg, an den Büchervorhang gelehnt mit dem Gefühl, al Manach sei nun der Eigentümer dieses Zimmers und er selber nur Gast darin, – sagte, gleichsam vor sich hin, in bezug auf die Sachen umher: »Es ist ja nichts Besonderes, gar nichts Besonderes.«
»Ererbte Dinge sind schön«, hörte er einen Augenblick später die sehr melodische Stimme. »Ist es nicht so? Die Gegenstände, solange sie jung sind, haben alle den mehr leiblichen Glanz des Gemachten, und Jahrzehnte des Gebrauches erst, des Geliebtseins und liebenden Betrachtetwerdens fördern langsam die liebliche Seele an die Oberfläche und breiten ihr edles Leuchten darüber aus. Sehr arm ist die alterslose Marktware; ihre Seele stirbt, ehe sie sich auswuchs, und oft ist die beklagenswerte in ihrer Gebrochenheit traurig zu sehn.«
So ruhig und völlig zufriedenstellend klang das Gesagte, daß Georg kein Wort darauf wußte.
»Und dann,« fuhr die sachte Stimme fort, »dann giebt es wohl solche Augenblicke, wie den des Hereinkommens für mich, wo einem unvermutet und schön die Idee aufgeht und zuwinkt. Das schöne Wunder des Seins an sich – an all unsern Dingen –, das wir niemals ausbegreifen, und die einzelnen selber, die Ideen der Sachen, – auch Seelen dürfen Sie sagen –, stellen sich gern einmal dar durchaus nicht zu reden von Kostbarkeiten, nein vom Gewöhnlichsten, von Fenster und Tisch, Sofa, Schrank und dem Bett. Von alledem wird ja niemals gesprochen, wer hätte es je bedacht, – und doch würde eine Naturgeschichte der Gegenstände soviel liebenswürdiger zu lesen sein als ein Cuvier oder Brehm. Das Wunder des Naturgewachsenen, nicht wahr, erklärt sich immer wieder als Wunder eben aus sich selbst, – die Dinge jedoch –, bedenken Sie gütigst: ein Tisch ... was mochte nötig sein vom ersten Beginn bis zu dem dort! War es nicht ein Baumstumpf zuerst, vom Blitz zersplittert, mühsam mit der Steinaxt geglättet? Und dann war es ein Klotz, ein plumper Würfel endlich, aber wo, ja wo war der edle Erfinder, der – wie jener andre aus der Scheibe des Rades die Speichen schnitt – den unsterblichen Gedanken erfaßte, das ganze Innere einfach wegzunehmen, die Beine der Herumsitzenden bequem und traulich unterhalb zu vereinen und deshalb den ganzen Tisch gleichsam fortzunehmen bis auf sein Äußerstes, Gehöhltes, die vierbeinige Platte! Bis dann ein feiner Spätling am Ende das Ganze verdrehte und jene glänzende Blume mit flach entfaltetem Kelch aus ihrem einzigen Stiel bildete ...«
»Ach«, sagte Georg und blickte betroffen seinen Tisch an. – Unangelehnt vor der graden Rückwand seines Sessels aufrecht sitzend, machte der Sprecher eine Pause, die Hände gefaltet um das eine, übergelegte Knie. Er hatte, dieweil er sprach, unablässig dahin und dorthin geschaut, auf die Wände, ein Bild, auf Georg und den Maler, ein wenig unruhvoll und doch unruhig eigentlich nicht, und Georg, der die Augen nicht von ihm wenden konnte, nicht von diesem verschwindend schmalen und zarten blaßroten Mund, der sich bewegte, – Georg hatte nun bemerkt, daß die außerordentliche Schwärze seiner Augen vor allem daher rührte, daß die Pupillen, fast wie bei Tieren übergroß, das Weiße im Auge nahezu verdeckten. Die sehr weiße Haut des Gesichts war gleichwohl nicht bleich, sondern in der, dem Licht zugewandten Wange schimmerte innerlich ein zartes Blut. Fein wie Seide war das schwarze, gescheitelte Haar über der schrecklich schweren, rund gebuckelten Stirn, wie nach vorn gehöhlt vom unablässigen Nagen anwogender Gedanken. Georg bemerkte noch, daß die schwarzen Beinkleider nicht wie sein eignes sich zum Knöchel hinunter verengten, sondern im Gegenteil weit auseinander fielen, vom Knie erst ab – Georg hatte es entdeckt, als al Manach durchs Zimmer ging –, so daß nun die weiten Trichter über den feinen Knöcheln und schwarzlackenen Halbschuhn sich wölbten. Unsommerlich war das alles und ging doch ein Hauch von Kühle fast erfrischend davon aus.
»Fahren Sie doch fort«, hörte er sich selber unbewußt sagen.
»Gewiß, gern«, war die lächelnde Antwort. »Von den Sachen, ja? wovon mögen Sie hören? Allein ich glaube, der Herr Maler kam, um Gedichte zu hören? Nun, wie Sie wollen, denn da ließe sich ja manches vom Fenster erzählen, oder wäre es nicht verwunderlich, daß höchste Kulturen kamen und gingen, die babylonische und ägyptische, die jüdische, griechische und die römische, ohne gewußt zu haben, daß man Öffnungen ins Haus zu anderm Zweck schneiden könne, als um das Licht hereinzulassen und Rauch hinaus? Und er sogar, der das gläserne Fenster, der das Geheimnis des Aus- und Einsehens entdeckte, was bewog ihn, warum trübte er künstlich die seelenvolle Scheidewand, als sei es verwehrt, das traute Heiligtum der Familie fremdem Außenblick auszusetzen oder die Vorübergehenden auf der Straße der Belästigung geheimer Augen im Haus? Wann lebte er, wo ward er geboren, der den Traum vom gläsernen Glase träumte, den Menschen die gebrechliche Wand vor das Antlitz setzte, die doch keine war für den Blick, er, der Augen gab, ja ein ganzes Antlitz dem blicklos umdüsterten Haus? Welch ein Beglücker, nicht wahr? – Und nun könnten wir ja vom Bett reden, auf das noch niemand die erhabene Epopöe dichtete, von jener sichersten aller Galeeren, jenem vorzüglich bewährten Tauchboot im gewaltigen Atlant unsrer Träume. Warum befragte noch niemand das Wunder dieser einzigen und wahren Herberge auf Erden, wo die einzig göttlichen Gäste uns aufsuchen, in Händen die drei Gastgaben tiefster Lebensvorgänge: Geburt, verhüllt und blutig und schön mit der noch unangezündeten Fackel, Tod, verhüllt und ernst mit der erloschenen, und Liebe, hüllenlos mit der brennenden neben dem Vorhang?«
»Ja, nun ist es wohl an der Zeit, in Versen zu reden«, sagte er nach einer kleinen Pause und begann zu des staunenden Georg erschrockenerem Staunen eines seiner Gedichte, das im Buch aufgeschlagene vermutlich, auswendig herzusagen:
Der Heilige
Er war schon der Vollendung fast ganz nah,
Sein Blick entrückt und schon wie abgetan;
Schon trugen Fluten ihn, und er war Schwan.
Sie lauschten, wann sein Sterbesang geschah.
Fast war er nur noch Lied. Sein Körper glich
Der Fackel, die von innen sich verzehrt;
Und sichtlich war er auch von Gott geehrt,
Der Nägel Male duldend und den Stich.
Dann, sagt man, sei sein Leib hinweggenommen
Von Gott, denn daß ein Weib ihn nächtig stieß
Von ihrer Pforte, keiner wußte dies.
Und daß sein Leichnam nach dem Meer geschwommen.
Keiner gewahrte ja das rote Glühen
Am letzten Tag im dunklen Fensterglas.
Er sah allein im heiligen Gelaß
In der Madonna Bild die Lippen blühen.
Georg war hingerissen, so wundervoll klang es, – nicht das Gedicht – Georg verstand, ja hörte nicht einmal ein einziges Wort, – sondern der Strom der Sprache, der unsäglich mühelos, ohne die leisesten Erhebungen, von zartester Melodik in sich selbst, dahinfloß und verhallte.
»Ja, aber,« fragte er nun verstört, »woher können Sie das?«
»Mein Gedächtnis wünscht es so«, sagte al Manach ein wenig entschuldigend. »Ich las es vorhin, und nun – was ich auch lese, ich behalte es immer gleich auswendig, wenn Sie wollen auch andersherum,« und er fing an: »Blühen Lippen die Bild Madonne der in Gelaß heiligen –«
»Um Gottes willen,« schrie Georg, »das ist ja entsetzlich!«
»Nicht wahr? Und nun werde ich Ihren verwirrten Anmutston nicht eher wieder los als im Grabe.«
»Sie Ärmster!« klagte Georg, »aber was heißt verwirrter Anmutston?«
»Das ist der Ton, in dem Sie dichten. Ihre Gedichte sind köstlich, allein man versteht sie nicht.«
Die Selbstverständlichkeit, mit der das gesagt wurde, verhinderte Georg, sich gekränkt zu fühlen; immerhin fragte er: »Verstehen Sies auch nicht, Herr Bogner?«
Ehe aber der in seiner wüsten Schweigsamkeit die Oase eines Sprüchleins entdeckt hatte, hörte Georg den al Manach wieder:
»Gewiß, Sie und ich, wir verstehens, aber – das ist ja nicht: man.«
Georg lächelte schwach. Dieser sanfte Türke war scharf wie die Damaszenerklinge Sultan Aladdins, mit der er vor den Augen des löwenherzigen Richard ein seidenes Kissen spaltete.
»Ich will ja gern zugeben,« sagte er, »daß manches in diesem Gedicht anfangs dunkel bleibt, aber ...«
»Dunkel? Sollten Sie nicht: unklar meinen oder deutlicher: konfus? Sie können ja soviel! Die schmeichelnde Rilkeweis', Hofmannsthals Schwermutston, und Georges Tempelton haben Sie auch gut gehört.«
»Ja, das Gedächtnis!« seufzte Georg beschämt, »aber davon wissen Sie ja mehr als ich! Nein, sagen Sie mir, was verstehen denn Sie unter poetischer Dunkelheit, denn die ich meine, deckt sich eigentlich nicht mit Konfusion. Aber ich fürchte, Herrn Bogner wird das Theoretisieren kaum gefallen?«
»Theoretisieren ist schön«, sagte al Manach. »Theorien, nicht aufgestellt als richtende Götzen, sondern gezogen als Essenzen, formulierte Erfahrungen ...«
»Sie haben es gut ausgedrückt,« sagte Georg eifrig, »ich meinte immer –« Ein Blick der sanften Augen ließ ihn schweigen.
»Ich drücke alles gut aus«, sagte al Manach.
Es klopfte leise, Georg rief: »Herein!« Anna stand in der Tür. Er hatte sie vergessen.
Mein Gott, wie sah sie aus! Sie hatte sich umgezogen, trug ein Kleid aus schilfgrünem Tüllüberwurf über Weißem, ein weißes Fichu über der Brust gekreuzt, und ihr rosiges Gesicht mit den dunkelbraunen Augen war erleuchtet von innerer Seligkeit.
»Verzeihen Sie, wenn ich störe«, sagte sie, zog dann ein wenig kurzsichtig die Augen zusammen und erkannte al Manach, der sich erhoben hatte. Da lächelte sie, tief errötend, und ging mit leicht befangenen Bewegungen der Arme auf ihn zu. Als sie vor ihm stand, fast größer als er, sah Georg, daß er ihre Augen mit den seinen ergriffen hatte, daß er durch die Augen mit ihr redete, überaus leise, ganz ernst. Sie legte beide Arme um seinen Nacken und die Stirn auf seine Schulter. Er lächelte still vor sich hin. Georg mußte sich räuspern und empfand Scheu.
»Nun,« sagte al Manach, als sie sich sacht wieder von ihm entfernt hatte, von einem zum andern blickend, »da sind wir ja alle vier wie König, Dame, Aß und Bube im Kartenspiel.«
Georg zerbrach sich einen Augenblick den Kopf, wer nun hier König und wer der Bube war, denn al Manach – kein Zweifel – war das Aß, und zwar Treff, wie es Georg vorkam.
»Nun?« wiederholte al Manach indessen schon, Magda anblickend, »wie war es denn?«
»Ach, himmlisch!« Sie ging und lehnte sich wie Georg, der von seinem Rupfen nicht loskam, an den Vorhang. »Nein, Georg, das kann man nicht sagen! Nur mußte ich immer denken, daß du unten bleiben mußtest! (Georg hatte es ja immer gewußt, sie war ein Seraph!) und denk dir nur, als wir überm Wäldchen hinflogen, fuhr auf einmal der arme Artaxerxes daraus hervor, – er war doch nicht fortgekommen – und da traf ihn die Schraube und –«
»Also hatte ich doch recht gesehn!« rief Georg, »was ist aus ihm geworden?«
»Ich weiß nicht; er stürzte, mehr konnt ich nicht sehn, und ich war so traurig, daß ich gar keine Lust mehr hatte, aber dann wars doch zu schön, und wir sind aufs Meer hinausgewesen, aber dann bat ich den Leutnant, zu landen. In der Nähe des Wäldchens in den Wiesen gingen wir nieder, ach das war eigentlich greulich, wie im Lift, weißt du, wenn man so durch seinen eigenen Leib herunterfällt ... Und dann hat er mir noch geholfen, Artaxerxes zu suchen, aber wir haben ihn nirgend mehr gesehn. Gewiß ist ein Flügel gebrochen, und Papa wird ihn erschießen, er kann ja nichts Krankes leiden ...«
Georg versprach, sich ins Mittel legen zu wollen. Wie hübsch sie nun in seiner Nähe stand, die Hände hinterm Rücken, genau wie er.
»Oh,« sagte sie jetzt, das offene Gedichtbuch entdeckend, »hast du Gedichte gelesen? Und ich war nicht dabei ...«
Ihr Blick fiel ab, irrte am Boden, da schob sie den linken Fuß im weißen Schuh vor und rief: »Ach, Georg, mein Schuhband ist auf!«
Georg, jeden Zusammenhang glückselig erratend, war froh, für sein dunkles Erröten das lange Bücken beim Zubinden vorschieben zu können, als er aber schließlich aufsah, stand die Anna und blickte dem wieder sitzenden al Manach tief und süß in die Augen. War sie nicht eine Teufelin?
Sie fragte al Manach, ob die Gedichte ihm gefallen hätten. – Eins, sagte er, könnte er auswendig, und das wäre herrlich schön. Ja, jedes Wort wäre ganz ausgezeichnet, und wie sie so alle zusammengeraten wären, das sei nun gar fabelhaft. – Jetzt mache er sich lustig über ihn, schalt Georg, er aber widersprach. Da sei Gott vor, er habe sich in seinem ganzen Leben noch niemals lustig gemacht, und Georg sah es ein.
»Ach,« sagte er, »da fällt mir unser Tischgespräch ein, um von etwas andrem zu reden, – Sie können mich gewiß aufklären über etwas, worüber ...«
»Ja, das kann ich.«
»Reizend!« lachte Georg bei solch engelhafter Zuversicht. »Wir sprachen nämlich von der Liebe, und Onkel Salm, unser, Annas und mein Kindheitsonkel, Papas Sekretär, war so ungehalten, daß die ganze Literatur bloß von ihr handle, was Papa – und auch ich – wieder für ganz berechtigt hielt, – nur weiß ich im Grunde nicht recht, warum.«
Der al Manach hub an.
»Giebt es denn etwas Andres als Liebe? Zwei Irrtümer, Durchlaucht. Ihr Hintergrund – wäre unser dualistisches Wesen, allein das führt zu weit. Die lesende Bevölkerung nun ist des Glaubens, der Dichter, der ihr etwas erzählen wolle, nehme einen Stoff, tue ihn als Inhalt in eine Form, die er sich herlange, und sie trinke ihn – lesend – wieder heraus. Dem Dichter dagegen handelt es sich um die Form allein, die nicht er hat, sondern von der er weiß, daß sie dem Stoff innewohnt, wie die Wärme etwa in der Kerze. Der Stoffe wiederum giebt es nicht soviel, dieweil sie alle beim Durchforschen in einen Grundstoff übergehen, nämlich das Leid, das die Erde ist. Die Glut endlich, die Flammenkraft, welche den Stoff verzehrt und im Verzehren schmilzt und seine Form herausschmilzt, die ist das Liebesempfinden. Ein Liebesempfinden, das im Daseinsganzen so ist wie das Blut in Ihrem Körper: wo Sie ihn auch ritzen mögen, tritt es hervor; als Kraft und im Wesen einzig, in Erscheinungen tausendfältig, ist es das Ursprüngliche, alles Erfüllende, bei allem Mitwirkende, alles Beherrschende, immer und immer wieder aber am wundervollsten kenntlich, wie die Winternacht am Orion, an den wandellosen Gestalten des Liebenden und der Geliebten.«
Er schien eine Pause zu machen. Georg sah Anna – und es verwunderte ihn – nicht mit Augen an dem redenden Munde haften, sondern still vor ihre Füße niederblicken, mit so gesammelten Zügen jedoch, daß sie ihm so von oben und von der Seite – da sie den Kopf gesenkt hielt – wie zusammengezogen schienen von innerer Gespanntheit.
Al Manach fuhr fort, von neuem, wie ein Zauberkünstler ein meilenlanges Band aus dem Ärmel, den unendlich scheinenden Faden sanft gleitender Rede aus der Brust hervorzuziehen.
»Sie, Durchlaucht, haben alles gelesen, haben daher, wenn Sie ›die Welt‹, wie man zu sagen pflegt, betrachten, nicht die wirkliche vor sich, sondern die in der Literatur beschriebene, und zwar die Europas. Da leuchtet Ihnen nun die romanische Art oder Form besonders ins Auge, weil sie die der Sensation und Affekte, oder sagen wir, der Schreckungen und Erregtheiten ist, die der Gipfelungen, die theatralische, die in nichts einen so flammenden Ausdruck finden kann als in Liebesleidenschaft. Ja, da ist alles einmalig und abgeschlossen, diesseits nichts noch jenseits, das Leben spült nicht hindurch, sondern fängt damit an und endet. Romeo und Julia; Tristan und Isolde. Ja, wäre der Deutsche aber nicht der große Mannigfaltige? Dann könnte auch ihm die einzige Gestalt des Paolo-und-Francescischen, ewig umschlungen dahinwirbelnden Liebespaares genügen, aber das tut es freilich nicht, denn er weiß, dieser hundertfältige Deutsche, was ich bereits sagte: die Einzigkeit, aber Tausendförmigkeit unserer Liebe. Darum hat er auch die epische Art – wo nicht die lyrische – hat die Ebene, das Schweigen, das Unendliche. Dieser seltsame Hebbel, nicht wahr, dieser Ebenensohn, da mußte er nun seine gesteigerten Ideen in Griechen und Juden verkörpern, wir aber leben ja wohl wie die Menschen des geliebten Theodor Storm, einsam, schweigsam, immer unterdrückend, was uns am feurigsten zur Eröffnung treibt, nicht aufbrausend, sondern alternd, nicht erkämpfend, sondern verzichtend, – und immer geht es weiter, keine Welle erstarrt zur bleibenden Form, es sei denn Erinnerung, – ja, wir sind die Menschen der Erinnerung, das breite Volk, das wie ein Meergreis aus ungeheurer Sage stieg. Nun wächst es in der Ewigkeit langsam und blüht wie die Aloe einmal alle hundert Jahr. Ach, nichts hör ich doch so gern wie die einzigen süßen Zeilen des armen Schlemihl, der ein Deutscher sein wollte und nicht durfte: »Ich denk als Kind mich zurücke – Und schüttle mein greises Haupt ...«
Er schloß verhallend, ein wenig verwirrt, schien es Georg, schon gegen Ende seiner Rede, aber jetzt, während Georg innerlich an die Stelle von der Ebene in Bennos Brief geraten war, hörte er den al Manach wieder sprechen, hörte eine Weile zu und erschrak. Es war ein sinnloses Durcheinander von halben Sätzen und Worten, und er selbst saß schief da, der Kopf hing, die Augen starrten schräg an den Boden, die Lippen bewegten sich unaufhörlich. Anna trat vor und streckte die Arme aus. Er schien dies zu bemerken, fuhr mit einem Ruck in sich zusammen und empor, lallte etwas, sah lächelnd umher und sagte leise und ganz schnell, als ob es eile:
»Es war sehr töricht von mir, Gedichte zu lesen und Verse zu sagen, nun kommt das Zitieren, ja, ich habe das so, es kommt vom Gedächtnis, es ist ein Anfall, ein Katarrh, eine Cholera, es ist nicht so schlimm, es kommt zuweilen, dann will alles wieder heraus, wo soll es auch alles bleiben, bitte, haben Sie wohl ein Lexikon?«
Aussehend, als ob er niesen oder sich übergeben müsse, stand er auf, trat zur Bücherwand, raffte den Vorhang auf, nahm ein großes Buch unten heraus und sagte: »Das Homerlexikon von Seiler Kapelle für den Schulgebrauch, das ist sehr gut, ich lerne es auswendig, wenden Sie sich später bitte an mich, wenn Sie es verlieren sollten«, und lief zur Tür. Klein, schwarz und geduckt stand er dort einen Augenblick, den Türgriff in der Hand, drehte sich um, kam auf Georg zu, krampfhaft beflissen, ohne aufzuschaun, faßte seinen obersten Westenknopf, und es war, als ob seine Augen aus ihren Höhlen kriechen und dort hinein wollten, während er eilfertig flüsterte:
»Poetische Dunkelheit, daß ichs nicht zu sagen unterlasse, sonst plagt es mich in die Ewigkeit, wird auch von sonst klugen Köpfen häufig mißverstanden, nämlich sie, die wirkliche, ruht hinter den dargestellten Dingen als der mystische Grund, die mißverstandene dagegen ist vor sie gehängt als verwirrender Schleier. Unter poetischer Dunkelheit also verstehe ich die Kunst, ahnen zu lassen, anstatt zu sagen, die Andeutung des Tieferen, Eigentlichen, die Kunst, den Schein zu sehen an Stelle –«
Georg, recht verzweifelt, suchte den Strom zu unterbrechen, indem er sagte: »Natürlich, natürlich, ich verstehe Sie recht gut, nur meine ich, grade das auch erreicht, ich meine bezweckt –«
»Nein, dann haben Sie mich nicht verstanden«, ging es unaufhaltsam weiter. »Sie haben die Absicht gehabt, den Leser im Ungewissen, im Halbklaren zu lassen, ihn selbst erraten zu lassen, was mit Ihren Heiligen geschieht. Sie mochten das nicht deutlich sagen, und das ist das Konfuse, denn das hätten Sie eben grade einfach erzählen sollen, und das wäre hier die Sache selbst gewesen, hinter der Sie das Geheimnis, das Mystische, die Seelenzustände, die Metaphysik, die Symbolik, die poetischen Schauer, die Ahnungen, die Ahnfrau und das Kloster von Sendomir hintenrum, postume, eheu fugaces!« Er schluchzte jammervoll und schlich, die Knie gekrümmt, mit hängenden Armen und Kopf, das schwere Buch unten an der linken Hand hangen lassend, hinaus.
Magda stand und sah ihm nach. Einen Augenblick später begann sie heftig zu zittern, wandte sich von Georg, der die Arme hob, ab, warf die ihren hoch und gegen den Büchervorhang und legte das Gesicht dagegen. Selbst Bogner saß und betrachtete das bunte Figürchen in seiner Hand überm Tisch auf absonderlich vertiefte Art. Georg drehte sich um, trat an den Schreibtisch und sah hinaus. Niemand sprach.
Auf einmal sah er, zufällig sich überbeugend, den kleinen schwarzen Jason ganz rechts aus der hohen Glastür des Speisesaals im Winkel der Terrasse heraustreten, die Tür sorglich hinter sich schließen und – nicht anders zusammengesunken und hangend als eben durchs Zimmer – über die Steinfliesen zur Treppe und schräge hinunterschlürfen. Wie ein großer Affe sah er aus, ja, so grauenvoll war er, der wie ein zarter Cherub ins Zimmer getreten war, zurückverwandelt worden. Da war er ein Stück in den Rasen hineingelaufen, blieb, als dürfe er das nicht, plötzlich stehn, drehte um, ging zum Wege zurück und mitsamt seinem Schatten im Bogen unter dem Nordflügel her bis ans Ende, wo er um die Ecke verschwand.
Georg hörte Magdas Stimme hinter sich, sehr leise und innig verzweifelt:
»Wie ist das wohl zu verstehn? Als ich vor seinem Bett stand am Mittag, da dacht ich, es wäre ein Kind. Als ich vorhin hereinkam und er mich ansah, das war – als wenn er vor Jahrhunderten schon gelebt hätte ... Und – nun ist es aus ...«
Überdem war Jason die Wendeltreppe heraufgestiegen – Georg hatte seinen Schatten in der Fensterscharte wohl gesehn – und erschien nun, hinter dem ersten Fenster vorüberschleichend, hinter dem zweiten – – Georg atmete auf. Er hatte in sein Zimmer gefunden.
Georg zerbrach sich vergebens den Kopf, gleichzeitig um zu erfahren, was alles jetzt in Annas Innern vor sich gehn mochte, und etwas zu erfinden, um sie davon abzulösen und zu erleichtern. Alles mögliche kreuzte durch sein Hirn hin und her. Wie dichterisch dieser seltsame Eindringling doch zu Anfang gesprochen hatte und wie lehrhaft am Ende, Bennos Brief und die Worte vom himmeltragenden Atlas, Iris Runges überschlanke Erscheinung im Tanzkleid, Ballgetümmel, und auf einmal der Name Angelika, fern, fremdartig, dann der andre Jason al Manach, diese merkwürdige Mischung von türkisch und griechisch – während er selber doch von sich als Norddeutschem gesprochen hatte –, war es ein Pseudonym? – und jetzt sah er den Umschlag des dicken Romans Jettchen Gebert mit der Biedermeiergestalt der Henriette – ihr Onkel hieß ja doch Jason ... Ja, konnte denn Bogner nicht etwas sagen?
Als Georg endlich wagte, sich umzudrehn, sah er Anna erst gar nicht, dann hinter der Bücherwand einen Streif des lichtgrünen Kleiderrocks; sie war in den Rahmen der Tür zum Schlafzimmer zurückgewichen und blickte unbestimmt auf das Porzellanfigürchen, das Bogner noch immer in der Hand drehte und betrachtete.
Er sah aber jetzt auf, räusperte sich, stellte die Figur nieder, klopfte mit der rechten Hand gegen die Brusttasche und sagte:
»Ich möchte wohl, wenn es Ihnen recht wäre, Ihnen etwas vorlesen.« Er lächelte. »Keine Gedichte, nein, nur einen –« er holte seine Brieftasche hervor und schlug sie auf, »– einen Brief.« Und er nahm einige bläuliche, zusammengelegte Bogen hervor, öffnete, sah hinein und legte sie vor sich.
Magda glitt in die andre Ecke des Sofas neben der Tür, legte die Hände zwischen den Knien zusammen, die Arme fest andrückend, und sagte mit zusammengezogenem Munde leise: »Ach bitte!«
Georg hatte sich kaum in dem Lehnstuhl niedergelassen, als Bogner, Erklärungen augenscheinlich vergessend, zu lesen begann.
»Ich denke oft, für die Menschen, die keine Kunst hervorbringen, sondern nur empfangen können, ist die Musik soviel, wie der Himmel mit Wolken und Sternen, ein Vergleich, den ich heut einmal weiter ausführen möchte.
»Die verschiedenen Künste bauen uns, möcht ich sagen, eine wunderbare Stadt. Architektur natürlich baut die Häuser darin, legt Brücken, Alleen, die Plätze und Kanäle an. Der Bildhauer schmückt die Fassaden, die Plätze mit springenden Brunnen und nackten Statuen, fahrende Sänger ziehn durch die Tore ein und versammeln das Volk auf den Plätzen, in den Theatern dröhnen die Stimmen des tragischen Chors, die Malerei ziert Säle und Gemächer, und es ist Handel und Wandel, Schiffe legen an den Kais an, ein unaufhörliches, fruchtbares und eiferndes Getriebe herrscht, soviel Leben, köstliche Unrast, Genuß, Arbeit und tausend Freuden. Länder dienen der Stadt wie Fürsten, an den fernsten Küsten denkt man an sie, sehnt sich nach ihr, sie ist die Heimat. Sie ist im Ganzen eine richtige Menschenstadt, eine schöne wie Hamburg oder Kopenhagen oder Budapest. Eine Stadt aber ohne Himmel.
»Ach, es giebt keinen Himmel in Berlin, lieber Freund! Jetzt, wo ich ein paar Wochen heraus bin, weiß ich es ganz. Liebster, haben Sie je, wenn Sie in eine kleine Stadt irgendwo tief im Land gewandert waren, Lüneburg oder Braunschweig oder auch Maulbronn, haben Sie auch bemerkt, wie wundervoll es ist, in allen Fenstern den verdunkelten Widerschein des Himmels mit den Wolken zu sehn, entzückend, wie sie sich durch die Gardinen bewegen? weil die Häuser niedrig sind, die Straßen breiter scheinen. Und über allen Dächern sehn wir ihn ja stehn, den Himmel, und die Wolken sieht man, ohne erst den Kopf danach verdrehen zu müssen. Und bei Nacht, die kein Lichtergewimmel zu einem lügnerischen Tage macht, hat man in den Bäumen seines Gartens die wirklichen Sterne, die im Gezweige stehn und einem so gut gehören wie der liebe Baum. Dann geht man nur auf die Straße, so steht der Sternenhimmel mit allen vier Ecken auf der Erde – das ist die einzig wunderbare Kuppel der Musik, der göttliche Bau in ewig unbegreiflichen, in unbegreiflich ewigen Gesetzen.
»In einer solchen Stadt atmet sichs! Das Bewußtsein, daß der Himmel da ist, erwärmt das Blut, wir werden leicht. Ach, ich habe nie begriffen, was Kant damit will: die Gestirne über sich und – –. Nun, was kann da noch für irgendein Und kommen, wenn er schon das über sich hat!
»Schön, schön ist ja auch das Andre, Bilder – weiß ichs nicht, mein Freund? –, die uns nur staunen lassen, daß ein Mensch dies gemacht hat, aber dennoch meine ich – zürnen Sie mir nicht, es ist ja doch nur Armut, die das meint – die Musik macht uns schweben. Nicht schweben, es ist mehr, es ist – – denken Sie einmal an das, was sogar Sie rührte, an die ersten, aus der Ewigkeit fallenden Tropfen der letzten Symphonie! – sie sind ja wie der Beginn der Schöpfung. Nicht das: Es werde Licht! nein, viel früher, das erste, verträumte Aufwachen Gottes aus dem langen Schlaf, in dem er alles träumte, was werden sollte. Denken Sie daran, und sogar Sie werden fühlen: es ist, als ob die Erde unter uns wegsinkt, als würde der Boden sanft unter uns –«
»Ja, ja, um Gottes willen!« schrie Magda auf, sich vorwerfend, »so wars! so war es, als wir flogen, ich konnt es ja nicht beschreiben! Bitte, lesen Sie weiter!«
»– als würde der Boden sanft unter uns, es weicht und giebt sich uns zugleich hin wie ein Frühling, es ist, als ob die alte harte Erde die Anziehungskraft leise wegnähme, so daß wir leicht werden wie die Tauben, als hätten wir Luft um alle Glieder gehüllt, und wir denken doch nicht an Fliegen, eher wir sinken, und alles, alles schmilzt.«
Magda saß mit gefalteten Händen, tief atmend, mit den Augen erregte Kreise ziehend auf der Platte des Tisches.
»Die beseligende Leichtigkeit verbreitet wunderbare Heiterkeit, in Unendlichkeit mögen Gut und Böse liegen und alle moralischen Begriffe, wir sehn unter uns ewige Länder in der Tiefe hinschwimmen, die schöne Stadt vielleicht in der Sonne, mit wandelnden Wolkenschatten bedeckt, das blaue Meer in Meilentiefe mit winzigen Segeln, bald nur noch marmornes Blau und der Gesang der Engel, die in Scharen durch alle Fernen ziehn.
»Verstehen Sie mich, lieber Freund: unendlichen Reichtum geben uns alle Künste, doch ist er noch schwer; wir müssen ihn tragen, wie der Herbst, wie alles Irdische getragen sein will. Der Himmel läßt sich nicht tragen, er hebt, er trägt uns. Leicht sein ist alles.«
»So weit«, sagte Bogner, faltete seine Briefblätter zusammen, nahm die Brieftasche wieder hervor, legte die Blätter hinein und steckte sie fort. Magda sah ihn dankbar an und wagte zu fragen, wer das geschrieben habe.
»Die mit dem Schatten des Falters – dort!« sagte er, in der Richtung des Klaviersaals deutend. Dabei schien Magda, die eben den Mund öffnete, etwas einzufallen, sie erschrak leicht und fragte: »Bitte, wie spät ists, Georg! Deine Mama bat mich, gegen fünf etwas Harmonium zu spielen.«
Es sei eben fünf Uhr gewesen, sagte Georg, und sie stand auf und ging, jedem der beiden zulächelnd, schneller hinaus, als daß Georg hätte fragen können, ob sie nicht mitkommen dürften.
Nun war es noch stiller geworden. – Eine Frau hatte das geschrieben? Welch sonderbarer Geist! Nun saß sie für ewig dort und sah empor, wo der unsichtbare Falter flog. Aber wie dieser Bogner das wieder heilsam getroffen hatte mit seinem Vorlesen! – Überdem sah Georg, der sich im Sitzen nach dem Fenster, nach dem Klaviersaal hinübergewandt hatte, wo alle Vorhänge gegen die Sonne geschlossen waren, den äußersten linken sich bewegen, er teilte sich und glitt auseinander, Anna erschien, das Fenster aufriegelnd und draußen einhakend. Sie schwand, und gleich darauf wurde das Brausen des Harmoniums in der stillen Leere hörbar.
»Sie sind wohl nicht musikalisch?« fragte Georg den Maler. Der verneinte, erklärte aber, Musik gern zu hören.
»Dann«, sagte Georg erleichtert, »können wir ja auch hinübergehn. Anna hat viel gelernt, und voraussichtlich wird es Bach sein; Mama liebt ihn besonders, er ordne ihre Gedanken, sagt sie. Sie wissen ja, wie krank sie ist.«
Bogner erwiderte nichts, und so gingen sie stillschweigend über Flure und Billardzimmer hinüber.