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Ein paar große Waschkörbe voll frisch gewaschener Wäsche standen im Zimmer; ein langer Tisch war aufgeschlagen, Gretchen hatte eine große, weiße Hausschürze an und sollte zum erstenmal helfen bei dem Geschäft, die Wäsche einzuspritzen, zu legen und zum Mangeln und Bügeln zuzurichten. Zunächst machte sie ein etwas bedenkliches Gesicht dazu; sie wollte sich zwar gerne nützlich machen im Haus, aber in diesem Gebiet war sie noch ganz unbekannt, und gemeinsam mit Franziska war sie überhaupt noch nie tätig gewesen, sie kam sich fremd vor im eigenen Haus. Frau Reinwald wies ihr den Platz neben sich an, übergab ihr einen Pack Taschentücher und zeigte ihr, wie dieselben gespritzt und gelegt werden sollten. Sie selbst und Franziska nahmen größere Stücke aus den Körben und fingen an, sie auszuziehen und zu legen. »Sieh zu, wie wir das machen, damit du es ein andermal auch besorgen kannst,« sagte Frau Reinwald.
Gretchen sah zu; daß es der Mutter flink von der Hand ging, war wohl natürlich; daß aber auch Franziska, die erst neunzehn Jahre alt und kaum größer als Gretchen war, die Sache schon so geschickt angriff, ja, daß sie gleich ein leinenes Tuch von einem baumwollenen unterscheiden konnte, wunderte Gretchen sehr und war ihr nicht recht; denn ihr eigenes Ungeschick kam ihr dadurch nur größer vor. Das Geschäft war kaum im Gang, als die Hausglocke ertönte und Besuch zu Frau Reinwald kam. Gretchen war sehr ärgerlich, daß die Mutter abgerufen wurde und sie allein mit dem Mädchen bleiben mußte. So langsam wie möglich legte sie die Taschentücher; denn sie wußte ja nicht, was sie nachher in Angriff nehmen sollte, und sie mochte Franziska nicht fragen. Als endlich trotz aller Langsamkeit die Taschentücher doch erledigt waren, griff Gretchen aufs Geratewohl in den Waschkorb, nahm das oberste Stück heraus und spritzte es ein. »Aber Fräulein,« sagte Franziska lachend, »die Herrenhemden werden doch nicht eingespritzt, die werden doch gestärkt!«
»Ja, das ist wahr,« sagte Gretchen, legte das Hemd zurück, nahm ein Stück aus einem andern Waschkorb und fing wieder an einzuspritzen. Diesmal lachte Franziska laut auf. »Aber Fräulein, merken Sie denn nicht, daß das alles schon gespritzt ist? Dort hinten steht der Korb mit den Kissenüberzügen, nehmen Sie doch die!«
Gretchen folgte dem Rat und die beiden verrichteten stillschweigend ihr Geschäft. Mit Lene hatte Gretchen bei solchen Gelegenheiten immer fröhlich geplaudert, und dies Schweigen war ihr bedrückend. Aber die Mutter hatte ihr anbefohlen, dem noch fremden Mädchen gegenüber nicht so mitteilsam zu sein, wie sie es bei Lene gewohnt war; so sagte sie nichts und auch Franziska verhielt sich ganz stumm. Im stillen verwünschte Gretchen den Besuch, der die Mutter so zur Unzeit abhielt, und dachte: »Wenn sie nur wenigstens kommt, ehe ich die Kissenüberzüge gespritzt habe und sie gelegt werden müssen, denn sonst lege ich sie sicher verkehrt!« In dieser Sorge zögerte sie ihr Geschäft wieder möglichst lang hinaus, während Franziska um so rascher arbeitete und Stoß um Stoß auf ihrer Seite entstand.
»Wenn wir heute mit all der Wäsche fertig werden sollen, darf man schon tüchtig vorwärts machen,« sagte sie, und Gretchen konnte die Mahnung auf sich beziehen; denn ihre absichtliche Langsamkeit mußte wohl den Eindruck von Faulheit machen. Franziska fing nun an, die Kissenbezüge zu legen, und Gretchen hätte ihr gerne abgesehen, wie sie das machte, aber vom andern Ende des Tisches konnte sie es nicht so genau beobachten. Da kam eine erwünschte Unterbrechung – es klingelte wieder und das Mädchen mußte hinaus, die Türe zu öffnen. Gretchen zog rasch das von Franziska halbgelegte Stück an sich, um zu sehen, wie es gelegt war; aber sie stieß dabei an die große, mit Wasser gefüllte Schüssel, diese kippte um und leerte sich am Rand des Tisches aus. Schnell schob Gretchen die vom Wasser bedrohten Stöße Wäsche beiseite, sie hatten nur einen kleinen Spritzer bekommen, auch der Tisch war nicht sehr naß, das meiste war hinuntergeflossen. »Das ist noch gnädig abgegangen, dachte sie. Sie ging mit der fast leeren Schüssel hinaus, um sie wieder zu füllen und bat Franziska, mit dem Putzlumpen hereinzukommen. Diese tat es ohne weitere Bemerkung; aber sie war kaum im Wäschezimmer angekommen, als sie einen großen Lärm aufschlug: »Ach du meine Güte, was ist das? Sie haben ja das Wasser in den Waschkorb geschüttet, in dem die Leintücher und Tischtücher sind; ja, haben Sie denn das nicht gesehen?«
»Nein,« sagte Gretchen, »ich habe gar nicht beachtet, daß das Wasser hinuntergeflossen ist.«
»Ja, es fließt meistens hinunter und selten die Wand hinauf,« rief Franziska schnippisch. Gretchen bemerkte erst jetzt, daß der Hauptstrom sich in den unter dem Tisch stehenden Korb ergossen hatte. Zunächst kam ihr Franziskas Entsetzen noch übertrieben vor: »Das Unglück wird nicht so groß sein,« sagte sie, »es war ja reines Wasser und die Leintücher sind noch nicht eingespritzt.«
»Aber sehen Sie doch nur her; meinen Sie denn, so etwas könne man legen? Es ist ja naß, wie wenn es aus dem Waschzuber käme! Ach du meine Güte, das muß ich alles noch einmal aufhängen! Hätten Sie es doch gleich aus dem Korb genommen, dann wäre nur das oberste naß geworden. Franziska nahm ein Stück nach dem andern heraus, und bei jedem fing sie aufs neue an zu jammern. Gretchen war sehr niedergeschlagen und stand ganz zerknirscht da, als die Mutter, nachdem sich ihr Besuch endlich verabschiedet hatte, wieder erschien. Frau Reinwald sagte nicht viel, prüfte den Schaden, suchte aus, was aufgehängt werden mußte; sie war aber sehr ernst dabei, und Gretchen empfand es als eine wahre Erlösung, als dieser unangenehme Nachmittag überstanden war.
Herr Reinwald hatte mittags von Gretchen erfahren, daß sie an diesem Nachmittag in das Wäschezimmer eingeführt werden sollte, hatte mit ihr darüber gescherzt und ihr neckend Böses vorausgesagt. Gretchen war es nun schon angst, bis der Vater danach fragen und von ihren Mißerfolgen hören werde. Richtig – sie hatte ihm kaum den Tee eingeschenkt, als er sie auch schon fragte: »Nun, und wie ist's meiner großen Tochter heute nachmittag gegangen?« Gretchen errötete und die Mutter sagte: »Nicht besonders gut.« Aber die erwartete Neckerei blieb aus; der Vater hatte immer ein feines Gefühl dafür, ob eine Sache scherzhaft oder ernst war; so sagte er bloß zu Gretchen: »Denke an den Ausspruch: ›Aller Anfang ist schwer, am meisten der Anfang der Wirtschaft!‹« Und dann brachte er das Gespräch aus anderes. Gretchen hätte ihm gern einen Kuß gegeben aus Dankbarkeit dafür, daß die nassen Leintücher sich nicht auch über den behaglichen Teetisch breiteten.
Herr Reinwald ging nach dem Essen noch aus, um eine Versammlung zu besuchen, und Gretchen hatte die Mutter allein für sich. Es war ein trauliches Abendstündchen. »Mutter,« begann Gretchen bittend, »gelt, ich muß nicht so bald wieder mit Franziska solche Geschäfte tun, es ist mir unausstehlich.«
»Das habe ich wohl bemerkt, aber ich möchte nicht, daß du den Schwierigkeiten gleich aus dem Wege gehst; du mußt doch lernen, sie zu überwinden.«
»Wohl, aber daß nichts Gescheites herauskommt, wenn Franziska und ich miteinander arbeiten, hast du ja selbst gesehen.«
»Du wirst nicht jedesmal eine Schüssel umstoßen, du bist ja sonst nicht so ungeschickt, und etwas Lehrgeld müssen wir alle bezahlen.«
»Aber auch vorher, ehe die Schüssel umfiel, war es so ungemütlich, weil ich mich gar nicht auskannte mit der Wäsche und Franziska nicht fragen mochte; denn wenn sie merkt, daß ich gar nichts verstehe, hat sie keine Achtung vor mir. So muß ich mich immer stellen, als ob ich etwas könnte, wo ich doch nichts kann, und das ist mir so zuwider!«
»Das ist auch ganz und gar verkehrt. Glaube nur nie, daß du etwas Gutes erreichst, wenn du dir den Schein gibst, mehr zu sein als du bist.«
»Aber wenn sie sieht, daß ich so viel weniger verstehe als sie, so wird sie nicht viel von mir halten.«
»Von deinen häuslichen Kenntnissen nicht, aber das ist auch nicht nötig. Wenn sie sieht, daß du deine Pflicht tust, so gut du eben kannst, wird sie dich dennoch achten.«
»Hätte ich sie denn heute fragen und mir alles von ihr zeigen lassen sollen?«
»Ganz gewiß; du kannst jederzeit ruhig zu ihr sagen: wie macht man denn das, davon habe ich gar keinen Begriff; wenn ich nur auch schon so geschickt wäre wie Sie! Das wird dem Mädchen den Eindruck machen, daß du aufrichtig und nicht hochmütig bist, und sie wird dich um dessentwillen lieb haben, anstatt sich zu freuen, wenn dir etwas mißlingt.«
»Aber noch eines, Mutter; du hast doch gesagt, ich solle nicht so viel mit ihr sprechen, wie mit Lene; es kommt mir aber so unfreundlich vor, wenn man so schweigend zusammen an einem Tisch arbeitet.«
»So war das auch nicht gemeint. Natürlich darfst du nicht mit einem Mädchen, das wir so kurz erst kennen, rückhaltlos über unsere Angelegenheiten reden, wie du es von der Kinderzeit her mit Lene gewöhnt warst; aber es gibt genug Dinge, über die du mit ihr sprechen kannst. Denke, wie fremd sie hier ist und wie sie es wohl oft schmerzlich vermißt, daß niemand etwas weiß von ihrer Heimat und ihren Angehörigen. Frage sie nach ihrem Heimatort, ihrer Schulzeit, ihren Geschwistern, da wird ihr das Herz aufgehen, und es wird ihr wohl tun.«
Wo ein guter Rat auf klaren Verstand und guten Willen trifft, da wirkt er. Gretchen verstand und wollte.
Am folgenden Tag war Frau Reinwald für den Nachmittag eingeladen. Sie hatte kaum das Haus verlassen, als Gretchen das Mädchen in der Küche aufsuchte.
»Franziska, wo sind wohl jetzt die nassen Leintücher?« fragte sie.
»Sie hängen noch oben in der Dachkammer.«
»Sind sie schon so trocken, daß man sie abnehmen könnte?«
»Warum? Die gnädige Frau ist ausgegangen, allein kann ich sie nicht legen und überdies muß ich Fenster putzen.«
»Ich frage nur deshalb, Franziska, weil ich doch schuld daran bin, daß die Wäsche jetzt noch hängt, während die Mutter sie so gerne noch diese Woche fertig gemacht hätte. Ich dachte, ob wir die Mutter nicht damit überraschen könnten, daß die Leintücher alle schön gelegt wären, wenn sie heute abend heimkommt. Ich weiß freilich gar nicht, wie man sie legt. Sie müßten mir's eben zeigen und Geduld haben, wenn ich mich wieder so dumm anstelle.«
Franziska schien unentschlossen, was sie antworten sollte.
Gretchen ließ nicht nach. »Geht's wegen des Fensterputzens nicht recht?« fragte sie; »ich habe um vier Uhr eine französische Stunde zu geben und komme erst gegen fünf Uhr heim, bis dahin könnten Sie doch gewiß fertig sein mit den Fenstern, und dann haben wir immer noch zwei Stunden Zeit; die Mutter kommt gewiß nicht vor sieben Uhr.«
»Meinetwegen,« sagte Franziska, »ich will die Wäsche nachher aus der Kammer holen und zurichten, bis Sie aus der Schule kommen.«
»O, das ist recht,« rief Gretchen und richtete sich zum Gang in die Schule.
Ihre kleine Schülerin machte ihr wohl Freude; aber still und verschlossen war sie noch immer, und Gretchen fragte sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis das verschüchterte Kind endlich Zutrauen fassen würde. Sie konnte ein solch ängstliches Wesen nicht recht verstehen. Fräulein von Zimmern, die in jeder Stunde, wenn auch nur auf wenige Minuten, erschien, bemerkte wohl, was Gretchen vermißte und ermahnte sie zur Geduld. Auch heute war Ruth wieder ganz einsilbig, und Gretchen war froh, daß sie nur eine halbe Stunde bei ihr ausharren mußte. Eilig ging sie nach der Stunde heim. Sie freute sich auf die geplante Überraschung für die Mutter, fürchtete sich aber auch auf das schwierige Geschäft.
Franziska hatte wirklich schon alles so weit gerichtet, daß das Werk gleich beginnen konnte. Zuerst »strecken«, dann »ausschlagen« und dann »legen«, und nur nicht auf den Boden streifen, das waren Franziskas Vorschriften. Diesmal war Gretchens Bestreben nicht: »so langsam wie möglich«, sie tat alles mit Eifer und fand es gar nicht so schwierig. Ja, beim vierten Stück brauchte sie schon nicht mehr ihre ganze Aufmerksamkeit darauf zu wenden und konnte ein Gespräch anknüpfen. Sie hatte sich wohl der Mutter Vorschläge gemerkt. Erster Gesprächstoff: Heimat; zweiter: Schule; dritter: Geschwister. So fragte sie zuerst, wieviel Franziskas Heimatort Einwohner habe. Darüber wußte aber Franziska keinen Bescheid zu geben. Nun kam die Schule an die Reihe; die gab schon besser aus. Zuletzt die Geschwister: zehn! Bei dieser Frage ging Franziska das Herz auf, und sie war noch im besten Zug mit Erzählen, als der Korb leer war, offenbar zum Bedauern des Mädchens. Aber es war doch nicht zu frühe; denn schon kam Frau Reinwald nach Hause. Sie freute sich über die schön gelegten Leintücher, freute sich mehr, als Franziska recht begreifen konnte, die freilich nicht wußte, daß dieser Stoß Wäsche der Mutter zeigte: Dein Kind geht den Schwierigkeiten des Lebens nicht aus dem Weg, es überwindet sie!