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Frau Elisabeth war der lutherischen Religion sehr eifrig zugetan und wünschte daher, daß dieser Religionseifer auch auf ihre Kinder forterben möchte. Sie glaubte diese Absicht nicht besser erreichen zu können, als wenn sie den lieben Gott immer als einen Eigensinnigen vorstellte, der unter allen Menschen niemand leiden könnte als die Lutheraner.
Wenn sie daher ihren Kindern Religionsunterricht erteilte, so fand sie es nicht für gut, nach dem Exempel Jesu, Gott als einen Vater aller Menschen ihnen bekannt zu machen, sondern suchte sie zu bereden, er sei nur ein Vater der Lutheraner und übergebe alle, die das lutherische Glaubensbekenntnis nicht annähmen, dem Teufel zur ewigen Qual.
Anfänglich bemerkte sie bei ihren Kindern zu ihrer großen Betrübnis viel Herzenshärtigkeit. Wilhelmine, ihre älteste Tochter, machte ihr einmal die Einwendung: sie kenne so viele gute Menschen unter den Reformierten, Katholiken, Juden, Mennoraten und Herrnhutern, die um sie herum wohnten, wie es denn also möglich sei, daß diese rechtschaffenen Leute, die doch nichts Böses getan hätten, von Gott könnten verdammt werden? Die Mutter wußte es ihr aber aus verschiedenen Sprüchen der Bibel zu beweisen, daß der lutherische Glaube allein der wahre sei, daß alle Menschen, wenn sie nur wollten, lutherisch werden könnten, und daß sie daher nicht Ursache hätten, sich zu beschweren, daß sie Gott deswegen verdamme, wenn sie von dieser Freiheit keinen Gebrauch machten.
Ihr Sohn Fritz war einmal gar so frech, ihr unter die Augen zu sagen, im 25. Kap. Matthäi stünde doch, Jesus werde am Tage des Weltgerichts nicht fragen, ob jemand lutherisch, reformiert, katholisch, jüdisch und dergl. gewesen sei, sondern ob er Liebe und Barmherzigkeit gegen seine Nebenmenschen bewiesen habe.
Für diese Naseweisheit bekam er auch eine recht derbe Maulschelle, die die Wirkung tat, daß er ihr mit dergleichen Einwendungen nicht mehr beschwerlich fiel.
Um ihr Gewissen noch besser zu verwahren, bemühte sie sich, einen Informator zu bekommen. Anfänglich wurde ihr ein sehr liebreicher, geschickter Mann vorgeschlagen, der schon zwei Jahre lang in einem Hause die Kinder auf das beste erzogen und in ihren Kenntnissen sehr weit gebracht hatte. Wirklich war sie schon geneigt, ihm ihre Kinder anzuvertrauen, als sie zu ihrem großen Glücke erfuhr, was an dem Zeisige wäre, daß er nämlich – die reformierte Kirche besuchte. Sie dankte dem lieben Gott recht herzlich in ihrem Abendgebete, daß er das große Unglück abgewendet, das über ihrer armen Kinder Häuptern geschwebt hätte.
Den folgenden Tag stellte sie sogleich den Herrn Markolphus ihren Kindern zum Erzieher und Lehrer vor. In seinen Sitten ist er zwar etwas roh, in seinem Anstande plump, verstehen tut er auch nicht viel – was schadet dies aber alles ? er ist doch echt lutherisch und ihr Gewissen ist doch wegen des Seelenheils ihrer Kinder beruhigt. Einige Neulinge haben sie zwar bereden wollen, das Seelenheil bestünde in einem guten Verstande und Rechtschaffenheit des Herzens; sie hat aber durch dergleichen Grübeleien sich nicht irre machen lassen und bleibt dabei, das Seelenheil bestehe eigentlich im lutherischen Glauben.
Sie hat die große Glaubensfreude, ihre Bemühungen gesegnet zu sehen. Ihre Kinder hassen alles, was nicht echt lutherisch ist; und da sich im vorigen Jahre die Reformierten bei dem Magistrate die Erlaubnis auszuwirken suchten, in einer lutherischen Kirche das Abendmahl halten zu dürfen, so war ihr Sohn derjenige, der es vorzüglich hintertrieb. Dafür segnete sie ihn auch auf dem Sterbebette und freute sich auf den seligen Augenblick, da sie alle ihre nicht lutherischen Nachbarn im Pfuhle erblicken würde, der mit Feuer und Schwefel brennt.