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In dem einsamen Dörfchen Rohrborn bei Sömmerda fand Salzmann 1768 seine erste Wirkungsstätte als Pfarrer. Knapp 100 Taler brachte ihm sein Amt, so ist er gezwungen, seine Einnahmen durch Landwirtschaft zu vermehren, zumal er bald durch Heirat von Magdalene Schnell eine Familie gründete. Seine landwirtschaftlichen Erfahrungen sollten ihm später seine Wirksamkeit in Schnepfenthal sehr erleichtern. In Rohrborn lebte er ein stilles Leben der Pflicht. Hier in der dörflichen Abgeschiedenheit faßt er einen Plan für sein künftiges Leben. Dabei ist sein Lieblingsgedanke der Plan, eine eigene Erziehungsanstalt zu gründen und zu leiten. 1772 wird er aus der dörflichen Einsamkeit in die große Stadt Erfurt berufen. Er folgt seiner Familie wegen diesem Rufe, obwohl er die Wirksamkeit auf dem Dorfe vorzieht. Als Diakonus und später als Pfarrer wirkt er von 1772-1781 an der Andreaskirche in Erfurt. Hier findet Salzmann in seiner Gemeinde als Nachwirkung von Mißernten und Seuchen und auch des Siebenjährigen Krieges viel menschliches Elend. Salzmann sieht seine Pflicht nicht nur darin, sich um das Seelenheil seiner Gemeinde zu kümmern; er sucht auch nach Mitteln und Wegen, ihr irdisches Dasein zu bessern. In der mangelnden Aufklärung der Menschen findet er eine Hauptquelle des menschlichen Elends. Also muß die Erziehung gebessert werden. In den seiner Aufsicht unterstellten Schulen kann er nicht viel ändern, obwohl sie ihm in ihrer Anlage ganz verfehlt erscheinen. Salzmann muß viele Rücksicht nehmen und vieles in den Schulen geschehen lassen, was ihm nicht gut erscheint. Er kommt zu der Überzeugung, daß nur eine gänzliche Neugestaltung des Schulwesens eine Besserung herbeiführen kann. »Sie (die Mängel des bestehenden Erziehungswesens) kommen mir vor wie Mängel an einem Hause, das 1584 erbaut wurde und die erst 1784 entdeckt wurden. Um diesen Mängeln abzuhelfen, ist keine Reparatur hinlänglich; das alte muß abgerissen und ein neues aufgeführt werden ...« In Erfurt beginnt er nun schriftstellerisch für seine pädagogischen Ideen zu werben. 1777 erscheint sein »Krebsbüchlein«, das in dieser Ausgabe abgedruckt ist. Es hat großen schriftstellerischen Erfolg. Salzmann wird bekannt. Für sein weiteres Lebensschicksal entscheidend wurde seine 1780 herausgegebene Schrift »Über die wirksamsten Mittel, den Kindern Religion beizubringen.« Es heißt darin: »Wir müssen bei jedem Religionsunterricht alles Unangenehme während desselben entfernen und demselben die möglichste Anmut zu erteilen suchen«. Er wendet sich gegen das Auswendiglernen unverstandener Bibelstellen usw. »Wollt ihr den Kindern die Religion annehmlich machen, so bringt sie ihnen in Erzählungen bei.« In vier Stufen soll sich nach seinen Vorschlägen der Religionsunterricht vollziehen. Auf der ersten Stufe werden den Kindern keine biblischen Geschichten, sondern Erlebnisse aus dem Leben »guter« Kinder erzählt. Salzmann hat selbst eine große Anzahl solcher moralischen Kindererzählungen verfaßt. Auf der zweiten Stufe lernen die Kinder in chronologischer Folge die biblischen Geschichten kennen. Auf der dritten Stufe klären »Sokratische Unterredungen« die religiösen Vorstellungen der Kinder, und erst am Abschluß des Religionsunterrichts gibt es einen konfessionellen Unterricht, der auch die Unterscheidungslehren der einzelnen christlichen Konfessionen klarlegt. Salzmann fühlt wohl, daß eine solche Umgestaltung des Religionsunterrichts eine gänzliche Umgestaltung der Volksschule herbeiführen mußte, die bisher fast ausschließlich ihre Zeit dem dogmatischen Religionsunterricht widmete. Im Vorbericht seiner Schrift heißt es: »Gesetzt nun, daß der ganze Religionsunterricht auf eine Stunde täglich eingeschränkt würde, so entstünde ein leerer Raum, der Ausfüllung erforderte. Wir würden nun gezwungen, auch andere Kenntnisse der niedrigen Klasse der Menschen zu bringen und bei mäßigem Nachdenken sogleich auf die Naturwissenschaften verfallen. Auf einmal würde sich die Welt vor ihren Augen verändern; von der Sonnenfinsternis und der Gewitterwolke bis zur Rindsleber würden sie alles mit ganz andern Augen betrachten. Sie würden beobachten, nachdenken, Erfahrungen sammeln, Versuche anstellen: bald würden wir drei bis viermal soviel Beobachter haben, Beobachter, die nicht in den engen Raum einer Studierstube eingeschlossen wären, sondern die täglich Gelegenheit hätten, die Wirkungen der Natur mit ihren Augen zu betrachten. – Welche Vervollkommnung der menschlichen Natur hätten wir zu erwarten!« – Die in dieser Schrift vertretenen freien religiösen Anschauungen rufen bei vielen orthodoxen Amtsbrüdern Salzmanns einen Sturm der Entrüstung hervor. »Mein Buch über die wirksamsten Mittel, den Kindern Religion beizubringen, war, ich weiß nicht mehr durch wen, als ketzerisch, als ein Buch vorgestellt worden, das die Grundfesten der Religion umzustürzen suche. Es war in kurzer Zeit in den Händen der ganzen Stadt und der allgemeine Gegenstand der Stadtgespräche. Die Umstände wurden so bedenklich, daß ich mich vor öffentlichen Mißhandlungen nicht mehr gesichert hielt.« Seine Gemeinde hielt freilich treu zu ihm, und als er seiner Schrift und Amtsführung halber bei dem kurfürstlichen Statthalter Karl Theodor von Dalberg angeklagt wird, läßt dieser ihn kommen und lobt sein Buch und seine Amtsführung. Trotzdem fühlt sich Salzmann in Erfurt nicht mehr recht wohl; seine friedliebende Natur haßt den Streit wie »Zugluft«. Da wird er eben dieser Schrift halber an das Philanthropin in Dessau als Professor und Liturg berufen. Salzmann sieht in dieser Berufung einen Wink Gottes und nimmt an. Ungern sieht ihn seine Gemeinde scheiden. »Nachdem ich den Ruf nach Dessau angenommen hatte, bekam die Sache eine ganz andere Wendung. Ich wurde nicht nur von niemandem gekränkt, sondern jedermann beeiferte sich, meine Unschuld zu verteidigen und mir Beweise seines Beifalls und seiner Liebe zu geben. In seiner Abschiedspredigt an seine Gemeinde steht der folgende, für Salzmanns Persönlichkeit sehr charakteristische Satz: »Die höchste Würde, nach der ich mein Lebenlang ringe, soll die Würde eines Selbstbeherrschers sein. So lange ich unter Menschen wohne, will ich mich hüten, irgendjemand zu kränken oder eines Leidens zu spotten und – so lange ich Kraft habe, – will ich sie brauchen, die menschliche Glückseligkeit zu fördern.«