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Zweiundzwanzigstes Kapitel
Chor in der Nacht

Tiefschwarze Nacht breitete sich über den Garten. Das Treiben der schlaflosen Großstadt klang hier nur wie fernes, wirres Brausen herein. Ihre elektrischen Lichter zuckten und leckten mit blassem Schimmer am dunkeln Firmament, das von tausend Sternen funkelte.

Im Garten aber waren viele Stimmen lebendig.

Stimmen aus Afrika und Asien, vom Polareis des Nordens, von den Dschungeln Indiens, von den Grassteppen des Tanganjika, von den Urwäldern Borneos.

Sie alle waren hier versammelt und sie alle schrien, schluchzten, rasten vor Sehnsucht nach der Heimat.

Löwen ächzten, Tiger stöhnten, als berste ihnen die Brust.

Elefanten erhoben ihr dröhnendes Trompeten.

Eisbären brüllten und die braunen Bären tobten mit Gebrüll.

Wölfe heulten langgezogene Klagelaute.

Hyänen stießen gellendes Gelächter aus.

Affen kreischten.

Alle riefen das gleiche:

Wie lange sollen wir gefangen bleiben?

Was haben wir getan, daß wir so leiden?

So Entsetzliches leiden?

Warum sind wir hier?

Warum?

Plötzliche Stille.

In der Nacht des Gartens bewegten sich funkelnde Lichter, gleich Sternen, die, aus einem Märchenhimmel zur Erde gefallen, nun hier unten umherirrten.

Aber es waren keine Sterne.

Und in diesem Garten gab es keinen Märchenhimmel.

Vielleicht gibt es überhaupt keinen. Oder nur in den Herzen ganz kleiner, ganz unschuldiger Menschenkinder.

Diese funkelnden Lichter erschienen immer paarweise. Nah beisammen je zwei und zwei.

Wer im Garten Bescheid wußte, hätte erkannt, daß es die Augen der Gefangenen waren, die aus den Käfigen durch die Finsternis glänzten, als seien sie vom Feuer der Erwartung, vom Brand der Ungeduld entflammt.

Da gab es große Augen, Kreise, die jetzt wie kostbar und verzaubert glühender Bernstein leuchteten. Andere, die in einem unheimlichen Smaragdgrün schimmerten. Dann wieder andere, deren Glühen durchzuckt wurde von roten, blauen und goldenen Blitzen. Kleine Augenkreise gab es, die glichen Raketen, dicht vor dem Aufprasseln. Und es gab welche, die so rot glimmten, als sei heißes Blut ins Sieden geraten.

Alle schienen frei und regungslos in der Nachtluft zu schweben, so gar nichts war von den Geschöpfen selbst zu merken. Diese farbensprühenden Kreise schwebten paarweise dort nah am Boden, dort wieder höher und höher über der Erde. Aber alle bedeuteten Leben, Erwarten, Sehnsucht.

Etliche Minuten verstummten die Gefangenen, als harrten sie einer Antwort auf ihr empörtes Rufen, auf ihre wilden Klagen, auf ihr ungeduldiges Verlangen.

Diese brennenden Augen starrten in das Dunkel der Nacht und in das dunkle Schicksal.

Dann heulte wieder eine Stimme, eine andere fiel mit Stöhnen ein, mit inbrünstigem Bitten wimmerten andere, donnernd brüllten die Gewaltigen dazwischen, und alle waren nun wieder einig, Freunde und Feinde, Starke und Schwache, alle waren jetzt ohnmächtig, waren verzweifelt.

Der Chor ihrer Klage, ihrer Frage erreichte die Menschen nicht, die sich vergnügten oder den Schlaf der allzeit Gerechten schliefen.

Der Chor der Gefangenen stieg auf zu den Sternen.

Aber die Sterne schimmerten, leuchteten, glänzten. Und blieben stumm.

*

 

In liebenswürdiger Weise haben dem Verlag zur Verfügung gestellt: Dr. Fritz Grögl, Wien, die Abbildungen nach Seite 8, 72, 80, 88, 120, 168 und 176; Carl Hagenbecks Tierpark, Stellingen/Hamburg, die Aufnahmen nach Seite 56, 104, 112 und 192; der Zoologische Garten in Dresden die nach Seite 24,48 und 128; der Tierpark München-Hellabrunn die Abbildung nach Seite 224. Das Bild nach Seite 232 wurde nach einer Photographie von Elisabeth Gottlieb reproduziert.

 


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