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An einem Oktobermorgen des Jahres 1508 hing der graue Herbstnebel dicker denn je über der Mark Brandenburg; in den Straßen von Berlin schien es gar nicht Tag werden zu wollen, und in den Häusern mußte man Licht brennen, um bei der Arbeit sehen zu können. Das war aber für viele Gewerbe sehr störend und unangenehm, denn die kleinen qualmenden Öllampen, deren man sich bediente, gaben nur ein sehr unzureichendes Licht und waren außerdem sehr feuergefährlich, weshalb manche Arbeiten gar nicht verrichtet werden konnten. Besonders in der weitläufigen düsteren Brauerei von Peter Eichlaub in der Burggasse war dies der Fall; mit den Lampen konnte man die großen Bottiche und Kessel gar nicht übersehen und die Hopfenkammer, die von der flackernden Flamme nur zu leicht Feuer fangen konnte, mußte man vollständig verschlossen lassen. Infolgedessen befahl Meister Eichlaub, es solle nur das Nötigste getan und dann dies und jenes aufgeräumt werden, das bei der Hauptarbeit etwa liegen geblieben war. Jeder sah daher nach, wo irgend etwas weggeschafft, gereinigt oder wieder zurechtgemacht werden mußte. Keiner hatte es damit aber besonders eilig, denn in der Hauptsache befand sich das ganze Geschäft in großer Ordnung und einige sahen sich, nachdem sie schon bald ihre Schuldigkeit getan zu haben meinten, sogar nach einem stillen Plätzchen um, um dort in der Dunkelheit eine behagliche Rast oder wohl gar ein Schläfchen zu halten. Selbst der Oberbrauknecht Erich Hegemann, der sonst der rüstigste Arbeiter war und vom frühen Morgen bis zum späten Abend schaffte, schien bei dem trüben Wetter alle Lust zum Arbeiten verloren zu haben. Nur mit halber Aufmerksamkeit schob er einige Fässer zusammen, dann blickte er wiederholt um sich, und als er sich überzeugt hatte, daß niemand auf ihn achtete, schlüpfte er plötzlich durch ein kleines Pförtchen aus dem Brauhause hinaus auf den Hof und dort in ein kleines Nebengebäude, das sich unmittelbar an das Wohnhaus Meister Eichlaubs anlehnte.
Das kleine Häuschen sah äußerst unscheinbar aus, aber Erich war es wertvoller als der prächtigste Palast. Ehemals hatte es dem Vater Meister Eichlaubs als Auszugswohnung gedient, nach dessen Tode jedoch war es vom Meister dessen anmutiger Tochter Bärbchen überlassen worden und diese hatte sich nun darin ein behagliches Stübchen eingerichtet.
Das wäre nun freilich für Erich nicht weiter von Wichtigkeit gewesen, hätte er in Bärbchen nichts weiter als des Meisters Tochter gesehen; allein das war schon seit lange nicht mehr der Fall, seit lange schon klopfte ihm das Herz lebhafter, wenn er an das holde Mädchen dachte, und sah er sie hinter den kleinen runden Scheiben eifrig bei ihrer Näharbeit sitzen, so war es ihm, als gewinne plötzlich das kleine graue Häuschen Licht und Glanz und als könne es für ihn kein größeres Glück geben, als ebenfalls in dem kleinen Häuschen zu wohnen – an ihrer Seite! Ja, er liebte das rosige Mädchen mit der ganzen Macht der echten, wahren Leidenschaft, und durfte auch aus verschiedenem annehmen, daß seine Liebe erwidert wurde. Allein noch nie hatte er ein Wort über seinen Herzenszustand über seine Lippen gebracht, weil sich dazu noch nie Gelegenheit geboten hatte, und doch drängte es ihn mit aller Macht, der Geliebten sein Herz auszuschütten, und von ihr die Zusicherung ihrer Liebe zu erflehen.
Da war nun heute der trübe Tag gekommen, die eigentliche Geschäftsarbeit mußte ruhen, und da war es ihm wie ein Blitz durch den Kopf geschossen: Heute ist der Tag, wo du dich ihr erklären, wo du ihr dein Herz ausschütten mußt. Der Himmel selbst bietet dir die Zeit dazu. Daß sie bereits ihr Stübchen aufgesucht, hatte er schon bemerkt. Rasch entschlossen sprang er daher in den Hausflur des Häuschens und klopfte an. Ein freundliches »Herein!« forderte ihn auf, einzutreten, schnell öffnete er daher die Tür und überschritt die Schwelle. Als er sich nun aber dem errötenden Mädchen gegenübersah, da versagte ihm fast die Stimme. »Bärbchen,« hub er an, »gewiß wißt Ihr es schon längst, wie es in meinem Herzen ausschaut. Schon lange habt Ihr all mein Denken und Sinnen durch Eure Holdseligkeit und Anmut gefangengenommen, und so kann ich mich jetzt nicht mehr glücklich denken ohne Euch. Darum wage ich es, meine Hand nach Euch auszustrecken, ergreifet sie, und ich will Euch hüten und schützen wie ein Heiligtum!«
Bärbchen hatte sich unterdessen von ihrem Stuhle erhoben, aus ihren gesenkten Augen drangen dicke Tränen hervor und rannen langsam über die geröteten Wangen. »Erich!« entrang es sich ihrer Brust, »Erich, wie könnte ich anders denken und fühlen als du; nimm mich, ich will dein sein auf ewig!«
Der überglückliche junge Mann stieß einen Freudenschrei aus, schlang seine Arme um das holde Mädchen und küßte sie heftig. »Du Liebe, du Süße!« rief er einmal über das andere, und sie drückte sich innig an seine Brust. Doch plötzlich hielt er inne und Bärbchen schrak zusammen. Vom Hausflur her wurden schwere Schritte hörbar und gleich darauf riß eine kräftige Hand die Stubentür auf. Erich und Bärbchen fuhren auseinander, starrten nach der Tür und mußten vor Schrecken nicht, was sie sagen sollten. Auf der Schwelle stand Meister Eichlaub mit hochrotem Gesicht und zornsprühenden Augen. Einige Sekunden war er stumm, dann aber brach es aus ihm hervor wie ein Ungewitter. »Heiliges Kreuz!« schrie er, »was ist das für ein Schandbube! Ein Morgenstern soll dazwischen fahren und dich zu Boden schleudern, du unnützer Knecht!« Er bebte vor Zorn am ganzen Leibe. »Habe ich dich darum bevorzugt vor den übrigen Gesellen und dich zum Obersten gesetzt, damit du dich jetzt erdreistest und deine Hand nach meiner Tochter ausstreckst?«
»Vater,« rief jetzt Bärbchen, »er ist der beste Mann, den mir Gott zum Gatten geben kann, mit meinem ganzen Herzen lieb' ich ihn, o, reiß' ihn nicht von mir!« Dabei sank sie auf ihre Knie und streckte flehend die gefalteten Hände zu ihm empor. Allein der Alte wurde dadurch noch aufgebrachter. »So betört hat er dich also bereits«, versetzte er. »Nun, ich werde schon kurzen Prozeß machen. Auf der Stelle verläßt du Haus und Gehöft,« fuhr er sodann, zu Erich sich wendend, fort, »ich bin nicht gewillt, meine Tochter einem Hans Habenichts zu geben, der sich hinter meinem Rücken in ein warmes Nest setzen will.«
»Meister,« wagte Erich einzuwenden, »Ihr urteilt zu hart und bedenket nicht, was Ihr dabei zertrümmert. Wohl bin ich arm, aber ich verstehe mein Geschäft, wie Ihr ja selbst wohl am besten wißt, und so denke ich Euch keine Unehre –«
»Schweig!« unterbrach ihn der Meister, »hier gibt's kein Verhandeln und kein Geschwätz. Mach', daß du fortkommst und laß dich nicht wieder blicken!«
Erich sah, daß mit dem wütenden Manne keine Verständigung möglich war. »Möge der liebe Gott Euch nie dafür strafen, daß Ihr das Glück Eures Kindes und das meinige so freventlich zerstört!« stieß er noch hervor, wandte sich dann zur Tür, blickte noch einmal wehmütig auf Barbara, die sich weinend auf die Lehne eines Stuhles gebeugt hatte, und verließ das Zimmer.
Draußen auf dem Hofe schritt er schnell zum Wohnhause, eilte dort in seine Kammer, packte schnell seine wenigen Habseligkeiten in ein Bündel zusammen und trat mit diesem schon nach wenigen Minuten, ohne von seinen Mitgesellen oder sonst einem Hausgenossen Abschied genommen zu haben, auf die Straße. Wie mit unsichtbarer Macht trieb es ihn, so rasch wie nur möglich das Gehöft zu verlassen, wo ihm das Schmerzlichste, das er bisher erlitten, angetan worden war. Aber nicht nur das Gehöft, auch die ganze Stadt Berlin war ihm im höchsten Grade unleidlich. »Fort! fort!« rief es unaufhörlich in ihm, »fort aus der Stadt, in der man dir dein süßestes Glück in hoffärtigem Stolz zertrümmert hat«, und ohne es sich weiter zu überlegen, schlug er die Richtung nach seiner Vaterstadt Fürstenwalde ein. Da er in hastigen Schritten dahinwanderte, so hatte er bald die Stadt hinter sich und trat nun in einen dichten Wald. Der Nebel lag hier noch dicker in den Bäumen und Sträuchern, als in der Stadt in den Gassen, und es würde daher für einen jeden, der des Weges nicht ganz genau kundig war, das Wandern höchst gefährlich geworden sein; für Erich hatte der Nebel jedoch nicht die geringste Gefahr, er kannte die Straße aufs genaueste und selbst die Fußpfade und sogenannten Richtwege, mit denen man oft große Bogen der Fahrstraße abschneiden konnte. Er besann sich daher auch keinen Augenblick, schon bald einen solchen schmalen Richtweg einzuschlagen und kam infolgedessen bereits nach kurzer Zeit in den dichtesten Wald hinein. Ohne um sich zu sehen, immer nur mit sich, mit den Gedanken an Bärbchen und sein verlorenes Glück beschäftigt, schritt er vorwärts. Es war ihm ganz recht, daß er keinem Menschen begegnete, daß es fast totenstill um ihn war und nur das Pochen eines Spechtes oder der Schrei eines Hirsches von Zeit zu Zeit die tiefe Ruhe unterbrach. Doch plötzlich stutzte er unwillkürlich; es war ihm, als habe er Stimmengemurmel gehört. Welche Leute konnten sich bei diesem Nebel in dieser Wildnis aufhalten? Unwillkürlich blieb er stehen und horchte. Ganz recht, er hatte sich nicht getäuscht, er hörte eine ganze Anzahl von Menschen halblaut durcheinander sprechen und vernahm auch das Stampfen von Pferden. Das reizte seine Neugier, er ging daher nach der Gegend zu, von woher die Laute kamen, und gelangte schon nach wenigen Schritten auf eine kleine Waldwiese, die zu seinem Erstaunen mit berittenen Gewappneten und reisigen Knechten fast ganz angefüllt war. Vorsichtigerweise hütete er sich aber, einen der Männer zu fragen, was man denn hier beginnen wolle, sondern blieb vorläufig nur einfach stehen; und da man ihn bei dem Nebel wohl nicht genauer erkennen konnte und auch wohl nicht vermutete, daß hier mitten im Walde bei diesem Wetter ein Fremder auftauchen könnte, so hielt man ihn wohl einfach für einen Zugehörigen und kümmerte sich nicht weiter um ihn. Erich vermied denn auch alles Auffällige, horchte aber um so aufmerksamer auf alles, was gesprochen wurde, und das interessierte ihn mit jeder Minute mehr.
»Er wird doch nicht etwa bei diesem Wetter daheimgeblieben sein«, sagte einer der Reisigen zu seinem graubärtigen Nebenmanne.
»Das glaube ich nicht«, versetzte der Graubärtige. »Der lange Otterstedt hat alles ganz genau ausgekundschaftet. Er ist noch heute morgen einmal zum Jägermeister gegangen und hat angefragt, ob des Nebels wegen die Jagd am Ende ganz unterbleiben würde, aber der hat sagen lassen, durch so etwas ließe sich der Kurfürst nicht abhalten. Es bliebe beim Verabredeten. Wenn wir das Jagdhorn bei der Ebereiche hören, sollen wir aufbrechen.«
»Oder ob er vielleicht einmal drüben nach der Bernauer Seite hinübergeritten ist?« wandte der erste Sprecher wieder ein.
»Nichts da«, versetzte jedoch ärgerlich der Alte. »Bei solchen hohen Herren kommt eben oft einmal eine Verzögerung. Aber nur keine Sorge, wir werden ihn schon ins Netz bekommen, dafür – –«
Die Reisige traten etwas weiter in die Wiese hinein, um zwei geharnischten Rittern Platz zu machen, die vom Pferde gestiegen waren und sich gewiß etwas ergehen wollten. Langsam kamen die hohen Gestalten daher.
»Das ist die Hauptsache«, hörte Erich den einen Ritter sagen, der eine große Löwenklaue als Helmzier trug. »Denn wehren werden sie sich wohl, so lange sie nur können, besonders der Kurfürst. Und darum müssen wir alle hauptsächlich auf diesen losgehen.«
»Das versteht sich«, stimmte der andere Ritter, dessen Helmschmuck zwei Rosen aufwies, bei. »Ich habe es den anderen auch noch einmal eingeschärft, daß nur diesen keiner aus den Augen läßt. Der muß auf jeden Fall auf dem Platze bleiben.«
»Ja, wahrhaftig«, versetzte der Ritter mit der Löwenklaue, und seine Stimme zitterte vor Erregung, »ich will lieber für ewig in der Hölle sitzen, als mich länger unter dem Joch dieses Schändlichen beugen.«
»Die Sache hat jetzt ein Ende, und der Lindenberg war der erste und der letzte, den er, dem ganzen Adel zum Hohn, hinrichten lassen konnte wie einen Strauchdieb«, entgegnete der Ritter mit den Rosen.
Erich wußte jetzt genug. Es war offenbar, es handelte sich hier um einen Mordanschlag auf das Leben des Kurfürsten Joachim von seiten der Ritterschaft. Daß die Ritterschaft dem Kurfürsten schon lange bitter grollte, war längst allgemein bekannt. Während der Regierungsjahre des vorigen Kurfürsten, des Johann Cicero, hatte aus verschiedenen Ursachen für die Ordnung im Lande nicht viel geschehen können, und daher hatte sich der Adel eine große Menge von Rechten angemaßt, hatte nach eigenem Gutdünken Zollstationen an den Wegen, die an seinen Burgen vorbeiführten, eingerichtet, neue Zehnten erhoben und sich sogar wieder mit dem Räuberleben ihrer Vorfahren, der alten Raubritter, befreundet. Nächtlicherweile, und hie und da sogar am hellen Tage, lauerten sie wohlbewaffnet mit ihren Knechten hinter den Büschen den friedlich ihre Straße ziehenden Kaufleuten auf, raubten sie aus und schlugen sie tot. Es hörte daher nach und nach alle Sicherheit im Lande auf, Handel und Verkehr stockten, und der Kaufmann, der es dennoch wagte, einmal eine Geschäftsreise zu unternehmen, betete beklommenen Herzens:
»Vor Köckeritz und Lüderitz,
Vor Krachten und vor Itzenplitz
Behüt' uns lieber Herre Gott
Und rette uns aus unsrer Not.«
Der Kurfürst Joachim war nun eifrig bestrebt, diesen Übergriffen und diesem Räuberhandwerk energisch entgegenzutreten. Das gelang ihm bis jetzt aber nur zum Teil, die Ritterschaft hielt fest zusammen und stemmte sich einmütig gegen alle Verordnungen, welche die Vorrechte, die sie sich angemaßt hatte, beseitigen sollten, so daß der Landesherr immer nur mit Gewalt durchdringen konnte. Und in bezug auf die Straßenräubereien leugneten die Beschuldigten einfach jede Beteiligung, schoben das Verbrechen den gemeinen Strauchdieben zu und taten sehr verletzt, daß der Kurfürst ihnen dergleichen zutrauen konnte. Dem gegenüber hatte der Kurfürst bisher immer schweigen müssen, denn es hatte ihm regelmäßig an schlagenden Beweisen gefehlt; kürzlich war er jedoch glücklicher gewesen. Bei der Beraubung eines Kaufmannswagens in der Nähe des Dorfes Elsholz hatte der Beraubte sich gerettet, war schnurstracks zum Kurfürsten geeilt, hatte als den Räuber einen Herrn v. Lindenberg, einen bisher am Hofe sehr wohlgelittenen Ritter, angegeben, Joachim hatte darauf bei diesem sofort Haussuchung halten lassen, war zu dem vermuteten Resultate gekommen und hatte den Ritter v. Lindenberg sofort verhaften und nach kurzem Prozeß zum warnenden Exempel in Berlin hinrichten lassen. Darüber war der gesamte Adel der Mark Brandenburg in die größte Wut geraten. »Es ist unerhört,« hatte man sich zähneknirschend gesagt, »um eines lumpigen Krämers willen das Blut eines Edeln zu vergießen!« Und dabei hatte man drohend die Faust geballt. Joachim, dem das alles hinterbracht worden war, hatte sich dadurch jedoch in seinem Bestreben, wieder Ordnung in seinem Lande einzuführen, nicht beirren lassen und den Herren unzweideutig zu verstehen gegeben, daß auch ihre Hälse vor dem Henkersbeile nicht sicher wären, wenn sie ihre Räubereien nicht einstellten. Dadurch war der Haß gegen den Kurfürsten natürlich noch gestiegen.
Diese ganze Situation des Kurfürsten der Ritterschaft gegenüber trat Erich jetzt klar vor die Seele und er hatte dabei nur den einen Gedanken, Joachim vor dem verbrecherischen Überfalle zu sichern, respektive diesen zu vereiteln. Einige Augenblicke war er unschlüssig, wie er handeln sollte, dann aber war er im klaren: es gab für ihn nur das eine Richtige, sofort zum Kurfürsten zu eilen und ihn von dem Vorhaben der Ritter zu unterrichten. Er trat daher leise und ohne daß es jemand bemerkte, wieder in den Wald zurück und lief dann mit dem Aufgebot aller seiner Kräfte wieder nach Berlin.
Glücklicherweise kam er noch zur rechten Zeit, aber der Kurfürst saß bereits zu Pferde und würde gewiß auch schon auf dem Wege nach dem Köpenicker Forste gewesen sein, hätte ihn nicht noch eine seltsame Angelegenheit einige Zeit im Burghofe aufgehalten. Als er nämlich aus dem von ihm bewohnten Teile der Burg herausgetreten war und die Türe hinter sich zugeschlagen hatte, war ihm ein Verschen aufgefallen, das mit Kreide oben an die Türe geschrieben worden war. Es lautete:
»Joachimchen, Joachimchen, hüte Dich!
Wo wir Dich kriegen, da henken wir Dich!«
Offenbar war dies ein Hohnvers auf ihn, aber wer war der Freche gewesen, der es gewagt hatte, gleichsam unter seinen Augen sich in so unerhörter Weise zu vergehen. Ein gemeiner Mann, einer von seinen Dienern und Knechten konnte es nicht gewesen sein, denn von diesen konnte ja keiner weder schreiben noch lesen, also mußte einer aus den vornehmeren Ständen, wahrscheinlich einer von dem erbitterten Adel, die Frechheit gehabt haben. Er hatte daher seine sämtlichen Diener und Knechte ausgefragt, ob sie den Mann bemerkt hätten, der diese Zeilen geschrieben, aber keiner hatte ihn gesehen. Darauf hatte er sich auch an seinen Jägermeister, einen Herrn v. Bützow, gewendet, doch auch dieser hatte nach seiner Versicherung niemanden wahrgenommen. Es war also nichts herauszukriegen gewesen, der Kurfürst war blutrot vor Zorn geworden, hatte auf das Pflaster gestampft, dann sein Pferd bestiegen und wollte nun eben mit seinem Jagdzuge aufbrechen, als Erich atemlos in den Burghof trat. Joachim stieg jetzt, als ihm gemeldet wurde, der Fremde habe ihm Wichtiges mitzuteilen, wieder vom Pferde herab und trat mit Erich abseits von dem großen Troß in eine Ecke, wo ihm dieser nun ohne Umschweif berichtete, was er gesehen und gehört hatte. Anfangs blickte der Kurfürst den Fremden mißtrauisch an, er wollte nicht glauben, daß der Adel seines Landes einer solchen Schandtat fähig sein könnte, je mehr er aber in das offene Antlitz Erichs schaute, desto überzeugter wurde er, daß dieser die reine Wahrheit sprach, und als Erich geendet hatte, reichte er ihm die Hand und sagte mit erregter Stimme: »Ich werde dir den Dienst niemals vergessen.« Dann ließ er sofort seinen Burghauptmann rufen, befahl ihm, mit größter Eile mehrere Fähnlein marschbereit zu machen, und als dies geschehen, begann nun unter Erichs Führung eine ganz andere Jagd. Ohne Schwierigkeit fand Erich die Waldwiese wieder, wo die Verschworenen noch immer auf das Signal von der Ebereiche warteten, sie wurden umzingelt und nach einem kurzen, wenn auch äußerst hartnäckigen und blutigen Kampfe sämtlich gefangengenommen. Darauf ließ der Kurfürst je zwei und zwei aneinanderfesseln und den langen Zug mitten durch Berlin auf seine Burg führen. Das erregte natürlich das größte Aufsehen, und als die Verwandten der Gefangenen, die in Berlin wohnten, besonders die Frauen, von dem Vorgefallenen hörten, eilten sie alle in die kurfürstliche Burg und baten um Gnade. Allein der Kurfürst wies alle kalt von sich ab, er hörte sie gar nicht an, sondern bedeutete nur im allgemeinen, daß er es für seine heiligste Pflicht halte, hier die strengste Gerechtigkeit walten zu lassen, denn sonst werde alle Ordnung, ja selbst der Staat zugrunde gehen. Und so tat er auch; er ordnete eine umfangreiche Untersuchung an, in welcher alle Verhältnisse jedes einzelnen Teilnehmers an der Verschwörung aufs genaueste und gewissenhafteste erforscht wurden, und da stellte es sich denn klar heraus, daß alle Gefangenen und auch noch verschiedene andere hohe Herren, wie der Jägermeister v. Bützow, die nun noch nachträglich eingezogen wurden, sich des schweren Verbrechens eines Mordanschlages auf das Staatsoberhaupt schuldig gemacht hatten. Man hatte den Kurfürsten einfach überfallen und töten wollen und dann gemeint, der Nachfolger Joachims, dessen weit jüngerer Bruder Albrecht, werde sich dann schon hüten, gegen den Adel ebenso streng zu verfahren. Außerdem kam bei den Verhören noch zutage, daß der Herr v. Otterstedt es gewesen war, der am Morgen der beabsichtigten Jagd, als er sich noch einmal bei dem Jägermeister über dieselbe informierte, in frechem Übermute den Hohnvers, der schließlich noch so wesentlich für die Rettung des Kurfürsten wurde, an die Türe geschrieben hatte.
Nach diesen Resultaten der Untersuchungen und Verhöre zögerte der Kurfürst nicht, die Gerechtigkeit uneingeschränkt walten zu lassen – alle Teilnehmer an dem Mordanschlage, es waren gegen siebzig Männer, und die meisten von ihnen waren Mitglieder der vornehmsten Adelsgeschlechter des Landes, wurden zum Tode verurteilt und sodann, mit Ausnahme Otterstedts, durch den Scharfrichter von Berlin mittels des Schwertes ohne Verzug hingerichtet. Für Otterstedt ersann man eine besondere Strafe, er wurde neben dem Richtplatz an einen Pfahl gebunden und mußte zusehen, wie alle seine Freunde nach und nach den Todesstreich empfingen, und dann wurde er gevierteilt.
Diese gnadenlose Strenge erregte auf allen Edelhöfen der Mark das größte Entsetzen. Kein Ritter, kein Knappe wagte es mehr, an der Landstraße sich in den Hinterhalt zu legen und die Kaufmannszüge zu überfallen und auszurauben, und das Land erfreute sich bald einer Sicherheit, die auf die Entwicklung des Handels und mithin des Wohlstandes vom besten Einflusse war.
Diese günstige Wendung der allgemeinen Verhältnisse hatte der Kurfürst Joachim natürlich in erster Linie durch seine felsenfeste Energie herbeigeführt, aber er war dabei doch auch sehr wesentlich durch Erich Hegemann unterstützt worden. Hätte dieser nicht die nötige Geistesgegenwart besessen, als er auf jener Waldwiese im Köpenicker Forste von dem Mordanschlage auf den Kurfürsten hörte, wäre er nicht mit Aufgebot aller seiner Kräfte sofort in die kurfürstliche Burg geeilt, so würde Joachim bei dem Überfalle gewiß umgekommen sein. Das erkannte auch Joachim in vollem Umfange an. Schon während des Prozesses gegen die Hochverräter, bei welchem Erich natürlich wiederholt zeugen mußte, zeigte er sich in hohem Maße erkenntlich; er ließ ihn in der Burg wohnen und an seiner Tafel speisen, und als das grausige Urteil vollstreckt worden war, ließ er ihn eines Tages zu sich rufen und forderte ihn auf, sich eine Gnade zu erbitten. Dabei bemerkte er ihm, daß er ihn gern zum Ritter schlagen und in seinen kurfürstlichen Dienst nehmen wolle, wo ihm dann der Weg zu allen Ehren offen stehe. Allein eine solche Rangeserhöhung war keineswegs nach dem Sinne Erichs, er hatte ein solches Anerbieten auch gar nicht erwartet und schwieg daher betroffen, und als der Kurfürst ihn dann verwundert fragte, ob denn eine solche Lebensstellung seinem Wunsche nicht entspreche, da erklärte er rückhaltslos, daß er weit lieber bleibe, was er bereits sei, ein Brauer. Aber wenn Seine kurfürstliche Gnaden sich ihm gnädig erweisen wollten, so wäre wohl noch eine Gelegenheit dazu da – und nun schüttete er dem hohen Herrn sein ganzes Herz aus, schilderte ihm seine Liebe zu Bärbchen und berichtete dann auch, mit welch harten Worten der alte stolze Meister Eichlaub ihn ab und zum Hause hinausgewiesen habe.
Der Kurfürst hörte ihm aufmerksam zu, und als er geendet hatte, reichte er ihm freundlich die Hand und sagte: »Ob ich dir hier helfen kann, weiß ich freilich noch nicht. Ein Regent kann ja wohl vieles, aber die Herzen zu kommandieren vermag er denn doch nicht, wenn dir der Alte nicht wohl will, so ist das eine schlimme Sache; allein ich verspreche dir alles zu tun, was ich vermag.«
Darauf verabschiedete er ihn wieder, legte hierauf ein prächtiges Kleid an und ritt, gefolgt von zwei Trabanten, direkt zu dem alten Eichlaub und warb bei diesem in aller Form und Feierlichkeit um dessen Tochter Barbara für Erich Hegemann, den er ja wohl kenne. Doch er kenne ihn wohl nicht zur Genüge, Erich sei jetzt kurfürstlich brandenburgischer Hofbrauer, sei auch nicht unbemittelt, habe zweitausend Goldgulden bar im Kasten, seine Tochter komme also in die besten Verhältnisse und er werde daher ja wohl nicht zögern, den Liebenden sein Jawort und seinen Segen zu geben.
Der alte Eichlaub war anfangs ganz verdutzt, er wußte nicht, ob sich der Kurfürst einen Spaß mit ihm mache, oder ob es ihm wirklich Ernst mit seiner Werbung sei, bald merkte er aber, daß das letztere der Fall war, und nun zögerte er nicht zu versichern, daß unter diesen Umständen er von Herzen gern seine Zustimmung gebe. Schon die kühne Tat Erichs, fügte er klug hinzu, habe ihn ganz anders über diesen denken gelehrt.
Damit war das Glück Erichs und Bärbchens besiegelt, die Hochzeit wurde jedoch, im Hinblick auf das blutige Schauspiel, das eben erst stattgefunden hatte, in aller Stille gefeiert. Doch ließ es sich der Kurfürst nicht nehmen, bei derselben gegenwärtig zu sein und einen Becher goldenen Rheinweines auf das Wohl und Glück des jungen Paares zu trinken. Und auch später blieb der hohe Herr seinem Lebensretter unwandelbar gewogen; wie er versprochen hatte, machte er ihn zu seinem Hofbrauer, schenkte ihm bare zweitausend Goldgulden und unterstützte und förderte ihn auch sonst, wo er konnte. Daher ward Erich schon bald ein sehr wohlhabender und angesehener Mann und später auch Ratsherr von Berlin. Aller Reichtum und alle äußeren Ehren konnten ihn aber doch nicht im entferntesten so tief und innig beglücken, wie der Besitz seines geliebten Weibes, das ihm mit Recht der schönste Schmuck seines Lebens dünkte.