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Lorenz, der Teufelskerl.


Seine Exzellenz der Herr General Peter von Blankensee befand sich an einem Julitage des Jahres 1718 in heftiger Aufregung; mit großen Schritten durchmaß er sein Zimmer und wiederholt stieß er derbe Soldatenflüche aus. Es war ihm aber auch eine Überraschung geworden, wie er sie sich nicht hatte träumen lassen.

Um von Zeit zu Zeit von den Strapazen, die sein Amt mit sich brachten, mit allem Behagen ausruhen zu können, hatte er sich in der Nähe von Berlin, hinter dem Tiergarten, ein Landhaus bauen und einen schattigen Garten anlegen lassen und sich in diesem »Sommerkantonnement«, wie er es scherzweise nannte, immer sehr wohl befunden. Auch gestern war er wieder einmal, in der Absicht, etwa acht Tage dort zu weilen, mit seiner Tochter Marie, seinem Schreiber Lorenz und seinem Kutscher Johann dahin übergesiedelt, mußte nun aber zu seinem Ingrimme sehen, daß ihm die Laune zu behaglichem Genuß gründlich versalzen worden war, und zwar durch seine eigene Tochter Marie und seinen Schreiber Lorenz. Denn als er heute nachmittag, da ihm ein Schläfchen nicht hatte behagen wollen, in den Garten gestiegen war, um ein wenig zu promenieren, hatte er seine Tochter mit dem Lorenz in einem höchst vertraulichen Gespräche betroffen. Seine Tochter Marie von Blankensee mit dem armseligen Burschen, den er seinerzeit nur aus Gnade und Barmherzigkeit in Lohn und Brot genommen! Bombenelement, das war denn doch ein starkes Stück! Aber auch wie eine Granate war er dazwischen geplatzt, und sie waren auseinandergefahren, als wenn ein ganzes Pfund Pulver zwischen ihnen aufgeflogen wäre. Nun saß die Marie unten in ihrem Zimmer und der Lorenz oben in seiner Kammer und er, der Herr General von Blankensee, ging grimmig und ratlos in seinem Zimmer auf und ab. Er hätte ja der ganzen Geschichte ein schnelles Ende machen können, wenn er den Lorenz einfach weggejagt hätte, aber diese Radikalkur wollte sehr überlegt sein, denn der nichtswürdige Bursche war doch ein sehr brauchbarer Kerl; er hatte eine Handschrift wie in Stahl gestochen und schrieb außerdem einen Stil wie der beste Geheimrat. Und das letztere war es hauptsächlich, was dem Herrn General so sehr viel wert war. Mit dem Stil lebte er selbst nämlich auf sehr gespanntem Fuße, und er wollte lieber in zwei Schlachten auf einmal fechten, als einen einzigen Bericht schreiben. Jetzt brauchte er, wenn er vormittags aus der Kaserne oder aus einer Offizierssitzung kam, dem Lorenz die Sache, über die er berichten wollte, nur so schlankweg zu erzählen, und hatte er dann sein Mittagsschläfchen gehalten, so war die ganze Geschichte schon regelrecht mit allen Anreden und Einleitungen zu Papier gebracht, und er hatte nur nötig, sie zu unterschreiben. Wenn er aber den Lorenz fortschickte, dann wurde es anders, und er mochte gar nicht daran denken, wie. »Schwefel und Blei!« rang es sich eben aus seiner beklemmten Brust heraus, und wütend stampfte er mit dem Fuße auf die Erde, als sich plötzlich Pferdegetrappel auf der Straße hören ließ und gleich darauf eine königliche Stafette dahergesprengt kam und vor dem Hause des Herrn Generals hielt. »Nun,« murmelte Seine Exzellenz halb mürrisch, halb neugierig, »was ist denn da schon wieder los?«

Er sollte nicht lange darüber im unklaren bleiben, der Kurier sprang eilig ab, stand bald darauf ihm gegenüber und überreichte ihm ein Schreiben aus dem Kabinette Seiner Majestät. Der König ließ ihm darin mitteilen, daß der Geheimrat Kameke, der dieser Tage eine längere Reise nach Pommern habe unternehmen sollen, um dort Erhebungen zu machen, in welcher Weise dem verarmten Landesteile aufgeholfen werden könne, soeben schwer erkrankt sei; alle übrigen Kollegen des Geheimrats seien bei den Arbeiten zur Reorganisation der Landesverwaltung aber so unentbehrlich, daß augenblicklich keiner von ihnen den Erkrankten ersetzen könne. Infolgedessen sei Seine Majestät auf den Gedanken gekommen, er, der Herr General, möchte einmal in die Bresche springen und die Erhebungen machen. Seine Exzellenz habe immer so vortreffliche, klare und stets so bestimmt den Kern der Sache treffende militärische Berichte geliefert, auch selbst bei ökonomischen Angelegenheiten, daß Seine Majestät nicht zweifle, Seine Exzellenz werde auch in dieser volkswirtschaftlichen Angelegenheit gar bald erkennen, welche Mängel zu beseitigen und welche Mittel zur Hebung des Wohlstandes zu ergreifen seien. Zudem würden die Beamten in den verschiedenen Städten Seine Exzellenz ja gebührend unterstützen.

Da gab es nun freilich kein »Nein«, Seine Majestät lebte offenbar so vollständig der Zuversicht, daß der General die Arbeit übernehmen werde, daß eine abschlägige Antwort den lebhaftesten Unwillen in ihm erregt haben würde. Wem aber hatte er auch diese Störung seiner Villeggiatur zu danken? Abermals dem verwünschten Lorenz! Denn hätte dieser nicht immer so vortreffliche Berichte geschrieben, so wäre der König nie auf ihn, den General, verfallen. O, er hätte den Kerl dahin wünschen mögen, wo der Pfeffer wächst, und doch konnte er ihn nicht entbehren.

Er bedeutete die Stafette, im Vorzimmer zu warten, klingelte darauf nach Lorenz und befahl ihm, als er erschien, auf das soeben eingegangene Schreiben Seiner Majestät zustimmend zu antworten. Darauf stopfte er sich, während sich der Schreiber niedersetzte und zu schreiben begann, eine seiner langen holländischen Tonpfeifen und ging sodann, dicke Rauchwolken vor sich hinblasend und immer von Zeit zu Zeit einen halb unterdrückten Fluch murmelnd, mit schweren Schritten im Zimmer auf und ab. Als Lorenz fertig war, durchlas der General das Schreiben, wurde dabei aber nach und nach schier dunkelrot vor Zorn und warf es schließlich wütend auf den Tisch.

»So,« brach es dann aus ihm hervor, »das klingt ja gerade, als wäre ich in heller Freude darüber, daß man mich nach Pommern schickt!«

»Da Eure Exzellenz nur sagten, ich solle zustimmend antworten,« versetzte Lorenz, »so glaubte ich das Schreiben in einem freundlichen Tone halten zu sollen. Hätten Eure Exzellenz –«

»So,« schrie der General, »ist Er nicht schon lange genug in meinem Dienst, daß Er nun endlich weiß, was ich will, wenn ich ihm kurz und bündig einen Auftrag gebe? Hat Er denn einen solchen erbärmlichen Verstand, daß Er nicht einmal begreift, ich bleibe weit lieber daheim, als daß ich mich auf den holperigen pommerschen Landstraßen herumziehen lasse?«

Der alte Herr hatte sich so vollständig von einer allgemeinen Aufregung übermannen lassen, daß er schließlich gar nicht mehr recht wußte, was er sprach.

Lorenz hörte ihn ruhig an, als der General aber geendet hatte, erhob er sich und entgegnete: »Wie es scheint, bin ich schon zu lange in Eurer Exzellenz Diensten, und nach allem, was vorgefallen, auch nach dem eben Gehörten, darf ich wohl annehmen, daß es Eurer Exzellenz lieber ist, wenn ich mir anderwärts mein Brot suche!« Damit machte er eine kurze Verbeugung und verließ mit festen Schritten das Zimmer.

Verblüfft sah der General dem Schreiber nach. »Himmelbombenelement!« sagte er und ließ die Tonpfeife auf die Erde fallen, daß sie in tausend Stücke zersprang. Er war völlig ratlos. Er hätte dem Schreiber nachspringen, ihn beim Kragen kriegen und ihn mit dem Ladestock bearbeiten mögen, diesen frechen Patron! Aber das war ja doch unter seiner Würde, und zudem mußte er auch die Stafette abfertigen; vielleicht wartete Seine Majestät schon. Freilich mußte es nun wohl oder übel bei der Lorenzschen Antwort bleiben; er unterzeichnete sie, faltete sie zusammen, versah sie mit der Adresse und übergab sie der Stafette, die sodann sofort mit ihr nach Berlin trabte.

Der König wurde durch die freundliche Antwort des Generals, nach der zu schließen dieser die beschwerliche Reise offenbar mit der größten Bereitwilligkeit übernahm, sehr angenehm berührt, und da ihm die baldige Organisation einer besseren Verwaltung in Pommern überhaupt eine ernste Herzenssache war, so ließ er sofort die Schriftstücke, welche zur Information bei den Erhebungen dienen sollten, zusammenpacken und mit der Bitte, die Reise doch sofort anzutreten, schon am anderen Morgen dem General zustellen.

Unterdessen hatte sich dort ein seltsamer Prozeß vollzogen. Gleich nachdem die Stafette die Villa verlassen hatte, hatte der General nach dem Johann gerufen und sodann durch diesen das gnädige Fräulein in sein Zimmer beordern lassen, und als darauf das arme zitternde Mädchen erschienen war, hatte er sie mit den heftigsten Vorwürfen überschüttet: Sie habe ihn jetzt in die unangenehmste Situation gebracht; sie, ein Fräulein von Blankensee, die Tochter eines königlich preußischen Generals, habe sich nicht entblödet, mit einem elenden bürgerlichen Schreiber ein Liebesverhältnis anzubändeln, und nun sei der Bursche so frech geworden, daß er ihm sogar den Dienst gekündigt habe. Nun sitze er da, und zwar in der größten Verlegenheit, denn Seine Majestät habe ihn soeben beauftragt, eine Reise nach Pommern zu unternehmen und Erhebungen anzustellen, zu denen er ganz notwendig eines umsichtigen Schreibers bedürfe.

Die arme Marie hatte zunächst auf alles das nicht zu antworten vermocht, weinend war sie auf einen Stuhl gesunken, dann aber hatte sie alle Kraft zusammengenommen und dem Vater erklärt, daß sie sehr wohl wisse, welches Benehmen ihre und des Vaters Ehre erheische, daß aber auch das Herz Rechte habe, und selbst Rechte, die über die landläufige Konvenienz hinausgingen. Doch wäre es wohl das beste, darüber jetzt nicht weiter zu sprechen; nur das eine wolle sie noch sagen, daß der Lorenz alle seine Freistunden aufs fleißigste ausnutze; er studiere Tag für Tag bis spät in die Nacht hinein und werde sich, das sei ihre feste Überzeugung, noch zu einem angesehenen Manne emporarbeiten, besonders unter einem Könige, der die Verdienste zu schätzen wisse. Damit der Vater übrigens jetzt nicht in Ungelegenheiten komme, werde sie Lorenz bestimmen, daß er seinen Dienst wenigstens noch während der bevorstehenden Reise versehe.

Diese mutige Rede hatte dem General gewaltig imponiert, er sah es gern, wenn man sich tapfer seiner Haut wehrte, und hatte daher nur so etwas wie »sapperlotsches Frauenzimmer« hinter seinem Schnurrbarte hervorgeknurrt.

Darauf hatte Marie das Zimmer ihres Vaters verlassen, war in das ihrige geeilt und hatte dort ein Zettelchen an Lorenz geschrieben und ihn bei ihrer Liebe beschworen, dem Vater wegen seiner Derbheit nicht zu grollen und ihn auch jetzt in dieser kritischen Lage nicht im Stiche zu lassen. Das Briefchen hatte sodann seine Wirkung nicht verfehlt, und als nun am anderen Morgen ein Oberrechnungsrat des Königs in der Villa erschien und die Schriftstücke für die Erhebungen überbrachte, fand er bereits alles zur Abreise bereit; sogar die breitbauchige braune Reisekutsche war schon vor die Türe geschoben worden, so daß er unwillkürlich bemerkte: »Seine Majestät werden sehr erfreut sein, wenn ich melde, daß Eure Exzellenz sich die Ausführung von Höchstdero Wunsch so angelegen sein lassen.«

Die Abfahrt konnte aber noch nicht sogleich stattfinden, da der Rat im Auftrage des Königs noch eine große Menge von Bemerkungen zu dem Schriftstücke machen mußte. Fast bei jeder Stadt, die auf der Reise berührt werden sollte, hatte der König noch allerlei Punkte genannt, auf die Rücksicht genommen werden müsse, und der Rat wiederholte nun alle Wünsche Seiner Majestät aufs gewissenhafteste. Das war aber eine harte Geduldsprobe für den alten General, der sich zuerst vergebens bemühte, den Darlegungen zu folgen und schließlich, als ihm alles bunt durch den Kopf ging, immer nur nickte und vor Verlegenheit eine Prise nach der anderen nahm. Am liebsten hätte er jetzt dem Rat das ganze dicke Papierpaket wieder mit nach Hause gegeben und den König inständig gebeten, doch nur ja eine andere Persönlichkeit für diesen Auftrag zu wählen, denn er sei wohl ein Soldat, aber kein Verwaltungsbeamter. Allein das war denn doch gar zu bloßstellend – und dann hatte er ja doch schließlich auch noch den Lorenz, der ihn schon aus der Verlegenheit herauswickeln werde.

»Soll alles nach besten Kräften besorgt werden«, sagte er daher, als endlich der Rat nach zwei martervollen Stunden zum Schlusse gekommen war. »Wie die Arbeit eines Fachmannes werden ja freilich meine Erhebungen nicht ausfallen, aber doch hoffentlich immerhin so, daß Seine Majestät dieselben zu den entsprechenden Zwecken werden verwenden können.«

Damit hatte die Konferenz ihr Ende erreicht, und der Rat verabschiedete sich befriedigt; indem er aber das Haus verließ, schloß er dadurch auch noch – freilich ohne daß er eine Ahnung davon hatte – eine zweite Zusammenkunft, die ebenfalls durch einen sehr hohen Machthaber veranlaßt worden war, durch den Gott Amor.

Als nämlich der Rat zu dem General hereingegangen war, folgerte Lorenz sofort, daß es sich noch um eine längere Auseinandersetzung handeln werde, er kam daher schnell von seiner Kammer, wo er eben noch die letzten Vorbereitungen zur Reise traf, herab und schaute vorsichtig aus, ob er seine geliebte Marie nicht noch einmal sehen und sprechen könne. Es drängte ihn, noch einmal ihre Hand zu erfassen und sie zu beschwören, bei allem, was ihr heilig sei, nicht von ihm zu lassen, wie hoch sich auch die Hindernisse zu einer dermaleinstigen Verbindung zwischen ihnen auftürmen möchten. Der Zufall war ihm günstig, als er herabkam, sah er Marie durch den Garten wandeln, er eilte daher zu ihr hinüber, zog sie in eine dichte Geißblattlaube und schüttete ihr hier noch einmal sein ganzes Herz aus. Dabei verhehlte er ihr auch die bange Sorge nicht, der Vater werde sie fortan so vollständig von ihm fernhalten, daß jeder Verkehr, selbst der schriftliche, rein unmöglich sein werde. Dieser Besorgnis mußte Marie nun allerdings zustimmen, ja sie eröffnete Lorenz sogar, daß der Vater ihr bereits gestern abend gesagt habe, während seiner Abwesenheit solle sie bei einer alten Tante in Berlin wohnen und bei seiner Rückkunft auf längere Zeit zu einem Onkel nach Königsberg gehen; sie solle sich daher immer schon hierzu ihre Garderobe und alles, was sie sonst für den längeren Besuch für nötig halte, instand setzen. Darüber hatte sie jedoch keineswegs Mut und Hoffnung verloren, sie war ein mutiges Mädchen, das durch Hindernisse nur um so beharrlicher wurde, und darum versicherte sie auch dem Geliebten, daß alle die Bemühungen des Vaters, ihre Liebe zu ihm zu ersticken, vergeblich sein würden, und fügte auch noch hinzu, daß sie der unerschütterlichen Zuversicht lebe, auch ihnen beiden werde noch einmal das ganze volle Glück der Liebe blühen. Sie habe ein felsenfestes Vertrauen auf ihn und glaube ganz bestimmt, daß er sich noch emporarbeiten und Karriere machen werde. Seine Umsicht, sein klarer Blick, sein großes Geschick, in umfangreichen Berichten dennoch alles übersichtlich darzulegen, das alles werde ihm schon die rechte Bahn eröffnen; über die jetzige Beschäftigung beim Vater sei er längst hinausgewachsen. Und die rechte Gelegenheit für ihn, einen geeigneten Platz zu erlangen, werde auch, des sei sie fest überzeugt, nicht allzulange auf sich warten lassen. Der junge König, der so eifrig bemüht sei, sein verarmtes Land durch neue Einrichtungen und geschickte und tätige Beamte wieder zu einem wohlsituierten zu machen, brauche solche Männer, wie er einer sei; er solle dann aber nur im geeigneten Momente auch die Gelegenheit beim Schopfe fassen und um alles in der Welt nicht zu bescheiden hinten stehen bleiben.

Diese felsenfeste Zuversicht, dieser hoffnungsvolle Glauben an sein Können und Vermögen machte Lorenz im höchsten Grade glücklich, er umschlang die Geliebte und drückte, keiner anderen Antwort fähig, einen heißen Dankeskuß auf ihre Lippen.

Darauf begann Marie ein leichteres Geplauder, sie erzählte von ihrer alten, wunderlichen und schrulligen Tante, bei der sie nun so lange aushalten müsse, als er mit dem Vater Pommern bereise; von dem alten Onkel in Königsberg, der ein großer Hundeliebhaber sei und immer fünf bis sechs dänische Doggen um sich herum habe, was für die ganze Familie fortwährend viele Unzuträglichkeiten mit sich bringe, und noch von mancherlei anderem, so daß den beiden Liebesleuten die zwei Stunden, die dem alten General drinnen bei dem Rat zu einer halben Ewigkeit wurden, pfeilschnell dahinflogen und sie verwundert auffuhren, als sie sahen, daß der Rat zur Haustüre hinausschritt.

Marie schlüpfte daher schnell in das Haus zurück und gleich darauf sprang auch Lorenz die Treppen zu seiner Kammer hinauf, kam aber schon bald wieder herab, als er hörte, daß Johann vom General den Befehl zum Anspannen erhielt. Die Zeit war mittlerweile bereits erheblich vorgeschritten, so daß man sich, wollte man noch am Abend das erste bessere Nachtquartier erreichen, sehr dazuhalten mußte. Es wurde daher auch die Abfahrt eiligst betrieben, der große Koffer des Generals rasch hinten auf die Kutsche geschnallt, das bescheidene Reisebündel von Lorenz vorne mit zum Kutscher auf den Bock geworfen, dann schnell Abschied genommen – und dahin rollte die schwerfällige Kutsche der Straße nach Bernau zu.

Der alte General hatte auf dem breiten Sitze im Fond des Wagens Platz genommen, während Lorenz sich auf dem schmalen Rücksitze niedergelassen hatte. Da beide Männer nicht Lust verspürten, miteinander zu sprechen, so schaute der General auf der einen Seite und Lorenz auf der anderen hinaus auf die Straße. Es bot sich jedoch nichts Interessantes dar, nur einige Frachtwagen, Kärrner und Bauern begegneten den Reisenden; der General griff daher schon bald gelangweilt zu dem neben ihm liegenden dicken Aktenbündel, welches ihm der Rat überbracht hatte, um sich mit demselben etwas vertrauter zu machen. Mit einem gewissen Eifer begann er zunächst darin zu lesen, schon bald aber schien er zu stocken, er rieb sich die Stirne, holte mehrere Male tief Atem und blickte gedankenvoll auf die Straße. Dann begann er wieder zu lesen; aber er schien über verschiedene schwierige Stellen nicht hinwegkommen zu können, und nun begann er zu blättern; damit schwand aber auch der letzte Rest des Interesses für das schlimme Schriftstück, und bald warf er es unwillig neben sich auf den Sitz. Nun fragte Lorenz, ob es ihm auch gestattet sei, die Akten einzusehen, und da der General nickte, so nahm er sie zur Hand und studierte sie aufs sorgfältigste. Anfangs wollte es ihm nicht recht gelingen, hinter den Kern der Sache zu kommen, die lange Einleitung war in einem so schwulstigen und ungelenken Stile geschrieben, daß die Absichten, welche die Regierung bei den vorzunehmenden Erhebungen verfolgte, nur schwer zu erkennen waren; im weiteren aber, besonders durch die verschiedenen einzelnen Bemerkungen, die sodann eingestreut waren, wurde es ihm jedoch völlig klar, was die Regierung hauptsächlich wünschte und welche Zwecke sie vornehmlich im Auge hatte. Er begann sich daher mehr und mehr für die ganze Angelegenheit zu interessieren, und zwar um so lebhafter, als er sah, daß er damit auf heimatlichen Boden und in heimatliche Verhältnisse geführt wurde. Er war ein geborener Pommer, hatte in Stargard das Licht der Welt erblickt und dann als Knabe seinen Vater, der ein kleines Getreidegeschäft betrieb, oft auf dessen Touren nach Kamin, Kolberg, Köslin und selbst bis nach Stolp begleitet und dabei immer die Augen offen gehabt. Infolgedessen hatte er damals manches gesehen, beobachtet und kennen gelernt, was sich gewiß oft dem forschenden Blicke des Beamten entzog, und außerdem besaß er überhaupt schon ein gewisses Urteil über die wirtschaftlichen Zustände, über welche die Regierung, vorab der König, aufgeklärt sein wollte. Aufs günstigste vorbereitet, konnte er also der Aufgabe der Reise entgegensehen, und als man in das pommersche Gebiet kam, begann er sofort allerwärts die betreffenden Fragen zu stellen und sich seine Notizen zu machen.

Der General bemerkte mit Vergnügen, wie Lorenz sich die ganze Sache angelegen sein ließ, er hatte gefürchtet, der Schreiber werde nach dem, was vorgefallen war, nur eben das Notwendigste tun. Es schwand ihm denn auch alsbald die ganze Sorge um die Ausführung des königlichen Auftrages und seine alte behagliche Laune kehrte wieder. Diese wurde noch dadurch gefördert, daß er nach und nach in verschiedenen Städten teils noch aktive, teils bereits pensionierte Kameraden traf, die den so unverhofft Angelangten aufs herzlichste begrüßten, ihn zu sich einluden und sogar kleine Festlichkeiten zu seinen Ehren veranstalteten. Dadurch wurde die Reise dem General ganz wider Erwarten zu einer der angenehmsten und vergnügtesten, und als er wieder in Berlin eintraf, befand er sich in der heitersten Stimmung.

Ebenfalls vollständig befriedigt, wenn auch in anderer Weise, kehrte Lorenz zurück; er hatte ein überaus reiches Material für die Regierung gesammelt und auch noch verschiedene Mißstände entdeckt, von denen in dem Aktenstücke sich keine Andeutung fand, von denen also wohl auch König und Regierung nicht das geringste wußten, die aber, wenn er sie in seinem Berichte darlegte, die allgemeinste Aufmerksamkeit erregen mußten.

Vorläufig hatte es aber mit der Übersendung dieses Berichtes gute Weile, denn alles gesammelte Material wollte erst sorgfältig geordnet und gesichtet sein, und dann kam erst noch eine lange und mühevolle Ausarbeitung des Berichtes; der General meldete daher zunächst erst dem Könige seine Rückkehr und bat Seine Majestät, gütigst zu verzeihen, wenn er noch nicht sogleich den Bericht einsende, derselbe werde weit umfangreicher ausfallen, als man anfangs erwartet habe.

Dieses Wartensollen war dem Könige, der alles immer gern schnell abwickelte, aber keineswegs recht, er bezwang sich jedoch und geduldete sich zunächst einige Tage; dann brach aber der Wunsch, wenigstens die allgemeinen Umrisse der Ergebnisse der Reise zu erfahren, so lebhaft durch, daß er den General auffordern ließ, seine Arbeit an dem ausführlichen Berichte einmal zu unterbrechen und ihm einen kurzen Vortrag über seine Erhebungen zu halten. Es käme ihm hauptsächlich vorläufig nur so auf die allgemeinen Eindrücke an, die der General von dem Zustande der Provinz erhalten habe.

Das war ein Blitz aus heiterem Himmel, der General wußte, als er das Kabinettschreiben erhielt, welches ihm diesen Wunsch des Königs übermittelte, vor Schrecken nicht, was er beginnen sollte. Vorsichtig hatte er sich bis jetzt von der Residenz ferngehalten, er hatte wieder in der Villa Quartier genommen, um ja nicht etwa dem Könige zu begegnen und dann von diesem befragt zu werden, und nun mußte es ihm passieren, daß er zu einem regelrechten Vortrage befohlen wurde! Zuerst wollte er melden, er sei krank, aber er war in seinem ganzen Leben noch nicht krank gewesen, würde das also der König glauben? Und glaubte er es, so lief er Gefahr, daß der Monarch, wie er das in seiner ungenierten Weise bei hohen Beamten öfters getan hatte, käme und sich nach seinem Befinden erkundigte. Wohl oder übel mußte er also der Aufforderung entsprechen. Er ließ sich daher von Lorenz über alles Hauptsächliche unterrichten und auch auf einem Zettel die wichtigsten Zahlen der statistischen Erhebungen notieren und dann machte er sich zur festgesetzten Zeit auf den Weg. Je näher er aber dem Schlosse kam, desto unbehaglicher wurde es ihm; in seinem ganzen Leben war ihm noch nie ein Gang so sauer geworden wie dieser; und als er die Treppe zum königlichen Empfangszimmer emporstieg, klopfte ihm ordentlich das Herz vor Bangigkeit; mehrmals mußte er sich mit dem Taschentuche den Schweiß von der Stirne wischen.

»Bombenelement!« knurrte er, »ist das die Art, wie ein alter Soldat zu seinem Könige geht!«

Mit seinem Eintritt bei dem Monarchen wurde seine Beklommenheit zunächst etwas verscheucht; Friedrich Wilhelm I. empfing ihn sehr freundlich, erkundigte sich nach seinem Befinden, bedauerte, daß er ihn habe aus seiner Sommerfrische aufstören müssen, und dankte ihm schließlich, daß er den Auftrag so bereitwillig übernommen habe. Er habe ihm damit einen großen Gefallen getan, denn die Reorganisation des Landes liege ihm sehr am Herzen.

Bei diesen letzten Worten überfiel den General wieder die frühere Beklommenheit, es ging ihm eiskalt über den Rücken und er fühlte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. Er wollte irgend etwas antworten, konnte aber keinen Laut hervorbringen und verbeugte sich daher nur.

»Im großen und ganzen werden Sie recht viel Armut getroffen haben,« nahm nun wieder der König das Wort, jetzt auf die Sache genauer eingehend, »hauptsächlich wohl auf dem Lande, aber vielleicht sogar auch in den Städten.«

Mit der Erwähnung der Städte kam dem General plötzlich die Erinnerung an all die lustigen Banketts, die ihm dort gegeben worden waren, und beinahe wäre er herausgeplatzt: »O nein, Majestät, davon merkt man nichts, man lebt dort im Gegenteil sehr fidel.« Aber er besann sich noch rechtzeitig und brachte dann mühsam: »Jawohl, Majestät!« hervor.

Die Art, wie er antwortete, nahm der König für einen Ausdruck des Mitleids für die arme, so zurückgekommene Bevölkerung und fragte nun weiter: »In welcher Stadt haben Sie denn den lebhaftesten Eindruck der dortigen Verhältnisse gewonnen?«

»In Kolberg«, antwortete der General unwillkürlich. Dort hatte er unter all den Kameraden der Besatzung die heitersten Tage verbracht, und die Festung bildete daher den Mittelpunkt seiner Reiseerinnerungen.

»In Kolberg,« versetzte der König, »das überrascht mich sehr. In einer Festung hat ja doch die Bevölkerung eine sehr gute Nahrungsquelle durch die Garnison. Zudem liegt Kolberg am Meere und treibt infolgedessen doch gewiß nicht unerheblichen Handel.«

»Ganz recht, Majestät,« stotterte der General verwirrt, »die Garnison ist auch recht gut imstande; habe mir alles angesehen, die Mannschaften, die Kasernen, die Wälle und selbst die Forts; alles in bester Ordnung.«

»Freut mich«, erwiderte der König. »Aber unter den Bürgern mißliche Verhältnisse?«

»Nein – ja freilich, ja –« Er fuhr in seine Rocktasche, um sich den letzten Retter in der Not, den Zettel hervorzuholen, den ihm Lorenz mitgegeben hatte; aber so sehr er ihn auch suchte, er konnte ihn nicht finden, er mußte ihn mit dem Taschentuche herausgerissen und nun verloren haben. Das war in der Tat das Schlimmste, was ihm hatte passieren können; das Blut schoß ihm ins Gesicht, er wurde dunkelrot vor Verlegenheit. »Majestät, ich bitte tausendmal um Entschuldigung,« brachte er endlich hervor, »weiß der Kuckuck, mir sind plötzlich alle Gedanken verschwunden. Bin zu Fuß hierhergegangen, ob die Hitze – sehr heiß draußen, kannibalisch heiß. Kann mich augenblicklich auf rein gar nichts besinnen!«

»Ja, ja, ich sehe mit Bedauern,« versetzte der König, »Sie scheinen sehr fatiguiert zu sein, mein lieber General. Ruhen Sie sich erst etwas aus, treten Sie auf ein halbes Stündchen hier in dieses Nebenzimmer. Ich erledige mittlerweile einige andere Geschäfte.« Damit machte er bereits eine grüßende Bewegung, und der General mußte wohl oder übel der Aufforderung Folge leisten.

Im Nebenzimmer standen verschiedene Armsessel, der General ließ sich daher in einem von ihnen nieder und begann nun noch einmal nach dem Zettel mit den Notizen zu suchen, aber auch jetzt war alle Mühe vergebens, das wichtige Papier war spurlos verschwunden.

»'s ist rein zum Tollwerden«, stieß er hinter den knirschenden Zähnen hervor. Darauf lehnte er sich in den Sessel zurück und blickte starr vor sich hin. Es hämmerte und pochte ihm in der Stirne, als wolle sie ihm zerspringen, und das Blut brannte ihm in den Adern wie glühendes Blei. Aber er durfte sich seiner Aufregung nicht allzusehr hingeben, er mußte suchen, einen Ausweg aus dieser fatalen Situation zu finden, er schloß die Augen und sann nach, was er denn eigentlich noch von der Reise wisse; der König werde ja vielleicht auch mit wenigem zufrieden sein. Aber so sehr er auch seine Gedanken zwingen wollte, immer sah er nur die heiteren Gesichter seiner Kameraden, ja es war ihm sogar, als höre er ihre fröhlichen Stimmen, ihr lustiges Lachen, sonst aber war jede Erinnerung wie weggewischt. Er mußte entweder immer unterwegs geschlafen haben oder jetzt ganz vollständig verhext sein. Es wurde ihm ordentlich unheimlich, und fast schien es ihm, als wenn sich die Gesichter seiner Kameraden jetzt zu höhnischen Fratzen verzögen. Wütend drückte er die Augen fester zu.

»Bombenmohrenelement«, rief er und stampfte mit dem Fuße auf den Boden.

In demselben Augenblicke wurde die Türe zum Kabinett des Königs geöffnet; erschrocken sprang er auf. Es war Friedrich Wilhelm selbst, der nach ihm ausschaute; die halbe Stunde war bereits verstrichen und die Konferenz sollte ihren Fortgang nehmen. Als der König aber die üble Laune des Generals bemerkte, trat er näher. »So mißgestimmt, General?« fragte er verwundert.

»Ja, Majestät,« platzte es jetzt aus dem Alten heraus, »und der Kuckuck soll mich holen, wenn ich's verdiene, daß ich jetzt in dieser vermaledeiten Klemme sitze. Ich bin ein ehrlicher Soldat, der seinem Könige immer treu gedient hat.«

»Daran habe ich auch noch nie gezweifelt, mein lieber General«, versetzte Friedrich Wilhelm.

»Und habe mein Lebtag auch nichts anderes sein wollen und dürfen,« fuhr der General erregt fort, »und – und – und daß ich es rund heraussage: ich habe mich weder in die von Eurer Majestät gewünschten Erhebungen hineingefunden, noch habe ich sie ausgeführt; ich habe sie sämtlich von meinem Schreiber Lorenz machen lassen, der ein sehr anstelliger Mensch ist und sich für derlei Sachen schickt.«

Er atmete tief auf, als er dies Geständnis vom Herzen hatte, Friedrich Wilhelm aber traute anfangs seinen Ohren kaum, dann wurde er kirschrot vor Wut in seinem Gesicht.

»Also getäuscht, elend hintergangen bin ich in dieser wichtigen Angelegenheit«, rief er, umspannte krampfhaft mit seiner Rechten das spanische Rohr, das er auch im Zimmer bei sich trug, und stieß es heftig auf den Boden. Dann aber bezwang er sich, und indem er sich halb zur Seite wendete, sagte er: »Ja, ja, das ist mir schon recht, warum wollte ich auch einen alten Soldaten zum Kameralisten machen! Ein jeder bleibe bei seiner Stange!« Hierauf kehrte er sich wieder dem Generale zu. »So schicken Sie mir nun sofort den Schreiber, Herr General, damit ich sehe, was der Federfuchser denn eigentlich gemacht hat.«

Der General grüßte militärisch und verließ schnell das Zimmer. Draußen vor der Türe blieb er aber einige Sekunden stehen und holte tief Atem; es war ihm schier, als wenn er der Hölle entsprungen wäre. Dann stieg er eiligst die Treppe hinab, und noch ehe eine Stunde vergangen war, konnte der königliche Leiblakai Seiner Majestät melden, daß der Schreiber Seiner Exzellenz des Herrn Generals von Blankensee eingetroffen sei und auf die Befehle Seiner Majestät harre. Darauf hieß der König den Ankömmling sofort eintreten und empfing ihn, als er nur eben erst die Schwelle des Gemaches überschritten hatte, schon mit den Worten: »Also Er hat die Erhebungen vorgenommen? Weiß Er auch, was Er damit für eine Verantwortung aus sich geladen hat und daß ich ihn für seinen Fürwitz nach Spandau schicken kann? Nun, wir wollen einmal sehen, was er denn zustande gebracht hat.«

Lorenz wurde durch diese barsche Anrede etwas verwirrt, doch faßte er sich schnell wieder, und höflich sich verneigend, versetzte er: »Ich vertraue ganz der Gnade Eurer Majestät.«

Diese kurze Antwort gefiel dem Könige und sein Gesicht wurde freundlicher. »Dann laß Er sehen, was Er zusammengetragen hat«, fuhr er fort, auf das Aktenbündel blickend, welches Lorenz unter dem Arme trug. Infolgedessen trat dieser an einen Tisch, breitete auf demselben die mitgebrachten Papiere aus und begann in schmuckloser, schlichter Weise seinen Vortrag über die Reise. Zunächst konnte er als Anhalt dabei den bereits begonnenen für den König bestimmten Bericht verwenden, als dieser jedoch abbrach, mußte er sich mit den Notierungen und Aufnahmen behelfen, die er sich unterwegs gemacht hatte. Doch auch das hatte keine Schwierigkeiten, denn alle diese Zettelchen und Blättchen lagen sämtlich systematisch geordnet, so daß er sich immer mit Leichtigkeit zurechtfinden konnte.

Der König folgte den Darlegungen mit gespanntester Aufmerksamkeit und bemerkte auch mit sichtlichem Wohlgefallen die musterhafte Ordnung, welche in dem umfangreichen Material herrschte. Wiederholt nickte er beifällig mit dem Kopfe, und als Lorenz geendet hatte, trat er mit helleuchtenden Augen auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Da hat Er sich ein großes Verdienst um das arme Land erworben«, rief er. »Ich bewundere sein Geschick, mit dem Er sich alle die Angaben aus den Leuten herausgeholt hat. Er hat ein sehr klares Auge, einen scharfen Blick, ein sicheres Urteil über alle Verwaltungsarbeiten. Und mit all diesen Eigenschaften darf Er mir nicht mehr in die Schreibstube seines Generals kriechen; Er muß bei mir bleiben, ich werde ihm einen Platz geben, wo Er seine Fähigkeiten zum Nutzen des Staates auch ordentlich verwerten kann. Und damit die Leute auch von vornherein den nötigen Respekt vor ihm kriegen, werde ich ihn gleich zum Geheimrat machen.«

Lorenz traute seinen Ohren kaum. »Majestät!« brachte er hervor und die Tränen traten ihm in die Augen.

»Nun, verliere Er nur den Kopf nicht«, versetzte der König. »Damit wir übrigens noch etwas über Pommern sprechen können, kann Er heute mittag bei mir essen. Jetzt muß ich zur Parade. Um zwölf wird aufgetragen.« Damit nickte er mit dem Kopfe und Lorenz war entlassen.

Der Überglückliche tappte nun zunächst wie im Traume umher; er wußte nicht, wie er aus dem Audienzzimmer heraus und die Treppen hinabkam; erst als er auf der Straße stand und die vorübergehenden Leute ihm verwundert in das freudestrahlende Gesicht blickten, wurde er inne, daß er sich wieder in der nüchternen Alltäglichkeit befand. Er preßte daher seinen Talisman, sein Aktenheft, fest unter den Arm und eilte davon, quer über den Schloßplatz, mitten in das laute Treiben der Straßen hinein. Fortwährend mußte er sich bezwingen, daß er nicht laut aufjubelte und sich dadurch lächerlich machte, denn immer wieder hörte er den König sagen: »Und damit die Leute schon von vornherein den nötigen Respekt vor ihm haben, werde ich ihn gleich zum Geheimrat machen!« Zum Geheimrat! Hurra! Und dann wußte er auch, wen er alsbald zur Frau Geheimrätin machte, das war so klar wie zweimal zwei vier. Denn unter die Leute, die den nötigen Respekt vor ihm bekommen mußten, zählte dann auch Seine Exzellenz der Herr General von Blankensee! Glücklicherweise war Marie, wie Lorenz durch den Johann erfahren hatte, noch nicht nach Königsberg abgereist, sondern weilte noch immer bei der Tante in Berlin. Nun sollte sie die lange und mühselige Reise nicht zu unternehmen brauchen, so wahr er jetzt der Geheimrat Lorenz war!

In diesem Moment schlug es auf einem Turme dreiviertel auf zwölf; er fuhr erschrocken zusammen. »Um zwölf wird aufgetragen!« murmelte er und wandte sich schnell nach dem Schlosse zurück.

In seiner Stimmung war es ihm gar nicht eingefallen, vor der Tafel noch etwas Toilette zu machen; als er daher Punkt zwölf Uhr in das Schloß und gleich darauf in den königlichen Speisesaal trat, lag noch der Straßenstaub auf seinen Kleidern und Schuhen, so daß die Damen und Herren des Hofes, welche sonst noch zur Tafel geladen waren, verwundert und naserümpfend auf ihn herabsahen. Allein der König trat sogleich, als er seiner gewahr wurde, freundlich auf ihn zu und stellte ihn als den Geheimrat Lorenz den Anwesenden vor, worauf sofort jeder sich bemühte, ihm höflich entgegenzukommen; denn mit dem richtigen Instinkt der Hofleute fühlte jeder heraus, daß dieser unscheinbare Neuling noch eine bedeutende Karriere machender und zu den höchsten Stellen emporsteigen werde.

Und so war es auch. Während der Tafel unterhielt sich Friedrich Wilhelm fast nur mit Lorenz, fragte ihn noch über die verschiedensten Verhältnisse in Pommern aus und war von allen Antworten, die Lorenz gab, aufs höchste befriedigt, nicht selten sogar erstaunt, so daß er, als die Tafel aufgehoben war, wiederholt zu den Herren seiner nächsten Umgebung sagte: »Ist ein Hauptkerl, dieser Lorenz, ein Teufelskerl; wohin man tupft, überall weiß er Bescheid; habe lange nach einem solchen Menschen gesucht.«

In den Hof- und Beamtenkreisen machte daraus der Ausspruch des Königs: »Ein Teufelskerl, dieser Lorenz!« schnell die Runde und die Neider verfehlten nicht, ihre Witze darüber zu machen; das kümmerte aber Lorenz nicht und hatte auch nicht den geringsten Einfluß auf seine amtliche Tätigkeit, in der er sehr bald zeigte, daß er ein Mann von hervorragendem Wissen und Können war.

Noch am Nachmittage nach der königlichen Tafel ernannte ihn der König zum Vorsitzenden einer Kommission, die die Reorganisation der Verwaltung Pommerns beraten sollte, und als diese Beratungen zum Abschluß gebracht waren, zum Chef der Beamten, mit Hilfe deren Lorenz sodann in der umsichtigsten und zweckmäßigsten Weise die Reorganisation in der ganzen Provinz durchführte.

Neben dieser erfolgreichen organisatorischen Tätigkeit im öffentlichen Leben nahm Lorenz aber auch sehr bald eine wichtige Umgestaltung seines Privatlebens vor, er warb um seine geliebte Marie, und der General durfte ihm jetzt keine abschlägige Antwort geben; er war sogar erfreut, daß er seine Tochter nun an einen so einflußreichen Mann verheiraten konnte, und richtete dem Paare eine glänzende Hochzeit aus.

Später stieg Lorenz noch zu den höchsten Ämtern im preußischen Staate empor, wurde vom Könige geadelt und erhielt sich dessen Gunst sein ganzes Leben hindurch. Er war einer jener Männer, die mit Friedrich Wilhelm den straffen und pflichttreuen preußischen Beamtenstand schufen, welcher noch heute der Stolz dieses Landes ist, und auch ferner einer von denen, die aus dem unter Friedrich I. so tief verarmten Lande wieder ein gutsituiertes, ja blühendes machten und durch weise Sparsamkeit nach und nach einen baren Staatsschatz von neun Millionen Talern sammelten. Sie schufen damit das breite Fundament, auf dem sich sodann Friedrich der Große sein hochragendes Denkmal errichten konnte.


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