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Das Ibsengesicht

Es ist blaß, beinahe weiß – ein Frauenantlitz: zwei Augen glasiggrün und kalt, mit einem glitzernden Unterton unter glattem, fast weißblonden Haar. Ein schmaler Mund, um den es zuckt; ein Zusammenziehen der Lippen. Die Züge gleichgültig – Durchschnitt – auch die Figur. Über dreißig Jahre alt ist diese Frau, Gattin und Mutter. Guter Adel, ein reguläres k. u. k. Beamtendasein, in Nestern und Provinzstädten, ihres farblosen Mannes eintöniges Dasein. Sie haben Kinder, Verwandte, Freunde. Die Frau ist weniger sympathisch, besonders den Damen nicht. Auf Männer übt sie einen gewissen, kalten Schlangenreiz aus. Sie liest und musiziert. Sie grübelt und brütet. Ihr Lächeln ist ein beinahe grausames Verziehen der Lippen. – Mein Vater liebte keine Mädchenfreundschaften. Er nahm unserer Jugend damit viel, aber er sagte unerbittlich: Frauen werden von Frauen am meisten verdorben.

Eines weiß ich heute. Die sogenannte Freundschaft einer noch jungen Frau ist nichts für ein junges Mädchen. Der Egoismus der erwachten Frau ist beispiellos.

Ich lernte sie kennen an einem der Hoyosabende, als ein kleiner, geistig reger Kreis von Menschen beisammen saß, schöne Musik gemacht und dann über Literatur geredet wurde. Über das » Puppenheim« von Ibsen. Eleonore Duse war in Graz gewesen, ich hatte sie gesehen und kennen gelernt. Auf der Bühne ein Wesen von triebhaft dunklem, der Wahrheit unter zuckenden Schmerzen nachspürendem Genius.

Im Leben wieder eine jener Enttäuschungen großen Stils. Es war auf einer Soiree. Alles umdrängte diese Frau, um deren edle Körperlinien, in ihrer sonderbaren Gelöstheit, die kostbaren Stoffe in wundersamen Farbenspielen fielen. Sie saß da, großäugig, düster, selbst im Lächeln herzzerreißend; das alles, nicht gemacht, war ihre eigenste Natur. Sie redete nichts, sie reagierte auf gar nichts. Sie war eine unnachahmliche tragische Linie mit leidverzehrten Augensternen. Auf die Dauer hält das Keiner aus. Es wurde Einem allmählich begreiflich, daß der Geschmack einer solchen, hypertragisch gestimmten Seele im Alltagsleben die laute Geste und Note eines D'Annunzio, ihres Widerparts, sein konnte. Jedenfalls, sie machte an diesem Abend durch ihre Großartigkeit alle tot.

Gespielt aber hatte sie mit allen Tönen, die je ein Menschenherz erschütterten. Die Debatten gingen über sie, das Stück Ibsens, ihre Auffassung des »Puppenheims«. –

Angelika – ich will jene Frau so nennen, schwieg. Sie hörte nur zu – aufmerksam, lauernd. Ich mußte sie immer ansehen. Mich quälte es: Was denkt sich die? Wir gingen dann zusammen einen Weg nach Hause, den Diener hinter uns, durch die toten Straßen. Sie sagte plötzlich: »Edith Salburg, besuche mich.« Ich tat es.

Einige Monate lang waren wir oft zusammen. Wir diskutierten stundenlang über Menschheitsprobleme, Literatur. Wenn ihr Mann nach Hause kam, gutmütig, etwas nörgelnd, mit seinem Haushalt nie recht zufrieden, verstummte die Frau sofort. Sie kam nun oft zu Hoyos. Es waren Novembertage im Rauhreif. Die alte, steirische Stadt in der Pracht ihrer Parkanlagen sehr schön. Im Theater herrschten Ibsen und Hauptmann. Man gab die »Einsamen Menschen«, die »Frau vom Meere«, »Hedda Gabler«. Man gab Tolstoi und Dostojewski, in deren Werken ich lebte, gab sie mit großen Künstlern. Bei Angelika in ihrer kleinen, aber vornehmen Wohnung zu sitzen, zwischen Bildern und Büchern, bei leisen, alltagsfremden Gesprächen, fesselte mich bald gewaltig. Ich habe diese Frau nicht eine Stunde lieben, nie ihr schrankenloses Vertrauen bieten können, instinktiv mißtraute ihr meine Seele und empfand dabei ein ratloses Mitleid. Was sie umgab, zog sie an sich, hielt es in festen Händen, alles parierte ihr, sie tauchte in meine Natur, hieß mich reden und reden. Sie spürte mir nach – etwas suchend – das, ich weiß es heute, nicht da war; sie aber wollte es da haben. Sie brauchte es. –

Eines Novemberabends kam ich zu ihr von der Eisbahn, fröhlich und jung. Ich hatte eine großartige Raskolnikow-Aufführung mitgemacht, darüber mußte gesprochen werden. Es war dunkel in dem kleinen Salon. Nur das Ofenfeuer flackerte. Angelika saß in einem hellen Kleide davor. Wir plauderten wohl eine halbe Stunde. Dann nahm ich wahr, daß noch jemand im Zimmer anwesend sei; in einer Ecke am Klavier saß ein Mann. Das Licht flammte auf, er erhob sich langsam. Sie stellte ihn mir vor, einen Verwandten ihres Gatten. »Er wird hier sechs Monate verbringen«, sagte sie.

Wir redeten weiter von fernen, uns doch so nahen Dingen; bald war es, als sei dieser Dritte immer da gewesen. Er war vornehm und ernst, nicht mehr ganz jung. Was er sagte, klang kurz abgebrochen, präzis. Es waren starke Meinungen. Angelika ließ mich nicht fort. Stunden vergingen, immer in der gleichen, unpersönlichen, beglückenden, leise erregenden Weise. Tiefliegende Augen, dunkel und wechselnd im Ausdruck, ruhten forschend auf mir. Ich gewahrte eine schlanke Reitergestalt, einen feingezeichneten Kopf, voll von Widersprüchen. Die Beiden begleiteten mich dann heim durch die diamantenfunkelnde Pracht. Ich habe diese ganze Nacht nicht geschlafen. Und noch viele andere Nächte nicht. Das Märchen war in mein Leben gekommen. Es lachte und lockte, mit fieberroten Lippen: Komm mit in den großen Wald, er ist so schön. Wir wollen uns verirren – ganz wo anders herauskommen. Ganz wo anders! – Das Märchen raunte und spann. Kein Tag dann, wo wir nicht zusammen waren, Angelika rief nach mir – ich kam. Wir wanderten weit in die Berge hinein, fuhren im Schlitten. Mir war, als hätt' ich früher nie gelebt. – Nach vier Wochen war Weihnacht – der Fremde reiste ab, auf Urlaub, nach Hause. Als er fort war, sagte mir plötzlich einmal die Freundin lächelnd: »Er ist verheiratet, weißt du.« – Damals bin ich in die Kirche gegangen und habe dort gesessen, lange Zeit. Ich hielt in mir eine große, strenge Einkehr. Meine ganze Natur war erschüttert, zitterte. Ich hatte niemanden; niemand durfte etwas ahnen. Ich bezwang mich eisern – saß vor Angelika unbewegten Gesichts. Und nahm mir vor, mich einzustellen auf einen neuen Ton. Aber dieser Frau gegenüber, in ihrer stummen Unergründlichkeit, war man wehrlos. Viel später erst wurde mir, durch sie selbst, die sich brutal zur Wahrheit bekannte, vieles klar. Sie liebte ihn leidenschaftlich, irgend jemand als Dritte mußte vorgeschoben werden, jeden Verdacht abzulenken. Wer besser als ein junges Mädchen, das durch die freisinnige Schriftstellerei in seinem Kreise vielfach als kompromittiert galt? »Du bist doch Schriftstellerin,« sagte sie mir mit kaltem Lächeln. »Die nehmen es nicht so genau, die wollen erleben!«

Ich habe nichts erlebt, es hat in meinem verwaisten Leben ein Schutzengel gestanden, groß und feierlich. Nur Leid war da, sonst nichts. Die natürliche Skrupellosigkeit der männlichen Natur hätte wohl kaum Halt gemacht vor einer Existenz, die etwas vom Freiwild an sich hatte, in ihrer inneren Verlassenheit.

Jahrelang hab' ich dann schweigend einen großen Schmerz, der mir als eine Schmach erschien, getragen. Der Fremde ging endlich wieder fort, in sein Leben zurück. Ich löste mich von der Frau, deren suchende Augen meine Existenz durchwühlten. Sie fand nichts. Später wurde sie nervenkrank. Aus bloßer Sensationsgier zerstörte sie eine Ehe, von langem Bestande, endete in einem Sanatorium.

Das Zerrbild des Ibsengedankens hat sich in ihr gespiegelt. Ihresgleichen gab es mehr.



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