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Typen und Zeitgestalten

Neben der hochadeligen Großmutter, vor der man uns hütete, die wir fürchteten und haßten, gab es eine zweite, die bürgerliche; ein altprager Kind, des ersten prager Advokaten Tochter; die Frau des strengen kärntner Großpapas. Sie hatten ein Landgut eine Tagereise weit von uns; dies war das einzige Paradies meiner Kindheit. Nie werde ich Egendorff vergessen, wie ich es sah. Alles, was bei uns, aus Grundsatz und Veranlagung, fehlte, die breite Lebensführung, das Schöntun und Verziehen, die andauernde Beschäftigung mit Kindern, die Freiheit in Haus und Hof, dort war es. Um die Gestalt dieser zweiten Großmutter in altmodischen Seiden- und Barègekleidern, echte Spitzen am Häubchen, unsere Bilder in der Brosche, schwebt meiner Kindheit einziges Aufatmen und Glück. Sie handarbeitete immer – meine Mutter niemals. Sie war ganz weiblich, ihre Tochter hatte Härten. Bei ihr zu sitzen, mit ihr Patiencen zu legen, Kartenspiele zu erlernen, war Seligkeit. Ich liebte ihre Umwelt, alles um sie trug reichere Farben. Wie hell das klang: »Heut kommt die Großmama!« Sie vertrug sich sehr wohl mit meinem immer ritterlichen Vater, fast besser als mit der Mutter. Manchmal seufzte sie. Ihr hab ich heimlich erste Gedichte vorgelesen, nur ihr. Stumm saß ich oft stundenlang in der Trautheit ihres Zimmers, vor dessen Fenster ein Blumengarten duftete. Zwischen Eltern und Großeltern fehlte es an hitzigen sozialen, politischen Debatten nie, solange ich nur denken kann. Wir waren eine Familie, in der die Angelegenheiten fremdester Leute heftig erörtert, die Urteile rasch und kräftig gefällt wurden. Temperament kochte in der Atmosphäre, die Objektivität fehlte. Dynastie- und Nationalitätenfragen kehrten regelmäßig wieder, grell beleuchtet. So schimpft nur der Österreicher. Früh hörte ich verblüffende Urteile über Unantastbares im Staate, Kirche, Heer, Herrscherhaus, große Männer. Respekts- und Schonungslosigkeit feierten Orgien in Worten, die witzig, ja geistreich funkelten. Aufbauend für eine Jugend waren sie nicht. Einer Szene werde ich mich stets entsinnen, als ich neben Großmutters »Tritt« auf den Stufen kauerte unter dem großen Wachsblumenstock, den sie gezogen, einen Band Fliegender Blätter auf den Knien, hinhörend auf erregtes Disputieren der Erwachsenen. Ich sehe die Hände der alten Frau sich fleißig an dem kunstvollen Strumpfmuster bewegen, das sie für Enkel strickt. Im roten Samtfauteuil sitzt weißgekleidet, mit ihrem leuchtenden Blondhaar, meine Mutter, deren Stimme laut und trotzig klingt. Mein Vater lehnt müde in seinen Kissen. Es wird nicht immer auf ihn gehört, der das Maß vertreten möchte. Mein junger Onkel, Mutters Bruder, weltklug, wienerisch flott, zieht alles ins Höhnische, er witzelt sich ungutmütig durch das Gespräch. Und Großvaters ungewöhnlich schön geschnittenes, aber kaltes Gesicht mit den schmalen Lippen, ein hochbegabter Mann, der nie etwas wurde, und dessen wahre Gesinnung stets ein Rätsel blieb, trägt einen gereizten Ausdruck. – Wovon sprechen sie? Sie führen ein echt, ein typisch österreichisches Gespräch, sie schmähen vernichtend die Tschechen, deren Kulturdrang in Teilen Böhmens immer wieder emporzuckt. Sie schimpfen politisch, menschlich und sozial. Denn das Wort Tscheche ist bei uns gleichbedeutend mit Karikatur, lächerliche Figur, Diebsfinger, falsches Luder. Das stand ganz fest; die ernst zu nehmende Gestalt eines Tschechen hat man auf keiner Bühne, in keinem Buche gefunden. Nach dem politischen Schimpf kam der menschliche dran. Die ganze Nationalität lag im Kote, und jeder gab ihr einen Tritt. Da sagt die Stimme meiner Großmutter hinein in einen Moment Erschöpfung: »Ich bin eines tschechischen Vaters Tochter, daran habt ihr wohl nie gedacht. Eines hochangesehenen, ehrenwerten Mannes, auf den Prag stolz war. Tschechen waren meine Lehrer, tschechische Dichtung und Musik begeisterte meine Jugend. Es ist auch eine Nationalität. Sie hat auch ihr Recht auf Entwicklung. Ein Tropfen ihres Bluts ist in dir, mein Kind. In ihr beschimpfst du deine Mutter. Ich schäme mich meiner Nationalität aber nicht.« Meine Großmutter, in ihrer Fraulichkeit so etwas Ernstes sagen zu hören, das hineinspielte in die beginnenden Tragödien des Vaterlands, machte Eindruck. Es entstand ein Schweigen. Der Vater räusperte sich. Um die Lippen seiner Frau und ihres Bruders zuckte verhaltene Ironie, in ihren Augen aber war ein leichtes Erschrecken, das ihnen die Wangen färbte. Mein grübelnder Kinderblick strich an ihnen hin, forschend. Die Großmutter war blaß. Sie saß ruhig da, aber ihre Hände zitterten. Ich schoß plötzlich empor und umarmte sie heftig. Irgend etwas in meinem Herzen tat mir weh. Sie zog mich fest an sich, ich fühle den Druck noch heute. Sie sagte leise: »Achte und ehre dein Land in jedem Tropfen Bluts – in allen seinen Söhnen.« Mein Vater stand auf. Er beugte sich zu ihr herab, küßte ihr die Hand, ging still hinaus. Diese Großmutter war die große Liebe meiner Jugend. Sonst hing ich mit lebendiger Betätigung an keinem. Wir waren zu eingespannt in Formenwesen, und über uns brütete der Familienhaß, das Wahrzeichen vieler adeliger Geschlechter. Er war im Hause, – wir fühlten ihn immer und überall.

Ich sehe die Gestalten meiner Umwelt in dieser Landeinsamkeit. Absterbende alte Schloßdienstboten aus der Zeit des letzten Feudalherrn, meines Großonkels Josef. Unter dem noch Leibeigenschaft war, und das Jahr 48 die Bauernschaft plötzlich frei von Hörigkeit aber auch stützenlos machte. Dieser Ahnherr gab mir viel zu denken. Er war es, dem ich glich, im Saale hing sein Bild mit Zopf und Jabot im Sammetrock. Ein auffallend kleiner Kopf mit braunen Augen, in denen eine Welt von Herrentum und feiner Ironie lag, von Unbeugsamkeit. Wie oft hab ich diese Welt vor mir aufstehen lassen! Oben, auf dem Dachboden, im Archiv, sprach Manches von ihm. Der Dechant, der die Historie des Landes pflegte, erzählte: »Das, ja – das war ein Graf, – so denkt man sich einen im Bösen und Guten. Er hat die Bauern regiert wie keiner – auch auf sie geschaut, sie aus dem Schmutz und der Finsternis gezogen.«

Im Jahre 48, als die Freiheit kam, fuhr nach ihrer Verkündung dieser Schloßherr am ersten Sonntag nach dem Systemwechsel zur Kirche. Wie immer in großem Staat, mit Kutscher, Diener und Büchsenspanner. Schon auf dem ganzen Weg durchs Dorf hat ihn kein Mensch gegrüßt. Höhnische Blicke folgten dem Wagen. Als er ausstieg, standen die Bauern unter den Linden geschart. Auch da musterte man ihn, es grüßte keiner. Er blieb stehen, sah sie sich an, hob die Reitpeitsche, fegte ihnen angesichts des Pfarrers, der ihn furchtsam erwartete, die Hüte allesamt vom Haupt. Dann nickte er ganz freundlich, betrat die Kirche. Am nächsten Tage kam eine Bauerndeputation ins Schloß. Sie wollten die alten Zustände wieder haben, die bequeme Unfreiheit, das willen- und gedankenlose Versorgt-, auch das Geschunden-werden. Das nun freilich konnte er nicht gewähren.

Seine Frau ist eine sehr vornehme Dame gewesen, die standesgemäß an einem Hofball starb, auf dem sie sich verkühlte. Und da ist ein Büchelchen in meine Hand gefallen mit wenigen Blättern, in schwerer amarantfarbener Seide fein gebunden, darin Muster an Muster köstlicher Stoffe für Frauengewänder. Eine Hand hatte darunter geschrieben: »Hab ich mir da bewahret die Muster all von den Toiletten, so meine herzliebe Gräfin ihrzeit getragen. Ist das schöne feuille de Rose Kleid, so ich ihr gebracht von meiner letzten Reisen, der armen Liebwerten zum Sterbegewand geworden.«

Meine Ahnen hatten keine gewaltige Geschichte, ich muß es ehrlich bekennen; nicht Initiative noch Geist trugen sie hoch empor. Sie saßen auf 32 Schlössern, großen und sehr kleinen, in Oberösterreich. Genannt von ihnen wird nur ein trotziger Protestant, der in arge Gefahr kam – dann einer, der den Orient bereiste, den alten Marmorbrunnen mitbrachte, der im Schloßhof plätschert; und ein Graf Gotthart, der am Hof als hoher Beamter eine Rolle spielte, sogar Münzen prägen durfte. Im Übrigen war es ein Geschlecht, wie viele; bodenständig, vorurteilsvoll, aber deutsch im Denken. Und verkam nicht in andauerndem Hofleben. Lebte auf den Gütern, in der Heimat, die es innig liebte. Ein Zusammenhang mit dem deutschen Bauerntum des Landes bestand unausgesetzt und wurde hochgehalten. Wir kannten die Bauern, die Bauern kannten uns. Schloßleben und Leben der Höfe hat manches Gemeinsame, das Denken ist ähnlich, der Hochmut gleich.

Buntes Bilderbuch meiner Kindheit, tu auf die Blätter! Da ist der Förster Stepaneck. Er war ein Böhme, und später hieß es, er hat gestohlen. Seine ganze Linie bestand aus krummer Devotion, er ging nicht die Treppen empor, er krümmte sich aufwärts. Ich glaube, daß er hinterrücks ein sehr böses Maul über uns hatte. Wenn er zum Vortrag bei Papa erschien und uns, so klein wir noch waren, sein serviles »kiß die Hand, kiß die Hand« zuwinselte, sagten wir: »O je, der bringt wieder kein Geld.« Das stimmte meistens. Wir verachteten ihn tief, weil er so viele brüllende Kinder hatte und seine Frau wochenlang in der Nachtjacke herumlief, Sonntags aber eine große Feder am Hute trug. Es war sehr peinlich, wenn wir – eine seltsame Strafe des Ehrgefühls – nach schweren Vergehen in Papa's Zimmer vor ihm stramm stehen mußten und ihm unsere Versündigung mitgeteilt wurde, damit er uns verachte. Er sollte uns dann drei Tage nicht grüßen, aber das tat er nicht. Er hatte Angst. Sonntags schleppte er die Bauern heran, die nicht zahlen wollten, oder die allerfrechsten Wildschadenförderer, die einen wahren Unfug trieben. Da war ein Bauer, der ließ seine fünf Buben an den Wechselstellen des Wildes schlafen und Wildschadenspuren künstlich herstellen durch ihren Körpereindruck. Es rissen die Unglaublichkeiten nie ab.

Die Förster wechselten ab und zu, meistens aber waren sie Böhmen, deren devote Art behagte dem Herrn. Da ist der kleine dicke Jäger, Kaiblinger, krumm wie sein Dackl, mit roter Nase, immer humoristisch, mit dem Wald verwachsen. So treu als man es eben überhaupt verlangen kann.

Der Wachter und die Wächterin, zwei Gestalten, bodenecht, Hausgeister des Schlosses, die Gärten betreuend, ohne jeden Sinn für Schönheit und Anmut. Tief philosophisch veranlagt, Fatalisten, langsam in Wort und Tat. Kündigte man ihnen, sie gingen nicht. Er rauchte welke Haselnußblätter; Sauerkraut und Brennsuppe, schwarze Knödel waren die Sterne ihres Daseins. Sie wusch immer Wäsche, sich selber aber nie.

Ich sehe die uralte Mahm aus dem Einlegerhäusl hereinschleichen, sie bringt Kräuter und Bisam, Speik, Arnika. Sie kann zaubern, wir wissen es alle, der Pfarrer hat sie gewarnt, ihre Seele ist schwarz. Aber da sind auch im Schloß Leute, die lassen sich von ihr Warzen vertreiben, Wunden besprechen, Blut stillen, wahrsagen. An Regennachmittagen war sie sogar oben bei uns und sollte mein Brüderchen besehen. Das aber spuckte sie an, sie gefiel ihm nicht.

Über die weiten Strecken und Hügel wandert der Briefträger mit der Tasche. – Ein Schneider ist's. Er kommt unpünktlich, er ist nicht verläßlich. Er kann auch nicht lesen. Das macht nichts. Er hat alles im Kopf, Irrtum ausgeschlossen. Gibt es Spektakel, so trinkt er Kaffee und lächelt milde. Er selbst legt keinen Wert auf den Postverkehr. Denn ihm schreibt ja keiner. – Da sind die Gestalten der Boten, die sogenannten Weltmenschen der Gegend, die weit hinaus kommen nach Stadt Steyr, Kirchdorf, Kremsmünster, sogar in die Weltstadt Linz, wo der Bischof wohnt und der Statthalter. Die Boten mit den Plachenwägen haben alle den Größenwahn, klatschen und lügen fürchterlich und fordern dafür Tribut ein. Ohne Boten keine Existenz. Sie bringen alles und verwechseln alles.

Ich sehe in meinem Buche die trüben Bilder der uralten Einleger, gewesene Bauern, Dienstboten, gänzlich unversorgt, zerarbeitet bis aufs Letzte. Sie werden reihum auf den Bauernhöfen zwangsweise ernährt, manchmal schandbar. Auch das Schloß hat sein Teil von ihnen. Es umgibt ihre trostlosen Erscheinungen die Atmosphäre des Preisgegebenseins im Staate, einer im ärgsten liegenden Armenpflege, die zum Himmel schreit. Viele erfrieren. Alle hungern. Es fehlt im rückständigen Lande überall an Versorgungshäusern, ordentlichen Spitälern. Die damals noch populäre Erscheinung des Hausierers zog lustig von Haus zu Haus und nahm für Schund Geld mit. Und es kamen die Bäuerinnen, auf dem schweren schwarzen Kopftuchgefältel in größter Hitze den beladenen Korb. Sie brachten alles Mögliche frisch vom Boden her. Ich entsinne mich der Preise, die schon nach dem Krieg von 66 ins Wachsen kamen, aber in unserem industrielosen, fremdenleeren Lande doch länger so wohlfeil blieben, daß sie heute wie märchenhaft klingen. Milch kostete die Maß vier Kreuzer, 60 frische Eier gab es um einen Gulden, ein Paar Hühner um fünfzig Kreuzer. Die schönste Butter, Honig, Obst waren spottbillig. Wild hatte der Besitz im Überfluß, Holzreichtum, Gemüse. Es ließ sich leben, auch wo das Geld knapp war. Die Löhne und Gehälter kann ich noch nennen. Die hoffnungslos unabrichtbaren oberösterreichischen Bedienten, Burschen, die ihr Militärjahr gemacht haben mußten, und es nie lernten, daß Türen geschlossen werden müssen, daß man sich täglich wäscht und kämmt, bekamen zehn Gulden im Monat. Ein Hausmädchen, der sogenannte Patsch, dem jede Schwerarbeit hingeworfen wurde, bekam zwischen vier und sechs Gulden. Eine sehr gute Herrschaftsköchin hatte zwölf Gulden. Die Gouvernante für Alles, die uns täglich sechs Stunden bewissenschaftete und sechs erzog, erhielt im Monat dreißig Gulden. Wir waren drei zu unterrichten. Bei den Beamten der Herrschaft half man sich mit Deputaten. Sie lebten alle durchaus nicht schlecht. Auch das Wirtshaus in der Mitte ihrer Wohnungen gedieh und kam auf seine Kosten. Es waren ruhige Zeiten des Sich-Leben-lassens, der Genügsamkeit.

Kleider wurden zuhause genäht, man kaufte nichts. Wäsche häufte sich in alten Schränken. Papa selbst wurde täglich von der treuen Marie, die führend in den Haushalt hineinwuchs, das sogenannte Küchenbüchl vorgelegt. Da stand vieles drinnen – Eigenartiges, hurtig und schlau eingeschmuggelt zwischen Kalbfleisch und Seife. Mein Vater wußte genau, was er ausgab. Er sparte, wie es adelige Art selten war. In der ungeheuren Bedrängnis, die ihm die Verschwendung der Mutter hinterlassen, verlor dieser glänzende Husarenoffizier aus feudalen Tagen des Nicht-Rechnens nie den Kopf. Er war einen schweren Gang zum Kaiser gegangen, der ihm die Steuerfülle rascher Besitzwechsel nachließ und so den Sequester verhinderte. Der Kaiser kannte die alte Reichsgrafenfamilie, die ihm vielfach gedient. Sie gehört dem zwischen 1600 und 1740 ausgebauten Reichsadel an, gegraft unter Leopold dem Ersten im Jahre 1662. Streng unterschieden sich diese sogenannten an den Stufen des Thrones geborenen Herrengeschlechter vom Ritter und vom neuen Adel, der in Österreich nicht sehr respektiert wurde. Denn die Dynastie hatte sich immer auf diese Grundbesitzenden gestützt, und man diente in Österreich nicht einem Reiche, sondern einer Familie. Die Stände knechteten, so lange es nur anging, das Volk und unterdrückten die Lebens- und Mitarbeitsfähigkeit eines deutschen Bürgerstandes, lebendiger Intelligenz, den sie gar nicht wollten. Die Erblande verkörperte der Reichsadel, er hatte das Wort, das Ohr der Monarchen. Und zwar immer mehr ein verwelschter, undeutscher Adel. Der verdrängte deutsches Herrentum. Mein Großvater empfing als Kammerherr die junge Kaiserin Elisabeth zu Passau, als sie österreichischen Boden betrat. Sie hatte ausgerufen: »Was für ein dicker Kämmerer!« und entsann sich dessen später noch mit einem Lächeln, als mein Vater ihr Kämmerer war und das Wiener Hofleben streifte, das seiner ehrlichen Natur nie gefiel. –

Bilderbuch, erzähle Geschichten! Da ist der Landarzt alten Typs, beladen mit Instrumenten, Flaschen und Schachteln; er ist ein furchtbarer Mensch. Man zeigt ihm die Zunge mit Überzeugung. Er nennt jede Krankheit einfach einen Prozeß. Seine Fremdwörter wirbeln, seine Irrtümer und Jenseitsbeförderungen sind zahlreich. Den Bauern macht das nichts. Sie holen ihn ja doch immer erst nach dem Schäfer, wenns zu spät ist. Neben ihm erscheint die kläglich magere Gestalt des Meßners, der auch Steuerzettel austrägt und in verschiedenen Ämtern das Schloß betritt, mit Botschaften aus dem allezeit baufällig genannten Pfarrhof, mit Klagen und Bitten. Der Meßner ist auch Leichenmann, Spezialist im Sterben. Eine »schöne Leich« ist sein Höchstes, er sieht jeden darauf an, wie er als Leiche wirken wird. Er prophezeit jedem ein baldiges Ende, seine ölige Stimme quiekt salbungsvoll, wenn er ministriert und die unterdrückten Frechheiten zweier Dorfbuben mit heimlichen Kniffen im Zaum hält. Er singt auch mit in der Kirche, nasal, und betet vor – es könnte hindostanisch sein, so klingt es. Der Meßner ist zugleich superfromm und heillos abergläubisch. Dabei hat er ein Schandmaul.

Und da ziehen schwere Bauerngestalten, dicke Wirte, gewichtige Holzhändler vorüber. Flößer mit wetterharten Gesichtern, braungegerbt. Holzknechte aus den tiefen Wildnissen der Berge, die in wochenlanger Verlassenheit fast das Reden verlernen, ernste Typen des Heimatvolkes. Bergbauern, arm und geprüft.

Aus Robot und Zehent sehr harten Zeiten erhob sich unter Josef II., unserem einzigen deutschen Monarchen, langsam ein befreiteres Geschlecht; und kurze Zeit war deutsches Wesen Herr in Österreich. Nur kurze Zeit! Es kamen die Tage der Metternich und Gentz, Franz' des Gütigen, der die Kriegskontribution Frankreichs als habsburgisches Privatvermögen einstrich, wozu alles mürrisch schwieg. Lang war das Bürgertum der vierte Stand gewesen und sprach nicht mit. Die Spuren eines alten Staatsorganismus, der in Wien wurzelte, waren unausrottbar. Städtische, bäuerliche und Patrimonialverwaltung trieben ihre besonderen Blüten. Es lebte ein starkes, gutes und bildungsfähiges Volk in geistiger Erstarrung, an die Josefs Hand erlösend gerührt, deutsches Wesen aufklärend gegriffen hat. Kirchliche, politische und geistige Denkart prallten in schweren Konflikten zusammen. Von dem aufblühenden Gewerbewesen, den Kleinindustrien Mährens und Böhmens, dem Bergbau der reicheren Steiermark hatte Oberösterreich nichts. Was ist das hier im Bilderbuche? Bei der Ruine Falkenstein steht auf ödem Platz ein schwarzes Etwas – ein Galgen. Der wurde uns Kindern gezeigt. Noch in den vierziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts ward da die letzte Hexe verbrannt. Hexenglauben und Religionszwiste haben in Oberösterreich stark gewütet.



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