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Karl Habsburg

In erzener Zeit, wo Stahl und Stein unerbittlich aufeinander klingen – ein lyrischer Ton, ein weich und fröhlich dahingesungenes Lied, das die Sonne sucht, den blauen Himmel grüßen möchte! Glücklich sein! – sorglos sein! – ein österreichisches Kind! Österreicherblut heiß und jung, Leutnantsblut – ja: – ein kleiner Leutnant. –

An den Thron kein Gedanke! Eines wilden, aber reizvollen Vaters, einer kirchlich frommen Mutter Sohn. Ein Reiteroffizier! So sehr weit vom Throne! Glücklich, im alten lustigen Prag, in der Provinz. Aufgehend in kleinen Interessen, in der Freundschaft zu Kameraden, in einer jungen Ehe, in der die Frau Herr ist, durch überwiegende Energie und die hinter ihr stehende nicht deutsche Sippe. Er selbst nur Österreicher, das gemischte Blut, das wechselnde Temperament, das Ungestüm, Übers-Ziel-hinaus-schießen. Nicht deutsch, das nicht. Sich allen Nationalitäten des Landes anpassend.

Ein unbeschriebenes Blatt, auf dem da und dort ein Wort aufflackert – sich wieder verwischt – es dürfen zu viele auf diesem Blatte schreiben. Die Jugendfreunde haben das Wort und herrschen. Sie sind die Umwelt. Vom Volke weiß er nichts. Was ist das – Volk? Dieses furchtbar Ernste, dieses unerbittlich Heischende, die große Stimme jenseits der goldenen Schranken? Man liebt das Volk nicht, das sind spähende Augen. Nein, man liebt es nicht. Und kennt es auch gar nicht. Darin liegt alles. Das Volk, das sind: empfangende Bürgermeister und geistliche Herren, Beamte in weißen Handschuhen mit Zylindern bei Glockenläuten, Vereine, weiße Mädchen, lange Reden, Langeweile, Phrasenentwicklung ohne Ende. Und dahinter dräuende Massen, die das Militär im Zaum hält. Die immer lauern und warten, gehetzt von einer proletarierhaften Intellektuellenschar. Das Volk ist Unruhe, Gärung, Vorwärtsdrängen, irgendwohin. Warum drängen? Die Gegenwart ist so schön. Sie ist schön für den hübschen, jungen Offizier mit der harmlosen Seele, den man besonders liebte, weil er ehrgeizlos, dem Throne so fern stand. Zwischen ihm und dem Kaiser blieb unerbittlich Franz Estes wuchtende Gestalt. Der ließ ihn nicht zu, der ließ ihn nichts lernen, denn die Zukunft war er. Er! Der junge Karl, dieser letzte Kaiser Österreichs, ist eines der großen Opfer erfüllten Schicksals geworden, wie Ludwig XVI. und andere. Er selbst war ohne Schuld, er hatte nichts verbrochen. Er floh auch nicht feige, er verließ seinen Posten nicht. Das Volk verstieß ihn, mitleidslos, das toderschöpfte, vor rasender Empörung und Seelenkrankheit zitternde Volk, in seinem Verbluten. Karls Leben klingt aus in einer Familientragödie, der niemand sein tiefes Mitempfinden versagen kann. Er starb jung, in der Fremde, notleidend, alle Qualen hat er gekostet. Nicht ohne tiefe Bewegung kann man seiner gedenken. Der letzte Habsburger klingt aus wie ein todestrauriges, ins Leere hinein gesungenes Lied, das über dem Abgrund verhallt. Er aber war der Schuldloseste seines Geschlechtes. Er wollte die Freude! Das Leid zerschmetterte ihn. In seinen jungen Tagen, da wir ihn sahen, war er nur einer mehr der Erzherzöge, mit dem Prestige, dem leichten Charme österreichisch vornehmen Wesens, der drängenden, aber bei ihm harmlosen Daseinslust. Auch er »machte Geschichten«, aber die belächelte man milde. Nicht so fern ist noch die Zeit, wo ein serviles Österreich seinen Dynastensöhnen zu deren Schaden alles verzieh, um ihnen zwei Jahrzehnte später alles vorzuwerfen. Ein jauchzender Ton flattert über die Erde, in den Frühling hinein, eine Uniform, schmuck und flott, leuchtet an schlanker Gestalt. Zwei hübsche Augen blitzen – ein Lippenpaar lacht sonnig ins Volk hinein, das zurücklacht – zwei Kinder. Und dann? In Schlachtenrausch und Blutorgien – die Karls schreckliches Ende gewesen sind, stirbt in Massen dieses Volk, er darf das nicht hemmen. Die Übriggebliebenen schleudern auf diesen Knaben die Steine. Niemand ist ungerechter als ein entfesseltes Volk. Er stürzt, unter Trümmern begraben. Ein junges Antlitz blutet, von der zerschlagenen Krone zerrissen. Um ihn liegen tot die Kameraden, die Besten des Landes, liegt die treue, herrliche, geopferte Armee. Knaben, Knaben! auf aller Lippen noch diese verlöschende Jugendsonne. Das sorglose, liebenswerte, das keck sieghafte Lächeln. »Ach was. – Durch! –« Da klingt noch einmal ein Liedchen auf, das diesen jungen Existenzen Leitmotiv gewesen, in glücklichen Tagen: »Fein – fein schmeckt uns der Wein – wenn wir zwanzig sind und die Liebe – – Wenn man älter wird, etwas kälter wird.« Das sind sie nicht geworden. In Hekatomben gefallen ist unser österreichischer Menschheitsfrühling, für die innerste, furchtbarste Versklavung eines Landes, die falsche Freiheit.

Lasset uns knien und weinen! Auch uns, die wir hatte Menschen geworden sind.



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