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Sechzehntes Kapitel.

Die Hussiten.


Und raubt man uns den alten Brauch,
Dein Licht, wer kann es rauben!

Goethe.

Dafür regte es sich im Hofe von Moldawa. Bewaffnete Landleute mit Fackeln, Herr Melnik, der Förster, die Waldheger sammelten sich um den Jesuiten. »Und Ihr habt Euch wirklich nicht getäuscht?« fragte Pater Loyola freudig erregt.

»Gewiß nicht,« entgegnete Kaplan Hruschka. »Geht mir nach. Ich werde Euch führen, sie fallen uns wie Zugvögel von selbst in das Netz.«

»Und Ihr seid gewiß, daß es Hussiten sind?«

»Hussiten, was sonst?«

Das Thor wurde geöffnet und die Bande zog, den Jesuiten und den Kaplan an der Spitze, dem Walde von Tabor zu. Gegen Norden in einer Lichtung desselben lagen drei dunkle Erdhügel. Das Volk nannte sie die Hussitengräber.

Zu diesen Hügeln führte Pater Hruschka die bewaffnete Schar. Unfern der Lichtung erwartete sie Frau von Bärneck mit ihren Leuten. Als alles beisammen war, traf der Jesuit leise seine Anordnungen, dann gingen sie, wie bei einer Treibjagd, in einen großen Kreis auseinander und zogen ihn langsam immer enger und enger um die Lichtung zusammen.

Schon lagen die Hussitengräber vor ihnen.

Hruschka faßte leise den Arm des Jesuiten und deutete hin. Alle standen still, keiner wagte zu atmen.

Die düstern Erdhügel bildeten ein Dreieck. In der Mitte desselben lag ein halbverwitterter Stein. Um diesen Stein lag die Hussitengemeinde, Männer, Frauen, Kinder und Greise auf den Knieen. Vor dem Steine stand Raboch, gekleidet wie sonst, nur sein Haupt war unbedeckt, sein graues Haar bewegte leise der Nachtwind. Er hielt die Hände vor sich gefaltet und betete, das Auge zum Sternenhimmel erhoben, ganz in seinen stillen Glanz gehüllt, und jetzt hob er den Kelch hoch empor über die Häupter der Hussiten und sie warfen sich auf ihr Antlitz und schlugen dreimal an die Brust.

In diesem Augenblick traten der Jesuit und der Kaplan aus dem Dickicht. Zugleich brach aber Diva durch ihre Leute und stürzte mit dem lauten Rufe: »Flieht, flieht! Die Jesuiten!« mitten unter die Gemeinde.

Eine furchtbare Verwirrung entstand. Ein Teil versuchte zu fliehen, andere zogen ihre Messer, die Leute des Jesuiten stürzten jedoch von allen Seiten herbei und drängten sie um den Stein zusammen.

»Ich verhafte Euch im Namen der Kirche,« rief der Jesuit.

»Im Namen des Gesetzes,« fügte der Bürgermeister hinzu.

»Ihr habt kein Recht dazu,« entgegnete Raboch würdevoll.

»Kein Recht!« lachte Frau von Bärneck. »Wir haben die Gewalt.«

»Gewalt ist nicht Recht.«

»Ergreift sie,« gebot der Jesuit und faßte Raboch bei der Schulter. Da sprang Diva auf den Förster los, entriß ihm die Flinte, stieß den Jesuiten mit dem Kolben vor die Brust, daß er zwei Schritte zurückwankte, und schlug dann auf ihn an.

Die ganze Bande wich zurück.

»Gebt Raum,« rief Diva mit wilder Hoheit. »Wer nicht zurückgeht, stirbt von meiner Hand.«

Sie richtete den Lauf ihrer Flinte bald auf diesen bald auf jenen im Kreise und trieb ihn so zurück, bis sich alles in Flucht auflöste, und vergebens tönten die Befehle des Jesuiten, Aspasias, des Kaplans, sie sahen sich verlassen, von den Messern der Hussiten bedroht, und zogen sich unter Verwünschungen zurück.


Den nächsten Sonntag predigte der Jesuit vor der Dorfkirche von Tabor unter freiem Himmel.

Während er von der Kanzel herab glühende Pfeile der Beredsamkeit gegen die Ketzer, gegen die Adamiten, gegen die Juden schleuderte, rief plötzlich eine Stimme aus der Menge: »Der Jude entweiht den Sonntag.« Niemand wußte, wer gerufen hatte, aber andere schrien gleich: »Der Randar arbeitet auf seinem Felde, er entheiligt den Sonntag.«

»Der Blutegel, der Wucherer, der Kirchenschänder!« ertönte es von allen Seiten. Die während der Predigt in der Schenke gegenüber tranken, kamen auch herbei und fluchten über den Juden, der den Sonntag entheilige durch Arbeit. Und Thomas, der widerwärtige Knecht der Jesuiten, stand unter den Bauern und hetzte. Auf einmal, ohne Verabredung, wie auf ein Signal, setzte sich ein Teil des Volkes in Bewegung und wälzte sich durch das Dorf zu dem Hause des Juden. Sie fanden ihn mit seinem Weibe, seiner Tochter und seinen beiden Söhnen vor der Hütte sitzen und die Zeitung lesen.

Einen Augenblick stutzte die Menge, dann trat Thomas vor und sprach zum Randar: »Was hast Du am Sonntag gethan, Jude? Du hast gearbeitet.«

»Gott der Gerechte, warum soll ich nicht arbeiten, arbeitet Ihr doch am Sabbath.«

»Willst Du uns zu Juden machen, verfluchter Hund!« brüllte Thomas, packte den Randar an der Brust und warf ihn an die Wand. Die Söhne Aaron und Benjamin sprangen dem Vater zu Hilfe, aber die fanatisierte Menge riß sie zurück. Männer, Weiber, Kinder begannen ohne Erbarmen auf sie loszuschlagen, andere drangen in das Haus, zertrümmerten Geräte und Einrichtung, und wieder andere warfen Feuer auf den Getreideboden.

So stand der ganze Hof auf einmal in Flammen, die Feuerglocke wurde geläutet, die Nachbarn stürzten herbei. Raboch teilte mit kräftigen Fäusten die Menge und stellte sich vor den Randar, dem das Blut von Kopf und Brust rann, andere seiner Gemeinde schützten seine Söhne, die Jüdin, das Mädchen. Die Volksmenge schwoll indes immer mehr an, ein Teil versuchte den Brand zu löschen, es bildeten sich zwei Parteien, Scheltworte, Hiebe fielen.

Da trat Diva zwischen sie, die Arme wie beschwörend erhoben.

»Es ist einer auf das Amt geritten,« rief sie laut, »die Gendarmen kommen, die Jesuiten haben Euch verraten.«

Einen Augenblick stand alles sprachlos, dann tönte es durcheinander: »Die Gendarmen!« – »Wir sind verraten!« Die Menge machte Miene, auseinander zu stäuben.

»Es ist Jesuitenregel,« sprach Diva mit erhobener Stimme zu dem Volke, »hetzen und die Gehetzten dann im Stiche lassen. Glaubt Ihr, die schwarzen Röcke in Moldawa werden Eure Gewaltthätigkeit, werden Euern Raub, werden diesen Brand verantworten? Ihr seid dem Gesetze verfallen. Niemand rettet Euch.«

»Sie hat recht, wir sind verloren,« schrie es von allen Seiten.

»Wer hat Euch verleitet,« fragte Diva gebieterisch, »wer hat den Feuerbrand in den Hof des Juden geworfen? Gesteht, das kann Euch retten.«

»Dieser da!« riefen viele hundert Stimmen zugleich. Alles deutete auf Thomas.

»Dann ergreift ihn und übergebt ihn dem Gerichte,« sprach Diva streng.

»Mich?« schrie Thomas, sein Messer ziehend, aber die Bauern stürzten wütend auf ihn los, er stach einen durch den Arm, die andern schlugen ihn zu Boden und banden ihm die Hände auf den Rücken.

»Und jetzt geht hin und löscht den Hof des Juden,« gebot Diva.

Die Menge folgte ihr beinahe willenlos, warf sich auf das Gebäude, das nach allen Seiten hin in Flammen stand, und war in nicht einer Stunde des Feuers Meister geworden.

Dann stand Diva unter dem Volke und klagte den Jesuiten an; sie klagte ihn an, daß er die armen Schwärmer, die Adamiten, dem Gerichte übergeben, daß er ihre Schwester, daß er den Schloßherrn in den Tod gejagt, daß er den Erben von Moldawa gefangen halte als wahnsinnig, der ganz bei Sinnen sei, und forderte die Bauern auf, den letztern zu retten.

Das ganze Dorf bewaffnete sich und zog gegen Moldawa.

Aber die Kunde von dem Aufruhr flog vor ihnen. Als sie das Schloß erreichten, waren die Jesuiten entflohen, ein Teil der Bauern drang ein, sprengte die Thüren, die andern eilten nach Bärneck. Auch Aspasia war entflohen.

Diva suchte vergebens, die Thür einzustoßen, welche zu Leon führte, es war eine wahre Kerkerthür. Raboch und seine Genossen setzten die Brechstangen ein, endlich barst sie, fiel halb aus den Angeln. Wie Diva auf der Schwelle erschien, lag Leon auch schon zu ihren Füßen und umfaßte ihre Knie.

»Ihr seid gerettet,« sprach sie bewegt und legte die Hand auf ihn.

»Noch nicht,« rief Leon, »aber Du, Du kannst mich retten, Diva, Du allein. Stoß' mich nicht von Dir. Bei Gott und allen Heiligen beschwöre ich Dich, rette mich, Diva, sei mein, sei mein Weib!«

Die Hussitin machte eine Bewegung, als wollte sie sich von ihm losmachen, er aber hob flehend die Hände zu ihr, die Thränen stürzten ihm aus den Augen. Sie sah es, beugte sich über ihn, sah ihn an und zog ihn dann entschlossen an ihre Brust.

Als der Bezirkshauptmann mit den Gendarmen auf dem Platze erschien, war der Aufruhr zu Ende.


Es folgte eine langwierige Untersuchung. Bei der übereilten Flucht hatte Pater Loyola die Dokumente, welche sich auf Moldawa bezogen, im Stiche gelassen, man fand sie und übergab sie Leon.

Nach einem weitläufigen Prozesse mit dem Orden wurden Schloß und Güter Leon zugesprochen. Er nahm ganz in der Stille Besitz von denselben und sendete noch an demselben Tage Arbeiter nach der Waldwiese. Bald erhob sich dort, wo sonst in heiligen Vollmondsnächten die Adamiten in geheimnisvollem Tanze schwebten, eine kleine, freundliche Kapelle. Die ernsten weihevollen Glockentöne derselben lösten den Bann, der auf der Gegend lag.

Und während die Glocken ahnungsvoll feierlich durch den Wald tönten, stand ein Brautpaar vor dem Altar der Kapelle, die Braut ein hussitisches Bauernmädchen, der Bräutigam ein deutscher Edelmann. Sie blickte zu dem Altar empor auf Adalbert, den Priester, und zitterte leise, und als er den Segen über sie sprach, zitterte seine Stimme, aber sein Auge blickte begeistert zum Himmel, und tiefer Friede lag auf seinem Antlitz.

 


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