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Wie viele Herden würd' ein Wolf zerstören.
Könnt' er zu einem Lamm sich umgestalten!
Shakespeare.
Ein böhmisches Dorf. Freundliches Hügelland dehnt sich mit gelbem Korn beladen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, einzelne Baumgruppen ragen aus demselben, ein tiefgrüner Wald steigt mit der weißen Landstraße die Anhöhe hinan, auf welcher das Schloß der ehemaligen Grundherren steht und an deren jenseitigem Abhange sich die kleinen Steinhäuser von Tabor zusammendrängen. Auf den Schotterhaufen, den Zäunen hüpfen tüchtig eingestaubte Sperlinge oder baden sich im warmen Sand. Die Augustsonne brennt auf dem Antlitze der Schnitter, welche in den Feldern arbeiten, der Klang der Sicheln und Sensen begleitet monoton die melodievollen czechischen Lieder, Finken schlagen auf den Buchen und Eichen am Waldrande, der Abendwind streicht leicht durch Halme und Blätter. Die ersten Schatten sinken herab, spielen auf den kleinen flammenden Wolken im Osten, legen sich um Wald und Wiese, um Hügel und Hütten.
Von der Dorfkirche her schwimmt ein leiser Glockenton durch die warme stille Luft – tiefer Friede liegt auf der weiten Landschaft. Da steigt gegen Mitternacht ein kleines schwarzes Wölkchen am Horizonte auf. Es zieht rasch über die Ebene, es kommt näher und näher. Es sieht wie eine Gewitterwolke aus, doch scheint es mehr langgedehnt und schmal geschnitten, es schlägt seltsamerweise die Fahrstraße ein und zeigt jetzt deutlich zwei lange magere Beine.
Es ist am Ende gar kein Wölkchen?
Ganz richtig.
Es ist ein Jesuit.
Jetzt geht er an dem steinernen Marienbilde vorbei, das ein Dorf-Apelles in den Waldwinkel gestellt hat. Niemand sieht ihn, er betrachtet mit dem feinen Auge des Kunstkenners das vom Regen grau gemalte heilige Gebilde, lächelt und geht weiter.
Es ist einer von den Magern. An der hochgewachsenen Gestalt hängen unnötig lange Glieder, Während der Kopf, welcher auf den breiten knochigen Schultern sitzt, auffallend klein und dünn behaart ist.
Aber was ist das für ein Kopf!
Die Natur hat alle ihre Feinheit an diesen spitzen Kopf mit der niedrigen, sorgfältig ausgearbeiteten Stirn, den dünnen, versteckten, grünschimmernden Augen, der schlau vorspringenden Nase verschwendet. Das schwarze Ordensgewand kleidet die lange Gestalt mephistophelisch-unheimlich, der fromme schwarze Hirtenhut sitzt breitkrempig in der Stirn. In der Hand trägt der Jesuit einen langen apostolischen Stecken, den er von Zeit zu Zeit in den Staub der Straße stößt.
Er mustert die Bäume am Waldrande und hält endlich bei einer alten Eiche, in deren knorrige Rinde ein großes Kreuz eingeschnitten ist. Dann zieht er ein gesiegeltes Dokument aus der Brust hervor. Auf dem Couvert desselben steht geschrieben:
»Instruktion für Bruder Ignatius Loyola. Zu eröffnen bei der Eiche am Waldrande vor Tabor, die gezeichnet ist durch ein Kreuz.«
Noch einmal betrachtete Bruder Loyola die Eiche und berührte mit dem Finger das Kreuz, dann brach er das Siegel, setzte sich auf einen abgehauenen Baum und las:
»Im Namen unseres heiligen Ordens!
Da alle indirekten Versuche, in der Landschaft von Tabor Wurzel zu fassen, bis jetzt mißglückt sind, sende ich Dich dahin, um direkt und persönlich für uns zu wirken. Ich vertraue dabei auf Deine bekannte Klugheit, Deine Vorsicht, Deine weltmännischen Manieren. Deine Kenntnisse, Dein glänzendes Französisch, Dein Englisch, Italienisch werden Dir sehr zu statten kommen, noch mehr Deine polnische Muttersprache.
Das Volk ist in dieser Landschaft beinahe durchaus slavisch.
So sehr sich die verschiedenen slavischen Sprachen in der selbständigen Entwicklung ihrer Schriftsprache getrennt haben, ebenso rein haben sie sich in den Volksdialekten erhalten. Der russische Landmann versteht den czechischen, der serbische den polnischen sehr leicht. Lasse diesen Vorteil nicht aus dem Auge. Das Landvolk ist dort stark hussitisch, mißtrauisch gegen Fremde und ihre Sprache. Die Revolution des Jahres 1848, welche so viel Unheil über uns und unsere heilige Kirche gebracht, hat, wie Dir bekannt ist, in dem sonst so glaubensstarken Oesterreich allenthalben, aber ganz besonders in Böhmen das flache Land den Juden geöffnet. Auch in der Gegend von Tabor haben einzelne derselben Grundbesitz erworben. Wenn auch die segensreiche Umkehr zur Ruhe, Ordnung und Sicherheit, welche zwei Jahre später begonnen und seitdem sehr erfreuliche Fortschritte gemacht hat, es denselben nicht gestattet, sich weiter auszubreiten, so ist es doch bis jetzt ebenso wenig gelungen, sie zu vertreiben, Dank den sogenannten liberalen Staatsmännern – Gott verdamme sie! – welche glauben, daß sie das erschlichene Eigentum dieser Feinde des Heilands achten müssen.
Besonders aufmerksam sei auf die Weltgeistlichkeit, welche stark zum Hussitentum und andern Irrlehren neigt.
In jener Gegend ist auch der Hauptsitz jenes Ordens, welcher uns überall entgegenwirkt und unsere Pläne seit jeher am meisten durchkreuzt hat, des Benediktinerordens.
Du kennst, mein Bruder, diese gelehrten Mönche, welche von der höchst weltlichen Eitelkeit erfüllt sind, die Wissenschaften nicht gleich uns als Mittel zu gottgefälligen Zwecken, sondern um ihrer selbst, um der Erkenntnis und der Wahrheit willen zu pflegen, welche es sich zur Aufgabe gesetzt haben, Bildung, Wissen und Kenntnisse zu verbreiten, und auf diese Weise gleichsam im eigenen Fleische wühlen, absichtslos unserer Religion und Kirche entgegenwirken und die Kämpfer Christi befehden; diese ehrgeizigen Mönche, welche unsere ewig unveränderlichen Prinzipien mit jenen des Staates und den Ideen der Zeit, welche unsere heiligen Interessen mit jenen der Völker in Einklang zu bringen suchen.
Ihre sträfliche Toleranz hat ihnen zu allen Zeiten einen bedeutenden Einfluß am Throne, im Staate und in allen Schichten der Gesellschaft sowie große Glücksgüter eingetragen. Der Prälat dieses Ordens ist gegenwärtig ein gelehrter, begabter, aber schwacher weltlicher Mann, welcher in früherer Zeit an einer berühmten Hochschule gelehrt hat. Eine große Zahl in den verschiedenen Wissenschaften unterrichteter Männer von weitblickendem Geiste umgiebt ihn.
In Tabor, wo er einen bedeutenden Grundbesitz hat, findest Du eine Pfarre dieses Ordens.
Der Pfarrer Pater Rabatin ist ein Mann von klarem Urteil, edlem Herzen, ehrlichem, felsenfestem Wesen, von seinen Pfarrkindern verehrt, von Juden und Protestanten geachtet. Er ist sehr tolerant und freisinnig. Hüte Dich, ihn in Dein Gewebe blicken zu lassen. Noch gefährlicher ist der Kaplan Adalbert, ein junger Priester von seltenen Gaben, begeistertem Herzen, tiefer und ausgebreiteter Bildung.
Ungefährlich, aber auch unbrauchbar ist der junge Pater Benedikt, ein Phantast mit sinnlich-romantischem Wesen. Du kannst Dich an den dritten Kaplan, Pater Hruschka, wenden. Er ist etwas unwissend, hat bäuerische Manieren, aber Charakter. Das ist ein Mann von Stein. Er hat Anlage zum Fanatiker. Solche bornierte, aber begabte und leidenschaftliche Menschen haben uns jederzeit die besten Dienste geleistet.
Um Tabor liegen drei große Güter. Das eine gehört dem Fabrikanten Goldbach, einem getauften Juden, der bei allen frommen Vereinen ist und seine Wände mit den abschreckendsten Heiligenbildern tapeziert. Goldbach ist klug, er ist ein Jude, damit ist alles gesagt, aber er ist auch furchtbar eitel und lebt in einer immerwährenden Angst, den Juden zu verraten. Goldbach ist sehr reich. Ich lege einen Empfehlungsbrief bei.
Das zweite Gut gehört dem Baron Moldawetz, einem jungen eleganten Edelmann, welcher vor kurzem geheiratet hat. Seine junge hübsche Frau ist im Kloster erzogen. Hier liegt ein Angelpunkt für unsere Absichten. Es ist ein sehr bedeutendes Vermögen da. Ich lege einen Empfehlungsbrief bei. Der Bruder der Baronin Moldawetz ist ein überspannter Wüstling – Faust und Don Juan. Er ist ein Schwärmer, vorläufig schwärmt er für schöne Frauen, aber aus einem Schwärmer läßt sich planmäßig alles machen, was man will.
Das dritte Gut gehört dem Ritter von Bärneck. Er ist ein einfältiger, halbgebildeter Mensch, um so raffinierter und brauchbar ist seine Frau. Auf sie baue ich vorzüglich meine Hoffnungen. Es ist eine Dame von außerordentlicher Schönheit, jedoch hart an jener Grenze, wo die stattliche Ueppigkeit der Formen kaum mehr für den Mangel frischer, blühender Jugend entschädigen kann. Sie hat etwas von der schönen, unverwüstlichen Schlange am Nil. Sie war liederlich, aber mit Geschmack und Genie. Ihr Name ist Josephine, man nannte sie im Hause Pepi. Als Mädchen schwelgte sie in der Poesie der Sentimentalität und nannte sich Selma; als junge Frau geriet sie in die Zeit jungdeutscher Passionen, spielte das extravagante, grausame Mannweib und hieß Drahomira; dann kam jene reife Zeit Goethescher Ruhe, hellenischer Plastik über sie, sie schwelgt jetzt in der formschönen, genußreichen Poesie der Sinnlichkeit und nennt sich Aspasia.
Derlei Frauen sind für uns prädestiniert.
Man sagt, daß die Jahre aus Sünderinnen Heilige machen. Dies ist nicht so. Ein reiner Glaube, echte Frömmigkeit blühen nur aus einem reinen, unverdorbenen Gemüte oder aus der vom Leben zerfleischten Seele, aus dem zerrissenen Herzen, der tiefen, weltversöhnenden Reue einer Magdalena. Aus galanten Frauen werden dagegen nur Frömmlerinnen und bigotte Intriguantinnen. Gewöhnt, ihr Dasein dem Genusse, dem Vergnügen zu weihen, den höchsten Genuß aber in der Befriedigung ihrer Eitelkeit, das lebhafteste Vergnügen in der Intrigue zu finden, entsagen sie den Freuden der Welt nur, um sie in einer anderen Form zu genießen, und stets nur zu einer Zeit, wo sie fürchten müssen, daß diese Freuden ihnen selbst den Rücken kehren. Sie besuchen dann die Kirche, wie sie früher das Theater besucht haben, fromme Vereine und Institute, wie vordem Konzerte und Assembleen, und machen Toilette zu Prozessionen, wie bisher zu Schlittenfahrten und Kavalkaden.
Dame Aspasia empfängt noch Liebesbriefe, aber sie liest bereits Erbauungsbücher, sie ist zugleich Abonnentin des Journals für die elegante Welt und der Kirchenzeitung. Sie ist reif für uns. Bärneck ist von seiner Frau zu sehr mißhandelt worden, als daß er nicht ebenso wahnsinnig in sie verliebt sein sollte, sie beherrscht ihn vollkommen. Geld ist da, viel Geld. Große liegende Güter. Ich empfehle Dir Dame Aspasia und Dich der schönen Schlange am Tabor.
Nun gehe hin, mein Bruder, und thue Deine Pflicht. Der Herr sei mit Dir!«
Der Jesuit las die Instruktion noch einmal und noch einmal. Als sie ebenso deutlich wie auf dem Papiere in seiner Seele geschrieben stand, schaufelte er mit seinem Stocke eine kleine Grube auf, strich mit einem Schwefelhölzchen über seinen Aermel, zündete seine Instruktion an und legte sie vorsichtig in die Grube. Als sie verkohlt war drückte er sie zusammen, warf die Asche in die Grube und deckte sie mit Erde zu.
Als er seinen Stock wieder aufnahm, war der doppelte Plan auf Madame Aspasia und Faust-Don Juan in seinem Kopfe bereits fertig.
Er ging einige Schritte und hielt wieder; er hörte eine Stimme, die ihn wider Willen fesselte. Es war eine Stimme voll Seele, und die Worte, welche diese Stimme sprach, schwammen wie auf einer Melodie durch die Luft. Der Jesuit horchte und ging langsam vorwärts. Wie er um den Waldwinkel bog, lag die freundliche Landschaft leicht vergoldet vor ihm, die Sonne ging eben in kleinen zerzupften, rotglühenden Wölkchen unter. Die Schnitter sammelten die Garben, ein Pflüger zog langsam durch das schwere Erdreich, bei einem vereinzelten Baume weideten Kühe, ein derbes Bauernmädchen mit freundlichen blauen Augen und strohgelbem Haar war bei ihnen beschäftigt. Ein zweites Mädchen schritt, einen Kübel auf dem Kopfe tragend, gegen den Bauernhof, welcher groß, behäbig, mit roten Ziegeln bedeckt, an dem jenseitgen Rande des Waldwinkels lag.
Es war eine frappante, heldenhaft jungfräuliche Gestalt, ein echtes Hussitenkind. Aus dem bleichen, fanatisch schwermütigen Antlitz blickten ein paar große, sehnsüchtige dunkle Augen, herbe, tiefe, gelbe Schatten lagen um die kleine, leicht aufgeworfene Nase, den kleinen, festen Mund, das kleine, üppige Kinn. Halb aufgelöst flatterte das rebellische braune Haar um Stirn und Nacken. Ein rotes Mieder umschloß plastisch wie ein Panzer ihre edle volle Brust, der weiße Rock flog von Zeit zu Zeit über den Knöchel empor und zeigte einen zierlichen elastischen Fuß. Sie wendete den Kopf und sprach czechisch einige Worte zu dem Mädchen, das bei den Kühen saß. Es war dieselbe Melodie, die Stimme von vorhin.
Der Jesuit blieb stehen und ließ das Mädchen herankommen. Die Hussitin sah ihm fest in das Auge und grüßte ihn nicht.
Pater Loyola lächelte sanft.
»Guten Abend,« sprach er slavisch.
Die Hussitin gab keine Antwort.
»Darf ich Euch fragen, wo das Schloß Bärneck liegt?«
»Schloß Tabor,« sprach sie, »liegt dort auf der Höhe. Die Fremden, die darin wohnen, nennen es Bärneck.« Ihre Lippe zuckte.
»Und Moldawa?«
»Eine Stunde jenseits des Baches.«
»Wie nennst Du Dich?«
»Diva,« entgegnete die Hussitin.
»Und dies dort ist Euer Dorf?« fuhr Pater Loyola fort. »Weshalb heißt es Tabor?«
»Tabor heißt in unserer Sprache ein Lager und dort stand vor Zeiten ein Hussitenlager.« Dabei streckte sie die Hand gegen das Dorf aus und in ihrem Auge loderte es wie Haß auf.
Der Jesuit fragte nicht mehr; er senkte nachdenklich sein Haupt und schritt langsam dem Schlosse zu.
Das Mädchen blieb stehen und blickte ihm nach.
Ein rüstiger Bauer mit grauem Haare kam aus dem Hofe. Zehn Schritte vor ihr rief er lächelnd: »Was hast Du, Diva?«
»Sieh dort,« sprach die Hussitin und wies auf den Jesuiten, »siehst Du ihn? Der bringt nichts Gutes.«
Der Alte blickte lange hinüber und sprach dann ernst und leise: »Es ist ein Jesuit.«