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Viertes Kapitel.

Der Elfenring.


Da tanzen die Elfen auf grünem Land.

Erlkönigs Tochter, dänisches Volkslied.

Ein Schuß.

Die Luft des klaren heißen Sommermorgens trug den Schall rein und kräftig zu den Felsen jenseits Moldawa und zurück. Kurze Zeit schwebte der blaue Rauch über dem Gebüsch. Langsam stiegen Leon und der Förster die sanfte Lehne zu dem Wald empor.

»Und Ihr glaubt daran?« sprach Leon mit einem müden Lächeln.

»Wer glaubt nicht daran,« erwiderte der Förster eifrig. »Ueberzeugt Euch selbst, Herr.«

»Das will ich. Und das Volk glaubt, daß es Elfen, Waldgeister sind, welche nächtlich auf jener Wiese ihren Reigen tanzen?«

»Nur im Vollmond, Herr.«

»Im Vollmond?«

»Die Mondnacht ist heilig,« murmelte der Alte mit sonderbarem, geheimnisvollem Ausdruck.

»Und Ihr glaubt fest daran und seid doch sonst ein starker Zweifler, guter Urban?«

»Ich glaube nur, was ich sehe,« sprach der Förster trocken, blieb stehen, stopfte sein Pfeifchen, rieb ein Zündhölzchen auf einer Lederhose, legte es ein und klappte den silbernen Deckel fest zu.

»Ihr habt die Elfen gesehen?«

»Das nicht, aber ihren Ring.«

»Ein Wirbelwind hat wohl das Gras im Kreise niedergelegt.«

»Die Mondnacht ist heilig, Herr, still und ruhig. Das Gras ist auch nicht niedergelegt, sondern niedergetreten.«

»Es wird ein Rudel Hirsche gewesen sein, guter Urban.«

»Ich kenne doch Hirsche! Ich habe die Fußtapfen gesehen.«

»Fußtapfen?«

»Es sind Fußtapfen von Menschen, aber etwas kleiner als die unsern.« »Wirklich?«

»Seht nur selbst!«

Der Förster zuckte mitleidig die Achseln. Sie schritten durch das junge Holz empor zu den großen alten Eichbäumen. Grüne Dämmerung umfing sie, tiefe Stille. An einem einsamen Stamm hing ein Specht und pochte mit seinem starken Schnabel von Zeit zu Zeit monoton an denselben; Ameisen zogen vorsichtig in langen Reihen über das nasse Moos; Käfer brausten vorbei, die Hunde leckten das Blut, das aus der Jagdtasche tropfte. Nun zeigte sich ein goldener Schimmer zwischen den Aesten, in dem unzählige kleine Fliegen zitterten; die Lichtung erweiterte sich, die Sonne brannte durch das dünne Blattwerk, das Gras war trocken und duftete.

Da lag die Wiese. Der Förster machte einige Schritte, bückte sich und sprach dann selbstzufrieden:

»Da ist er.«

»Der Elfenring?«

»Ueberzeugt Euch selbst.«

Leon lehnte seine Flinte an einen Baum, die Hunde legten sich nieder, ließen die großen roten Zungen heraushängen und schnauften.

»Da, da, Herr Baron.«

»Leon betrachtete die Stelle mit großer Aufmerksamkeit. Es war ganz deutlich der Fuß eines Menschen im nassen Grase abgedrückt, ein kleiner wohlgebildeter Fuß, der Fuß eines Weibes, und gleich daneben wieder und noch weiter. Er verfolgte die seltsamen Spuren, sie bildeten deutlich genug einen Ring um die Waldwiese.

Als er endlich stehen blieb und einige Zeit mit gesenktem Haupt zu Boden starrte und schwieg, begann der Förster mit eingestemmten Armen:

»Nun, Herr Baron, bin ich ein Schwätzer, einer der bei hellem Tage träumt? Ist das ein Elfenring oder nicht? Sieht man nicht deutlich, wie sie im Kreise standen und tanzten?«

»Das sieht man, Urban, in der That,« entgegnete Leon, dessen Blick noch immer an den merkwürdigen Spuren haftete, »aber –«

»Nun?«

»Aber Elfen sind es nicht.« Er sah den Alten plötzlich durchdringend an.

»Wer sonst?«

Leon betrachtete wieder die rätselhaften Fußtapfen.

»Wer sonst?« wiederholte er gedankenvoll.

»Das weiß der Himmel,« meinte der Förster.

»Wer weiß! Oder der Teufel, Urban.«

Der Förster fuhr sich mit der verkehrten Hand über die Stirn, nahm die Pfeife aus dem Munde und setzte sich auf die dick geschwollenen Wurzeln einer alten Eiche. Sein wetterbraunes Gesicht mit den komischen großen Augenbrauen und der roten Weinnase war plötzlich ernsthaft und bleich geworden.

Alte grauenhafte Erinnerungen erwachten in ihm.

»Herr,« sprach er, »ich glaube, ich weiß etwas von diesem Tanze, von dem Geheimnis der Vollmondnacht, aber die Mondnacht ist heilig.« Seine Stimme war ganz heiser geworden.

»Urban!«

Der Alte nickte seltsam mit dem grauen Haupte. Leon faßte ihn hastig bei beiden Schultern. »Du kennst das Geheimnis, Mensch?«

Urban schwieg.

»Sprich!«

Der Alte rührte sich nicht.

»Sprich! In Gottes- oder Teufelsnamen, sprich! Was willst Du, Urban, soll ich Dir Geld geben?«

Der Alte stieß ein kurzes unheimliches Lachen aus und stierte dann in seine glimmende Pfeife hinein.

Der Wasserhund richtete sich in diesem Augenblick auf, zog Luft und ging langsam über die Wiese, er setzte vorsichtig Fuß für Fuß, seine Rute schwamm gerade in der Luft.

Leon folgte ihm, erst mit dem Auge, dann wenige Schritte, auf einmal winkte er dem Förster, sich zu entfernen.

»Was fällt Euch ein?«

»Geht! Um Gotteswillen geht!« rief Leon. Seine Augen loderten, seine Wangen flammten.

Der Förster nahm kopfschüttelnd seinen Hund an die Schnur.

Ein leiser Pfiff, der Wasserhund kehrte zu seinem Herrn zurück, stand still, blickte über die Wiese hinüber in das Moos und zitterte.

»Nimm auch den!«

Der Förster gehorchte und ging dann mit den Hunden die Lehne hinab. Kaum war er zwischen den finstern Stämmen untergetaucht, als Leon über die Wiese eilte, seine Brust hob und senkte sich heftig, seine Nerven zuckten elektrisch im ganzen Leibe.

Drüben, unter dem grünen Blätterbaldachin, lag im feuchten Moose schlafend ein nacktes Weib.

Leon hielt einen Augenblick inne, dann näherte er sich auf den Fußspitzen. War es eine Elfe? Die Gedanken schwiegen ihm, er sah nur, er lauschte nur und sein Herz schlug so heftig, daß es ihm den Atem benahm. Schön wie ein Elfe war sie.

Wie eine von ihrem Piedestal gestürzte Marmorgöttin ruhte sie auf dem tiefdunkeln Waldteppich, wilder Epheu rankte sich um ihren Leib, Blumen schienen aus demselben aufzublühen, eine Biene schwebte über ihren vollen süßen roten Lippen. Sie lag auf dem Rücken, das Haupt auf ihre beiden Arme gebettet, die Sonne goß ihr volles warmes Licht über sie, das langsam von den Füßen zu den blühenden Wangen emporgestiegen war. Ihr blondes Haar floß aufgelöst bis zu den Knieen hinab und hüllte sie in Glanz und Gold.

Leon ließ sich auf die Knie nieder und betrachtete sie still und ernst.

Langsam hob sich ihre göttliche Brust und sank wieder sanft zurück. Von Zeit zu Zeit zuckte ihr linker Fuß. Leons magnetisches Auge schien sie zu beunruhigen, sie bewegte sich, seufzte tief und kehrte ihm langsam ihr Antlitz zu.

Jetzt vergoldete die Sonne die Spitzen ihrer Wimpern. Sie zuckte mehrmals, richtete sich halb auf, rieb sich die Augen, blickte scheu um sich und schauerte.

Leon machte eine Bewegung.

Das wunderbare Weib sah ihn einen Augenblick mit großen entsetzten Augen an, schrie auf, sprang mit einem wilden Satz empor und floh in den Wald, die Höhe hinan.

Vergebens rief sie Leon zurück, vergebens folgte er ihr. Sie flog wie eine weiße Taube zwischen den dunkeln Wipfeln der Bäume empor und war auf einmal verschwunden.

»Ich will aufwachen,« schrie Leon, »aufwachen!« Er schlug beide Fäuste vor die heiße, heftig pochende Stirn.

Er wachte nicht auf, er träumte nicht. Gesenkten Hauptes kehrte er zu der Stelle zurück, wo sie geruht hatte; er berührte das Moos, es war noch warm, er warf sich auf sein Antlitz nieder und küßte die Stelle. Dann schritt er noch einmal den Elfenring ab, prüfte jeden Fußtapfen, nahm endlich seine Flinte und stieg den Abhang hinunter.

Nach wenigen Schritten traf er Diva, welche einen scheuen Blick auf ihn warf und stehen blieb, während er überrascht ihre hohe, schlanke Gestalt, ihre ausdrucksvollen Züge maß.

»Gelobt sei Jesus Christus,« sprach sie leise.

»In Ewigkeit, Amen.«

»Kommt Ihr von oben?« fragte sie bebend.

»Von der Waldwiese.«

Diva sah ihn mit feuchten Augen angstvoll an.

»Wen suchst Du?« fragte Leon.

»Niemand, Herr.«

»Wen suchst Du, Mädchen?«

»Ihr habt sie gesehen!« rief sie heftig.

»Wen?«

»Ihr kennt das Geheimnis?«

»Nein.«

Diva wollte rasch an ihm vorbei.

»Halt!« rief er. Sie eilte vorwärts. »Halt, oder ich schieße.« Er riß seine Flinte von der Schulter herab, der Hahn knackte. Die Hussitin blieb stehen und kehrte ihm das zornige bleiche Gesicht zu.

»Was wollt Ihr?«

»Du gefällst mir. Wie nennst Du Dich?«

»Diva.«

»Du bist das stolze Kind des Raboch? Wahrhaftig, Du hast Rasse. Komm herab!« Die Hussitin zögerte. »Die Du suchst, ist fort. Komm herab!«

Diva warf noch einen Blick gegen die Waldwiese und schritt langsam herab.

»Wer hat Euch das Geheimnis verraten?« fragte sie finster.

»Niemand, sag' ich Dir,« erwiderte Leon, »Du bist aber eben auf dem besten Wege, es selbst zu verraten.«

Das Mädchen sah ihn an, senkte die langen düstern Wimpern, setzte sich auf einen abgehauenen Baum und schwieg.

»Sei ruhig. Ich verrate nie, was ich nicht weiß, und auch so. Deine Göttin hat mich mit ihrem Marmorleib geblendet, sie hat ihre Flechten wie goldene Angeln in mein Herz geworfen, Du aber hast mich los gemacht.«

»Ihr werdet schweigen, Herr!« sprach Diva flehend. Sie hatte ihre Hände gefaltet und große Thränen fielen ihr auf das Brusttuch herab.

»Ich werde schweigen.«

»Schwört!«

Leon lächelte.

»Schwört!«

»So wahr mir Gott helfe, Amen!«

»Und Ihr werdet auch nicht fragen?«

»Dich will ich fragen, Diva,« sprach Leon heiter, »nicht um das Weib mit den blonden Haaren, um Dich selbst. Liebst Du?«

Diva dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte sie das Haupt.

»Willst Du mich lieben? Nicht mehr, nicht weniger als Frauen lieben können? Willst Du mein sein?«

Sie schwieg.

»Es fällt mir nicht ein, gefühlvoll zu werden, aber Du gefällst mir. Ich habe das wilde Leben satt!«

Die Hussitin sah schüchtern zu ihm empor.

»Du glaubst doch nicht, daß ich Dich zum Weibe nehme? Du bist klug. Ich will Deine Schönheit genießen wie ein stilles Glück, ohne Leidenschaft, ohne Schmerz. Sei mein! Ein weites Gebiet soll Dir gehorchen. Du sollst die edelsten Pferde reiten, Dich auf sammetenen Polstern herumwerfen, Dich jede Stunde in andere kostbare Stoffe kleiden. Willst Du?«

Die Hussitin hatte sich rasch erhoben, ihr Auge blitzte zornig, flammende Röte bedeckte ihr Antlitz. Er streckte den Arm räuberisch nach ihr aus, sie aber schlug ihn empört ins Gesicht und eilte davon.

Leon lachte, aber es war nicht jenes verzweifelte, weltmüde Lachen von früher, er lachte wieder einmal froh und glücklich.


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