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(Chochmad Jad. – Industrie. – Judenverfolgung.)
Eigentlich hiess sie Fradel Levi und Kätzchen Petersil war nur ihr Spitzname. Sie wurde so genannt, weil sie stets wie ein kleines Kätzchen zusammengerollt schlief, und weil sie stets eine Flasche mit Petersilien-Aufguss hinter dem Fenster stehen hatte. Sie führte mit Hülfe desselben einen erbitterten Krieg gegen die kleinen garstigen Flecken, mit denen ihr hübsches feines Gesicht übersäet war. Es war ein armes, aber braves, kluges und fleissiges Mädchen, das ihrem Vater, dem Trödler Schawa Levi und ihrer Mutter Händel Tag und Nacht kaufen und verkaufen und die alten Sachen aufbessern half.
Dennoch konnte Kätzchen die Sorgen nicht bannen, die sie unablässig quälten und vergebens sehnte sie sich nach dem Tage, wo sie sagen konnte: Heute kann ich ausruhen.
Für Leute, die so unglücklich sind, wie die Levi's gibt es nicht einmal einen Sabbath. Mehr als ein junger Mann in der kleinen moldaischen Stadt sah das kleine, schlanke Kätzchen mit Wohlgefallen an, aber wer konnte daran denken, sie zur Frau zu nehmen? nur ein reicher Mann und dessen Eltern zogen wiederum eine reiche Braut vor. So hatten denn Vater und Mutter die Hoffnung aufgegeben, die Kleine zu verheirathen.
Kätzchen hatte ihrerseits gar keine Zeit, an einen Mann zu denken, ihr einziger Traum war ein Pelz. Kein kostbarer, wie ihn die schönen Bojarinnen trugen, nein, nur eine Hausjacke mit Kaninchenfellen besetzt und gefüttert. Kätzchen war nervös, wenn sie im Winter in dem kleinen Gewölbe arbeitete, schüttelte sie der Frost, und selbst im Sommer erbebte sie manchmal, als ob sie fröre und so erschien es ihr als die höchste Seligkeit, sich in weiche, warme Felle zu schmiegen.
Als sie wieder eines Abends in dem kleinen, mit allerhand Kram vollgestopften Gewölbchen sass und eine Gardinenstange vergoldete, schlüpfte ein kleines langbärtiges Männchen herein, grüsste sie lächelnd und bot sich an, ihr zu wahrsagen. Es war Chas Messing, der die Gabe der Chochmad Jad besass und als Prophet sein bischen Lebensunterhalt verdiente.
Kätzchen dankte. Sie konnte nichts für eine so unnütze Sache ausgeben. Aber Chas gab nicht nach. »Geben Sie mir eine Birkendose«, sagte er, »und ich bin zufrieden.« »Gut.« Sie gab ihm die Dose und er blickte in ihre Hand.
»Glück!« rief er, »und was für ein Glück! Der Reichthum steht Ihnen nahe und was für ein Reichthum! und ein Mann, was für ein Mann.«
Kätzchen lächelte ungläubig, aber keine Woche verging und Barom, ein Schadchen aus Jassy kam zu Schawa Levi, und nachdem er dessen Tochter gesehen und gesprochen, sagte er: »Das Mädchen ist hübsch, klug und brav. So eine Frau will der reiche Paschallas für seinen Sohn haben. Es ist eine grosse Familie, die im ganzen Königreich nicht ihres Gleichen hat, die Braut muss aus dem Stamme Levi sein, und Gott war mir behülflich, dass ich dieses Mädchen gefunden habe, so tadellos und aus so edlem Geschlechte.«
Nach einigen Tagen kam der junge Modruch Paschallas mit Barom zur Brautschau, einen Monat später war die Hochzeit und am folgenden Tage zog Kätzchen als Herrin in das Haus ihres Gatten in Jassy ein.
Sie glaubte zu träumen und fürchtete, dass sie jeden Augenblick erwachen würde, aber nein, sie träumte nicht. Diese Wollust, die sie empfand, als sie das erstemal in den grossen Pelz schlüpfte, den ihr Gatte ihr gebracht, als sie in den weichen Fellen sass, sie empfand sie wirklich und fort und fort, während der Fahrt im Eisenbahnkupee und als sie in Jassy an der Seite Modruch's durch die Strassen fuhr, es waren wirklich Pferde vor den Wagen gespannt, sie wurden nicht scheu, und die Marmortreppe in dem kleinen Palast stürzte nicht ein, als sie dieselbe hinaufstieg. Nein, sie träumte nicht, das Glück, das Chas Messing ihr prophezeit hatte, es war da, sie konnte es mit Händen greifen, und sie wurde nicht satt, die Damastvorhänge ihres Schlafzimmers durch die Finger gleiten zu lassen, den Sammt der Möbel zu streicheln und vor allem den goldigen Zobel, mit dem ihre rothsammtne Hausjacke gefüttert und ausgeschlagen war.
* * *
Das währte einige Zeit. Die Sorgen schienen verbannt für immer, sie schienen vor dem mit Gypsabgüssen antiker Bildwerke und mit exotischen Pflanzen geschmückten Vestibüle zurückzuscheuen, aber nach und nach schlichen sie sich durch Mauerritzen und Schlüssellöcher ein.
Kätzchen Petersil sass im Ueberfluss, wie die Frau eines Nabob, sie fröstelte nicht mehr und sie brauchte nur den Finger auf einen der Elfenbeinknöpfe zu legen, die allerorten angebracht waren, und der elektrische Funke trug ihre Befehle durch das Haus, durch die Stadt oder setzte ein Heer von Dienern in Bewegung.
Ihr Gatte war nur der erste ihrer Sklaven. Und sie war auch schön geworden, nachdem sie ihm das erste Kind, einen Knaben, geboren hatte. Ihre schlanke Gestalt blühte immer üppiger auf und sogar die garstigen Flecken schienen verschwunden.
Aber die Sorgen, an die sie ihre Kindheit, ihre Jugend durch gewöhnt war, nisteten sich mehr und mehr bei ihr ein und quälten sie bald noch grausamer und schrecklicher als vordem im Trödelladen ihrer Eltern. Das arme Kätzchen, das einige Tage selig, ein paar Monate glücklich und ein Jahr zufrieden war, hatte wieder keine ruhige Stunde. Eine Art Fieber trieb sie aus einem Raum des Hauses in den anderen, aus dem Hause in die Fabrik, in die Stadt und wieder zurück und quälte sie in Traum und Wachen. Sie erwachte nachts und dachte: »Wenn jetzt Feuer entstände?« Rasch zog sie ihre seidenen Strümpfe, ihre türkischen Pantoffel an, schlüpfte in den Schlafpelz von gelber, goldgestickter Seide, der mit blendendem Hermelin gefüttert und ausgeschlagen war, hüllte ihren zierlichen Kopf in einen rothen persischen Schleier und schlich dann durch die Zimmer, um zu sehen, ob man nicht eine Lampe, eine Kerze auszulöschen vergessen habe, bis in die Küche, wo sie Wasser in die Gluth goss. Im Theater, während man eine lustige Operette gab, wurde sie von dem Gedanken erfasst: »Wenn mein Mann plötzlich arm würde!« und verliess rasch ihre Loge, um Modruch in seinem Comptoir aufzusuchen und aus seinen Büchern Beruhigung zu schöpfen.
Sie stand mitten in einem Diner, das sie den Freunden ihres Gatten gab, auf und stürzte an die Wiege ihres Kindes, um sich zu überzeugen, dass es nicht gestorben sei.
Modruch begann endlich auch unter dieser Seelenfolter seiner Frau zu leiden. Vergebens stellte er ihr vor, dass dies Einbildungen seien, dass sie sich selbst quäle, dass sie sich und ihrer ganzen Umgebung das Leben schwer mache durch einen krankhaften Wahn, sie antwortete jedesmal nur mit einem traurigen Lächeln. Als er ihr aber einmal ihr Kind brachte und vorwurfsvoll sprach: »Auch dies macht Dich nicht glücklich?« da murmelte sie: »Sei mir nicht böse, es ist ja alles gut, aber das Glück ist zu spät gekommen.«
* * *
An einem milden Herbstmorgen ging Kätzchen allein durch die entlaubten Baumgänge ihres Gartens. Die Sonne schien, aber sie zog trotzdem ihre Pelzjacke auf der Brust zusammen und verbarg die kleinen Hände in den weiten Aermeln. Sie fröstelte, und sie fühlte sich namenlos unglücklich, das Weinen war ihr nahe.
Da kam ein grosser Mann durch den Garten gelaufen, Assur Menderson, den sie alle den Riesen nannten. Er war aus Galizien gekommen, und Paschallas zog ihn allen seinen Arbeitern vor, denn Assur war Soldat gewesen, hatte sich bei Jagel die Tapferkeitsmedaille verdient, und war ebenso pflichttreu als intelligent.
»Gnädige Frau«, rief er schon von weitem, »wo ist der Herr? er ist nicht in der Fabrik.«
Kätzchen war zu Tode erschrocken, sie fühlte, dass Assur eine Hiobsnachricht brachte. »Was ist geschehen?« rief sie, bleich bis in die Lippen.
»Es geht los«, sagte Assur ernst, »diese Schurken, die seit langer Zeit gegen uns Juden hetzen, haben es endlich erreicht. Der Pöbel ist in Bewegung. Verschiedene Läden sind schon in der Stadt geplündert worden. Die Polizei sieht zu, ohne einzuschreiten. Sie werden auch zu uns kommen. Es heisst bei Zeiten Massregeln zu treffen.«
In diesem Augenblick kam Modruch, er brachte eine zweite schlimme Nachricht. Die Arbeiter in der Fabrik hatten Erhöhung ihres Lohnes verlangt, und da diese nicht gewährt worden, hatten sie die Arbeit eingestellt.
Kätzchen sah ihren Mann an, und als sie ihn kalt und ruhig fand, war sie mit einem Male ruhig. Sie sagte mit einem Tone, der ihm an ihr ganz neu war: »Du wirst Deine Anstalten in der Fabrik treffen, nicht wahr? Ich nehme das Haus auf mich.« Sie reichte ihm die Hand, die er erstaunt nahm, und ging dann rasch in das Haus. Hier ertheilte sie die nöthigen Befehle, ruhig, klug und umsichtig. Sie brachte zuerst ihr Kind in Sicherheit, dann die Kasse und ihre Juwelen. Zuletzt nahm sie den kleinen Revolver von der Wand herab, lud ihn und liess in ihn die Tasche ihrer Pelzjacke gleiten.
Plötzlich entstand im Hofe Lärm. Eine Bande betrunkener Strolche war eingedrungen und begann die Arbeiter zu haranguiren. Der Anführer der Streikenden, Borescu, rief: »Sie haben recht, man muss alle Juden vertreiben«, und bewaffnete sich mit einer Eisenstange. Andere folgten seinem Beispiel, und jetzt begannen sie mit wildem Geschrei das Thor der Fabrik, das auf Modruch's Befehl geschlossen worden war, einzurennen.
Andere versuchten in das Haus zu dringen. Doch mit einem Male trat Modruch unter die Wüthenden, und sie wichen vor ihm scheu zurück. Er begann ihnen zuzureden, und seine verständigen Worte schienen eine gute Wirkung zu üben, aber Borescu unterbrach ihn heftig und fasste ihn bei der Brust.
»Das Geld oder das Leben, Jude!« schrie er.
Andere fassten ihn bei den Armen. Er schien verloren.
Da warf sich seine Frau mitten unter die Arbeiter und stiess Borescu zurück. »Was wollt Ihr?« fragte sie und ihre blitzenden Augen schienen jeden durchbohren zu wollen, der ihrem Mann zu nahe kam, »Räuber, Mörder!«
»Euer Geld wollen wir«, erwiderte der Anführer und fasste wieder den Fabriksherrn bei der Brust.
»Zurück!« gebot Kätzchen ein letztes Mal.
»Fort mit ihr!« schrie Borescu, und die Anderen hoben die Eisenstangen.
Doch Kätzchen hatte zugleich den Revolver aus der Tasche gerissen und feuerte ihn auf Borescu ab. Er wankte, liess ihren Mann los und stürzte dann auf das Gesicht vor ihr nieder, wie ein Sklave vor seiner Gebieterin.
Sie stand jetzt vor ihrem Gatten mit flammenden Augen den Revolver in der Rechten und zeigte den Arbeitern, die erschreckt zurückgewichen waren, die Zähne, wie ein Raubthier, das zum Sprunge bereit ist.
Sie wäre aber trotz ihrem Muthe mit ihrem Manne verloren gewesen, wenn nicht Assur, einen schweren Hammer in der Faust, herbeigeeilt wäre. An ihn wagte sich keiner. Er deckte den Rückzug, und der Fabrikant und seine Frau konnten glücklich das Haus erreichen.
Hier verbarrikadirten sie sich, Modruch, Kätzchen und ein paar jüdische Arbeiter und Diener, besetzten die Fenster und drohten zu schiessen, sobald die Streikenden Miene machen würden, einzudringen. Diese berathschlagten einige Zeit und zogen sich dann zurück, jedoch nur, um die Fabrik an allen Ecken anzuzünden. Bald schlugen die Flammen allerorten auf und ergriffen das Haus, das die rauflustige Menge bewachte.
»Wir müssen uns einen Ausweg suchen«, sagte Modruch, »wenn wir nicht hier im Qualm ersticken wollen.«
Kätzchen nahm ihr Kind auf die Arme, und die jüdischen Männer, alle bewaffnet, umgaben sie. So stiegen sie langsam die Treppe hinab. Der Riese begann die Thüre freizumachen.
Da ertönten Trompeten und der Hufschlag der Pferde. Eine Eskadron Cavallerie kam an und trieb den Pöbel und die streikenden Arbeiter mit der flachen Klinge auseinander.
Modruch machte noch einen Versuch, das Haus zu retten, aber er gab es bald auf und sah finster, die Zähne aufeinandergepresst, sein Hab und Gut in den Flammen enden.
Da legte sich eine kleine Hand auf seine Schulter und eine Stimme voll Liebe und Energie sprach: »Mann! Geliebter! verzweifle nicht. Wir werden das Haus aufbauen und die Fabrik. Ich habe Dich, Du hast Dein Weib und Dein Kind, und was verloren ist, können wir entbehren.«
* * *
Und die kleine Frau hielt Wort. Sie hatte mit einem Male ihre ganze Energie, ihre ganze Kraft wiedergewonnen, das Unglück fand sie besonnen und kaltblütig.
Kaum war die Ordnung hergestellt, Leben und Eigenthum der Juden gesichert, so erschien sie schon bei dem Minister, nicht um zu bitten, nein, um anzuklagen und zu verlangen. Sie machte die Regierung für den Schaden, den ihr Mann erlitten, verantwortlich, und sie erlangte die Hülfe, welche sie forderte. Dann eilte sie von Land zu Land, von Stadt zu Stadt, überall, wo ihr Mann Geld zu fordern hatte, erschien sie und bestimmte seine Geschäftsfreunde, früher zu zahlen, als sie verpflichtet waren. Sie ging von Bessarabien nach der Bukowina und Galizien, von hier nach Ungarn und Siebenbürgen.
Als sie zurückkehrte, begann man sofort den Schutt wegzuräumen und auf den Trümmern erhob sich rasch ein neuer Bau. Kätzchen Petersil hatte das Schicksal bezwungen, und zugleich war der Bann gebrochen, der ihre Seele gefangen hielt.
Als der Tannenbaum mit Bändern geschmückt auf dem neuen Dachstuhl aufgepflanzt wurde und der Aelteste der Maurer, in der Hand einen mit Wein gefüllten Becher, von oben den Bauherrn grüsste, der mit den Seinen im Hofe stand, da kamen leise die kleinen Hände der hübschen Frau aus den weichen Aermeln ihrer Pelzjacke hervor und legten sich gleich einer magischen Schlinge um Modruch's Hals.
»Wir haben viel verloren«, sprach sie, die leuchtenden Augen zu ihrem Manne erhoben, »aber ich habe alles gewonnen.«
»Bist Du endlich mit mir zufrieden?« fragte Modruch lächelnd.
»Ach! ich bin so glücklich,« rief sie. »Gott hat mich gestraft, aber seine Hand hat mich geführt, wie einst sein Volk aus Egypten, aus der Sklaverei zur Freiheit, aus der Finsterniss zum Licht.«