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(Der Schwärmer. – Ein jüdischer Pilger. – Die Mauer des Tempels.)
Nie vergess' ich dein, Jerusalem.
Jehuda Ben Halevy.
Zweierlei Licht kämpfte in der kleinen düstern Dachkammer gegeneinander, das Licht der Unschlittkerze, die zum Stümpfchen herabgebrannt war, und das Licht des Morgens, das durch den grünen Vorhang hereindrang. Es war hier wie das letzte Aufflackern eines Sterbenden und dort wie der frische Athem eines Neugeborenen. Eine scheidende Seele und eine zweite, welche erwachte.
Das fahle, unruhige Licht der Kerze spielte auf den vergilbten Blättern des grossen Buches, das auf dem Tisch aufgeschlagen war, während der röthliche Schimmer des jungen Tages die bleiche Stirne des jungen Mannes beschien, der in seinem armseligen Lehnstuhl lag, in tiefes Sinnen versunken.
Seine schlanke Gestalt war in einen fadenscheinigen Kaftan eingewickelt, unter dem kleinen schwarzen Sammtkäppchen quoll schwarzes Haar in wirren Locken hervor und fiel schwermüthig in ein Gesicht, auf dem der Frühling der Jugend niemals aufgeblüht war, ein Gesicht, in das Leiden, Entsagung und Studium ihre scharfen Linien gezeichnet hatten, in dem nur die grossen Augen leuchteten, dunkle Augen, die den Himmel suchten, die sich vom Leben abgewendet hatten, in eine andere Welt, in jene Oede, in welcher jede Farbe erlischt, jeder Ton erstirbt, in welcher die Hand in das Leere tastet und nur der Gedanke herrscht, erhaben, einsam, unbeschränkt.
Er war arm und krank, dieser bleiche Galeb Jekarim, welcher die Nächte vor seinen Büchern durchgewacht hatte, und doch war er glücklich. Er hatte keine Mutter und seine Lippen hatten noch niemals den rothen Mund eines Weibes berührt, aber er hatte eine Geliebte gefunden, schöner als alle Frauen der Erde, und reicher geschmückt als alle Sultaninnen. Nichts war sein eigen, nicht einmal der Talmud, das heilige Buch, die einzige Quelle seiner Freuden, aber wenn er sich in die vergilbten Blätter versenkte, da war es, als ob ihm Fittiche wüchsen, die ihn emportrügen, hoch, immer höher, bis er endlich in einem Meer von Licht schwamm, tief unter sich den Qualm und das Gewimmel der Städte, die engen, dunklen Thäler, die weiten Flächen, die der Pflug durchzieht, die feuchte Wüste des Ozeans mit ihren segelnden Schiffen.
Da vergass er alles, seine Armuth, seine Einsamkeit, diese brennende Sehnsucht nach Liebe in seinem Herzen, diese Traumgestalten der Freude, die in stillen Nächten um ihn webten, er vergass die Schmerzen, das schleichende Fieber, das ihn quälte, nur Eines vergass er nicht.
Wenn die Sonne leise durch den grünen Vorhang drang, und die elende Wand vergoldete, da war es, als schriebe eine unsichtbare Hand mit flammenden Lettern, an diese Wand, die Worte des grossen, jüdischen Poeten, den einst Spanien gebar, den Vers Jehuda ben Halevy's: Nie vergess' ich dein, Jerusalem!
Und wenn der Mond die kleine Stube mit seinem keuschen Licht erfüllte, da schien ein silberner Finger dieselben Worte auf den rauchigen Querbalken hinzuzaubern, und wenn er in der Dämmerung des Abends auf dem Friedhof sass und träumte, da flüsterten Geisterstimmen in den Wipfeln der Zypressen: »Nie vergess' ich dein, Jerusalem!«
Ein brennendes, verzehrendes Heimweh hatte sich seiner bemächtigt, ein Heimweh nach dem Lande seiner Väter, das er niemals gesehen, das er nur aus den Schilderungen der heiligen Schrift kannte. Dieses Heimweh war endlich mächtiger als er, als sein Vaterland, als seine Familie, und es bezwang sogar seine Schwäche und seine Armuth.
Er lebte von der Liebe seiner Schwester, die ihm ein kleines Stübchen und Nahrung gegeben hatte, er hatte niemand, der ihm die Mittel zu dieser grossen Reise gegeben hätte, aber er hatte sich dennoch in dieser Nacht entschlossen aufzubrechen, und als der junge Tag die weite Fläche mit seinem goldenen Licht übergoss, setzte er den Hut auf, ergriff seinen Stock und ging ohne Abschied fort, hinaus in die Fremde, in die weite, feindliche Welt, nach dem gelobten Lande, nach Jerusalem!
* * *
Galeb schlich durch den Garten, trat durch das kleine Pförtchen heraus in das Freie und setzte seinen Weg dann zwischen den schwankenden Aehren auf dem schmalen Fusspfad fort.
Am Rande des Waldes stand eine kleine Hütte, in der Juden wohnten. Die Männer bestellten das Feld, und Midatja, die Tochter des Schalmon, dem das Bauerngut gehörte, weidete die Kühe in den Büschen.
Als sie Galeb erblickte, liess sie ihre Peitsche knallen und blickte ihn mit ihren schwarzen Augen halb theilnehmend, halb spöttisch an.
»Du hast recht, einmal hinauszugehen«, sprach sie, »Deine Wangen sind so bleich, Du lernst zu viel, Galeb, Du gehst zu Grunde zwischen Deinen Büchern.«
Galeb schüttelte den Kopf, aber er blieb stehen. Er wusste, dass das Mädchen ihm gut war und auch in seinem Herzen regte sich etwas für dieses hübsche, gesunde Geschöpf mit dem verständigen Blick.
»Du verstehst mich nicht, Midatja«, sagte er, »mich treibt eine heilige Pflicht.«
»Oh! ich weiss, was Dir fehlt«, rief sie, »eine Frau, eine Frau wie ich. Ich wollte Dir schon den Kopf zurecht setzen.«
Galeb lächelte traurig, nickte ihr zu und ging hinein in den Wald. Als er wieder aus dem Dickicht trat, hatte die Sonne das Gewölk durchbrochen und ergoss ihre Strahlen in breiten leuchtenden Garben über die weissen Nebelmassen. Es war ein erhabenes, wahrhaft biblisches Schauspiel und dabei diese Stille in der Natur, diese Feier!
Galeb Jekarim sprach laut zu sich selbst: »Dort ist Gott!« und dann erhob er die Arme und das bleiche Antlitz der Sonne zugewendet, begann er zu beten.
* * *
Galeb Jekarim wanderte zu Fuss, mit jenem Muthe und jener Ausdauer, welche eine grosse Idee dem Menschen einflösst. Er folgte der Sonne. Dort, wo sie zu Mittag stand, war das Meer und jenseits des Meeres Jerusalem. Er durchzog Galizien, die Bukowina und betrat die Moldau. Die heissen Strahlen versengten seinen Scheitel, der Regen, der Hagel peitschte seinen Nacken, Blitze zuckten um ihn, Spott und Hass schlug an sein Ohr, aber nichts konnte ihn aufhalten. Er wanderte unermüdlich.
Wenn die Nacht anbrach, bettelte er um Nachtquartier, um etwas Nahrung, dort, wo er an der Pforte die kleine Rolle mit einem Talmudspruch erblickte, und überall fand der arme jüdische Pilger offene Thüre und offene Herzen.
Nicht selten übernachtete er auch in einem Busch oder in dem Versteck, das ihm die Garben auf dem Felde boten.
In einem kleinen Karpathenthal fiel er in die Hände von Räubern. Er dachte nicht daran, sich zu vertheidigen. Als er sich von den wilden Gesellen umringt sah, sprach er ruhig: »Ich bin ein Pilger, der nach Jerusalem wandert.«
Was war es in diesem bleichen Antlitz, was die Mordgesellen bewegte?
»Nach Jerusalem,« wiederholte der Hauptmann. Alle betrachteten ihn mit einer Neugierde, in die eine Art Ehrfurcht gemischt war. Dann winkte ihm der Hauptmann ihnen zu folgen.
In einer Felsenhöhle, vor der ein grosses Feuer loderte, boten ihm diese Ausgestossenen ein Lager und luden ihn ein, mit ihnen zu essen. Als er am Morgen weiterzog, sagte der Hauptmann: »Bete auch für uns, wenn Du dort bist, es gibt doch nur einen Gott über uns allen.«
Endlich die Donau, das Meer. Da lag die feuchte Wüste vor ihm, mit ihrem Silberschein, ihren wandernden Segeln, ihren Küsten, die sich in der Ferne verloren.
Ein türkischer Kapitän nahm ihn auf sein Schiff. Da er nicht bezahlen konnte, sollte er ihm als Matrose dienen. Doch schon in der zweiten Nacht kam ein Sturm. Das Schiff verlor seine Mäste und das Wrack wurde von einem Korsaren aus Tripolis gekapert.
Galeb Jekarim wurde von dem Piraten als gute Prise betrachtet und in einer kleinen Stadt an der Küste von Kleinasien auf den Sklavenmarkt gebracht. Hier kaufte ihn ein reicher Muselmann, der ihn zum Gärtner machte, ihn, der niemals eine andere Blume beachtet, als jene, die aus den Versen der Bibel emporblühen oder zwischen den Legenden des Talmud.
* * *
Der Garten war eine kleine Wildniss voll Zypressen und Blumen, mit Duft erfüllt und von den blauen Meereswogen bespült. Jedesmal, wenn Galeb Jekarim durch die Orangen- und Zitronenbäume den leuchtenden Spiegel erblickte, auf dem irgend ein Segel schwamm, seufzte er auf: »Nimmer vergess' ich dein, Jerusalem!« und heisse Thränen überströmten seine eingesunkenen Wangen, wenn die holde Lewana, wenn der Mond an dem blauen Himmel heraufzog und silberne Brücken baute über das Meer hinüber.
Mehr als einmal war Galeb nach Sonnenuntergang einer Frau begegnet, die ganz in einen weissen Burnus und einen weissen Schleier gehüllt, einem Geiste gleich, durch die Laubgänge schritt. Jedesmal blieben ihre dunklen Augen auf dem Sklaven ruhen, der sich vor ihr niederwarf und das Haupt zur Erde neigte.
In einer mondhellen Nacht, als er an dem Ufer des Meeres sass und betete, legte die Türkin ihm plötzlich die kleine weisse Hand auf die Schulter. »Still!« murmelte sie, »antworte rasch auf meine Fragen. Du bist unglücklich. Hast Du ein Weib, eine Braut in Deinem Lande, die Du liebst?«
Galeb Jekarim schüttelte den Kopf.
»Weshalb weinst Du also?«
»Ich war auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem«, gab er zur Antwort, »als mich die Räuber gefangen nahmen, ich fühle, dass mir der Todesengel nahe ist, und ich kann nicht sterben, ehe ich nicht die heilige Erde geküsst habe, ehe ich nicht Gott angerufen habe, dort im Lande der Verheissung.«
Die Türkin sah ihn staunend an, dann schlug sie langsam den Schleier zurück und den goldgestickten Haremspelz auseinander.
»Bin ich nicht schön?« fragte sie.
»Ja, Du bist schön«, erwiderte Galeb.
»Dann schenk' mir Dein Herz, denn ich liebe Dich.«
Sie schlang die mit goldenen Reifen bedeckten Arme um ihn und küsste ihn.
Galeb schauerte zusammen. »Verlange mein Leben«, murmelte er, »aber nicht mein Herz. Es ist dort, wo die Mauer des Tempels gegen Himmel ragt und die Gläubigen an Jehovah mahnt. Ich darf Dich nicht lieben.«
Die Türkin neigte traurig den Kopf, dann richtete sie sich plötzlich auf, verhüllte ihr Antlitz und machte Galeb ein Zeichen, ihr zu folgen. Im Dickicht zeigte sie ihm einen Kahn, in dem ein Ruder lag.
»Wenn Du muthig bist«, sprach sie, »fliehe, rette Dich.«
Galeb kniete vor ihr nieder, presste die Lippen auf ihren kleinen Fuss, sprang in den Kahn und stiess ab.
Noch lange sah man die Türkin am Ufer stehen und mit ihrem Schleier winken. Dann verschwamm alles in der silbernen Dämmerung des Mondes, das schöne Weib, die Bäume, das Landhaus, und ringsum war nichts als das Meer und der leuchtende Himmel.
* * *
Ein englisches Schiff hatte den Pilger aufgenommen und in Jaffa an das Land gesetzt.
Von neuem begann die Wanderung auf steinigen Wegen, auf denen die heisse Sonne brütete, durch Kaktusgestrüpp, durch öde, kahle, traurige Felsen, nur selten zeigte sich eine Ortschaft, von Zeit zu Zeit eine Zisterne, an welcher der Pilger seinen Durst löschen konnte.
Das Fieber brannte in seinen Adern, seine Kräfte liessen nach, aber er ging trotzdem vorwärts. Er hatte nicht den Muth, lange zu rasten, er fürchtete einzuschlafen und nicht mehr zu erwachen, aber er hatte den Muth, der Sonnengluth Trotz zu bieten, dem Hunger, dem Durst, der Erschöpfung.
Nachts hörte er Stimmen, die ihm Trost zusprachen, und eine weisse Gestalt schien vor ihm zu schweben, und ihm den Weg zu weisen, ein Engel des Himmels.
Und endlich, am Morgen, die Mauern der heiligen Stadt.
Jerusalem!
Galeb Jekarim warf sich auf sein Antlitz nieder und küsste die geweihte Erde, dann erhob er sich und schritt eilig vorwärts. Er fühlte keine Mattigkeit mehr, keinen Hunger, keinen Durst. Goldene Kuppeln glänzten im Morgenlicht. Auf seinem Wege waren jetzt Obstbäume, ein Wald von Kakteen, rothe, flammende Blüthen und ein frisches Grün, hier eine Flur von Anemonen, Skabiosen, Schwertlilien, dort ein Hain von grossen, farbigen Disteln. Ueber ihm leuchtete der reine Himmel und um ihm war diese balsamische Luft, der Duft der Rosen und Trauben von Kanaan.
Jerusalem!
Er blickte nicht rechts, nicht links, er eilte vorwärts.
Noch hundert Schritte!
Da war die heilige Mauer, ein Rest jener hohen, mächtigen Terrassen, auf denen einst der Tempel gestanden hatte.
Am Fusse dieser Mauer sank der Pilger hin.
Er erhob sich noch einmal, um gegen die Steine gelehnt, mit lauter Stimme sein Gebet zu sprechen, das wie ein Jubellied aus voller Seele erklang, und glitt dann noch einmal zur Erde, um nicht wieder aufzustehen.
Vor ihm stand leuchtend der Bote mit den weissen Flügeln, der ihn geleitet hatte, und hoch oben ertönte Gesang ...
Galeb lehnte sich zurück an die heilige Mauer, und das letzte Wort, das über seine Lippen kam, wie ein Hauch, ein seliger Seufzer, war: Jerusalem!