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Lewana

Türkei.

Das Mondheiligen. – Befreiung aus der Sklaverei.

In einer jener engen dunkler Strassen des alten Belgrad, die zugleich ein Bazar, ein Paradies Muhameds und ein Schlupfwinkel des Verbrechens sind, befand sich ein kleines Kaffeehaus, das von einer Italienerin, Frau Peregrino, gehalten wurde. Hier sass eines Abends ein junger Mann in ein Wiener Journal vertieft, während ringsum Geschäfte aller Art verhandelt wurden und im Hinterzimmer Zigeuner ihre wilden Weisen spielten, gluthäugige Zigeunerinnen die Tambourine schwangen und tanzten.

Plötzlich legte ihm die Wirthin die Hand auf die Schulter und flüsterte: »Sie sind immer so traurig, Herr Bukarest, was haben Sie denn eigentlich?«

»Ich möchte fort«, gab er zur Antwort.

»Weil Sie das Mädchen, welches Sie lieben, nicht bekommen können.«

Nahum Bukarest zuckte die Achseln. »Mein Oheim ist Kaufmann in Konstantinopel«, sagte er, »ich will zu ihm reisen. Können Sie mir sagen, wie ich am billigsten hinkomme.«

»Oh! das trifft sich sehr gut«, erwiderte die Wirthin, »hier ist eine Dame, die Sie schon mehrmals gesehen hat und Gefallen an Ihnen findet. Ihr Vater ist Kapitän, er wird Sie auf sein Schiff nehmen. Kommen Sie.«

Frau Peregrino führte den jungen, hübschen Israeliten in ein kleines Kabinet, in dem nur ein türkischer Divan stand. Auf diesem sass ein schönes Weib in halborientalischer Tracht und begrüsste Nahum mit einem koketten Lächeln. Die Wirthin sprach von seinen Plänen und liess ihn dann mit der schlanken Schönen allein. Diese zog ihn zu sich auf die schwellenden Kissen, und während sie heiter plauderte, fühlte Nahum mehr und mehr die Macht ihrer fremdartigen Reize und befand sich endlich in einer Art von Opiumrausch, von anmuthisch phantastischen Bildern umgaukelt.

Es wurde abgemacht, dass er mit Varsawa, so hiess die Fremde, und ihrem Vater, dem griechischen Kapitän Trifoniades, nach dem goldenen Horn segeln sollte, und als die Schöne das Kaffeehaus verliess und Nahum sie begleitete, schlang sie plötzlich auf der dunklen Strasse die Arme um seinen Hals und küsste ihn.

Am folgenden Abend erschien der Kapitän in demselben Kaffeehaus und vereinbarte mit Nahum das Reisegeld. Es war in der That sehr wenig, was er verlangte, so dass Nahum von der Summe, die er zur Verfügung hatte, noch einen beträchtlichen Theil in seiner Tasche behalten konnte.

Er fand diesmal Varsava in dem kleinen Kabinet in Gesellschaft von drei jungen bildhübschen Mädchen, von denen zwei Ungarinnen waren, während die Dritte aus Serbien stammte. Varsava hatte ihnen gute Stellen in Konstantinopel zugesichert. Die eine sollte in einem Konfektionsgeschäft, die zweite als Kassirerin in einem Kaffe, die dritte als Kammerjungfer bei einer österreichischen Gräfin eintreten.

»Sehen Sie, mein Freund«, rief Varsava, »was Sie für eine reizende Reisegesellschaft haben werden. Ich fürchte, dass Sie mir untreu werden.«

Nahum erröthete und Varsava gab ihm einen leichten Schlag mit der Hand, der beiläufig sagen wollte: Oh! ich bin Deiner vollkommen sicher.

Zwei Tage später bestiegen alle zusammen das Schiff des Kapitän Trifoniades und fuhren die Donau hinab. Varsava beschäftigte sich viel mit Nahum. Sie wechselte Blicke mit ihm, welche ihm die kühnsten Hoffnungen erweckten und erlaubte sich eine Reihe kleiner Vertraulichkeiten, welche den jungen, unerfahrenen Mann mit unsichtbaren, magischen Schlingen umgaben.

Es wurde Abend, als sie die Donaumündung verliessen. Mitten in der Nacht, im offenen Meer, steuerte ein anderes Schiff auf sie zu. Die beiden Kapitäne wechselten Zeichen, dann legten sich ihre Fahrzeuge gegen einander, und der Grieche hiess Nahum und die drei Mädchen auf das fremde Schiff übersteigen.

»Weshalb?« fragte Nahum erstaunt, »Was soll denn dies bedeuten?«

»Fragen Sie nicht erst lange«, rief Varsava, »kommen Sie.«

Sie ging voran über die Brücke, die man von Bord zu Bord gelegt hatte und die Andren folgten.

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Während der Grieche weitersegelte, gab die seltsame Schöne Nahum einen Wink ihr zu folgen und führte ihn in eine geräumige Kajüte, die einem kleinen Harem glich, mit ihren türkischen Divans, ihren persischen Teppichen und ihren weichen Pantherfellen. Varsava streckte sich auf den goldgestickten Kissen aus, betrachtete den immer mehr verwunderten Nahum mit einem spöttischen Lächeln und sprach: »Jetzt bist Du mein.«

Zugleich rauschte der Teppich, welcher den Eingang schloss, und ein kräftiger hübscher Mann in armenischer Tracht trat ein. Er stemmte die Arme in die Seiten und lachte, dann stiess er einen leisen Pfiff aus, und sofort drangen zwei Neger in die Kajüte, ergriffen Nahum, warfen ihn zu Boden und fesselten ihn.

»Du hast einen guten Fang gemacht«, sagte der Armenier, »die Mädchen sind jung und schön, sie werden jedem Harem zur Zierde gereichen, was willst Du aber mit diesem hier beginnen?« Er deutete auf Nahum.

»Wir werden ihn in Kleinasien verkaufen«, erwiderte Varsava, »weisse Sklaven sind heute eine Seltenheit, es findet sich leicht ein Liebhaber für solche Waare.«

Die Neger hoben jetzt den armen Nahum wie einen Sack auf, trugen ihn hinaus und warfen ihn in einen dunklen Winkel, in dem Taue und Tonnen lagen.

»Sagt mir doch, wo bin ich«, bat Nahum die Matrosen, »wer ist der Mann, dem das Schiff gehört?

»Der heisst Sahag und ist ein armenischer Sklavenhändler.«

»Und Varsava?«

»Das ist seine Frau. Sie ist schlau wie eine Schlange und geschickt im Vogelfang wie keine zweite. Du bist nicht der erste, den sie liefert. Sie versteht sich auf Menschenwaare und auf den Sklavenhandel.«

Nahum fragte nicht weiter. Er sank zurück auf die Schiffstaue und presste seine heisse Stirn gegen die feuchte Holzwand.

* * *

Sahag landete in einem kleinen Hafen an der Küste von Kleinasien. Die vier Opfer wurden jetzt geknebelt, in Säcke gesteckt und mit anderen Waaren auf einen Wagen geladen. In dem von hohen Mauern umgebenen kleinen Hofe des Hauses, das dem Armenier gehörte, befreite man sie von ihren Fesseln.

»Meine Lieben«, sprach Varsava zu den Mädchen, die furchtsam vor ihr standen, »Euch steht ein grosses Glück bevor, bald wird Euch Pracht und Reichthum umgeben, aber vorher müsst Ihr erst eine Schule bei mir durchmachen, ich werde Euch die Kunst lehren Eurem künftigen Herrn stets zu gefallen und ihn zu fesseln. Und Du«, – wendete sie sich spöttich an Nahum – »Du musst erst Gehorsam und Demuth lernen. Ich gebe Dir deshalb einen guten Rath. Ergieb Dich ruhig in Dein Schicksal. Du wirst an Sahag einen trefflichen Lehrmeister haben, wenn Du Dich aber widerspänstig zeigen solltest ...

»Dann gibt es Mittel«, sagte der Armenier ruhig, »die noch jeden zahm gemacht haben.« Er nahm die grosse Sklavenpeitsche vom Nagel und liess sie knallen, während die schöne Verrätherin in ein lautes brutales Gelächter ausbrach.

Nahum senkte stumm das Haupt und ergab sich. Sahag liess ihn verschiedene Arbeiten im Hause und Garten verrichten. Er zeigte sich willig und gelehrig, so dass der Armenier mit ihm ausnehmend zufrieden war und keinen Anstand nahm, ihn schon einen Monat später einer reichen Wittwe vorzuführen, welche zu ihm kam, um einen Sklaven zu kaufen.

Nahum blickte scheu von der Seite auf die mittelgrosse schlanke Gestalt, die in einem blauen goldgestickten Burnus vor ihm stand und deren schwarze Augen ihn aus dem dichten Schleier hervor neugierig musterten.

»Das ist ein Prachtstück«, sprach Sahag, indem er Nahum auf die Schulter klopfte, »jung, kräftig, aus gutem Hause, unterrichtet und gelehrig. Sie werden einen vorzüglichen Diener an ihm haben, Zamira Ben Oporto, und solch' ein Gesicht zu sehen, ist auch angenehmer als das eines Negers.«

Zamira erwiderte nichts, sondern begnügte sich die angebotene Waare zu prüfen. Sie untersuchte den Arm, sie besah, wie bei einem Pferde, die Zähne und klopfte auf Nahum's Brust. Endlich nickte sie und verlangte den Preis zu wissen. Nach langem Handeln wurden sie einig. Die Wittwe bezahlte, und eine Stunde später wurde der neue Sklave in ihrem Hause abgeliefert.

Zamira war die Witwe eines reichen Kaufherrn. Sie handelte mit orientalischen Stoffen, Pantoffeln, Schmuckgegenständen, Pfeifen und Waffen, und besass drei Schiffe, die abwechselnd auf dem schwarzen Meer, dem Mittelmeer und nach Indien segelten.

Es machte sie von Anfang ungeduldig, dass Nahum nur wenig arabisch verstand, sie wollte ihn in ihrem Kaufladen beschäftigen und musste sich vorläufig damit begnügen, ihn den Lastträgern beizugesellen, welche die Waarenballen in ihrem Hause abluden und in den Magazinen aufstapelten.

Es regte sich jedoch noch eine Empfindung in dem stolzen Herzen des schönen Weibes, welche Zamira gegen Nahum aufbrachte. Sie war böse auf sich selbst, weil sie mehr und mehr an ihrem Sklaven ein Wohlgefallen fand, das ihr unwürdig und verächtlich erschien.

Und er? Er hatte nur einmal ihre schlanke, elastische Gestalt, ihr edles, feingeschnittenes Gesicht unverhüllt gesehen, und seitdem gehörte er ihr, auch ohne dass sie ihn gekauft hätte, seine Phantasie beschäftigte sich Tag und Nacht mit ihr, und ihre Nähe versetzte ihn jedesmal in eine unbeschreibliche Verwirrung.

* * *

Eines Tages rief ihn Zamira in ihr Gemach und kündigte ihm an, dass er fortan im Hause zu bleiben und sie selbst zu bedienen habe. Nahum sah mit einem wollüstigen Schauer das schöne Weib, das in einem langen Pelz von grünem, silberdurchwirkten persischem Stoff in den rothseidenen Kissen ruhte und die schwarzen, bösen Augen auf ihn geheftet hatte. Sie befahl ihm, ihr die kleinen, goldgestickten Pantoffel anzuziehen und nachdem dies geschehen war, ihr den Kaffee zu bringen.

Nahum gehorchte, aber in seiner Verwirrung stolperte er auf dem Teppich und vergoss den duftenden Mokka.

»Du bist ungeschickt«, rief Zamira zornig, »man muss Dich zuerst abrichten, wie ich sehe.«

Sie erhob sich und ergriff die Peitsche, die stets für ungehorsame Sklaven bereit lag. Nahum warf sich vor ihr auf die Knie nieder und kreuzte die Arme auf der Brust, aber seine Demuth entwaffnete sie nicht. Zamira schwang die Peitsche und traf ihn wiederholt mit grausamer Energie.

Plötzlich warf sie dieselbe weg und hiess ihn gehen. Dann warf sie sich unmuthig in die Kissen zurück und nagte an den Nägeln ihrer kleinen Hand. Sie war unzufrieden mit sich selbst, sie schämte sich, während er die Stelle an seinem Arm küsste, wo ihn ihre Peitsche getroffen hatte.

* * *

An demselben Abend war der Mond in sein erstes Viertel eingetreten. Als es dunkel war, hüllte sich Zamira in Pelz und Schleier und ging hinaus in den Garten. Die schöne Lewana schwebte bereits an dem tiefblauen Himmel. Ihr holder tröstender Schimmer hatte auch Nahum herausgelockt. Er sass unter einem Oelbaume, vor ihm war ein kleiner Grasplatz mit Anemoner, Skabiosen und Schwertlilien bedeckt, weiter hinaus standen Orangen- und Zitronenbäume und schimmerte das Meer. Um ihn war die Stille der Nacht und der balsamische Duft des Orients. Nahum erinnerte sich der schönen Mythe, welche der Talmud erzählt.

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»Als der Schöpfer die beiden Himmelslichter vollendet und eingesetzt hatte, näherte sich ihm der Mond und sprach: »Herr! es ist doch nicht schicklich, dass zwei Diener den gleichen Rang haben, lass mich um etwas grösser und leuchtender sein als die Sonne.« Das erzürnte Gott und er erwiderte: »Da Du Dich über Deinen Gesellen erheben willst, sollst Du vielmehr erniedrigt werden. Du sollst von nun an kleiner sein als er und Dein Licht soll dem seinen nachstehen.«

Der Mond erblich und ging bedrückt von dannen. Da erbarmte sich Gott seiner und gab ihm das funkelnde Heer der Sterne zur Gesellschaft.«

Der fromme Jude aber vergisst keinen Monat den Mond zu segnen, wenn dieser in seinem ersten Viertel steht und Nahum empfand hier in der Fremde, im Unglück, in der Sklaverei noch mehr das Bedürfniss dieser Pflicht zu genügen als daheim, im Kreise der Seinen.

Als Zamira sich der kleinen Wiese näherte, sah sie ihn mitten auf derselben stehen, dort wo ein Cypressengebüsch sie seinen Blicken verbarg. Sie hörte ihn den Segensspruch sprechen, den sie so lange nicht gehört: Gelobt sei der, der den Mond erneuert! sie sah ihn dreimal gegen die leuchtende Sichel hüpfen und lauschte immer erregter den Worten, mit denen er diese Bewegung begleitete: »So wie ich gegen Dich hüpfe und Dich nicht berühren kann, sollen auch meine Feinde mir stets fern bleiben.« Während Nahum noch die Zipfel seines Kaftans schüttelte und ausrief: »Wie ich den Staub von mir schüttle, so sollen auch meine Hasser und die bösen Geister von mir weichen«, trat Zamira rasch aus dem Gebüsch.

Nahum erschrack und warf sich zu ihren Füssen nieder.

»Du bist ein Jude!« rief Zamira und da er keine Antwort gab, fuhr sie fort, »warum hast Du mir das verschwiegen? Auch ich bin eine Jüdin. Ich muss jedoch hier, wo nur Muhamedaner und Armenier wohnen, meinen Glauben verbergen. Vergieb mir, was ich Dir gethan. Ich will es gut machen, indem ich Dir die Freiheit schenke, und Dich mit dem nächsten Schiff zu den Deinen zurücksende.«

»Nein, Herrin«, erwiderte Nahum, »das wäre eine Strafe, grausamer als die Peitsche. Lass mich bleiben, ich verlange nichts weiter als immer Dein Sklave zu sein. Setz' Deinen Fuss auf meinen Nacken und erlaube mir ihn nur jedesmal zu küssen, wenn er mich getreten hat.«

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Zamira erblickte ihn, das Antlitz dem Monde zugekehrt. Von Henry Levy.)

Zamira sah ihn überrascht an. »Du hassest mich nicht?« fragte sie verwirrt.

»Wer könnte Dich hassen?«

»Gut, Du bleibst bei mir«, entschied sie mit einer stolzen Kopfbewegung, »aber nicht als mein Diener, das ginge nicht an.«

»Wie Du willst«, rief er, »schick mich nur nicht fort.«

Die schöne Wittwe begann leise zu lachen.

»Weisst Du, warum ich Dich geschlagen habe?« fragte sie schalkhaft. »Weil ich gegen mich aufgebracht war. Ich schämte mich meinen Sklaven zu lieben und einen Mann, der nicht meines Glaubens ist, dem ich niemals meine Hand reichen könnte.«

»Zamira! Ist es möglich!« stammelte Nahum.

Statt zu antworten legte sie ihm die Arme um den Hals, neigte sich zu ihm und küsste ihn.

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