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Haman und Esther

Polen.

(Schuschan-Purim. – Hamanspiel.)

Es war zur Zeit des Schuschan-Purim, die ganze Stadt Sandomir war in heiterer Aufregung und ein Jeder nach Kräften bemüht, die Nacht in hellen Tag zu wandeln. Alle Fenster waren erleuchtet, hie und da die Häuser mit farbigen Lämpchen und Ballons geschmückt, an den Fenstern sassen schöne jüdische Frauen und Mädchen in üppige Pelzjacken geschmiegt und lachten und assen Backwerk, und die Strassen durchzogen fröhliche Menschen in langen Kaftanen und die Maskerade war in vollem Zug. Hier kam ein Trupp jüdischer Jünglinge, die als kleinrussische Bauern gekleidet waren, und vor jedem Hause Halt machten und kleinrussische Volkslieder sangen, wobei sie sich mit Geigen, Bassgeigen und Flöten begleiteten. Andere kamen als Bären und schreckten die Mädchen, die in den Thüren standen. Wieder andere führten das Ahasverusspiel auf. Da war Esther, die, in Seide, Sammt und Hermelin gekleidet, eine Krone von Goldpapier auf dem Kopfe, von vier Sklaven getragen wurde, König Ahasverus mit seinem rothen Mantel, Monderich (Mardochai) mit seinem grossen Turban und endlich Haman, die Hauptperson, der mit einem schäbigen Kastorhut auf dem Kopfe, in weisse zusammengenähte Leintücher gehüllt, auf Stelzen einherging, wie ein Riese die Menge überragte und seine grosse Nase mit den drei gigantischen Karfunkelwarzen bald hier, bald dort an einem Fenster des ersten Stockes der kleinen, niederen Häuser erscheinen liess, so dass die Schönen erschreckt zurückfuhren und das Necken und Lachen kein Ende nahm.

Haman war natürlich Laktef Wilna. Wer hätte auch in Sandomir gewagt, den Haman darzustellen, als Laktef Wilna, der hübscheste, kräftigste, keckste und lustigste jüdische Bursche der ganzen Kreisstadt, der es wahrlich an Juden in keiner Weise fehlte. Wo der echt türkische Lärm der grossen Trommel, der Blechdeckel und einer heisseren Trompete das Herannahen der Personen des Ahasverusspieles ankündigte, wurden, trotz der grimmigen Kälte die Fenster ganz oder doch ein wenig geöffnet und rosige Mädchengesichter und dunkle Frauenaugen blickten in die Strasse und schnell war Laktef Wilna zur Stelle und spielte den Neugierigen irgend einen Possen.

Der Madame Pflaumenbaum, die nur einen Augenblick das Guckfenster handbreit öffnete, warf er einen alten Pantoffel hinein, der schönen Frau Zuckerspitz, die in ihrer mit Zobel ausgeschlagenen und gefütterten Kazabaika im Fenster lag, denn sie wollte gesehen werden, überreichte er einen grossen vergoldeten Husaren aus Lebkuchen und machte sie erröthen und blitzschnell verschwinden. Der etwas allzuschlanken Tochter Grünwald schwor er, dass er einen sehr passenden Mann für sie gefunden habe und gab ihr einen Hering. Bei Jonathan Schmeikes, dem Kaufmann, wo ein halbes Dutzend junger Mädchen versammelt war, liess er eine Maus in das Zimmer und ergötzte sich an der wilden Jagd, die nun folgte, an dem Zetergeschrei, mit dem Alles, was lange Röcke trug, auf Stühle und Tische sprang, bis der kleine Störenfried glücklich in ein Mauerloch geschlüpft war.

* * *

Auf diese Weise kam Laktef Wilna auch zu einem ganz kleinen Hause in der langen Gasse, dessen Mauern sich wie die Blätter eines Kartenhauses nach innen neigten, und in dem, hinter mit Papier zusammengeklebten zerbrochenen Scheiben und morschen Thüren, in zwei Stockwerken und zwölf Zimmern bei dreissig dürftige, jüdische Familien wohnten. Er blickte durch ein Fenster, dessen Scheibe ein grosses Loch hatte, das nicht mehr durch bunte Papierstreifen unschädlich gemacht werden konnte und daher mit verschiedenen alten Strümpfen verstopft war, und sah in einen Stübchen, nicht grösser als ein Hühnerstall, ein Mädchen in einem schlechten, geflickten Kattunkleidchen sitzen und bitterlich weinen. Das verdarb Laktef Wilna den ganzen Schuschan-Purim, denn er hatte, wie alle leichtsinnigen Menschen, das beste Herz und konnte vor allem keine Thränen sehen. Er verhielt sich also vollkommen stille, legte seine Riesennase an die Scheibe und horchte. In dem Stübchen brannte in einem ausgehöhlten Erdapfel ein Stümpfchen Talglicht und sass in einem alten Lehnstuhl, dem ein Bein fehlte, ein Mann in einem zerrissenen Kaftan, die Jarmurka auf dem ergrauten Kopfe, die Hände gefalten und starrte in das Leere.

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Es war der blinde Flickschneider Tobia Fischthran und das Mädchen seine Tochter Esther. Laktef Wilna erkannte sie jetzt.

»Weine nicht«, sprach Tobia milde, »vom Weinen verliert man das Augenlicht. Was soll werden, wenn auch Du nicht mehr kannst, Esterka.«

»Was hilft es, zu arbeiten, Tate«, erwiderte das Mädchen seufzend, »wenn man verlassen von Gott?«

»Kein Mensch ist von Gott verlassen«, versetzte Tobia, »keiner, nur geprüft wird man von Gott, nicht verlassen.«

»Wir werden aber mehr geprüft als alle Anderen zusammen«, gab Esther zur Antwort, »und doch haben wir nicht mehr gesündigt als sie. Bin ich nicht fleissig vom Anbruch des Tages bis tief in die Nacht hinein, Tate, und kann nicht einmal meinem blinden Vater das Stübchen heizen und Kuchen backen, die doch der Aermste hat zum Schuschan-Purim.«

»Was brauchen wir Kuchen, wir hören doch die Musik und hören die Leute lachen«, sagte Vater Fischthran.

»Mir thut es von Herzen weh, wenn sie lachen«, murmelte das arme Mädchen und begann wieder zu weinen, aber ganz leise, damit es ihr alter Vater nicht höre, denn sehen konnte er es ja nicht, wie sie die kleinen mageren Hände vor die Augen presste, aber Haman sah es, Laktef Wilna sah es und eilte auf seinen Stelzen rasch davon. Er war der Sohn wohlhabender Eltern, er hätte können Geld in Esther's Fenster werfen und der Armen wäre geholfen gewesen, aber das hätte ihm keine Freude gemacht, er war nur dann zufrieden, wenn er den Leuten irgend einen Schabernack anthun konnte, und so war er auch jetzt entschlossen, hier den Armen einen liebenswürdigen und anderswo den Reichen einen ärgerlichen Possen zu spielen. Er ging zuerst zu dem Hause des Holzhändlers Jainkef Jeiteles, lehnte sich an die Hofmauer und begann von dem jenseits hoch aufgeschichteten Holze ein Scheit nach dem anderen herüber zu ziehen und dem untenstehenden Monderisch, seinem Freunde Teitel Silberbach, zuzuwerfen. Dann kehrten sie rasch zu dem Hause, wo Esther wohnte, zurück, Laktef stieg von seinen Stelzen herab, und Beide schlichen bis vor Fischthran's Thüre und schichteten das Holz vor derselben auf. Als dies geglückt war, eilte Haman rasch durch die Strassen und blickte in alle Fenster, und richtig, bei Jonathan Schmeikes, dem Kaufmann, hatten sie auf das Küchenfenster zwei grosse Schüsseln mit dampfenden Kuchen gestellt und die Köchin war eben beim Herde beschäftigt und kehrte den Rücken. Schnell hatte sich Haman der Kuchen bemächtigt und wie mit Siebenmeilenstiefeln ging es wieder zurück zu der kleinen Esther. Jetzt schlich Monderisch mit seinem grossen Turban hinauf, klopfte dreimal laut an die Thüre und entfloh. In dem Augenblick, da Esther aufstand und öffnete, zog Laktef Wilna eilig die Strümpfe heraus, warf die Kuchen durch das Loch in der Scheibe hinein, verstopfte dasselbe wieder und versteckte sich dann hinter der Dachrinne.

Als Esther die Thüre öffnete, rief sie: »Tate, wir haben Holz, wer hat uns das gebracht?«

»Holz?« sprach Tobia staunend, »wer sollte uns Holz bringen?«

»Es hat doch dreimal geklopft«, fuhr Esther fort, »und als ich öffne, liegt das Holz da, und was für ein prächtiges Holz! Darf ich das nehmen?«

»Frage nicht lange, mein Kind.«

»Aber es ist wie ein Zauber.« Sie schichtete das Holz hinter dem Ofen auf, zerhackte eines der grossen Scheiter, machte Spähne, und bald prasselte im Ofen ein herrliches Feuer und die kleine Stube erwärmte sich behaglich. Esther trocknete ihre Thränen. »Und hier! was soll das bedeuten. Tate«, schrie sie auf, »das ganze Fenster voll Kuchen!«

»Kuchen?« wiederholte der Blinde ungläubig, vor Freude bebend.

Esther reichte ihm einen und Beide begannen zu essen.

»Noch ganz warm«, sprach sie, »aber das ist ja alles wie ein Wunder.«

»Siehst Du, Esterka, Gott hat uns nicht verlassen«, sprach der Blinde, »das ist der Prophet Elias, der hat gesehen Deine Thränen und ist gekommen uns zu beschenken zum Schuschan-Purim.«

»Ja, Tate, niemand als der Prophet Elias.«

Beide begannen zu beten.

»Wenn er aber da ist bei uns und sieht unsere Noth«, begann wieder Esterka, »warum bringt er mir nicht auch warme Kleider und Schuhe, zu kleiden meinen blinden Vater?«

»Was brauche ich warme Kleider«, rief Tobia lächelnd, »hab' ich doch jetzt ein warmes Stübchen, aber Du, mein Kind, Du thust laufen eppes zu die Leute durch Frost und Schnee in Deinen zerrissenen Schuhen und Deinem dünnen Kleidchen.«

»Verlange nicht zu viel, Tate«, beschwichtigte ihn Esther, »hab' ich doch auch ein warmes Tuch.«

»Wenn der Prophet Elias will«, entgegnete der Blinde ärgerlich, »so kann er Dich kleiden wie eine Prinzessin, er kann Dich kleiden in einen Zobelpelz, wenn er nur will.«

»Aber Tate –«

»Und ja, wenn man schon bittet, soll man ordentlich bitten, und so bitte ich ihn um einen Zobelpelz für Dich.«

»Tate, er wird böse werden, und es wird verschwinden das Holz.«

»So soll es nicht Zobel sein, aber Du sollst haben einen Pelz.«

»Wozu? bedenke doch.«

»So soll es nur eine Jacke sein, gefüttert mit Pelz, dass Du nicht mehr frierst.«

* * *

Laktef Wilna hörte alles und lachte heimlich in sein gutes, mitleidiges Herz hinein, und wieder eilten die Stelzen hin und her, und Haman's grosse Nase blickte in alle Fenster und sein Arm langte hinein, wo es nur anging und bemächtigte sich der Sachen, die der Prophet Elias nöthig hatte. Vor dem Laden des Trödlers Winkelfeld hingen ein paar rothe Hausstiefel, die er von einem Edelmann erhandelt, Haman nahm sie, ohne viel zu fragen, mit. Bei dem reichen Sprintze Veigelstock entlehnte er einen schwarzen Atlaskaftan, bei den Töchtern des Freudenthal ein Paar neue Schuhe und ein Kleid. Aber die Pelzjacke? Richtig, bei Frau Zuckerspitz waren die maskirten jungen Leute eingedrungen und sie tranken jetzt Tschaj und tanzten, und die schöne, kokette Frau hatte ihre mit Zobelpelz ausgeschlagene und gefütterte Kazabaika abgeworfen, und da das Fenster nur zugelehnt war, öffnete es Laktef Wilna leise und nahm die Kazabaika vom Stuhl.

Mehrere Minuten später klopfte es an Esther's Fenster.

»Das ist er«, flüsterte Tobia, »thu' ihm auf.«

Esther öffnete das Fenster und lief dann hinter den Ofen und schloss die Augen. Als sie dieselben wieder öffnete, lagen der Kaftan da und die Kazabaika, das Kleid und die Schuhe und Stiefel. »Tate«, rief sie, »er hat uns gebracht alles, was wir haben erbeten.« Sie schloss das Fenster und zog dem blinden Vater die warmen Stiefel an und den seidenen Kaftan und zog selbst die Schuhe an und das Kleid und schlüpfte in die prächtige Kazabaika der Frau Zuckerspitz.

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Laktef Wilna war gefangen und mit ihm Esterka. (Von Ed. Loevy.)

»Was für ein Glück!« rief der Blinde, »gewiss stehst Du jetzt da, Esterka, wie eine Prinzessin. Komm' doch zu mir.« Und da er sie nicht sehen konnte, so strich er mit der zitternden Hand, sie zitterte jetzt vor Freude, über den Sammt der Kazabaika und das schwellende Pelzwerk. »Das ist Zobel, mein Kind«, sprach er fast erschreckt, »der gute Prophet Elias hat mich gehört und hat Dir gebracht zum Schuschan-Purim eine Jacke mit Zobelpelz. Siehst Du, wie Gott uns liebt? Und da der Prophet Elias uns hat geschenkt so viel, soll er auch bringen meinem Kinde einen braven, schönen und jungen Mann.«

Esther hielt ihm den Mund zu. »Sei ruhig, Tate, sonst verschwindet noch alles, so wunderlich, wie es gekommen ist.«

Laktef Wilna aber blickte durch das Fenster in das Stübchen, und als er Esther so stehen sah in dem hübschen Kleide und der prächtigen Pelzjacke, da dachte er: was für ein schönes Mädchen, und so brav und klug, und so reinen Herzens, warum soll sie nicht finden einen Mann? Sie aber lächelte und sprach: »Täte, wer sollte mich nehmen, die keinen Groschen hat?«

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»Weisst Du was?« flüsterte Tobia, »Du sollst versuchen Dein Glück, Esterka, und am Schuschan-Purim legen eine Schlinge.«

»Warum nicht?« rief Esther lachend, »ich will gehen auf die Strasse, und will legen einem Manne eine Schlinge, aber wenn ein Alter schreitet über die Schlinge und fängt sich, oder Einer, der einen Buckel hat?« Sie lachte und lachend riss sie sich drei ihrer glänzenden, schwarzen Haare aus und knüpfte sie zu einer Schlinge, während ihre rothen Lippen kabbalistische Worte murmelten und Laktef Wilna sah sie die Schlinge knüpfen und lachte und dachte: »Warte nur, Du sollst den losesten Vogel der ganzen Khille fangen in Deiner Schlinge.«

Und als Esther vorsichtig aus dem Hause trat, war Haman von seinen Stelzen herabgestiegen, hatte Hut und Gewand und Nase seinem Freunde übergeben, und in dem Augenblicke, wo sie die Schlinge gelegt hatte und sich scheu in das Hausthor zurückzog, kam Laktef Wilna daher, schritt über die Schlinge hinweg und war gefangen und Esther mit ihm, denn er erhaschte sie im Hausthor, schlang die kräftigen Arme um die schlanke, bebende Gestalt und küsste sie auf die rothen Lippen. Sie aber machte sich los und floh die Treppe hinauf.

* * *

Am nächsten Morgen beklagte Frau Zuckerspitz ihre Kazabaika und Veigelstock seinen Kaftan und der Trödler seine Stiefel, und Laktef Wilna erschien und klärte alles auf. »Ich habe genommen Ihre Kazabaika und habe sie gegeben einem armen Mädchen«, sprach er zu der schönen Kokette, »und sie glaubt, dass der Prophet Elias sie hat beschenkt, aber Sie sollen die Kazabaika wieder haben.«

»Nein, nein«, rief die Schöne, »sie war so nicht mehr ganz neu. Sie haben gethan ein gutes Werk für mich, und mein Mann soll mir kaufen eine neue.« Und genau so erging es ihm bei den Anderen, denn einen Armen beschenken, ist für den gläubigen Juden stets nur eine Freude.

An demselben Vormittag erschien aber der alte Wilna bei Tobia Fischthran und hielt bei ihm, für seinen Sohn, um die schöne Esther an.

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