Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel.
Das Großboot

Die Nacht verging ruhig. Der Morgen brachte das schönste Wetter, die See war beinahe glatt, und als Boldock an Deck kam, befand sich die Bark etwa einen Pistolenschuß weit hinter dem Heck der Brigg. Auf seinen Anruf ließ Matthews backbrassen und sendete das Boot herüber; der Kommandant und seine Verlose begaben sich in dasselbe und wurden an Bord der ›Queen‹ gebracht, die sodann wieder vollbraßte und ihre Fahrt im Kielwasser des ›Wellesley‹ fortsetzte.

Kaum hatte Miß Mansel den Fuß auf das Deck der Bark gesetzt, als sie ihr Antlitz verbarg und in Thränen ausbrach. Die Erinnerung überwältigte sie. Der Kommandant suchte sie zu beruhigen und zu trösten, und sein Gebahren hierbei veranlaßte Mr. Matthews, erstaunt die Augenbrauen emporzuschrauben und einen vielsagenden Blick auf Stubbins, den Bootsmann, zu werfen. William und Harry aber standen mit weit aufgerissenen Augen von ferne.

»Gott bewahre uns!« sagte der Däne mit stockendem Atem. »Sie war über Bord und ersoffen, und nun ist sie wieder da, lebendig und gesund.«

»Es giebt Leute,« versetzte William, auf dessen Gesicht sich bald Erstaunen, bald abergläubische Furcht spiegelte, »es giebt Leute, die nicht ersaufen können. Mein Großvater kannte einen Schotten, der in einem fort über Bord fiel, sobald sein Schiff im Dock lag. Sie hörten den Plumps und fischten nach ihm, und wenn sie ihn nach ein paar Stunden aus dem Grunde geholt hatten, dann war sein erstes Wort: Noch einen Schnaps, Mutter!«

Inzwischen hatte die Miß mit der Linken ihre Thränen getrocknet – ihre Rechte hielt Boldock zärtlich in seinen beiden großen Händen – und nun folgte sie diesem und Mr. Matthews in den Salon, um im nächsten Augenblick in ihrer Kammer zu verschwinden. Boldock schaute sich in der Kajüte um, die ihm im Vergleich zu den Räumlichkeiten seiner Brigg wie ein Palast erschien. Nach einer kurzen Untersuchung der Kammern machten sie einen Rundgang über das Schiff; sie stiegen in die Großluke hinunter, besichtigten die Trümmer des Verschlages, in dem der Goldschatz verstaut gewesen war, und als sie endlich in den Salon zurückkehrten, fanden sie daselbst ein Frühstück serviert, das Werk eines der Matrosen; denn ein rechter Janmaat weiß sich mit allem zu befassen; neben seinen seemännischen Obliegenheiten ist ihm kein Handwerk unbekannt, und muß er Koch und Kellner sein, so thut es ihm auch darin keiner zuvor.

Den Kommandanten aber erwartete noch eine besondere Ueberraschung: Miß Mansels Kammerthür öffnete sich, und heraus trat diese junge Dame, gekleidet in ihr bestes, marineblaues Kostüm, das ihr entzückend stand. Boldock konnte bei dem Anblick des schönen, errötend lächelnden Mädchens einen Ausruf der Freude nicht unterdrücken; er führte ihre Hand an seine Lippen und stellte sie dann stolz leuchtenden Blickes dem Obersteuermann als seine verlobte Braut vor.

»Hatte mir so etwas gedacht,« versetzte Matthews mit trockenem Lächeln. »Ich gratuliere von Herzen.«

Dabei verbeugte er sich vor dem Paare, wie ein Matrose, der an der Schiffspumpe steht.

Beim Frühstück drehte sich die Unterhaltung naturgemäß um den Seeraub und um die Aussichten auf Wiedererlangung des Goldes.

»Ich muß die Nuggets haben, Margaret,« sagte Boldock, »es koste, was es wolle. Dann giebt es Bergegelder und zwar nicht wenig, jedenfalls genug, uns ein Heim zu schaffen, und zu einer fröhlichen Hochzeitsreise bleibt wohl auch noch was übrig. Und Ihr Anteil, Mr. Matthews, wird Sie in den Stand setzen, die Seefahrt aufzugeben.«

Der Steuermann rollte die Augen stumm, aber ausdrucksvoll gen Himmel.

Nach eingenommenem Mahle begab man sich auf das Achterdeck.

»Wollen Sie nun vielleicht hören, Sir, was die beiden Matrosen darüber zu berichten wissen, wie der Raub vor sich ging und wie die Bark hernach vom Anker trieb?«

Boldock war damit einverstanden und die Matrosen wurden gerufen. Noch schien die Sonne nicht so heiß, daß ein Sonnensegel nötig gewesen wäre. Miß Mansel saß mit aufgespanntem Schirm neben dem Kommandanten; der Steuermann stand neben den beiden.

William und Harry erschienen und blieben in achtungsvoller Entfernung stehen, die Kappen in den Händen.

William begann die Erzählung mit der Schilderung der Vorbereitungen zur Landung, sowie der Streitigkeiten und des gegenseitigen Mißtrauens unter den Neun.

»Neun?« unterbrach ihn Miß Mansel.

»Ich vergaß zu berichten, daß ein Zweikampf stattgefunden hatte,« sagte Mr. Matthews.

»Wer hat sich geschlagen?« forschte das Mädchen.

»Mr. Masters und Mr. Caldwell,« antwortete William.

»Caldwell schoß Masters mitten ins Herz,« ergänzte Matthews; »der Leichnam wurde über Bord gesenkt.«

»Mögen die Halunken so fortfahren und sich gegenseitig aus der Welt schaffen!« rief der Kommandant.

Miß Mansel aber hatte das Gesicht abgewendet und schaute über die See hinaus. Sie hielt den Schirm so, daß Boldock sie nicht beobachten konnte. Ihre Wangen waren hochrot, und dennoch bebte auf ihren Zügen ein leises Weh. Aber nur wenige Augenblicke, dann hatte sie sich beherrscht, und der Schirm hob sich wieder.

William setzte seinen Bericht fort, er erzählte, wie die Piraten sich bewaffneten und in dem Großboot ans Land fuhren. Er war ein Mann von schwerfälligem Gedankengang und zögernder Sprechweise. Boldock mußte ihn oft unterbrechen, wenn er zu weitschweifig wurde. Endlich entzog ihm der ungeduldige Kommandant das Wort und hieß den Dänen weiter erzählen.

»Nach einiger Zeit kamen die Neun wieder an Bord,« fuhr dieser in schnellerem Tempo fort, »und Davenire, der große Mann mit der silbernen Uhrkette, gab mir einen Schlag auf den Rücken und sagte, wir wären gute und zuverlässige Leute, weil wir nicht mit dem Schiffe davongegangen seien; wir sollten auch immer gut zu essen und zu trinken haben und jeder obendrein ein Schnupftuch voll Gold. Am nächsten Tage blieben alle Mann an Bord; sie lagen umher und rauchten, beguckten die Insel und lugten nach der Brigantine aus.

Am dritten Morgen kam südwärts ein Segel in Sicht. Alles rannte mit Gläsern nach oben. Es war eine Brigantine; sie lag aber nicht auf die Insel zu. Trollop schwor, das sei Saunders, der dumme Kerl aber wisse die Insel nicht zu finden, man müsse ihm daher helfen. Jetzt ging es ›auf Anker‹ und mit vollen Segeln hinterher. Die Jagd dauerte mehrere Stunden, dann sagten einige der Gentlemen, die den ›Rival‹ kannten, diese Brigantine wäre nicht die richtige. Und so war's auch. Es entstand viel Zank und Streit, und Davenire und Trollop gingen einander sogar mit Faustschlägen zu Leibe –«

»Weiter, weiter!« drängte Boldock.

»Wir kehrten zur Insel zurück und gingen wieder zu Anker. So lagen wir drei Tage müßig. Dann schafften sie eine Menge Proviant an Land und am nächsten Tage auch das Gold.«

»Habt Ihr vom Schiffe aus beobachten können, wo sie mit dem Golde blieben?« fragte der Kommandant.

»Durch eins der Gläser, die sie aus den Kammern der Passagiere geholt hatten und die an Deck umherlagen, sah ich, wie sie das Gold vom Strande landeinwärts trugen. Die Kisten waren sehr schwer, und alle Mann hatten vollauf zu thun, immer zwei auf einmal zu transportieren. Ich beobachtete sie, bis sie im Buschwerk verschwanden, und wenn ich auch nicht wissen kann, wo sie das Gold versteckt haben, so könnte ich doch vom Strande aus genau die Richtung angeben, die sie einschlugen.«

»Sie können die Kisten nur in einer Höhle oder einem ähnlichen natürlichen Schlupfwinkel verstaut haben,« bemerkte Mr. Matthews, »denn nach allem, was ich höre, haben sie weder Spaten noch Picken mit an Land genommen.«

»Wie ging es zu, daß die Bark vom Anker gerissen wurde?« fragte der Kommandant weiter.

»Das war vor vier Tagen, kurz vor Sonnenuntergang,« antwortete der Matrose. »Die Herren spazierten, wie sie täglich thaten, an Land herum; das Schiff lag ungefähr eine Seemeile vom Strande entfernt, ich konnte durch das Glas deutlich erkennen, was sie dort angaben. Die See war ganz glatt; da auf einmal kam von Westen her eine mächtige Dünung, hoch wie ein Berg, eine richtige Flutwelle, und hinter ihr noch eine und noch eine. Die erste drückte Bugspriet und Back fadentief unter Wasser, bei der zweiten aber that das Schiff einen Satz und blieb hoch oben auf dem Wasserberg; der Ruck warf mich nieder; in meiner Betäubung und in dem Getose des kochenden Wassers aber merkte ich zuerst gar nicht, daß die Ankerkette gerissen war. Am Strande stand plötzlich eine ungeheure Brandung. der weiße Schaum stieg mindestens hundert Fuß hoch, und das über die Küste hereinbrechende Wasser verursachte einen Lärm, wie ein schweres Donnerwetter.«

»In kurzen Worten also,« unterbrach ihn der Schiffer, »die Bark trieb vom Lande ab, dann wurde es finster, und am nächsten Morgen war keine Insel mehr in Sicht.«

»Ganz recht, Sir,« sagte der Däne.

»Und wie lange dauerte dieser Aufruhr im Wasser?«

»Bis nach Mitternacht.«

»Mr. Matthews, wie wär's, wenn Sie jedem dieser beiden Seefahrer ein Glas Grog verabreichten?«

»Ganz, wie Sie wünschen,« sagte der Steuermann, und William und Harry bedeutend, ihm zu folgen, stieg er in die Kajüte hinab.

»Und du meinst, daß wir morgen schon die Insel erreichen werden?« nahm jetzt Miß Mansel das Wort.

»Morgen abend gewiß, meine süße Margaret, vorausgesetzt, daß diese Brise anhält.«

»Aber denke doch, wenn wir alle die Männer dort treffen! Das wird ja furchtbar aufregend! Alle bewaffnet, Robert, vergiß das nicht. Hast du schon deinen Plan gemacht?«

Und aus ihren schönen dunkeln Augen, die sie zärtlich auf des Kommandanten Antlitz heftete, sprach die ganze ängstliche Besorgnis ihres Herzens.

»Meinen Plan?« lächelte Boldock. »Der ist einfach. Wir ankern, gehen an Land, nehmen die Piraten gefangen, suchen das Gold, finden es, verstauen's an Bord und segeln nach Sydney.«

»Was mochte die Ursache jener außerordentlichen Bewegung in der See gewesen sein, die das Schiff von seinem Anker riß?« fragte Miß Mansel nach einer kleinen Pause. »Wenn ich recht verstanden habe, war die Luft zu derselben Zeit ganz still.«

Der Kommandant schaute sich nach dem Steuermann um, der inzwischen wieder erschienen war.

»Wie erklären Sie sich die Sache, Mr. Matthews?«

»Meiner Meinung nach sind die Flutwellen durch ein unterirdisches Erdbeben hervorgerufen worden,« antwortete der Gefragte.

»Dieser Ansicht bin auch ich,« nickte Boldock.

»Ich habe schon öfter von solchen Erscheinungen gehört,« fuhr Matthews fort. »Mein Vater, ein alter Südseeschiffer, hat einmal die Ueberlebenden eines Fahrzeugs aufgesammelt, das bei solch einem submarinen Erdbeben ganz urplötzlich unter vollen Segeln wie ein Stein in den Grund gesunken war.«

»Auf See ist alles möglich,« sagte der Kommandant.

In diesem Augenblick gewahrte man auf der Reeling der Brigg, die ungefähr dreiviertel Seemeilen voraus war, die Gestalt eines heftig gestikulierenden Mannes. Der Kommandant griff nach einem auf dem Oberlichtfenster liegenden Opernglase.

»Das ist Hardy,« rief er. »Er zeigt nach Lee hinaus.«

»Segel ho!« ertönte eine Stimme von der Back der ›Queen‹ her.

»Das Großboot, so wahr ich lebe!« schrie Matthews, der das Schiffsteleskop am Auge hatte.

Miß Mansel stieß einen Schreckensruf aus und klammerte sich an den Arm des Kommandanten.


 << zurück weiter >>