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Am Morgen des 18. November, einem Sonnabend, hielt der Dampfer »Mosquito« auf der Fahrt von der westafrikanischen Küste nach London im Hafen von Falmouth, um Helga und mich an Land zu setzen. Wir hätten die englische Küste mehrere Tage früher erreichen können, aber der »Mosquito« bekam kurze Zeit, nachdem er uns aufgenommen hatte, Maschinendefekt, der in Funchal erst ausgebessert werden mußte.
Jetzt lagen die beiden kühnen Vorsprünge der Küste von Falmouth vor uns, und eine Perle landschaftlicher Schönheit, nicht nur Englands, sondern der ganzen Welt, zeigte sich unseren entzückten Blicken. Der Schnee auf den im Vordergrunde liegenden Höhen flimmerte, vom Strahl der Novembersonne getroffen, in unbefleckter Reinheit, und dahinter hob sich Hügel an Hügel in den blauen Himmel.
Wir dankten dem Kapitän herzlich für seine Freundlichkeit und sagten dann Abraham und Jakob Lebewohl. Ich gab ihnen die Hälfte von dem Gelde, das ich in der Kabine des Steuermanns gefunden hatte, und bat sie um ihre Adressen. Dann schüttelten wir uns wieder und wieder die Hände.
Gott segne euch beide! stieß ich mit halberstickter Stimme hervor; denn Rührung schnürte mir die Kehle zu, als ich beim Abschied in die beiden ehrlichen Gesichter sah. Ich habe sie niemals wiedergesehen, doch hoffe ich von ganzem Herzen, daß es den wackeren Dealer Teerjacken gut geht.
Ich beschloß, den Sonntag über noch in Falmouth zu bleiben, um einen Brief von Mr. Trembath abzuwarten, den ich sofort von meiner Ankunft benachrichtigt hatte, damit er meine Mutter auf das Wiedersehen mit mir vorbereiten sollte, da ich fürchtete, die unerwartete Freude könnte ihr schaden.
Helga und ich verlebten einen ruhigen, glücklichen Tag, beseligt durch das Bewußtsein unserer tiefen gegenseitigen Liebe. Stolz war ich auf meine Braut, deren heldenmütiges Benehmen in den Stunden der Gefahr ihr nichts von ihrer süßen, mädchenhaften Anmut geraubt hatte.
Nach der ermüdenden Gleichförmigkeit der Seefahrt und ihrem aufreibenden Ausspähen über die weite Wasserfläche bereitete uns die abwechslungsreiche Schönheit der Landschaft auf unseren Spaziergängen doppelten Genuß.
Um unser Glück vollkommen zu machen, brachte die Post am Montag-Morgen einen Brief von Mr. Trembath. Meine Mutter war wohlauf und wartete mit Schmerzen auf mich. Eine Stunde darauf saßen wir im Zug nach Tintrenale und suchten nach unserer Ankunft zunächst Mr. Trembath auf.
Als wir um die Ecke des Hügelwegs bogen, sahen wir die ganze Bucht unter uns liegen. Unwillkürlich griff ich nach Helgas Hand. In der klaren Morgenluft zeichneten sich die von den hereinflutenden Wellen umspülten »Zwillinge« und der Deadlow-Felsen scharf von dem hellen Hintergründe ab. Weiße Möwen schwebten über dem Hafendamm. Der Wetterhahn auf dem hohen Turm der Erlöserkirche glühte feurig, und an der Sturmspitze kochte der weiße Gischt der Brandung. Nur verschwommen tönte der Straßenlärm zu uns herauf.
Nun komm', Liebling! brach ich endlich unser andächtiges Schweigen.
Wir setzten unseren Weg zu Mr. Trembath fort und wurden auch sofort in sein Studierzimmer geführt.
Großer Gott! Hugh Tregarthen! rief er, vom Stuhl aufspringend, also wirklich von den Toten auferstanden!
Er preßte meine Hände und überschüttete mich mit Ausdrücken der Freude und Verwunderung, daß ich gar nicht zu Wort kam. Endlich bemerkte er auch Helga, und nun benutzte ich eine Pause in seinem Redestrom, um sie ihm als meine Braut vorzustellen. Er warf mir einen ungewissen Blick zu, als ob er sich versichern wollte, daß ich nicht scherzte: dann streckte er Helga seine Hand hin, die sie feuchten Auges, mit lieblichem Erröten, ergriff. In gedrängter Kürze erzählte ich ihm hierauf unsere Geschichte und bat ihn, Helga zu geleiten, da ich meine Mutter erst allein wiedersehen und sprechen wollte.
Noch eine Frage, ehe ich gehe, Mr. Trembath! sagte ich. Was ist aus der Mannschaft meines Rettungsboots geworden?
Drei sind ertrunken, antwortete er. Die übrigen kamen in ihren Rettungsgürteln an Land. Als sie sich erholt hatten. erzählten sie, daß die armen Dänen sämtlich umgekommen seien.
Ergriffen faltete Helga die Hände und murmelte einige dänische Worte. Stumm küßte ich sie und machte mich dann auf den Weg zu meiner Mutter. Auf Schritt und Tritt wurde ich unterwegs aufgehalten und begrüßt; denn die Nachricht von meiner wunderbaren Errettung hatte sich schnell im Städtchen herumgesprochen.
Meine Mutter stand am Fenster unseres alten Hauses und spähte nach mir aus. Die Tür flog auf, und ich lag, unfähig, ein Wort zu sprechen, in ihren Armen. Lange hielt sie mich schweigend umfangen, und heiße Tränen stürzten aus ihren Augen. Dann saßen wir neben einander auf dem Sofa, und ich blickte in das liebe, alte Gesicht, das unter dem schneeweißen Haare abgehärmt aussah, auf dem jetzt aber ein Ausdruck unbeschreiblicher Freude lag, während die zitternden Finger mein Haar streichelten.
Wie im Traum schweiften meine Blicke durch das kleine Zimmer mit seinem Kaminfeuer und den vielen vertrauten Gegenständen. Ich konnte es noch immer nicht fassen, daß ich wieder zu Hause war. Vor vier Tagen hatte meine Mutter die Botschaft empfangen, daß ich noch lebe; sie hatte nicht mehr an ein Wiedersehen geglaubt.
Dann begann ich mit der Erzählung meiner Erlebnisse. Beunruhigt lauschte meine Mutter; es schien, als ob sie mit dem Instinkt mütterlichen Eifersucht mein Geheimnis halb erriete. Als Helga Nielsens Name fiel, verdoppelte sich ihre Aufmerksamkeit. Mit bewegten Worten schilderte ich ihr Helgas kindliche Liebe und Angst, ihren heißen Schmerz beim Tode des Vaters und ihre echte Frömmigkeit. Meine Liebe und mein Stolz machten mich beredt; Tränen des Mitleids standen in den Augen meiner Mutter.
Weshalb hast du sie nicht mitgebracht, Hugh? fragte sie. Sie ist eine gute Tochter; deshalb will ich sie lieb haben.
Ich küßte mein altes Mütterlein.
Und du wirst sie noch lieber gewinnen, wenn du sie erst kennen lernst. Denn sie soll mein Weib werden, Mutter. Willst du die Verlassene an dein Herz nehmen?
Meine Mutter zögerte, in ernstes Nachdenken versunken.
Ihr seid beide noch sehr jung, Hugh, und beide arm.
Sie streichelte meine Hand, und ihr Blick wanderte zu meines Vaters Bild.
In demselben Augenblick klang der Türklopfer unter Mr. Trembaths energischer Hand.
Ich stürzte hinaus, um zu öffnen, und führte Helga ins Wohnzimmer. Sie sah blaß und ängstlich, doch unsagbar lieblich aus.
Der schnelle, forschende Blick meiner Mutter wich einem warmen, herzlichen Lächeln. Sie ging Helga entgegen, küßte sie mit den Worten: Willkommen in unserem Heim! auf beide Wangen und zog sie neben sich auf das Sofa. Als sie mich dann an ihre andere Seite winkte, verschwand Mr. Trembath mit freundlichem Nicken.
Und in wenigen Wochen war Helga Nielsen meine Frau.
Ende.