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Der Untergang der »Morgenfrühe«.

Als wir den Mast ins Boot gezogen hatten, stellte sich heraus, daß er um zehn Fuß kürzer geworden war! Wir versuchten, die Bruchstelle mit Holzstücken und Tauen zu schienen, richteten dann den Mast wieder auf und hißten das Segel, in das wir ein Reff steckten, um den Druck zu verringern. Dann richteten wir unsern Kurs nach Südwest, und die Fahrt ging von neuem los.

Der Ostwind blies mit winterlicher Kälte, doch ziemlich flau, bis er gegen zehn Uhr plötzlich auffrischte, was Abraham veranlaßte, ängstliche Blicke nach dem Mast zu werfen. Der Horizont wurde durch aufsteigenden Dunst unsichtig, während der Himmel sich mit Windstreifen bezog. Die See rauschte wilder, und durch den seitlichen Anprall der Wogen fing das Boot dermaßen an zu schlingern, daß mich zum erstenmal in meinem Leben ein Gefühl von Seekrankheit anwandelte, das ich mit einem kräftigen Schluck Branntwein bekämpfen mußte. So vergingen die Stunden.

Um die Mittagszeit, während Abraham mit dem Quadranten hantierte, berührte Helga plötzlich meine Schulter und wies nach hinten.

Ein Segel! Ein Schiff! schrie ich. Aber natürlich wieder am falschen Ende!

Es scheint jedoch in unserem Kurs zu segeln, meinte sie. Wollen wir nicht ein Notsignal geben?

Kaum hatte sie ausgesprochen, als das Boot eine besonders hohe See nahm. Ein Krach wie ein Kanonenschuß dröhnte dicht an meinem Ohr, und die Hälfte des Mastes mit dem Segel ging über Bord.

Nichts Besseres hätte uns passieren können, flüsterte Helga mir zu. Jetzt muß das Schiff dort hinten sehen, daß wir ein Wrack sind und uns beistehen!

Unter dem Fluchen und Schimpfen der beiden Bootsleute mühten wir uns, mit vereinten Kräften das Segel zu bergen, was uns nach harter Arbeit gelang.

Inzwischen hatte sich das Schiff soweit genähert, daß wir seinen Rumpf erkennen konnten; es rollte schwer und regelmäßig. Die Oberbramsegel waren festgemacht und lagen wie Schneestreifen auf ihren Raaen; die übrigen Segel standen und dehnten sich in fester Wölbung von Nock zu Nock. Alles war im besten Trimm.

Sie werden wohl sehen, in welcher Not wir sind, aber zum Ueberfluß werde ich noch die Flagge schwingen, rief Abraham.

Fräulein Nielsen und ich haben beschlossen, auf das andere Schiff überzugehen, wenn es uns aufnehmen will, wandte ich mich an Abraham und Jakob. Sie werden es uns nicht verdenken, nicht wahr?

Ich sehe ja ein, daß es hier zu ungemütlich für Sie ist, sagte Abraham. Nicht, als ob die »Morgenfrühe« Sie nicht ebenso gut nach Hause bringen würde, aber Sie werden sich nach einem ordentlichen Bett und Tisch sehnen.

Und Sie? Wollen Sie wirklich jetzt noch nach Australien? Wenn das Schiff nun nicht im stande ist, Ihnen mit Holz auszuhelfen?

Dann werden wir mit dem Stumpf weiter treiben, bis wir jemand finden, der uns helfen kann.

Leute, noch eins möchte ich Euch sagen. Ich bin von Hause fortgegangen, wie ich gehe und stehe, und habe nur meines Vaters Uhr bei mir, deren ich mich nicht entäußern möchte. Aber sollten wir alle, so Gott will, England wiedersehen, so meldet Euch, wenn Ihr nach Hause kommt, sei es in zwölf Monaten oder in zwölf Jahren, auf der Bank in Tintrenale. Dort werden fünfzig Pfund für Euch bereit liegen.

Zwei rauhe Fäuste streckten sich uns entgegen, die wir tief bewegt ergriffen und herzlich drückten.

In fieberhafter Spannung erwarteten wir jetzt das Schiff. Es wich nicht um Haaresbreite von seinem Kurs auf den Logger ab. Noch etwas verschwommen erwies es sich als eine Bark mit schwarzem Rumpf, ungefähr von der Größe der »Anina«, doch ziemlich hoch aus dem Wasser ragend, als ob es nur leicht geladen wäre. Im Gegensatz zu dem Belgier war die Takelage schmuck wie die einer Lustjacht.

Abraham winkte mit der Flagge und sah durch das Teleskop.

Sie scheint beidrehen zu wollen, denn das Großsegel ist aufgegeit, und ich sehe einige Leute an den Luvgroßbrassen.

Es war merkwürdig, wie diese Seeleute nach geringen Anzeichen auf ein beabsichtigtes Manöver an Bord schließen konnten. Denn kaum war das Schiff noch einige Schiffslängen von uns entfernt, als tatsächlich die Raaen im großen Topp herumflogen. Der Wind fiel von vorne ein, die Segel schlugen back und die Bark verlor langsam ihre Fahrt. Das Manöver war so geschickt ausgeführt, daß das Schiff sich uns längsseits bis auf Wurfweite näherte und dann vollkommen stilllag.

Ich entdeckte eine Anzahl Leute mit schokoladenfarbigen Gesichtern, einen weißen Mann auf der Back und einen zweiten mit langem, blondem Schnurrbart auf dem Achterdeck.

Halloh! rief dieser.

Um Gottes willen! schrie nun Abraham, werfen Sie eine Leine herüber, damit wir anholen können. Wir sind in großer Not und zwei Schiffbrüchige möchten zu Ihnen an Bord kommen!

Aufgepaßt!

Der weiße Mann schleuderte die Leine, die von Jakob mit unfehlbarem Bootsmannsgriff aufgefangen wurde. Wir zogen an und brachten den Logger an die Längsseite der Bark.

Ich wartete nun den Augenblick ab, wo das Boot hochkam und die Bark sich neigte und sprang dann mit einem kühnen Satz hinüber. Danach streckte ich die Hände aus, um Helga aufzufangen, die Abrahams Hilfe zurückwies und meinen Sprung mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit nachmachte. Hierauf bat sie Abraham, ihr das kleine Päckchen zu reichen.

Der Mann mit dem langen Schnurrbart näherte sich uns und berührte den Rand seines Hutes, ohne ihn zu lüften.

Wir sind die beiden Schiffbrüchigen, sagte ich. Darf ich fragen, ob Sie der Kapitän dieses Schiffes sind?

Ja, antwortete er, Helga fixierend, Joppa Bunting, Kapitän der Bark »Licht der Welt«, von der Themse nach der Tafelbai.

Kapitän Bunting, wir haben viel Mißgeschick erduldet und verlangen nur noch sehnlichst, endlich nach Hause zu kommen. Diese Dame beklagt außerdem den Verlust ihres Vaters, der nach dem Schiffbruch seiner Bark »Anina« auf einem treibenden Floße starb.

Das tut mir aufrichtig Leid, Fräulein, erwiderte der Kapitän. Doch möge Ihnen dies zum Trost gereichen, daß, wenn auch dem Leben unseres irdischen Vaters ein Ziel gesetzt ist, der himmlische doch bei uns bleibet – für und für.

Auf meine Frage, ob er uns aufnehmen wolle, bis wir ein heimreisendes Schiff anträfen, antwortete er zustimmend:

Natürlich! Ein Dealer Logger ist kein Aufenthalt für eine junge Dame.

In diesem Augenblick erschien Abraham auf der Leiter, hinter ihm der andere weiße Mann, der, wie ich nachher erfuhr, als erster Steuermann auf dem Schiffe fungierte. Er war ein flachshaariger, bleicher Mensch mit blaßblauen Augen und einer kleinen Kartoffelnase, die, durch die Sonne dunkelrot gebrannt, einen feurigen Kontrast zu seinem bleichen Aussehen bildete.

Was kann ich für Sie tun, mein Lieber? wandte sich der Kapitän an Abraham.

Er möchte eine Reservespiere zu einem Mast haben, mischte sich der Steuermann hinein. Sie wollen mit dem Boot bis nach Australien! Werden wohl ordentlich dafür bezahlt werden!!

Mit scharfem Blick sah er Abraham an.

Selbstverständlich! nickte dieser.

Dann bin ich überzeugt, daß Sie den Logger auch bis nach Australien schleppen, sagte der Kapitän, mit selbstgefälligem Lächeln seinen Schnurrbart streichend. Für Geld würden die Dealer Leute ihre unsterbliche Seele bis an die Pforten der Hölle bringen, den Sündenlohn in ihren Wirtshäusern verjubeln und sich noch rühmen, den Teufel selbst übers Ohr gehauen zu haben. Nun sehen Sie einmal, mein Schiff ist kein Wald, in dem überflüssige Bäume wachsen, mein lieber – Wie ist doch Ihr Name?

Abraham Vise.

Na, da Sie ja aber ein Bruder in Christo sind, – die ölige, salbungsvolle Art dieses Kapitäns kam mir ein wenig sonderbar vor – sollen Sie eine Spiere haben, wenn eine da ist. Mr. Jones kann Ihnen suchen helfen, aber beeilt Euch!

Sie beide, Mr. Tregarthen und Miß Nielsen, fuhr er fort, bitte ich, mit mir nach unten zu kommen und ein Glas Wein zu trinken. Es wird Ihnen gut tun!

Er ging voran, um uns den Weg zu zeigen, und als ich den Fuß auf die erste Stufe setzte, fiel mein Auge zufällig auf den Mann am Steuerrade, in dessen verwittertem, gelbbraunem Gesicht und nachtschwarzen Augen ein so finsterer, drohender Ausdruck lag, daß ich, wie gebannt, noch einmal zurückblicken mußte.

Wir betraten eine kleine Kajüte mit der auf diesen Fahrzeugen üblichen Ausstattung. Der Kapitän holte eine Flasche Marsala und einen Teller mit Biskuits herbei, nahm ein paar Gläser aus einem Gestell, füllte sie und trank dann auf unser Wohl. Da er seine Kopfbedeckung abgenommen hatte, konnte ich seine Gesichtszüge jetzt genauer betrachten. Er hatte eine Habichtsnase, kleine Augen und üppiges Haar, das sich bis auf die Schultern ringelte. Im übrigen konnte man ihn seines blassen, gedunsenen Aussehens wegen eher für einen im dunklen Kontor verkümmerten Krämer, als für einen sich stets in Wind und Wetter aufhaltenden Seemann halten. Das Merkwürdigste an ihm war jedoch sein eigentümlich fades, verächtliches Lächeln, das von großem Selbstbewußtsein sprach. Ich mußte ihm unsere Geschichte erzählen, und als ich meinen Bericht schloß, rief er pathetisch aus:

Ja, es ist eine große, edle Sache um den Dienst auf einer Rettungsstation! Für Sie muß es noch ein ganz besonders erhebendes Bewußtsein sein, daß ohne ihre Hilfe diese reizende junge Dame nicht mehr am Leben wäre –

Umgekehrt, Kapitän, unterbrach ich ihn. Ohne Fräulein Nielsen lebte ich nicht mehr.

Nielsen, Nielsen, das ist doch ein englischer Name?

Ich bin dänischer Abkunft, wie mein Vater, sagte Helga. Meine Mutter war jedoch Engländerin.

Welche Religion haben die Dänen? fragte der Kapitän.

Wir sind Protestanten, antwortete Helga.

Es gibt aber viele Arten von Protestanten, forschte der Kapitän weiter. Ich sah ihn an, als ob er nicht ganz richtig im Kopfe wäre. Was beabsichtigte er mit diesem religiösen Verhör?

Sie haben farbige Mannschaft, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

Ja, schwarz von Antlitz und ich fürchte, auch schwarz von Seele. Aber einen Aberglauben hoffe ich wenigstens auszurotten, ehe wir in der Tafelbai Anker werfen.

In diesem Augenblick erzitterte das Schiff, das bisher ziemlich stark geschwankt hatte, unter einem heftigen Stoß, dem sogleich lautes Geschrei und Getrampel über uns folgten.

Der Logger ist gegen das Schiff getrieben! schrie Helga.

Der Kapitän flog die Stufen hinauf, und unmittelbar danach hörten wir feine Stimme, doch jetzt ohne den salbungsvollen Ton, echt seemännisch schimpfen und wettern.

Weshalb ist der Logger nicht abgehalten? Wo sind die Fender? Mr. Jones, sehen Sie nach, ob wir beschädigt sind.

Alles in Ordnung, Kapitän, meldete dieser.

Das erste, was wir erblickten, als wir nach oben kamen, war Jakob, der dunkelrot und triefend naß von Abraham und ein paar andern an Deck gehißt wurde. Hart neben dem Schiff lag der an einer Längsseite total zerschmetterte Logger, in den das Wasser förmlich hineinströmte. Noch eine Welle, und er sank wie ein Stein, wobei das haltende Tau mit einem Knall zersprang.

Wie kam das? herrschte der Kapitän den unglückseligen Jakob an, der dastand, ein Bild des Jammers, – eine lebendige Traufe ...

Ich wollte die Leine wegfieren, damit der Logger achteraus klar läge und da kam es; wie – weiß ich nicht.

Verstört blickte der Ärmste zu Abraham hinüber, der zur Bildsäule versteinert, regungslos auf den Fleck starrte, wo der Logger gesunken war.

Und was wollen Sie nun machen? schrie Kapitän Bunting.

Über Bord springen! rief Jakob.

Ich näherte mich Abraham, der noch immer kein Wort sprach.

Das ist eine schlimme Geschichte, alter Freund!

Ja, murmelte er, jetzt können wir umkehren. Fünfzehn Pfund von meinen Ersparnissen habe ich in die Sache 'reingesteckt, und alles ist hin! Der Verdienst dazu! Jakob, Jakob, wie war das bloß möglich?!

Nur Kummer, nicht der Schatten eines Vorwurfs lag in seinem Tone.

Ich weiß es nicht – ich weiß es ja nicht! murmelte Jakob ganz gebrochen. Meinen zehnfachen Verdienst möchte ich hingeben, wenn ich es ungeschehen machen könnte, Abey!

Nun, es bleibt also vorläufig nichts anderes übrig, als daß Sie beide jetzt auch mitkommen, bis wir Sie alle zurückschicken können! sagte der Kapitän und gab den Befehl, voll zu brassen und wieder Kurs zu steuern.


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