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Seemannstod.

Bald nach neun Uhr suchte ich mein armseliges Lager in dem kalten, zugigen Winkel auf, um im Schlafe Leid und Not zu vergessen. Aber Jakob, der in eine Decke gewickelt neben mir lag, schnarchte so fürchterlich, daß an Schlafen gar nicht zu denken war. Düstere Gedanken über mein ungewisses Schicksal, die Angst um meine arme Mutter, der ich keine Nachricht von mir zukommen lassen konnte, und die Sorge um Helgas Zukunft quälten mich unaufhörlich.

Schließlich muß ich doch wohl eingeschlafen sein, denn ich erwachte plötzlich von dem Krachen splitternden Holzes. Gleichzeitig hörte ich einen durchdringenden Schrei und heisere Rufe. In der stockdunklen Finsternis versuchte ich auf allen Vieren aus meinem Lager zu kriechen, verwickelte mich dabei aber in das zu meinem Schutz befestigte Segel. Ich glaubte nichts anderes, als daß wir von einem anderen Schiff in der Finsternis angerannt worden wären und jeden Moment sinken könnten.

Mit verzweifelter Anstrengung gelang es mir endlich, mich freizumachen. Der Wind blies stark, und es regnete in Strömen. Als mein Auge sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, sah ich die Umrisse eines Mannes, der sich weit über den Bootsrand beugte, und dabei in kurzen Pausen Tom–my! Tom–my! rief.

Was ist geschehen? fragte ich.

In einem Ton, den ich nie im Leben vergessen werde, antwortete die Stimme Jakobs:

Der Fockmast ist zerbrochen und hat den armen Tommy über Bord geschleudert. Er antwortete nicht mehr! Er ist ertrunken! Gesunken wie ein Klumpen Blei! Das Ölzeug und die langen Kremper haben ihn runtergezogen! Doch wieder und immer wieder schrien seine Kameraden mit aller Lungenkraft: Tom–my! Tom–my!

Aber nichts war zu hören, als das Heulen des Windes, das Rauschen des Regens und das knirschende Reiben des zersplitterten Mastes an der Bordwand.

Was gibt's? klang jetzt Helgas Stimme an mein Ohr.

Abraham berichtete ihr die Trauerkunde: Wir werden den armen Tommy nie mehr wiedersehn! Nie mehr!

Doch jetzt hieß es, die zerrissene und zerbrochene Takelage zu bergen. Helga, die durch meinen Ölmantel gegen den Gußregen geschützt war, leuchtete uns bei der schwierigen Arbeit. Mit unsäglicher Mühe gelang es uns, das schwere nasse Segel ins Boot zu ziehen; der Mast aber mußte einstweilen nebenherschwimmen bis es Tag wurde.

Das Besansegel herunter, Jakob! sagte Abraham niedergeschlagen: hole den Besansbaum mittschiffs, damit der Logger im Winde liegt; auch kannst du das Ruder festbinden. Wir müssen liegen bleiben, bis wir sehen können, wie es mit uns steht.

Wir waren bis auf die Haut durchnäßt, dazu tief erschüttert durch den Verlust eines Menschen, mit dem wir bei unserem engen Zusammensein doch recht vertraut geworden waren. Abraham schien ganz niedergeschmettert. Da es nutzlos war, uns weiter dem strömenden, eisigen Regen auszusetzen, schlug ich vor, ein geschütztes Plätzchen aufzusuchen und mit einem erwärmenden Trunk unsere Lebensgeister ein wenig aufzufrischen.

Trübselig hockten wir vier um die Laterne, die einen matten Schein auf unsere blassen Gesichter warf.

Heute früh habe ich mich noch mit ihm gezankt, stöhnte Abraham. Wie kam ich bloß dazu? Er war der anständigste Kerl, den man sich denken kann. Gehungert hat er; ja, das Bett unter dem Leibe haben sie ihm weggenommen, und doch hat er sich durchgebissen!

Da Sie jetzt nur zu zweit sind, fragte ich scheinbar beiläufig, werden Sie doch wohl Kehrt machen und mit Ihrem einen Mast heimwärts segeln?

Kein Gedanke! erwiderte Abraham, den der Becher Whisky wieder ermuntert hatte, wir fahren nach Australien!

Aber mit der jetzigen Ausrüstung ist es doch unmöglich! warf ich ein.

Wir werden den zerbrochenen Mast, so gut es geht, zurechtflicken, bis wir ein Schiff treffen, das uns ein Stück Rundholz zu 'nem neuen gibt. Wir sind nicht zum Vergnügen unterwegs, sondern wollen einen tüchtigen Batzen Geld verdienen.

Gott steh' mir bei! Was würden wohl die Leut' sagen, wenn wir unverrichteter Sache umkehren! brummte auch Jakob.

Dann krochen beide hinaus, um nach dem Wetter zu schauen, und ich hörte sie oben debattieren.

Es sind gute Kerle, aber von einer Querköpfigkeit, die unsere Situation sehr verschlimmert, sagte ich zu Helga, als wir allein waren. Das ist nicht mehr Mut, das ist Verrücktheit! Der Teufel hole solchen Heroismus! Aber wollen Sie jetzt nicht versuchen, ein wenig zu ruhen?

Nein, ich möchte bei Ihnen bleiben, entgegnete sie. O, Hugh! Als Sie damals im Rettungsboot zu uns herausfuhren, ahnten Sie nicht, was Ihnen bevorstand!

Zärtlich legte sie ihre Hand auf die meine. Verlieren Sie nur nicht den Mut, ich bitte Sie! In mir lebt die feste Zuversicht, daß sich noch alles zum Guten wenden wird.

Wer hätte sich da nicht trösten lassen!

Langsam schlichen die Stunden dahin. Helga schlummerte schließlich ein wenig, doch mir ließ die Sorge keine Ruhe. Plötzlich wurde ich aus meinem Hinbrüten durch lautes Rufen aufgeschreckt. So schnell meine Füße mich trugen, eilte ich ins Freie, und sah in geringer Entfernung das grüne Licht eines Schiffes, schwach wie das eines Glühwürmchens flimmern, doch war von den Umrissen auch nicht der leiseste Schatten zu entdecken. Schiff ahoi! Schiff ahoi! Der durch Mark und Bein dringende Ruf verhallte ungehört, das Licht verglomm in der Finsternis ... Und wieder schwand eine Hoffnung dahin.

Kurz ehe der Morgen dämmerte, klärte sich der Himmel, und vereinzelte Sterne tauchten auf.

Ich lehnte neben Abraham an der Bordwand und sprach mit ihm über Tommys Kinder, als am dunklen Horizont ein rosiger Schein aufleuchtete, und bald danach die Sonne sich strahlend aus dem Meere erhob.

Sehnsüchtig flog mein Blick über die unendliche Fläche des Ozeans. Nichts in Sicht, soweit das Auge reichte!

Wenigstens haben wir schönes Wetter! sagte Abraham, um mich zu trösten, setzte jedoch nach kurzer Pause leise hinzu: Aber mein Himmel, wie sieht das Boot bloß aus!

Der arme Bursche war leichenblaß, als hätte er eine lange Krankheit durchgemacht. Jakob schlief in einer ganz unmöglichen, zusammengekrümmten Stellung am Boden. Auf Abrahams Weckruf fuhr er empor und reckte, vor Kälte zitternd, die Glieder.

Das wird wieder schönes Reißen geben! schimpfte er. Und dabei erzählen sie einem noch, je weiter man nach Süden käme, desto wärmer würd' es. Na, für die Wärme bedank' ich mich; da ist's im Januar auf der Nordsee auch nicht viel kälter. Ich muß erst 'nen Topf heißen Kaffee trinken, ehe ich etwas anfassen kann.

Rasch wurde auf dem Herde Feuer angemacht, und bald labten wir uns an dem heißen, erwärmenden Getränk, worauf sich die beiden Teerjacken an das Ausbessern von Mast und Segel machten.


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