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Siebentes Kapitel

Am andern Morgen begab sich Woyka zunächst nach dem Gefängnis, um dem alten Bettler einmal tüchtig aufs Leder zu knien, ob nicht doch etwas aus ihm herauszuholen sei. Da erlebte er eine Überraschung. Der Aufseher teilte ihm mit, vor einer Stunde sei ein Gendarm gekommen, der habe eine Karte gebracht mit der Anweisung, den Gefangenen frei zu lassen.

»Haben Sie die Karte noch?«

»Bitte sehr, hier ist sie, und es ist doch wohl auch Ihre Handschrift?«

»Eine Fälschung ist es.«

»Aber der Gendarm?«

»Kannten Sie ihn?«

»Nein, er war nicht von unserem Posten.«

»Der Gendarm war auch eine Fälschung.«

»Liegt denn so viel an dem gebrechlichen Bettler?«

Woyka brach das Gespräch ab und ging nach dem Hotel. Dort erlebte er die zweite Überraschung. Der Oberkellner überreichte ihm einen Brief, den ein Bauer gebracht hatte.

Ein einziger Blick auf den Umschlag ließ den Beamten sofort die Handschrift seines Inspektors Stojan erkennen, und der erste Gedanke war: Gott sei Dank er lebt.

Der Brief selbst überraschte ihn noch mehr, als die freche Befreiung des Bettlers:

 

»Sehr geehrter Herr Polizeirat,

ich bin in ernster Lebensgefahr. Der Oberschmuggler, mein ehemaliger Nebenmann im Kompanieverband, anbietet mir Befreiung als letzte Teilnahme eines Kriegskameraden. List und starre Ablehnung reißen mich ins Verderben. Nur Sie können mich retten, wenn Sie sich verpflichten, eine Woche lang die Verfolgung Gundolics einzustellen. Wenn Sie ablehnen, kann er mein Leben vor seinen Leuten nicht mehr schützen. Opfern Sie treuen Kameraden eines leeren Luftschlosses, einer raschen Karriere wegen nicht auf. Die Regierung dankt es Ihnen doch nicht.

Ihr allzeit getreuer Stojan.

Nachschrift: Wenn Sie sich Sonntag im Palasthotel zum Mittagessen eine Languste bestellen, so soll dies als zustimmende Antwort gelten.«

 

Woyka mußte sich setzen, so sehr hatte ihn der Brief erregt. Er war zweifellos echt und in schwerer Bedrängnis geschrieben. Was sollte er tun, die Verantwortung war riesengroß. Lehnte er ab, so verlor der brave Stojan das Leben.   Wann mußte er sich entscheiden? Am Sonntag. Heute war Freitag, er hatte also noch fast zwei Tage Zeit.

Gedankenvoll nahm er den Brief wieder vor. Ob der kluge und erfahrene Polizist nicht die Gelegenheit benutzt hatte, ihm versteckt eine Nachricht zu geben? Stojan war mit allen Arten von Geheimschriften vertraut. Er wollte den Brief einmal genauer ansehen. Er versuchte alle Möglichkeiten der Abfassung von der einfachsten bis zur verwickeltsten Art, kein Licht erhellte das Dunkel. Vielleicht suchte er zu weit ab. Prüfte er doch einmal die ersten Buchstaben. Der erste Satz ergab nichts, aber der zweite fiel schon durch die Ausdrucksweise auf: » Der Oberschmuggler mein einstiger Nebenmann im Kompanieverband anbietet mir Befreiung«. Halt. Woyka sprang erregt auf, als er das Wort » Domenika« herausbuchstabierte. Es war der Name eines Dorfes, das hinter der Höhe lag und wegen seiner nahgelegenen Stalaktitenhöhle berühmt war. Dicht dabei befanden sich Ruinen eines Augustinerklosters. Nun aber weiter: » als letzte Teilnahme eines Kriegskameraden.« Das ergab » altek«. Nun, das » K« konnte zum nächsten Wort gehören. Natürlich: » List oder starre Ablehnung reißen mich ins Verderben.« » Lostarmiv« gab keinen Sinn, Aber da war ja noch das » K« vom vorigen Wort. Das sollte sicher Kloster heißen, das Unstimmige war auf Stojans Aufregung und Eile zu setzen. Woyka war sich darüber klar, daß sein Inspektor mitteilen wollte, er säße in den Klosterruinen bei Domenika gefangen.

Die nächsten Sätze ergaben keine Nachricht, erst gegen Ende fiel ein Satz durch seine geschraubte Ausdrucksweise auf: » Opfern Sie treuen Kameraden eines leeren Luftschlosses, einer raschen Karriere wegen nicht auf. Der Sinn sprang sofort in die Augen: »Ostkeller« … Die nächsten Worte dienten nur zur Vervollständigung des Satzes.

Braver Stojan. Im Ostkeller des alten Klosters saß er gefangen. Nun galt es zu handeln. Woyka ging, um den Berliner Kriminalrat zu treffen, der ihm auch sehr bald begegnete.

Als die beiden Beamten von der Anlegestelle der Dampfer die Uferstraße entlanggingen, blieb der Belgrader Polizist stehen und sah sich mißtrauisch um. Im Flüsterton begann er:

»Ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen, aber wir müssen äußerst vorsichtig sein, denn wir werden scharf überwacht.«

Sie gingen weiter am Hafen hin und zum Städtchen hinaus, bis sie hinter den Bädern in eine freie Gegend kamen. Dort setzten sie sich auf eine mächtige Klippe und waren so für jeden Horcher unerreichbar. Und nun erzählte Woyka dem Kriminalrat alles, was geschehen war. Dann fragte er kurz: »Würden Sie mir beistehen, um meinen Inspektor zu befreien, es liegt eigentlich nicht in Ihrer Aufgabe.«

»Das kann man nicht ohne weiteres behaupten, in der Gaunerverfolgung gibt es die merkwürdigsten Zusammenhänge. Natürlich bin ich mit von der Partie.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit. Ich beschäftige mich mit einem ganz abenteuerlichen Plan, den ich aber nur durchführen kann, wenn Ihre kameradschaftliche Unterstützung mir den Rücken deckt. Hören Sie: Heute nacht verschwindet der Polizeirat aus dem Städtchen, ein kroatischer Bauer mit grauem verfilztem Vollbart fährt statt seiner mit dem Abenddampfer nach Starigrad an der Nordküste von Lesina.«

»Und was soll ich dabei tun?«

»Zunächst mir helfen, daß ich unbeschrien auf den Dampfer komme.«

»Aber das ist doch nicht alles?«

»Nein, wenn ich morgen abend nicht zurück bin, benachrichtigen Sie den Gendarmerieposten und die Polizeidirektion in Spalato, damit Gundolic in Jelsa festgenommen und das alte Kloster bei Domenika durchsucht wird, wo ich dann wahrscheinlich gefangen gehalten werde.«  

Es ging alles planmäßig. Kriminalrat Gysander beschäftigte das gesamte Hotelpersonal derart, daß es dem verkleideten Woyka glückte, unbeachtet zum Hafen hinabzukommen. In dem lauten Trubel, den das Aus- und Einladen verursachte, schob er sich auf das Schiff und mischte sich unter das Volk.

Um die gleiche Stunde lief der serbische Kreuzer hinter einem Schleier von Torpedobooten aus dem Hafen von Hvar aus. Auf dem Dampfer wurde erzählt, er beabsichtige eine nächtliche Landungsübung und ein gefechtsmäßiges Scharfschießen auf Seescheiben an der Nordküste. Nach Abschluß der Übung war ein Frühstück in Jelsa geplant, das der Admiral den Spitzen des Inselstädtchens im Hotel Jadran gab.

Als Woyka in Starigrad ankam, ging die Sonne mit rotgoldenem Schein in der tiefdunklen Adria unter. Der kühle Abend hatte die Bewohner aus ihren dumpfen Stuben gelockt, sie saßen auf den Hafenmauern herum, oder tranken vor einer der Gaststätten an eisernen Tischen Wein mit Wasser. Der Beamte setzte sich ebenfalls nieder und bestellte einen Nero, einen dunkelroten Wein.

Nach einer Stunde ungefähr brach er auf und wanderte in das merkwürdige Helldunkel hinaus, das den Nächten dieser Adriainseln eigen ist. Er ging wie ein richtiger kroatischer Bauer, langsam und bedächtig den Handstock lässig nachziehend.

Als er auf die erste Anhöhe hinter dem Städtchen gekommen war, wo ein hohes Steinkreuz stand, vor dem er wie ein echter kroatischer Bauer fromm die Mütze zog, hörte er Hufschlag hinter sich, der jedoch bald verstummte. Anscheinend war der Reiter in einen der Seitenwege eingebogen, ihm folgte jedenfalls keine Seele.

Im Morgengrauen tauchten die Ruinen des Augustinerklosters auf. Sie lagen still in der dämmerigen Frühe. Die Kirche schien noch gut imstande, es wurde auch noch Gottesdienst darin gehalten. Der Klosterhof zeigte allenthalben die Spuren des Verfalles. Er wandte sich nach der Ostseite, wo sich der bewußte Keller befinden mußte. Hier war alles zertrümmert, und der südliche Pflanzenwuchs hatte sich eingewuchert. Da plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, stand ein Mann. vor dem Beamten, schnell hob er die Pistole, doch ließ er sie sofort sinken, als er den Burschen erkannt hatte.

»Ah, voila Kolnica, est ce que vous avez fait dans le monas tère?«

»Pour l'amour de Dieu, mon Excellence, pardonnez moi … pardonnez, je vous avouerai tout, tout, tout …«

»Verhalte dich ganz ruhig, sonst bekommst du etwas auf den Mund.«

Kolnica.schwieg nicht; eine Flut kroatischer Worte floß von seinen Lippen, er war viel zu aufgeregt, um nach seiner Bettlergewohnheit jetzt noch französisch zu sprechen:

»Gehen Sie nicht in den Keller. Wenn Sie das Geheimnis nicht kennen, sind Sie gefangen.«

Woyka griff ihn am Kragen, stieß ihn vor sich her und herrschte ihn an: »Vorwärts, Halunke, du gehst voran.«

»Hier ist der Zugang«, heulte Kolnica und versuchte loszukommen.

»Nichts da, du gehst mit und zeigst mir die Mausefalle.«

Sie arbeiteten sich durch das Gestrüpp und gelangten an eine verfallene Treppe, die auf der Sohle durch einen Trümmerhaufen abgeschlossen war. Kolnica war jetzt ganz fügsam und kletterte voran durch das Geröll. Dahinter öffnete sich ein geräumiger Kellergang, an dessen Ende im Schein von Woykas Taschenlampe eine Tür sichtbar wurde.

»Nicht weitergehen«, winselte Kolnica, »nicht durch die Tür, sonst kommen Sie nicht mehr heraus. Oben die Eisenplatte fällt herunter.«

»Also hier steckt das Geheimnis.«

Immer den alten Bettler festhaltend, untersuchte der Polizeirat die Decke und sah einen über die ganze Breite laufenden Schlitz, aus dem eine Eisenplatte fingerbreit hervorschaute. Oben an der Tür befand sich ein genau eingefeilter Hebel, der durch das Öffnen in Bewegung gesetzt wurde und auf diese Weise die Platte ins Rollen brachte. Dieser Hebel war so angebracht, daß er sich nur ausklinkte, wenn man die Tür über die Hälfte aufmachte.

Deshalb öffnete er sie nur so weit, daß er sich gerade durchschieben konnte. Zuerst stieß er den Bettler voran, dann drang er selber durch. Einen Augenblick blieb er stehen und überlegte, da klinkte Kolnica den Hebel aus, und die eiserne Falltür rasselte nieder. Schon hatte der Bettler ein Dolchmesser gezogen und stieß nach seinem Gegner. Woyka bog aus, und im nächsten Augenblick dröhnte ein Schuß. Kolnica wälzte sich mit zerschmetterter Schulter am Boden.

Der Polizeirat ging, ohne auf ihn zu achten, tiefer in das Kellergewölbe hinein. Vor ihm ging eine Tür auf, und es wurde hell.

»Hände hoch!«

»Tut mir leid, das ist mir zu schwer, ich habe in jeder Hand eine Pistole.«

»Den Verkehrston mit Pistolen liebe ich nicht, Herr Polizeirat. Sie legen besser die Waffen ab, ich fürchte, Ihre Hände werden verletzt, wenn meine Freunde Sie entwaffnen.«

»Schicken Sie Ihre Freunde her.«

»Lassen Sie die Kindereien. Meine Freunde schießen aus guter Deckung Ihre Pistolen zu Schrott. Also seien Sie vernünftig und lassen Sie uns verhandeln.«

»Ich verhandle nicht mit Banditen.«

»Das sollen Sie auch nicht. Ich werde Ihnen einen Unterhändler schicken, dem Sie sicher Vertrauen schenken.« In der Tür erschien Stojan und ging auf Woyka zu.

»Ah, Stojan …, haben Sie mich in diese Falle gelockt?«

»Ja, sind Sie denn allein? Um Gottes willen, dann ist alles verloren. Ich dachte ja nicht, daß Sie allein kommen würden.«

»Schnell … nehmen Sie eine Pistole und drauf.«

Stojan lehnte ab:

»Es ist ganz zwecklos, die Kerle sitzen hinter Schutzschilden und haben ihre Büchsen auf uns gerichtet. Sie schießen uns ohne Gnade ab, ehe wir den Finger am Drücker haben. Es sind verdammt entschlossene Burschen, die nichts als das Leben zu verlieren haben. Und daran liegt ihnen wenig.«

Woyka dachte an den Berliner Kriminalrat, der heute abend die Polizei aufrufen würde, falls er nicht zurückkam. Zeit zu gewinnen war daher jetzt die Hauptsache.

»Sagen Sie der Bande, daß ich bereit wäre zu unterhandeln.«

»Gott sei Dank. Legen Sie die Pistolen ab.«

»Nein, das tue ich nicht.«

Aus der Tür sprach jetzt wieder der Mann von vorher:

»Dinko, mach Schluß, wir haben keine Zeit.«

»Alles in Ordnung, Mirko, aber der Herr Polizeirat will seine Waffen nicht abgeben.«

»Dann laß ihm sein Spielzeug.«

Woyka folgte dem Inspektor durch die offene Tür.

Ein geräumiges Gewölbe mit kahlen Mauern, ein paar rohe Bettkasten, Tische und Stühle. An der Schmalseite war eine Tür, davor kauerten hinter Schutzschilden zwei bewaffnete Männer, die ihre Büchsen auf Woyka gerichtet hielten.

Hinter dem größten Tisch erhob sich jetzt Mirko Gundolic, kroatisches Vollblut, ein Kopf wie aus Stein gehauen, kluge, leidenschaftliche Augen, ein Kerl ganz Wille und Kraft. Ein sehr gefährlicher Gegner, dachte Woyka.

»Nehmen Sie Platz, Herr Polizeirat, Sie haben gewiß noch nicht gefrühstückt. Wollten Sie nicht eine Languste essen? … Jure, bediene den Herrn.«

Die Tür hinter den bewaffneten Männern ging auf, und Jure brachte das anscheinend vorbereitete Frühstück herein: Eine prachtvolle Languste und andere Leckereien der Insel, dazu dunkeln Wein, der wie tiefroter Sammet schimmerte.

Woyka setzte sich. Er überlegte: Hätte er doch den frechen Burschen einfach niedergeschossen … dann hätten ihn die beiden Kerle im gleichen Augenblick erledigt… also zwecklos… Zeit gewinnen …, das war das Gebot der Stunde.

Gundolic reichte dem Inspektor die Hand:

»Du hast mit das Leben gerettet, Dinko Stojan, das vergesse ich dir nicht, darum will ich ehrlich mit euch handeln, aber das sage ich euch, wenn ihr nicht von uns ablaßt, kann ich euern Tod nicht verhindern.«

»Erst wollen wir frühstücken«, unterbrach Woyka, »nachher können wir vom Tod reden.   Man soll nicht mit leerem Magen auf eine so weite Reise gehen.«

Gundolic streifte den Polizeirat mit einem Blick der Bewunderung und unwillkürlich fiel er in einen vertraulichen Ton, er duzte ihn.

»Du bist ein Mann, Woyka, kannst ruhig essen, es geschieht dir nichts. Erst wenn die Sonne hinter der Insel Corcula herumgegangen ist, mußt du ja oder nein sagen.«

»Du kannst Weiber ängstigen mit deinem Theater. Die schöne Languste und der Wein sind mir augenblicklich wichtiger, als deine Worte. Setz dich nieder, du nimmst mir die Ruhe mit deinem Herumstehen und Reden.«

Der Schmuggler lächelte und setzte sich. Wie ein guter kroatischer Hausvater zerlegte er die Languste und reichte Woyka das beste Stück. Darm goß er Wein ein, aber der Beamte trank nicht eher, als bis er selber davon genossen. Der Wein war also nicht besonders gewürzt. Sein edles Feuer verwischte immer mehr die Gegensätze, Gundolic ganz im Bewußtsein des Sieges wurde fast freundschaftlich:

»Siehst du nun ein, daß die serbische Polizei mir gar nichts anhaben kann? Alles hattest du so schlau und geheim eingerührt, aber dein Kuchen ist sitzengeblieben, du kroatischer Bauer.« Er lachte lustig auf. »Glaubst, meine Freunde hätten dich nicht erkannt, glaubst der hintere Ausgang vom Hotel wär' nicht bewacht gewesen, wo es auf Leben und Tod ging? Mein schnellstes Maultier hat Jure fast zuschanden geritten, um mir deinen lieben Besuch anzumelden.« Wieder dröhnte sein Lachen.

»Höhne nur du Strolch, fertig bist du doch, wenn du mich auch mordest. Die Gendarmerie kommt über dich.«

»Die Gendarmerie ist ein Nichts, wenn du nicht hinter ihr stehst. Aber warum davon reden, ehe es Zeit ist. Trink, Freund, der Wein bringt dich auf bessere Gedanken.« Er hob das Glas: »Va š Zdravlje.«

Woyka tat Bescheid. Der Wein war gut und schwer, er schläferte die Wachsamkeit ein … Vorsicht.

»Dein Leben ist in meiner Hand«, fuhr der Pascher fort. »Aber ich will dein Blut nicht, kauf es mir ab.«

»Und der Preis?«

»Du gibst dein Ehrenwort, uns nicht weiter zu verfolgen. Ich überlaß dir diesen Keller mit dem ganzen Warenlager, gebe dich und Dinko sofort frei. Du kehrst nach Belgrad zurück, hast deinen Inspektor befreit, ein Lager ausgehoben, den alten Kolnica zum Krüppel geschossen … Was willst du mehr? Kannst auch noch Anklage gegen mich erheben, da du keine Beweise bringst …«

»Und mein Diensteid? Er steht mir höher als jede andere Verpflichtung.«

»Das wäre Wortbruch, und den traue ich dir nicht zu.«

»Du könntest dich täuschen … Wenn ich auf deine Bedingungen einginge, gibst du dann das Geschäft auf?«

»Solang ich lebe nicht, nur … reden wir nicht weiter davon. Du hast einen halben Tag Zeit, dann aber muß ich handeln, so oder so.«

»Gut, Mirko Gundolic, darauf laß uns trinken: Va š Zdravlje.«

Sie standen auf, tranken wie gute Freunde, und als Woyka das Glas hinsetzte, drehte sich Gundolic um zu Jure und befahl ihm, eine neue Flasche zu bringen. Diesen Augenblick benutzte der Polizeirat, riß seine Pistole vom Tisch, sprang hinter Gundolic und hielt ihm die Mündung ins Genick. Stojan hatte fast im gleichen Atemzug die zweite Waffe ergriffen und deckte sich ebenfalls hinter dem Schmuggler.

Die beiden Posten hoben die Büchsen, wagten aber nicht zu schießen, weil sie fürchteten ihren Hauptmann zu treffen. Stojan hatte diesen umfaßt und zerrte ihn nach dem Ausgang. Jure, der erst völlig erstarrt war, griff jetzt ein, aber Woykas Pistole zerschmetterte ihm den Arm.

Nun warfen die Wachen an der Hintertür die Gewehre fort und zogen ihre Messer. Die Lage für die Beamten wurde bedrohlich. Woyka setzte wieder seine Pistole dem Gundolic ins Genick und rief:

»Noch einen Schritt weiter und euer Gospodin ist hinüber.«

Gundolic schlug wild um sich, aber Stojan hing wie festgeschmiedet an ihm.      

Da dröhnten dumpf die Geschütze des Kreuzers in die Kellertiefe des verfallenen Klosters. Alle horchten auf.

»Nicht loslassen«, mahnte Woyka seinen Inspektor. »Die Halunken können nicht aus ihrem Mauseloch heraus, die Marinesoldaten haben alles abgesperrt. Ich werde Alarmschüsse gehen, vielleicht hört man uns.« Er schoß zweimal seine Pistole ab. Über ihnen in den Ruinen wurde es lebendig. Motorgeräusch und Menschenstimmen drangen stark gedämpft in die Tiefe. Dann einige Minuten Ruhe und darauf ein furchtbarer Donnerschlag. »Das ist ein schwerer Minenwerfer«, erklärte Stojan, »er ist in den Ruinen in Stellung gegangen.«

Der Inspektor lauschte, und nur eine Sekunde lang wurde die Umklammerung weniger fest, da riß sich Gundolic auch schon los und sprang in den Kellerraum zurück. Die Hintertür wurde aufgerissen, und ehe die Beamten die Lage erfaßten, waren die Schmuggler verschwunden. Man hörte Eisen klirren und Schlösser einschnappen.

Woyka zitterte vor Aufregung: »Vorwärts, Stojan, ihnen nach durch die Notröhre.«

Dazu kam es nicht mehr, die Batterie in den Ruinen gab einen zweiten Schuß ab, und der Rücklaufdruck war so gewaltig, daß ein Riß in dem alten Gemäuer entstand, die Eisenplatte stürzte aus ihrem Lager und gab den Weg frei. Die Beamten eilten hinaus, wurden von den Marinesoldaten angehalten und zum Batterieoffizier geführt.

Eine kurze Erklärung Woykas und Prüfung der Ausweise, darauf Erlaubnis zum Weitergehen, jedoch mit dem guten Rat, das Ende der Gefechtsübung abzuwarten. Die Pascher könnten ja doch nicht durch die Absperrung schlüpfen.

Der Polizeirat ließ sich nicht halten, er wollte ohne Aufschub nach Gundolics Hof, um den flüchtigen Schmuggler dort zu erwarten.

Die Sonne stand glühend am Himmel, die Schatten der Klosterruine fielen bläulich auf die reiche Pflanzenwelt, ein leichter Nebel lag auf dem Gipfel des Berges Om, das Meer atmete langsam.

Woyka schickte Stojan mit zwei Gendarmen zur Untersuchung des Klosters ab, er selber begab sich nach Gundolics Hof. Der Eigentümer war anwesend. Er fragte freundlich nach Namen und Begehr.

Der Beamte war sprachlos über solche Frechheit, ging aber aufs Ganze.

»Ich muß Sie festnehmen, Mirko Gundolic.«

»Mich und warum?«

»Tun Sie doch nicht wie ein unschuldiges Kind.«

»Was wollen Sie denn von mir?«

»Das ist lustig. Im Klosterkeller bedrohten Sie mich mit dem Tode, dann trinken wir zusammen, endlich balgen wir uns herum und jetzt … wissen Sie von nichts mehr.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Ich sehe Sie zum erstenmal in meinem Leben.«

»Sie leugnen, heute in der Frühe im Ostkeller des verfallenen Klosters bei Domenika gewesen zu sein?«

»Das muß eine Verwechslung sein, ich habe seit gestern mittag das Haus nicht verlassen. Übrigens bitte ich, mich zu entschuldigen, wir sind vom Herrn Admiral zum Frühstück geladen, und ich muß eilig fort.«

»Gut, gehen wir zusammen.«

Im Hotel gab es eine kleine Auseinandersetzung mit dem Admiral. Der Verfügung des Ministeriums, wonach dem Polizeirat jede Unterstützung zu leisten sei, mußte der Offizier nachkommen, aber der Zwischenfall war ihm sehr unangenehm, und er bat Woyka doch das schöne Fest nicht zu stören, sondern als sein Gast daran teilzunehmen.

»Danke, Euer Exzellenz, die Polizei ordnet sich der Marine unter.«

Es war ein schönes Fest, herzliche Reden, Nationalhymne der Marinekapelle, gutes Essen und guter Wein haben noch immer und überall freudige Stimmung geschaffen. Als diese ihren Höhepunkt erreicht hatte, erschien Stojan im Saal, er teilte seinem Vorgesetzten leise etwas mit, worauf dieser mit einer achtungsvollen Verbeugung die Gesellschaft verließ.

Als sich die Tür hinter dem Beamten geschlossen hatte, stand Gundolic auf, er war kreidebleich und flüsterte dem Offizier neben sich zu, es sei ihm schlecht geworden. Schwankend entfernte er sich durch die Tür, die zu den Wirtschaftsräumen führte.

Wenige Minuten später kam der Polizeirat mit zwei Gendarmen zurück. Als er den leeren Stuhl Gundolics bemerkte, schoß ihm das Blut in den Kopf. Aufgeregtes Fragen, ruhige Antwort des Offiziers, dem Herrn sei übel geworden, und er habe nach Hause gehen müssen.

Leise Befehle an die Gendarmen, eine Verständigung mit ihrem Kapitän und alle diese Männer des Sicherheitsdienstes verließen den Saal.

»Der Bursche ist im letzten Augenblick getürmt«, unterrichtete Woyka den Gendarmerieoffizier. »Ich hoffe, er wird nicht weit kommen.«

»Da kennen Sie Mirko Gundolic nicht, wenn der zehn Minuten Vorsprung hat, ist er schon aus Jelsa hinaus, und dann kann ihn auf dieser verbrannten Insel kein Teufel finden.«

»Herr Gott, ich hätte einen Gendarm hinter seinen Stuhl stellen sollen.«

Er wandte sich nach dem Aufgang zum Hotel, da trat ein Herr aus der Tür, und Stojan ging freudig bewegt auf ihn zu:

»Mensch, Nowak, wo kommst du denn her? Ich denke du bist in Berlin bei der Bank.«

Der Herr zögerte:

»Sie verwechseln mich anscheinend. Ich heiße Lehmhuber und bin aus Wien.«

»Was, ich soll den Nowak nicht kennen, wo wir monatelang in dem Dreck der Karpaten zusammengelegen haben, ich, Nowak und Gundolic unser Korporal.«

Woyka wurde hellhörig und trat auf den fremden Herrn zu, zeigte seine Ausweise und forderte höflich die Papiere.

»Bitte sehr, hier mein Reisepaß und meine Militärpapiere. Genügt das?«

»Gewiß.«

Der Paß war ohne Zweifel in Ordnung. Er lautete auf den Kaufmann Michael Lehmhuber aus Wien. Aus den Militärpapieren ging hervor, daß der Inhaber den Krieg bei der Intendantur mitgemacht hatte. Ins Gefecht war er nicht gekommen. Also mußte sich Stojan täuschen. Sein Kamerad aus den Karpaten war der Reisende nicht.

Trotzdem war der Inspektor nicht zu überzeugen, daß der Mann nicht Nowak sei.

»Es gibt merkwürdige Ähnlichkeiten«, beruhigte ihn Woyka, »und außerdem sind seit den Karpatenkämpfen mehr als zwanzig Jahre verflossen.«

»Wollen wir nicht wenigstens sein Gepäck durchsuchen?«

»Das können wir nicht so ohne weiteres … wenn wir dann nichts finden, holen wir uns einen Anranzer wegen Störung des Fremdenverkehrs, und der Fremdenverkehr ist eine Hauptquelle des Landes.«

Stojan schüttelte mißmutig den Kopf, aber sein Vorgesetzter blieb fest und gab die Papiere mit höflichem Dank zurück.

»Wäre nur der deutsche Kriminalrat hier, der hätte nicht derartige Bedenken«, brummte der Inspektor vor sich hin.

»Der ist auch Ausländer und wird mit der rücksichtsvollsten Höflichkeit behandelt, uns aber werden aus allem und jedem Stricke gedreht, besonders wenn wir nicht Alt-Serben sind.«


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