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I n dieser Nacht ließ es sich Botho nicht nehmen, selbst bei seinem kranken Sohne zu wachen.
Es hatte den Anschein, als wäre der kleine Patient etwas ruhiger geworden. Die Mittel, welche der Professor ihm gegeben, hatten ihn offenbar beruhigt und seine Schmerzen gelindert.
Am Morgen erschien Maria und fragte den Gatten, wie die Nacht gewesen sei.
»Ein wenig besser.«
»Dann gehe jetzt und lege Dich schlafen. Du kannst Dich ja kaum mehr auf den Füßen halten«
»Nein, ich werde auch den Tag über meinen Sohn nicht verlassen.«
»Du handelst gewissenlos gegen mich und Deinen anderen Sohn,«
»Aber gewissenhaft gegen Kuno.«
»Ich bitte Dich, lieber Mann, gönne Dir Ruhe, und wäre es auch nur für zwei Stunden.«
Aber Botho blieb fest.
Er wollte den Posten, den er einmal bezogen hatte, nicht verlassen, seit der Professor ihm seine Wahrnehmungen mitgeteilt.
Übrigens kam es ihm auffallend vor, mit welcher Energie Maria alles aufbot, ihn vom Lager Kunos zu entfernen.
Nein, gewiß, gegen sie hatte er keinen Verdacht, aber sie vertraute offenbar Dr. Aventin zu sehr.
Der Arzt erschien in der Tat bald darauf.
»Lebt er wirklich noch?« rief Aventin aus, als er das Zimmer betrat. »Das wundert mich in der Tat. Gestern war sein Zustand schon so gefährlich, daß ich ihm keine Nacht mehr gegeben hätte. Nun, umso besser.«
»Ich bitte, machen Sie uns das Herz nicht allzuschwer, Doktor,« sagte Botho. »Ich bin glücklich, daß das Kind noch lebt, und ein Schimmer von Hoffnung hat mich wieder belebt.«
»Hoffen Sie immerhin,« versetzte Aventin, »es wird Ihnen wenig nützen. Sie haben während der Nacht hier gewacht, Herr Baron?«
»Mein Gatte hat kein Auge geschlossen,« antwortete Maria.
»Dann befehle ich als Ihr Hausarzt, daß Sie sofort zu Bett gehen,« meinte der Doktor.
»Diesem Befehle werde ich unter gar keiner Bedingung nachkommen,« antwortete Botho in entschiedenem Tone. »Meine Frau mag sich mit mir am Bett des Kranken niedersetzen, aber ich gehe nicht fort von hier.«
Diesmal entging es dem Baron nicht, daß Aventin und Maria einen raschen Blick wechselten, und dieser Blick bekräftigte ihn in seinem Vorhaben, sich unter keiner Bedingung von seinem Posten zu entfernen.
Nach einer Viertelstunde entfernte sich der Arzt, und Maria begleitete ihn bis vors Schloß.
Botho flößte Kuno ein Getränk und auch etwas Speise ein und konnte nicht umhin, zu glauben, daß eine leichte Besserung eingetreten sei.
Um fünf Uhr nachmittags wurde dem Baron gemeldet, daß eine Krankenpflegerin angekommen sei. –
Er ging ihr aber nicht entgegen, sondern befahl nur, daß sie. unverzüglich ins Zimmer des kleinen Kuno geführt werde
Die Tür öffnete sich und eine hochgewachsene Frauengestalt trat ein.
Im ersten Augenblick dachte der Baron, daß Professor Leuthold seinen Entschluß geändert und wirklich eine Krankenschwester geschickt habe, denn ihm schien es nicht möglich, daß hinter dieser täuschenden Verkleidung ein Mann stecken könnte.
»Ich heiße Schwester Helene,« sagte die Pflegerin. »Herr Professor Leuthold hat mich geschickt. Hier ist sein Brief.«
Botho las den Brief, welcher nur wenige Zeilen enthielt. Es stand kein Wort von einem Detektiv darin, Professor Leuthold teilte nur mit, daß die Überbringerin Schwester Helene sei, welche die Pflege des kleinen Kuno übernehmen sollte.
Maria, welcher Botho schon vorher gesagt hatte, daß eine Krankenpflegerin eintreffen werde, war zugegen.
Sie schien aber unangenehm berührt zu sein und meinte, sie hielte nicht viel von Personen, welche gegen Bezahlung die Pflege von Kranken übernehmen.
Schwester Helene nahm sofort am Bett des Kranken Platz.
»Nun wirst Du Dir also endlich Ruhe gönnen können, mein lieber Botho,« sagte Maria.
»Gewiß, ich werde mich abends niederlegen,« antwortete der Baron, »aber bis dahin bleibe ich hier. Ich habe ja der Schwester die nötigen Instruktionen zu geben«
»Es wäre mir allerdings sehr lieb, von Ihnen diese Informationen zu erhalten, Herr Baron,« sagte Schwester Helene. »Der Professor hat mir zwar gesagt, um was es sich bei dieser Krankheit handelt, aber Einzelheiten werden Sie mir wohl noch mitzuteilen haben.«
Zornig verließ Frau Maria das Zimmer.
»Ich scheine hier überflüssig zu sein,« sagte sie und schlug die Tür so heftig hinter sich zu, daß der Kranke erschrak und ein wenig von seinem Lager ausfuhr.
Minutenlang saßen Schwester Helene und Botho einander gegenüber.
»Ich danke Ihnen, Herr Rubber, daß Sie gekommen sind,« begann endlich der Baron im Flüstertone.
»Still, keinen Namen,« versetzte der Detektiv. »Nennen Sie mich immer nur Schwester Helene.«
»Sie wissen also –«
»Ich weiß alles,« unterbrach der Detektiv, »Professor Leuthold hat mich eingehend informiert. Es handelt sich darum, zu verhindern, daß dem Kinde weiterhin Gift beigebracht wird. – Aber sagen Sie, Herr Baron, haben Sie gegen irgend jemand im Hause Verdacht?«
»Nein, bei Gott nicht. Doktor Aventin, der bisher mein Kind behandelt hat, scheint allerdings in die Sache eingeweiht zu sein.«
»Gestatten Sie, daß ich einige Fragen an Sie richte und haben Sie die Güte, mir dieselben wahrheitsgemäß zu beantworten«
»Selbstverständlich, Schwester Helene.«
»Besitzen Sie außer diesem Kinde noch ein anderes?«
»Gewiß, mein kleiner Hans ist gegenwärtig drei Jahre alt.«
»Würde dieser zweite Sohn, im Falle Kuno stirbt, irgendwie in Vorteil kommen?«
»Er würde Majoratsherr derer von Tresko werden, und das bedeutet sehr viel.«
»Ihre Gemahlin hat Ihnen nicht diese beiden Kinder geboren. Ich habe gehört, daß Ihre beiden Söhne nicht von der zweiten Gattin sind.«
»Kuno ist von meiner ersten Frau, von der ich gerichtlich geschieden bin, Hans von meiner zweiten Frau.«
Ein Lächeln umspielte die Lippen des Detektivs.
»Wie hat Ihre Frau Gemahlin Kuno bisher behandelt?«
»Anfangs sehr gut, später wurde sie sehr heftig gegen ihn.«
»Ist Ihr Dienstpersonal zuverlässig?«
»Auf alle Fälle!«
»Aus welchen Personen besteht es?«
»Einem Diener, einem Gärtner und drei Mädchen.«
»Betreten diese Leute jemals das Krankenzimmer?«
»Niemals. – Meine Frau hat bisher alles auf sich genommen, und ich muß gestehen, sie hat sich sehr wacker gehalten und sich mit großer Aufopferung der Pflege Kunos gewidmet.«
»Aber sie war mit ihm zumeist allein?«
»So ist es.«
»Hat Doktor Aventin Medikamente verschrieben?«
»Gewiß, die beiden kleinen Fläschchen, die dort stehen, sind nach seinen Rezepten angefertigt. Der Professor hat sie geprüft und gefunden, daß ihr Inhalt ganz bedeutungslos sei. Die andern Flaschen, die Sie hier sehen, stammen von Professor Leuthold her.«
»In welcher Apotheke wurden die Medikamente Dr. Aventins hergestellt?«
»Wir haben ja keine Apotheke im Dorfe, die Medikamente sind aus der Hausapotheke Doktor Aventins.«
»Verstehe. – Herr Baron, ich habe eine Bitte.«
»Sprechen Sie sie aus, Schwester Helene.«
»Bewirken Sie unbedingt, daß Ihre Gattin heute nacht ebenfalls das Lager aufsucht.«
»Ich werde es versuchen. Aber meine Frau hat ihren eigenen Willen und wird sich nicht so leicht dazu bestimmen lassen, heute nacht zu schlafen.«
»Wirklich nicht? Nun, so müssen wir eben Gewalt anwenden.«
Schwester Helene zog ein kleines Fläschchen aus der Tasche ihres Kleides, das mit einer hellen Flüssigkeit gefüllt war.
»Wenn Sie heute zu Abend speisen, Herr Baron,« sagte sie, »dann leeren Sie den Inhalt dieses Fläschchens Ihrer Frau Gemahlin in den Tee oder in den Wein.«
»Aber das ist ja schrecklich,« stieß der Baron hervor. »Dieses Fläschchen enthält ohne Zweifel ein Schlafmittel. Und das sollte ich meiner Frau heimlich reichen?«
»Es muß sein, Herr Baron. Bedenken Sie, es handelt sich um das Leben Ihres Kindes.«
»Dann will ich es tun,« erwiderte Botho und ließ das Fläschchen in der Tasche seines Rockes verschwinden.
Die ganze Unterredung war im Flüstertone geführt worden, der Detektiv war sogar einmal aufgestanden und hatte durchs Schlüsselloch gesehen, um festzustellen, daß sie nicht vom Nebenzimmer aus belauscht wurden.
Botho fand wirklich Gelegenheit, den Schlaftrunk, den ihm der Detektiv übergeben hatte, in die Limonade Frau Marias zu gießen. Sie leerte ahnungslos das Glas, und vorerst zeigte sich keine Wirkung.
Aber in einer Viertelstunde klagte sie über heftige Müdigkeit.
»Nun muß ich mir doch endlich Ruhe gönnen,« sagte sie.
»Natürlich,« meinte der Baron, »wir sind ja jetzt gut vertreten.«
»Gut vertreten? Nun, das wird sich erst zeigen,« versetzte Maria. »Diese Krankenschwestern sind oft leichtfertige Geschöpfe. Ich möchte beinahe wetten, daß Schwester Helene nicht wach bleiben wird.«
»Das könnte man ihr auch nicht verübeln,« erwiderte Tresko. »Die Natur läßt sich eben nicht vergewaltigen. Aber wahrhaftig, auch ich bin müde. Wie wäre es, wenn wir uns zur Ruhe begäben?«
Frau Maria gähnte.
»Wenn ich nur wüßte, was mit mir ist,« sagte sie, »mir liegt es so schwer in allen Gliedern und im Kopfe.«
Die beiden Gatten begaben sich in ihr Schlafzimmer, und es dauerte nicht lange, waren sie beide in einen tiefen Schlaf gesunken.
Alles im Schlosse schlief, auch Kuno zum erstenmal seit langer Zeit.
Nur einer wachte, der Detektiv.
Er hatte sich bereits genau im Zimmer orientiert. Das Gemach besaß einen einzigen Ausgang, der auf den Korridor hinausführte, die zwei Fenster gingen nach dem Garten hinaus.
Die Wände, an denen einige Bilder hingen, waren mit blauseidenen Tapeten bedeckt.
Er zog, als er allein war, einen Revolver hervor und versicherte sich, ob er auch geladen sei.
Dann aber sah er sich noch einmal im ganzen Gemach um, und als er eine hohe Standuhr entdeckte, lächelte er zufrieden.
Es war gegen Mitternacht, als er sich von seinem Platze am Bette des Knaben erhob. Im nächsten Augenblick öffnete er die Tür der Standuhr, bückte sich und schlüpfte in die Uhr hinein.
Über sich hörte der Detektiv das Gehen des Werkes, seine Lage in der Uhr war eine sehr unbequeme, er vermochte sich kaum zu rühren. Trotzdem harrte er eine halbe Stunde lang darin aus.
Dann geschah etwas Seltsames.
Der Detektiv vernahm nämlich Schritte, die sich leise über den Teppich hin bewegten.
Er wartete noch einige Sekunden, dann öffnete er vorsichtig die Tür.
Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen.
Eine weibliche Gestalt beugte sich über das Bett des Kindes, und er sah ganz deutlich, daß diese Frau, die in ein dunkles Gewand gehüllt war, die rechte Hand zur Faust geballt hatte.
Jetzt öffnete sie die Faust und hielt ein kleines Fläschchen in der Hand.
Der Detektiv hielt sich nicht länger zurück.
Mit einem wahren Tigersprung war er aus der Uhr heraus und stürzte sich auf die Einschleicherin.
Während er es tat, bemerkte er, daß die Fremde durch eine Tapetentür gekommen war, die sogar er vorher nicht bemerkt hatte.
Ein gellender Schrei entrang sich den Lippen der Frau, deren Gesicht dicht verschleiert war, sodaß Rubber Ihre Züge nicht unterscheiden konnte.
»Habe ich Dich, Giftmischerin,« rief er aus und bemächtigte sich ihrer Hand.
Im selben Augenblick ließ die Frau das Fläschchen fallen, es zerbrach in Scherben, und der ganze Inhalt floß auf den Teppich, der die Flüssigkeit einsaugte.
Die Ertappte bemühte sich mit der Kraft der Verzweiflung, sich dem festen Griff des Detektivs zu entwinden, aber es gelang ihr nicht.
Ein stummer, kurzer Kampf wurde geführt, dann nahm Rubber Stahlfesseln hervor und legte sie um die Hände der Ertappten.
Jetzt wurde es im Schlosse lebendig.
Zuerst stürzte eins der Dienstmädchen herein, dann stürmte Botho in das Gemach.
»Was ist hier geschehen, was geht hier vor?« rief er. Hinter ihm wurden der Diener und die beiden anderen Mädchen, alle nur notdürftig bekleidet, sichtbar.
»Es ist, wie wir es gedacht haben,« rief der Detektiv aus, »Verrat und Giftmord ist hier im Spiele. Sehen Sie, ich habe dieses Weib in dem Augenblicke gefangen, da es sich über Ihren Sohn niederbeugte, um ihm das Gift einzuflößen.«
»Allmächtiger Gott, was ist denn hier?« rief eine weibliche Stimme von draußen. »Ich habe so fest geschlafen und ich bin doch aufgewacht. Botho, sage mir, was ist hier geschehen?«
Aber Botho antwortete nicht, er hatte den Schleier, der das Gesicht der Giftmischerin verhüllte, mit fester Hand gepackt und ihn heruntergerissen.
Baron Botho von Tresko taumelte mit einem Schrei des Entsetzens zurück.
Das totenblasse Antlitz Ernas war zum Vorschein gekommen.