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1.

I n einem Gerichtssaal der Stadt Brandenburg standen vor dem Richter zwei Personen mit ihren Anwälten.

Der Richter hatte soeben dem Diener den strengen Befehl gegeben, das Publikum nicht einzulassen. Nur den Berichterstattern zweier Zeitungen war es gestattet worden, an einem kleinen Tischchen Platz zu nehmen, um der Verhandlung zu folgen.

»Baron Botho von Tresko,« rief der Richter. »Das sind Sie, mein Herr, nicht wahr?«

Ein hochgewachsener blondbärtiger Mann, etwa in der Mitte der Dreißiger, der einen eleganten schwarzen Anzug trug und in seinem ganzen Äußeren sofort den Eindruck eines märkischen Edelmannes machte, antwortete zustimmend.

»Frau Baronin Erna von Tresko geborene Schulz!«

»Hier!« rief eine wunderschöne junge Frau von etwa dreiundzwanzig Jahren, die ein einfaches geschmackvolles, dunkles Kostüm trug.

Ihr Haupt vermochte die Last der goldblonden Haare kaum zu tragen. Es neigte sich auf die Brust des jungen Weibes nieder.

Oder waren es Schmerz und Kummer, die es so tief beugten?

Der Richter fuhr geschäftsmäßig fort:

»Für den Kläger, Baron Botho von Tresko, ist Justizrat Rank erschienen, für die Beklagte Doktor Sänger.«

Die beiden Advokaten verbeugten sich.

»Der Tatbestand ist uns allen bekannt,« fuhr der Richter fort, in einem Aktenstück blätternd, das vor ihm auf dem Gerichtstisch lag.

»Herr Baron Tresko, ich frage Sie, ob Sie auf der Scheidung von Ihrer Ehegattin bestehen?«

»Ich bestehe darauf,« gab der blondbärtige Mann zur Antwort.

»Und wie verhalten Sie sich, gnädige Frau, zur Klage Ihres Gatten, der von Ihnen die absolute Scheidung fordert und Sie beschuldigt, ihn in diese Notwendigkeit versetzt zu haben?«

»Ich habe darauf zu erwidern,« versetzte Erna, »daß ich, wenn auch mit schwerem Herzen, in die Scheidung willige, doch nur unter der Bedingung, daß mein Kind, mein Sohn, mir verbleibt.«

»Dagegen protestiere ich aufs Entschiedenste!« rief der Baron dazwischen. »Diese Frau kann niemals die Erzieherin meines Kindes sein, sie ist nicht imstande, die Erziehung zu leiten. Ihr Leichtsinn, ihr –«

»Haben Sie die Güte, Herr Baron,« unterbrach der graubärtige Richter, »jede Beleidigung zu vermeiden. Ihr Recht soll Ihnen werden, aber es wird sich empfehlen, wenn diese so überaus peinliche Ungelegenheit mit möglichster Schonung beider Teile erledigt wird.«

»In unserer Anklageschrift,« ließ sich Justizrat Rank vernehmen, »wird ja eingehend ausgeführt, aus welchen Gründen wir darauf bestehen müssen, daß das Kind beim Vater bleibt.«

»Kennen Sie denn den Inhalt der Klage nicht?« wandte sich der Richter an die Baronin.

»Wir kennen ihn,« erwiderte Doktor Sänger, »aber wir bestreiten das Tatsächliche und fordern die Beweisführung.«

»Nun, ich werde jedenfalls die Anklageschrift noch einmal verlesen,« sagte der Richter, »dann auf die einzelnen Punkte eingehen und die geladenen Zeugen vernehmen. – Herr Referendar, haben Sie die Güte, die Verlesung der Anklageschrift vorzunehmen.«

Der Referendar drückte den Zwicker fester auf die Nase und begann dann zu lesen:

 

»Ich vermählte mich vor etwa vier Jahren mit der Beklagten. Erna Schulz war die Tochter eines Handwerkers, der seine ziemlich große Familie notdürftig ernährte, und seine neunzehnjährige Tochter war daher gezwungen, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Sie ging nach Berlin und nahm bei meiner Schwester die Stelle einer Bonne an.

Hier lernte ich die Beklagte kennen. Ich liebte sie und trotz aller Vorurteile, die durch den Standesunterschied hervorgerufen wurden, und trotz der Proteste meiner ganzen Familie heiratete ich sie. Denn ich war überzeugt, daß ihr unantastbarer Charakter sich auch in meiner Ehe bewahren würde und daß sie mir eine gute und treue Frau werden würde. Ich sollte mich in dieser Annahme bitter getäuscht haben.

Zwar während der ersten drei Jahre meiner Ehe hatte ich mich nicht zu beklagen. Ich muß gestehen, daß diese Jahre von Glück für mich erfüllt waren. Und dieses Glück erreichte seinen Höhepunkt an dem Tage, da meine Frau mir einen Sohn und Erben schenkte, dem wir den Namen Kuno gaben. Dieser Knabe ist nunmehr drei Jahre alt.

Ich lebte mit meiner Familie auf meinem Gute, das etwa zwei Stunden von Brandenburg entfernt liegt und ein sehr schönes Schloß besitzt.

Ich habe überhaupt meiner Frau alles geboten, was ein liebender Mann einer Frau nur bieten kann, habe sie mit Glanz und Reichtum umgeben, und ich glaube nicht, daß die Beklagte in dieser Einsicht auch nur den leisesten Tadel gegen mich erheben kann.

Am siebzehnten Mai dieses Jahres mußte ich eine Reise nach Berlin antreten, da ich dort wichtige Geschäfte zu erledigen hatte.

Ich wollte meine Frau mitnehmen, aber seltsamerweise bat sie mich, diesmal zuhause bleiben zu dürfen.

Sie fühle sich nicht recht wohl, auch wolle sie sich nicht gern von dem Kinde entfernen.

Ich wandte ein, daß ihr leichtes Unwohlsein sich vielleicht unterwegs bessern werde und daß für das Kind ja durch Fräulein Russo, eine Dame, die ich teils als Gesellschafterin meiner Frau, teils als Pflegerin des Kindes engagierte, aufs Beste gesorgt sei.

Aber die Beklagte bestand auf ihrem Wunsche, und so reiste ich allein ab.

Am einundzwanzigsten Mai kehrte ich wieder aus Berlin zurück.

Mein Wagen erwartete mich in Brandenburg, aber unterwegs erlitten wir einen Radbruch und mußten in einem Dorfe liegen bleiben bis der Schmied den Schaden repariert hatte, und so traf ich erst in dunkler Nacht vor meinem Schlosse ein.

Ich nahte mich dem Schlosse von der Gartenseite, denn ich besaß einen kleinen Schlüssel zu einer Nebentür, die vom Garten aus ins Schloß führte. Als ich ungefähr zwanzig Schritte vom Haus entfernt war, gewahrte ich, wie oben ein Fenster geöffnet wurde.

Instinktiv verbarg ich mich hinter einem Baume, und kaum hatte ich dort Aufstellung genommen, als ich die Stimme meiner Frau vernahm, die, am Fenster stehend, ins Zimmer hineinrief:

»Die Luft ist rein, schnell entferne Dich!«

Im nächsten Augenblick sprang ein Mann vom Fenster in den Garten hinab.

Er hatte einen gefährlichen Sprung zu wagen, denn das Fenster lag im Hochparterre.

Trotzdem fiel der Mann im Garten nieder, richtete sich aber schnell wieder auf und wollte rasch an mir vorbei.

Da warf ich mich ihm entgegen, packte ihn an der Brust und, von wahnsinniger Eifersucht erfaßt, rief ich ihm zu:

»Schurke, was hast Du in meinem Hause getan, was hast Du mit meiner Frau?«

Ich sah sein Gesicht nur einen Moment vom Mondlicht beleuchtet, es war das eines jungen und, wie ich gestehen muß, hübschen Mannes.

Mit großer Kraftanstrengung befreite er sich aus meinen Händen, versetzte mir einen Stoß vor die Brust und sprang dann mit einer Schnelligkeit, die mir eine Verfolgung unmöglich machte, über die breite Hecke des Gartens, kletterte geschickt an der hohen Mauer empor und – verschwand.

Ich begab mich nun zu meiner Frau und stellte sie zur Rede.

Sie gestand mir sofort zu, daß der Mann bei ihr gewesen sei, versicherte mir aber unter Tränen, daß nichts Böses vorgefallen sei und daß es sich nicht um einen Liebhaber gehandelt habe.

Ich glaubte ihr das nicht und glaube es auch heute noch nicht.

Ihre Tränen sind geheuchelt, ihre Schwüre erlogen.

Als ich auf der Stelle Nachforschungen anstellte, ergab sich, daß dieser Mann keineswegs zum erstenmal bei meiner Frau gewesen sei, sondern ihr bereits in den vorhergehenden Nächten längere Besuche abgestattet habe.

Zeugen: Fräulein Maria Russo, Gesellschafterin – Emilie Fink, Zofe – Christian Haeseler, Gärtner.

Ich gewann also immer mehr die Überzeugung, daß ich schändlich hintergangen worden sei und wies meine Frau am nächsten Tage aus dem Hause.

Sie begab sich nach Berlin, angeblich zu ihrer Tante. Im übrigen ist es mir gleichgültig, wo sie während der letzten Tage geweilt hat, denn ich bin fest entschlossen, ihr niemals wieder zu gestatten, die Schwelle meines Hauses zu überschreiten.

Dagegen gestattete ich ihr, alle Geschenke, die ich ihr gemacht habe, besonders Juwelen, mitzunehmen und sorgte auch dafür, daß sie bis heute standesgemäß leben konnte.

Ich beantrage daher: Das hohe Gericht möge die Scheidung aus dem alleinigen Verschulden meiner Frau aussprechen.

Ich bin übrigens bereit, ihr eine Summe auszuzahlen, von deren Zinsen sie bis an ihr Lebensende anständig leben kann, aber unter keiner Bedingung würde ich darein willigen, daß ihr etwa unser Sohn zugesprochen werde.

Sie ist nach dem Vorgefallenen nicht würdig und nicht fähig, die Erziehung eines Kindes zu leiten, und da mein Sohn mein Erbe ist und das Majorat derer von Tresko einst auf ihn fallen wird, so muß ich unbedingt Wert darauf legen, daß er in den alten Traditionen unserer Familie und in ehrenhafter Gesinnung erzogen wird.«

 

»Soweit also die Anklageschrift,« sagte der Richter, als der Referendar schwieg. »Frau Baronin von Tresko, was haben Sie dagegen vorzubringen? Bestreiten Sie die Wahrheit dieser Angaben, insbesondere aber die Geschehnisse, die hier soeben zur Vorlesung gekommen sind?«

»Ich bestreite keineswegs,« antwortete Erna, »daß in jener Nacht, als mein Gatte aus Berlin zurückkehrte, ein Mann aus meinem Fenster in den Garten hinabgesprungen ist. Ich bestreite auch nicht, daß dieser Mann in den zwei vorhergehenden Nächten bei mir war, das heißt, sich in meinem Zimmer aufgehalten hat. Aber ich bestreite ganz energisch, daß zwischen mir und diesem Fremden irgend etwas vorgefallen ist, dessen ich mich als Frau zu schämen hätte und wodurch die Ehre meines Gatten verletzt worden wäre. Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen, der mir in dieser Stunde beistehen möge, daß ich meinem Gatten die eheliche Treue nicht gebrochen habe.«

»Na also, gut,« sagte der Richter, »wenn dieser Fremde nicht Ihr Liebhaber gewesen ist, dann werden Sie uns gewiß sagen, weshalb Sie ihn zu nächtlicher Stunde in Ihrem Schlafzimmer empfangen haben. Sie werden vor allen Dingen nicht zögern, uns den Namen dieses Mannes anzugeben. Ihr Gatte hat ein Recht, ihn zu erfahren, und es wäre von besonderer Wichtigkeit, wenn wir diesen Mann vor Gericht laden und hören könnten.«

Minutenlang herrschte tiefes Schweigen, dann richtete sich Erna empor und antwortete:

»Herr Richter, ich werde Ihnen den Namen dieses Mannes nicht nennen.«

»Aber verehrte gnädige Frau,« stieß der junge Advokat hervor, »geben Sie doch endlich Ihr beharrliches Schweigen in diesem Punkte auf. Hier handelt es sich doch darum, alles zu beseitigen, was zu einem Mißverständnis führen könnte und den häßlichen Verdacht, der auf Ihnen lastet, zu verscheuchen. Verbannen Sie jedes Geheimnis, nennen Sie uns den Namen des Mannes, den Sie doch wahrhaftig nicht zu schonen brauchen.«

»Nein – ich kann es nicht.«

In herbem Trotz kamen diese Worte von den Lippen des jungen Weibes, und der Richter schüttelte fast traurig das Haupt.

Baron Tresko fuhr auf:

»Sie sehen also, Herr Richter, wie recht ich habe, wenn ich behaupte, daß die Tränen dieses Weibes Komödie sind. Sie kann den Namen dieses Elenden nicht nennen, weil sie sich mit ihm vergangen hat, weil sie mit ihm meinen Namen geschändet hat. Sie fürchtet den Beweis und geht ihm aus dem Wege.«

»Ich muß Ihnen allerdings sagen, gnädige Frau,« nahm der Richter das Wort, »daß unter solchen Umständen Ihre Sache sehr schlimm steht. Sie sollten doch dem Drängen Ihres eigenen Anwalts nachgeben, Frau Baronin. Mein Gott, wir müßten ja nicht Menschen sein, wenn wir in Ihrem beharrlichen Schweigen nicht schon einen Beweis Ihrer Schuld erblicken sollten.«

»Nun denn, so halten Sie mich für schuldig,« stieß die Baronin hervor, »aber ich bleibe bei meinem Entschluß.«

»Gnädige Frau, Sie ahnen nicht, wie leid es mir tut, Ihnen als Gegner gegenüberstehen zu müssen,« nahm nun Justizrat Rank das Wort. »Ich bin ein alter Freund Ihres Hauses, ich habe Sie immer sehr geschätzt, mehr als das, ich habe Sie gewissermaßen geliebt wie meine Tochter. Und nicht wahr, Sie wissen, wie sehr Sie Botho geliebt hat. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, daß es zwischen Ihnen und ihm je zu einer solchen Aussprache kommen könnte. Wollen Sie nun für immer den Platz an der Seite Ihres Mannes und bei Ihrem geliebten Kinde aufgeben?«

»Nein, das will ich nicht,« schluchzte die Unglückliche auf. »Ich liebe ja mein Kind. Nur um des Kindes willen bin ich hierher gekommen, nur um den Besitz des Kindes will ich kämpfen. Ah, Herr Richter, reißen Sie mir nicht das Herz aus dem Leibe, geben Sie mir mein Kind. Lassen Sie mich weiterhin seine Mutter sein.«

»Das sollen Sie auch,« rief der Richter aus, »nur müssen Sie uns die Wahrheit sagen. Also: wer war jener Mann?«

»Ich weiß es nicht.«

»Das heißt, Sie wollen es nicht wissen. Und was hatten Sie mit ihm zu tun?«

»Ich weiß es nicht – ich weiß gar nichts – ah, ich bin zum Schweigen verurteilt.«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Es muß mein letztes Wort sein.«

»Nun denn, so wollen wir die Zeugen hören. Meine Herren, Sie haben gesehen, daß ich mich bemühte, der gnädigen Frau eine Brücke zu bauen, aber es hat nichts genützt, weil die Frau Baronin diese Brücke nicht betreten will.« Und sich an den Gerichtsdiener wendend, befahl der Richter: »Zeugin Maria Russo soll eintreten!«

Der Gerichtsdiener ließ eine schlanke junge Dame eintreten. Sie war eine faszinierende Erscheinung. Nicht daß ihre Schönheit sich mit der Ernas hätte vergleichen können. Ihre Züge waren dazu zu unregelmäßig, ihr Mund vielleicht ein wenig zu groß, die schwarzen Brauen über den grauen Augen ein wenig zu stark, aber dieses Gesicht besaß ohne Zweifel eine große Anziehungskraft, und ihre Gestalt jene Biegsamkeit, die doch der Formenschönheit nicht entbehrt, welche die Männer unserer Zeit so lieben.

Sie war ziemlich einfach, aber nicht ohne Geschmack gekleidet.

Langsam trat sie vor den Richter hin. Der Richter nahm ihr die Nationale ab.

»Sie heißen Maria Russo, sind in Bukarest gebürtig, vierundzwanzig Jahre alt, katholisch. Sie waren im Hause des Barons Tresko bedienstet?«

»Ich war Gesellschafterin der Baronin,« antwortete Maria Russo beinahe abweisend, da ihr das Wort »bedienstet« nicht zu passen schien.

»Sie kennen die traurige Angelegenheit, in welcher Sie heute Zeugenschaft ablegen sollen?«

»Ich kenne sie.«

»Sie haben also gesehen, daß sich in der fraglichen Nacht ein fremder Mann im Schlafzimmer der Frau Baronin befand?«

»Ich habe es gesehen.«

»Wie konnten Sie das?«

»Ich befand mich im Nebenzimmer und saß am Bettchen des Kindes. Da hörte ich plötzlich Geräusch und Geflüster und das erweckte nicht so sehr meine Neugierde als mein Angstgefühl. Ich fürchtete, daß ein Dieb eingedrungen sei. Ich schwankte, ob ich nicht die Dienerschaft des Hauses herbeirufen sollte, dann aber blickte ich durchs Schlüsselloch ins Schlafzimmer der Frau Baronin. Und ich sah, daß ein junger Mann die Baronin umfangen hielt und daß sie sich küßten.«

»Das ist gelogen,« stieß Erna heftig hervor, »das kann die Zeugin nicht gesehen haben. Um Gottes willen, Fräulein, besinnen Sie sich. Erinnern Sie sich daran, wie gütig ich immer gegen Sie –«

»Das geht zu weit,« unterbrach der Richter. »Ich darf eine solche Beeinflussung der Zeugin nicht dulden. Also, Fräulein Russo, Sie wissen, daß ich Sie später vereidigen werde. Haben Sie also wirklich gesehen, daß die Baronin Tresko den Fremden geküßt hat?«

»Ich habe es gesehen,« antwortete die Gesellschafterin mit harter Stimme. »Nun wußte ich, daß es kein Dieb sei, und es blieb mir nichts anderes übrig, als mich still zu verhalten. Ich hätte übrigens über diesen Vorfall geschwiegen, aber in der dritten Nacht, in der die Baronin den Besuch empfing, wurde sie durch die unerwartete Rückkehr ihres Gatten überrascht, es kam zu Streitigkeiten, und ich hielt es für meine Pflicht, den Herrn Baron von meiner Beobachtung zu verständigen.«

»Wir werden die Zeugin jetzt vereiden,« sagte der Richter.

»Einen Augenblick,« wandte Doktor Sänger ein. »Sie gestatten doch, Herr Richter, daß ich einige Fragen an die Zeugin richte.«

»Bitte sehr, Herr Doktor.«

»Fräulein Russo, haben Sie nicht, bevor Sie ins Haus des Barons Tresko kamen, bei einer Familie in Berlin eine Anstellung gehabt?«

»Gehört das zur Sache?« fragte Maria Russo.

»Gewiß,« antwortete Doktor Sänger, »denn ich werde Ihnen beweisen, daß unter dem Dache, unter welchem Sie weilen, merkwürdige Dinge geschehen. Es war die Geheime Kommerzienrätin Dover, deren Gesellschafterin Sie waren. Die Kommerzienrätin besaß einen neunzehnjährigen Sohn, einen an der Schwindsucht leidenden Menschen. Sie haben diesen jungen Mann an sich gezogen und so weit gebracht, daß er seiner Mutter erklärte, er wolle sie heiraten. Sie haben also Zwietracht zwischen Mutter und Sohn gesät.«

»Herr Doktor,« unterbrach der Richter, »diese Art, die Zeugin einzuschüchtern, kann ich nicht dulden. Die Zeugin hat nicht nötig, etwa vorzubringen, was sie belastet und ihr schaden könne«

»Ich habe nur hinzuzufügen,« fuhr Doktor Sänger fort, »daß der arme Kranke infolge der Aufregungen, welcher er – nun, sagen wir einmal, wegen der Liebe zu dieser Dame mitzumachen hatte, von einem Blutsturz hingerafft wurde.«

Um die vollen Lippen Marias spielte ein verächtliches Lächeln.

»Ich verzichte darauf, Herr Richter, mich gegen diese Anschuldigungen zu verteidigen,« sagte sie.

Und während sie diese Worte sprach, blickte sie auf den Baron hinüber, als wollte sie sehen, welchen Eindruck die letzte Szene auf ihn machte.

Maria Russo legte den Eid ab, dann durfte sie sich entfernen.

Nun wurde die Zofe hereingerufen, welche behauptete, daß sie den fremden Mann nicht gesehen, sondern nur von der Gesellschafterin am nächsten Morgen erfahren habe, daß er hier gewesen.

Nun ließ der Richter den Gärtner eintreten.

Der wußte mehr.

»Ich habe in der Nacht plötzlich einen heftigen Wortwechsel gehört,« sagte er. »Ich bin herausgestürzt und habe gesehen, wie der Baron einen jungen Mann an der Brust hielt, dieser riß sich aber los und entfloh. Ich selbst bin so erschrocken, daß ich wie gelähmt dastand, sonst wäre ich dem Entfliehenden natürlich sofort nachgeeilt.«

Nun erhielten die beiden Anwälte das Wort.

Justizrat Rank faßte sich kurz.

Er bedauerte, daß ein bisher gutes Familienleben zerstört worden sei, ganz ohne Zweifel aus Verschulden der Baronin.

»Ich will nicht von Leichtsinn reden,« sagte er, »noch weniger von Schlechtigkeit, aber es gibt im Leben so vieler Frauen Augenblicke der Schwäche. Sie begegnen dem Mann, der ihnen gewissermaßen vom Schicksal zum Verhängnis bestimmt ist. Sie können ihm nicht widerstehen. Oft gehen solche Abenteuer ohne weitere Folgen ab. Der Gatte ahnt nicht, daß er betrogen worden ist und bleibt nur in diesem einzelnen Falle der Betrogene. Denn die guten Instinkte der Frau erwachen wieder, sie bereut heimlich und verdoppelt den Eifer, dem Mann eine gute Frau zu sein. In unserem Falle wollte es das Unglück, daß Baron Tresko dem Verhängnis seines Hauses selbst begegnete.

Vielleicht wäre über den Vorfall hinwegzukommen gewesen, wenn die Angeklagte wirkliche Reue bewiesen hätte, wenn sie zumindest den Baron über die Persönlichkeit des Fremden aufgeklärt hätte.

Das ist aber nicht geschehen, deshalb müssen wir alle Konsequenzen ziehen.

Diese aber gipfeln nicht so sehr in der Scheidung, welche ja nun unabwendbar ist, als vielmehr in der Frage: Wer soll künftig das Kind erziehen.

Nun, ich denke, daß in diesem Falle der Vater einzig und allein das Recht hat, diese zarte Menschenblume zu hüten.

Mit schwerem Herzen stelle ich daher den Antrag, die Scheidung aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten auszusprechen und dem Kläger rückhaltslos das Recht zu geben, seinen Sohn und Erben in seinem Sinne zu erziehen.«

Während der letzten Worte sank Erna fast in sich zusammen. Sie hatte beide Hände vor das Gesicht gepreßt, und große Tränen quollen zwischen ihren zarten Fingern hervor. Vielleicht hörte sie kaum, was Doktor Sänger zu ihrer Verteidigung vorbrachte.

Mit hinreißendem Feuer sprach der junge Anwalt.

Aber er konnte doch die Anklage nicht entkräften. Er beschwor den Richter, einer Mutter nicht das Kind zu rauben, das sie unter dem Herzen getragen und mit Schmerzen geboren, wies darauf hin, daß auch eine schlechte Gattin eine gute Mutter sein könne.

»Machen wir uns nicht des Mordes eines Kinderherzens schuldig,« führte er aus. »Bedenken wir, daß wir Männer nie beurteilen können, was in der Seele einer Frau vorgeht.

Die Frauenseele ist eben ein Rätsel, dass wir niemals zu lösen imstande sein werden.

Eins aber wissen wir sehr genau: daß jedes Kind ohne Ausnahme, bevor es noch klare Einsicht erlangt hat, mit der größten Zärtlichkeit an der Mutter hängt, der Mutter bedarf, beklagenswert ist, wenn es die Mutter entbehren muß.

Ich protestiere nicht gegen die Scheidung, ich habe sogar den Auftrag, jede Geldentschädigung zurückzuweisen, aber – der Schrei nach dem Kinde entsteigt dem gebrochenen Herzen der Frau Baronin, der Schrei nach dem Einzigen, was ihr jetzt, wenn sie für immer das Schloß ihres Gatten meiden muß, bleiben wird.

Verschließen Sie diesem Schrei nicht Ihr Ohr, meine Herren, sprechen Sie das Kind derjenigen zu, die es unter Schmerzen geboren hat – der Mutter.«

Der Richter bat, sich auf einige Augenblicke ins Nebenzimmer zurückziehen zu dürfen. Als er nach etwa fünf Minuten wieder an seinen Tisch zurückkehrte, lag auf seinen Zügen tiefer Ernst.

Er verkündete:

»Die Ehe des Barons Botho von Tresko und seiner bisherigen Ehefrau Erna, gebotene Schulz wird aus dem alleinigen Verschulden der letzteren geschieden. Das Kind verbleibt dem Vater, welcher die alleinige Bestimmung über dasselbe hat.«

Tiefes Schweigen.

Dann wandte sich Erna zum Gehen und wankte, von ihrem Anwalt begleitet, der Tür zu.

Hier aber blieb sie plötzlich stehen, wandte sich noch einmal um und rief mit einer Stimme, die allen durchs Herz schnitt:

»Also Kampf? – Nun, beim allmächtigen Vater im Himmel, ich nehme diesen Kampf auf!«

Und dann hob Erna plötzlich die rechte Hand, zur Faust geballt, empor, machte einige Schritte auf Maria Russo zu, die bewegungslos, wie aus Stein gemeißelt, dastand und rief ihr zu:

»Sie haben einen Meineid geschworen, Maria Russo. Gott wird Sie dafür strafen. Doch nein, ich will nicht warten, bis die göttliche Geduld erschöpft ist, ich selbst werde die Vergeltung übernehmen.«

Im nächsten Augenblick hatte Erna den Gerichtssaal verlassen.



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