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2.

F ünf Jahre später saßen auf der Terrasse des Schlosses Baron Botho von Tresko und eine junge, schwarzhaarige Frau, deren Schönheit allerdings den Blütenschmelz des Frühlings schon abgestreift hatte.

Auf den Stufen, die von der Terrasse in den Garten hinuntergingen, spielten zwei Kinder. Es war ein achtjähriger Knabe mit blonden Locken, die ihm bis auf die Schultern herabfielen, dann ein dreijähriges Kind, ebenfalls ein Knabe, der aber ein wenig kränklich aussah, dessen von braunen Haaren umgebenes Gesicht schmal und eingefallen war.

Die beiden kleinen Wesen waren Söhne des Barons Tresko, aber sie besaßen nicht dieselbe Mutter.

Kuno, der Achtjährige, entstammte der ersten Ehe Treskos, der Kleinere war dem Baron von seiner zweiten Gattin geschenkt worden, mit welcher er seit nahezu vier Jahren verheiratet war.

Die zweite Baronin Tresko aber war keine andere als Maria Russo, die frühere Gesellschafterin Ernas.

Es war so gekommen, wie man es in der Gesellschaft schon lange vorausgesehen hatte.

Allerdings im ersten Jahr nach der vollzogenen Scheidung war Tresko sehr schwermütig und hatte sich so sehr von jeder Berührung mit der Welt ferngehalten, daß man meinte, der Unglückliche werde nie wieder zu einer zweiten Ehe schreiten. Man hatte ihn tief bedauert, denn Tresko war überall als ein guter Mensch bekannt. Aber allmählich sickerte doch das Gerücht durch, daß auf Schloß Tresko bald eine neue Herrin einziehen werde.

Der Baron hatte die schöne Rumänin als Hausdame angestellt, als die Repräsentantin auf dem Schlosse, und wer dort irgend etwas zu tun hatte, war auf sie angewiesen.

Sie ordnete und entschied alles mit der größten Umsicht und mit einer Klugheit, die den Angelegenheiten des Barons außerordentlich zugute kam. –

Die Dienerschaft im Schlosse liebte zwar die Rumänin nicht, aber sie gehorchte ihr, denn diesem Willen gegenüber gab es keinen Widerspruch, und wenn einmal jemand wagte, sich über Maria Russo beim Baron zu beschweren, wurde er von Tresko schroff abgewiesen.

»Ich will von nichts wissen, Fräulein Russo hat zu bestimmen,« pflegte der Baron zu sagen.

Trotzdem herrschte in der Gesellschaft berechtigtes Aufsehen, als eines Tages Anzeigen in die benachbarten Schlösser flatterten, welche von der vollzogenen Verlobung Baron Treskos mit Maria Russo Kunde brachten.

Gewiß, die Rumänin war schön, interessant, sie konnte einen Mann fesseln, aber man wußte nur wenig über ihre Vergangenheit.

Als aber Baron Tresko mit seiner jungen Frau, die er unmittelbar nach der Verlobung geheiratet hatte, seine Antrittsvisiten machte und als Maria mit ihrer unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit und vornehmen Art diejenigen für sich gewann, welche sie gewinnen wollte, da begriff man, weshalb Tresko sich zu dieser Verbindung entschlossen hatte.

Das war ja eine Frau von Geist, wie es schien, von der vornehmsten Gesinnung, keine Dame der Gesellschaft benahm sich besser als sie. Sie besaß einen wahren Sprachschatz, denn außer im Rumänischen verstand sie sich gewandt und geistreich im Deutschen, Französischen, Englischen und Italienischen auszudrücken,

Sie war außerordentlich belesen, in der Weltliteratur vollkommen zu Hause, und wie wenige Frauen vermochte sie sich an wissenschaftlichen und politischen Unterhaltungen der Männer zu beteiligen. Ihren Gatten schien sie innig, ja mit Leidenschaft zu lieben, und um dieser Liebe willen schob sie ihn immer in den Vordergrund, obwohl sie ihn an Geist und Wissen durchaus überragte.

So begann denn die Ehe unter den glücklichsten Auspizien.

Auf die bange Frage, welche einige Freunde aufwarfen, ob die zweite Gattin des Barons dem kleinen Kund eine gute Stiefmutter sein könne, antwortete Maria mit der größten Sorgfalt und Liebe, die man einem Kinde angedeihen lassen konnte.

Bald aber beschenkte die Rumänin ihren Gatten ebenfalls mit einem Sohne. Und nun trat doch nach und nach ein leiser Umschwung in der Gesinnung Marias ein.

Wer hätte es ihr schließlich verübeln können, daß sie sich mit echt mütterlicher Liebe und Pflege dem eigenen Kinde hingab, umso mehr, als dieses sie vollauf bedurfte.

Vom ersten Augenblick an war Marias Kind ein schwaches, hilfsbedürftiges Wesen, es dauerte lange, bis das Knäblein endlich auf seinen Füßen stehen konnte, und immer wieder mußte Doktor Aventin gerufen werden, um mit dem ganzen Schatz seines medizinischen Wissens für das Leben des Kindes einzutreten.

Nun war der kleine Hans von Tresko drei Jahre alt und die Eltern durften nach der Versicherung des Arztes glauben, daß das Ärgste überwunden sei.

Rührend war die Liebe des kleinen Kuno für sein Brüderchen. Er verzichtete auf seine eigenen Spiele, um Hans Gesellschaft zu leisten, schenkte ihm sein bestes Spielzeug, pflückte Blumen, wand Kränze und Sträuße für ihn, und wenn er einmal etwas besonders Gutes bekam, so konnte man sicher sein, daß er es heimlich dem kleinen Hans zusteckte.

Trotz alledem aber schien er die Gunst seiner Stiefmutter gänzlich verloren zu haben.

Nicht daß sie ihn etwa äußerlich vernachlässigt hätte, aber selten gab es für ihn ein freundliches Wort, und fast niemals ließ sie ihm Liebkosungen zuteil werden.

Das eigene Fleisch und Blut stand ihr näher, und ihr Schatz an Mutterliebe war vielleicht nicht groß genug, um die beiden Kinder in ihrem Herzen zu vereinen.

Das war Herrn von Tresko sicherlich nicht entgangen. Vielleicht war es der Grund, daß er im Laufe des letzten Jahres immer stiller geworden war, daß er öfter als früher die Jagdflinte über die Schulter warf und sich in den Wald begab, ohne aber am Abend mit irgend einer Beute heimzukehren.

Offenbar hatte er im grünen Revier auf die Jagdlust verzichtet und unter irgend einem Baume gelegen, um vor sich hinzuträumen.

Aber auch seinen Pflichten widmete er sich jetzt mit größerer Energie als früher.

Man hatte soeben das Mittagessen eingenommen. Der Kaffee war aufgetragen worden, und der Baron saß, eine Zigarre rauchend, Maria gegenüber auf der Terrasse. Beide beobachteten die spielenden Kinder.

»Lieber Freund,« sagte Maria plötzlich, »ich möchte eine Frage an Dich richten, die mir schon lange am Herzen liegt.«

Der Baron blickte auf.

»Welchen Gegenstand betrifft diese Frage?«

»Keinen Gegenstand, sondern eine Person, und zwar jene Unwürdige, von der Dich das Urteil des Gerichts befreit hat. Sie betrifft die Mutter Kunos.«

»Ich bitte Dich, Maria, nichts von ihr,« versetzte der Baron nervös. »Ich habe Dir doch ein für allemal verboten, über sie zu sprechen. Du kannst Dir wohl denken, daß Du damit für mich eine schmerzliche Erinnerung heraufbeschwörst.«

»Ich nahm an, daß die Wunde, welche Dir diese Elende geschlagen,« fuhr Maria fort, »für immer vernarbt ist. Es hat aber den Anschein, als hätte ich mich hierin geirrt«

»Vielleicht,« antwortete Tresko kurz.

Nun hätte Maria eigentlich schweigen oder das Gespräch auf ein anderes Thema lenken müssen, aber sie schien sich vorgenommen zu haben, diese Angelegenheit heute um jeden Preis zu erörtern.

»Hast Du im Laufe der letzten Jahre etwas von ihr gehört?« fragte sie.

»Weshalb willst Du das erfahren? Interessiert es Dich?«

»Ich dächte, daß ich ein Recht hätte, mich dafür zu interessieren.«

»Nun, dann will ich Dir Rede stehen,« fuhr Tresko fort. »Ich habe von Erna erfahren, allerdings nur indirekt, durch den Doktor Sänger nämlich, dem ich unlängst in der Stadt begegnete. Er fragte mich, ob ich schon gehört hätte, daß Erna nach England gegangen sei.«

»Ah, was sucht sie in England? Hat sie dort eine Stellung angenommen?«

»Sie hat wohl nicht nötig, eine Stellung anzunehmen, denn ich habe ihr ja damals fünfhunderttausend Mark ausgezahlt, und von den Zinsen dieses Kapitals läßt sich immerhin anständig leben. Aber Doktor Sänger setzte hinzu, daß Erna in der englischen Gesellschaft eine Rolle spiele, durch ihre Schönheit großes Aufsehen errege, und der Doktor will sogar erfahren haben, daß ein junger Lord sich stark für sie interessiere.«

»Was doch solche Frauenzimmer für ein Glück haben,« stieß Maria hervor. Das Wort Frauenzimmer aber hatte den Baron getroffen.

»Ich bitte Dich, liebe Maria,« sagte er, »wähle Deine Worte besser. Wir haben keinen Grund, Erna zu beschimpfen, und Du am allerwenigsten«

»Ah, wieso denn?«

»Nun, Erna hat Dir doch gewissermaßen Platz gemacht.«

»Platz machen müssen,« rief Maria mit häßlichem Lachen. »Hätte sie sich besser betragen, so wäre sie noch heute hier. Ich finde es aber eigentümlich, daß Du Deiner geschiedenen Frau das Wort redest und daß Du geneigt bist, ihr empörendes Benehmen zu entschuldigen.«

»Ich entschuldige es durchaus nicht,« fuhr Baron Tresko fort, »aber ich will Dir aufrichtig gestehen, oft denke ich darüber nach, ob Erna damals nicht Unrecht geschehen ist.«

»Unrecht? Hast Du denn den Mann, mit dem Erna Dich betrogen hat, nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen? Und habe ich Dir nicht geschworen, daß ich ihre Küsse und Zärtlichkeiten gesehen habe?«

»Durchs Schlüsselloch!« rief Tresko grollend aus.

»Ich finde, daß Du heute recht schlecht gelaunt bist,« erwiderte Maria und erhob sich. »Aber wo sind denn die Kinder hin?«

»Unten im Garten, am Springbrunnen sind sie,« antwortete der Baron. »Sie freuen sich an den Goldfischen, die ich ins Bassin gesetzt habe.«

In diesem Augenblick wurde Maria totenbleich und stieß entsetzt hervor:

»Ah, da haben wir's ja, Hans ist soeben in das Bassin gefallen. Kuno hat ihn hineingestoßen.«

Der Baron schnellte empor, lief die Treppe hinab und stand schon zwei Minuten später an dem Springbrunnen, dessen Wasser sogar einen Kind nur bis über die Knie reichte.

Mühelos zog er den kleinen Hans heraus.

»Es ist ihm nichts!« rief er Maria zu.

Aber seltsamerweise schien sich Maria viel weniger darum zu interessieren, wie es dem Kind gehe –– rasch stürzte sie auf Kuno zu, und ehe der Baron sie daran verhindern konnte, hatte sie dem Knaben einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht versetzt.

»Ich will Dich lehren, auf Dein Brüderchen aufzupassen,« schrie sie. »Regt sich schon die junge Natter? Sticht sie schon? Du bist ja sowieso der Ältere, der Majoratsherr derer von Tresko, weshalb willst Du Dein Brüderchen noch ertränken?«

Unter den dunklen, seidenweichen Wimpern des Kindes quoll keine Träne hervor. Er starrte die Stiefmutter nur entsetzt und verblüfft an.

Baron Tresko aber fuhr zornig auf seine Frau ein.

»Bist Du von Sinnen?« rief er. »Kuno war vollkommen unschuldig. Ich habe ganz genau gesehen, wie es sich ereignete. Hans war auf den Rand des Bassins geklettert und wollte eins der Goldfischlein erhaschen, Kuno versuchte ihn zurückzureißen, aber Hans biß und kratzte ihn, beugte sich dann tiefer ins Bassin hinein, verlor das Gleichgewicht und stürzte ins Wasser. Ich verbiete Dir ein für allemal, dieses Kind zu schlagen. Ich werde es unter keiner Bedingung dulden, und nun rufe die Wärterin! Sie soll Hans sogleich entkleiden und zu Bett bringen!«

Mit solcher Entschiedenheit und solchem Zorn hatte der Baron noch niemals zu seiner zweiten Frau gesprochen. Maria wagte keine Erwiderung, aber sie wurde blaß bis in die Augenwinkel hinein.

Sie entfernte sich zugleich mit der Wärterin, welche das Kind nach dem Hause trug.

Tresko aber beugte sich über seinen Erstgeborenen, strich ihm zärtlich über das blonde Haupt und sagte zu ihm:

»Sei ruhig, Kuno. Mama war sehr erschrocken und aufgeregt, sie wird Dich gewiß nicht wieder schlagen.«

Im Garten tauchte eine hagere Gestalt auf. Es war Doktor Aventin, der Hausarzt und besondere Günstling Marias.

Ein sehr einnehmendes Äußere besaß dieser Mann nicht. Aber er war als ungemein tüchtiger Arzt in der ganzen Gegend bekannt und hatte sehr einschmeichelnde Manieren. Seine Haare waren an den Schläfen bereits stark ergraut.

Maria, welche inzwischen die Terrasse erreicht hatte, wartete auf den Arzt, und Botho sah die beiden lebhaft miteinander sprechen.

Als der Baron ein wenig näher trat, wollte er seinen Ohren nicht trauen, als Dr. Aventin sagte:

»Ja, ich muß leider gestehen, ich habe in der letzten Zeit beobachtet, daß der Knabe Zeichen von Anormalität gibt. Ich will nicht gerade sagen, daß er geisteskrank ist, aber er kann es sehr leicht werden. Man wird ihn in eine tüchtige Kur nehmen müssen.«

Und als Botho jetzt näher herantrat und seinem Erstaunen Ausdruck gab, erwiderte der Doktor:

»Ich glaube, Kuno ist von seiner Mutter her erblich belastet. Sie wissen ja selbst, daß Ihre erste Gattin sehr exzentrisch war, Herr Baron. Für mich stand es fest, daß jenes Vorkommnis, welches Anlaß zu Ihrer Scheidung gegeben hat, auf einem anormalen Fühlen der Frau beruhte. Nun, wie gesagt, wir müssen den kleinen Burschen scharf beobachten, ich werde ihm auch eine Medizin verschreiben, welche blutverbessernd wirken kann.«

»Ich werde aber diese Medizin nicht nehmen,« rief Kuno trotzig aus. »Ich habe Dich nicht lieb, Doktor, und ich weiß, daß Du mich auch nicht lieb hast.«

»Haben Sie gehört, Herr Baron,« fuhr Aventin fort. »Wie kann ein so junges Kind so sprechen, wenn es nicht krank ist?«

Der Doktor und Maria verschwanden hinter der Glastür des Hauses, Botho ging mit langsamen Schritten durch den Garten. Er war tief traurig, nicht so sehr wegen des Ausspruchs des Arztes, den er nicht für richtig hielt, sondern er dachte über das häßliche Benehmen seiner Frau und über den ganzen Verlauf seiner Ehe mit Maria nach. –

Daß er sich von Erna hatte scheiden lassen, das bereute er auch jetzt nicht, denn er hatte den Schandfleck auf dem Ehrenschild derer von Tresko ausmerzen müssen, aber weshalb war er nur auf den unglücklichen Gedanken gekommen, so rasch eine Nachfolgerin Ernas zu suchen und weshalb hatte er gerade Maria Russo gewählt?

Doch, wenn er darüber nachdachte, mußte er sich gestehen, daß es eigentlich wie von selbst gekommen war.

Maria hatte es verstanden, ihn allmählich sanft einzuspinnen, sie hatte damals alles getan, was sie ihm an den Augen absah, und sie hatte eine eigene Art, ihre körperlichen Reize in ihren Dienst zu stellen. Aber erfüllt hatte sie seine Hoffnungen nicht.

Sie war in der Ehe launisch geworden, herrisch, und was die Hauptsache war, und darüber konnte sich der Baron nicht täuschen, sie war dem kleinen Kuno keine gute Mutter geworden. An ihrem eigenen Kinde hing sie mit fanatischer Liebe, während sie Kuno immer mehr und mehr von sich zurückdrängte.

Tresko wußte, was an ihrem Herzen fraß: der Gedanke, daß Kuno einst Majoratsherr werden würde, und Hans als später Geborener in einem beschränkten Maße erbberechtigt sei.

Für eine Mutter vielleicht ein begreiflicher Kummer, dem aber nicht abzuhelfen war. Denn da sprach das Gesetz.

Während dieser unfreundlichen Erwägungen war er bis zu der Mauer gelangt, welche den Garten nach rückwärts begrenzte.

Hier erhob sich eine von wilden Rosen fast ganz eingehüllte Laube. Da weilte Botho von Tresko gern, suchte sie immer auf, wenn es eine Meinungsverschiedenheit mit Maria oder gar einen Streit gegeben hatte.

Auch heute streckte sich der Baron auf dem Ruhebett der Laube aus, schloß die Augen und versuchte zu schlafen. Und wirklich, es dauerte nicht lange und er verfiel in einen tiefen Schlummer.

 

Plötzlich erwachte er durch ein Geräusch, das in seiner unmittelbaren Nähe hörbar wurde. Er hob ein wenig den Kopf, öffnete die Augen und – was war das? – äffte ihn der Traum, der soeben durch seine Seele gegangen war?

Denn vor seinen Augen, die im Schlafe ruhten, hatte das Bild Ernas gestanden, und jetzt – drei Schritte von ihm entfernt, stand dieselbe blonde Gestalt, die er im Traume gesehen.

Er ließ das Haupt auf das Polster zurücksinken und wollte wieder die Augen schließen. Da sah er, wie die Gestalt den Schleier emporhob, und nun erblickte er das Gesicht seiner ersten Frau ebenso schön wie in den Tagen ihrer höchsten Schönheit, wenn auch etwas bleich und abgehärmt.

Und jetzt vernahm er ihre Stimme:

»Kennst Du mich?« fragte sie in durchdringendem Tone.

Da sprang Tresko auf.

»Unglückselige, wo kommst Du her?« schrie er. »Weißt Du denn nicht, daß alle Bande zwischen uns durchschnitten sind? – Doch halt, Du bist vielleicht in Not. Erkläre Dich, von vornherein bin ich erbötig, Dir zu helfen!«

Ein verächtliches Lächeln umspielte die Lippen der schönen blonden Frau.

»Glaubst Du, ich bin als Bettlerin gekommen?« sagte sie. »Nein, ich bedarf Deiner Hilfe nicht. Etwas anderes ist es, was mich zu Dir führt.«

Tresko warf einen schnellen Blick durch die Tür, um sich zu überzeugen, ob Maria nicht in der Nähe war. Denn ein Zusammentreffen der beiden Frauen fürchtete er. Er wußte, daß Maria dieser Unglücklichen gegenüber sich nicht beherrschen könnte, und eine Szene von elementarer Gewalt ausbrechen würde, wenn sie jetzt erschiene.

»Ich bitte Dich, fasse Dich kurz,« sagte Tresko »Wenn es also Not nicht ist, was Dich zu mir führt, was ist es dann?«

»Die tiefste Sorge um mein Kind ist es,« lautete die Antwort.

»Du kannst ruhig sein, Dein Kind ist gut aufgehoben bei uns.«

»Bei Dir wäre es ganz gewiß gut aufgehoben, nicht aber bei der Frau, die Du ihm zur zweiten Mutter gabst, bei jener Elenden, die mich durch einen Meineid aus dem Hause getrieben hat.«

»Maria hat keinen Meineid geschworen,« antwortete Tresko ruhig, aber seine Stimme begann unsicher zu werden, als er sagte, daß Maria dem kleinen Kuno bisher eine gute Mutter gewesen.

»Das ist nicht wahr, sie haßt ihn,« schoß es wie ein Pfeil von den Lippen Ernas. »Ich weiß es, daß sie ihn haßt.«

»Wie kannst Du darüber etwas wissen?«

»Nun denn, ich werde Dir Beweise geben. Ich habe gesehen, wie die Rumänin meinen Sohn eben am Springbrunnen behandelt hat. Und gestern, während Du auf der Jagd warst, hat dieses elende Weib den kleinen Kuno eine ganze Stunde lang auf Erbsen knien lassen, und zwar wegen eines ganz geringfügigen Vergehens. Das geschah in der Ecke des Schlafzimmers, und während das arme Kind vor Schmerzen wimmerte, liebkoste die Schändliche ihren Sohn, den Krüppel, der einst das Zerrbild eines Tresko werden wird.«

Der Baron stand wie vom Donner gerührt.

Er erinnerte sich jetzt mit Bestimmtheit daran, bei seiner Rückkehr einzelne Erbsen im Schlafzimmer Marias gefunden zu haben. Er hatte gefragt, wie die Erbsen ins Zimmer kamen, und Maria hatte ihm geantwortet:

»Da frage nur Deinen kleinen Kuno. Er hat sie hereingeschleppt, obwohl ich es ihm streng verboten habe.«

»Wenn Du an meinen Worten zweifelst,« fuhr Erna fort, »so frage Dich doch, weshalb Kuno heute lange Strümpfe trägt, während er sonst immer in kurzen Socken geht. Nimm Dir die Mühe, Deinem Sohn die Strümpfe herabzuziehen und Du wirst die Wundmale sehen, die sich in die Knie des armen Kindes eingegraben haben.«

»Barmherziger Gott, woher weißt Du das alles?« stieß Tresko hervor.

»Ja, Du siehst, daß sich die Frau, die Du damals für unfähig hieltest, ihren Sohn zu erziehen, mehr um ihn annimmt als die andere, Würdigere,« antwortete Erna. »Aber tu nur so weiter, laß Deinen Sohn weiterhin von seiner Stiefmutter mißhandeln, und aus Kuno wird ein schlechter, zumindest scheuer Mensch werden. Ich habe jedoch keine Lust, das abzuwarten, deshalb fordere ich Dich noch einmal auf, Baron Botho von Tresko: gib mir mein Kind zurück.«

Sie stand hoch aufgerichtet vor ihm da, nicht wie eine Bittende, sondern wie eine Fordernde, und jedes ihrer Worte fiel wie ein Hammerschlag auf Tresko nieder.

Aber bald hatte sich Botho gefaßt.

»Was Du verlangst,« sagte er mit fast unterwürfig klingender Stimme, »das ist unmöglich, Du mußt es einsehen, denn hier handelt es sich um einen Beschluß des Gerichts. Im übrigen kannst Du versichert sein, daß ich Kuno fortan scharf beobachten werde und desgleichen meine Frau.«

»Diese Frau kannst Du nicht beobachten,« kam es scharf von den Lippen Ernas zurück, »weil sie Dich beherrscht, denn Du hast diesem erbärmlichen Geschöpf Rechte gegeben, welche ich nie von Dir zu beanspruchen gewagt hätte. Sie ist die Tyrannin Deines Hauses geworden, nur noch ein paar Jahre so weiter, und sie wird eine Geißel sein für Dich und ihre ganze Umgebung. Und weil ich meinen Sohn nicht von ihr zugrunde richten lassen will, erhebe ich noch einmal meine Stimme, aber diesmal bittend, flehend: Gib mir mein Kind zurück, und wenn Du Kuno einst wiedersehen wirst, dann wirst Du stolz sein auf Deinen Sohn.«

»Botho, Botho, wo bist Du,« erklang eine Stimme vom Hause her. »Doktor Aventin will sich von Dir verabschieden.«

»Doktor Aventin,« sagte Erna, »mißtraue auch diesem Manne. Erinnere Dich immer meiner Mahnung, laß ihn möglichst wenig über Deine Schwelle kommen oder noch besser, nimm Dir einen anderen Arzt.«

»Weshalb? Was bedeutet diese Warnung?«

»Ich spreche nicht, wenn ich nicht beweisen kann. Aber zwischen diesem Dr. Aventin und Deiner Frau besteht ein geheimes Einverständnis. Glaube nicht, daß ich verleumden will oder gekommen bin, um mich zu rächen. Ich bin ja nur da, um mein Kind wieder in die Arme zu schließen, es mit mir fortzutragen in ein Leben, in welchem es sich besser entwickeln wird. Ich beschwöre Dich, Botho, überlasse mir meinen Sohn.«

»Unmöglich,« preßte der Baron hervor, »Du forderst Dinge, die ich nicht erfüllen kann.«

Dann hörte der Baron plötzlich einen dumpfen Fall, und als er aufblickte, sah er Erna vor sich auf den Knien liegen.

»Steh auf, Unglückliche,« rief er, »verweile nicht länger hier!«

Er hob sie empor, sie wankte, von ihm gestützt, dem Ausgang der Laube zu.

»Nun wohl, so vollziehe sich das Verhängnis,« sagte sie. »Aber erinnere Dich meiner. Unser Kind wird nicht heranwachsen, die Hand des Verhängnisses schwebt über ihm und wird es zu Boden drücken, tiefer und immer tiefer bis ins Grab hinein. Botho, ich beschwöre Dich, weiche nicht von der Seite Kunos, behüte ihn vor den Gefahren, die ihm drohen, sei Du sein guter Engel, der, wie man sagt, jedem Menschen beigesellt ist.«

»Das verspreche ich Dir, Erna,« stieß der Baron hervor.

Auch er hatte jetzt plötzlich das Gefühl, als wäre Kuno von tausend Gefahren umgeben.

Erna aber schritt der Gartenmauer zu und war so schnell den Blicken Bothos entschwunden als sie gekommen war. Auch der Baron verließ nun die Laube. Aber er hatte noch nicht fünf Schritte getan, als Maria vor ihm stand.

Das Gesicht der Rumänin war fahl, ihre Augen von einem häßlichen Feuer erfüllt.

»Wer war bei Dir?« rief sie. »Ich sah ja ein Weib von Dir fortschleichen, ein Weib mit dichtem Mantel und Schleier?«

»Du mußt Dich geirrt haben,« stieß der Baron hervor. »Ich habe keine Frau im Garten gesehen.«

»Wirklich nicht? Nun, dann habe ich bessere Augen als Du. Aber das eine sage ich Dir: läßt sie sichs einfallen, noch einmal vor Dich hinzutreten, bei Gott, dann töte ich sie.«

Und während sie diese Worte sprach, funkelten ihre Augen wie die eines Raubtieres oder zumindest wie die eines Weibes, das diese grauenvolle Drohung wahrzumachen imstande wäre.



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