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Vom letzten historischen Stil.

Zum Vollendetsten, was im XVIII. Jahrhundert deutsches Fürstentum im schöpferischen Drang absolutistischer Selbstherrlichkeit hervorgebracht hat, gehört unstreitig die Würzburger Residenz. Das Mannheimer Schloß ist weitläufiger angelegt und Dresden hat üppigere Beispiele des zeitgenössischen Stils; aber eine so hohe harmonische Einheitlichkeit und endgültige Abgeschlossenheit wie im Schloß zu Würzburg wird sich keine zum zweitenmal in Deutschland finden. Hier ist nichts Fragment geblieben, hier spricht nichts von unzureichenden Mitteln und Kräften, von einem Mehrwollen als Können, hier ist alles sauber vollbracht bis auf die letzte Einzelheit, und das Ganze steht da wie aus einem Guß.

Die Fassade gehört zu den einfachsten und erfreulichsten, die der Barockstil geschaffen hat, und ohne die zopfigen Aufsätze von Trophäen und anderem Schnickschnack auf den Kranzgesimsen, die, von Frankreich herüber gekommen, alle deutschen Barockbauten chinesisch verunzieren, müßte man sagen, daß selbst in Italien, innerhalb dieses Stils, nichts Edleres und Vornehmeres existiert.

Ja, indem ich sage »innerhalb dieses Stils«, darf ich nicht einmal jene Zöpfe und Aufsätze beanstanden, die eben doch eine seiner Eigentümlichkeiten ausmachen, welcher allerdings die Italiener, mit ihrem Gefühl für die Wirkung der großen ungebrochenen Horizontale, am längsten widerstanden sind, während wir Deutschen, mit unserer chinesischen Vorliebe für Gipfelung, Zipfelung, Zöpfelung – wie unser abscheulicher Villenstil seit den siebziger Jahren beweist – natürlich mit vollen Händen darnach gegriffen haben.

Wenn ich König von Bayern wäre, würde ich ... Ach was, Unsinn! Nichts würde ich wegnehmen lassen. Nichts, was schöpferische Zeiten uns vermacht haben, würde ich antasten. Auch nicht die zopfigen Aufsätze, wenn ich auch noch so sehr schwärmte für die ungebrochene Horizontale klassischer Architektur. Es ist schon genug, daß frühere Könige (meine Vorgänger, wenn ich König von Bayern wäre) ungeschickt genug gesäubert und z. B. die Kolossalgruppen von den Pfosten des großen Ehrenhofs heruntergenommen und entfernt haben, es weiß kein Mensch warum.

Diese beiden vortrefflichen Bildwerke stehen jetzt in den städtischen Anlagen und sind deren schönste Zierde. Und sind zugleich zwei ungeheure Fragezeichen durch alle Zeiten. Denn immer und immer wird man sich bei ihnen fragen, wie es nur möglich war, so was aus seinem architektonischen Zusammenhang zu reißen und damit nicht nur seiner wichtigsten Bedeutung zu berauben, sondern zugleich noch einen großen architektonischen Gedanken zu verderben und zu verstümmeln. Ewig werden sie, die kolossalen Bildgruppen, zwei kolossale und wie ich glaube höchst kompromittierende Fragezeichen sein.

Im Ganzen hat man in Würzburg gut konserviert. Dies gilt auch vom Garten, und es gilt in noch höherem Grad vom Garten von Veitshöchheim dem besondern Gegenstand dieser Betrachtung.

* * *

Die beiden Anlagen, die Würzburger wie die Veitshöchheimer, stehen an Ausdehnung weit hinter andern zurück. Schwetzingen, Nymphenburg, Schleißheim – um nur bei dem einen Hause Wittelsbach zu bleiben – sind imposantere Schöpfungen, die ihrem direkten Vorbild, dem Garten von Versailles, in manchem Betracht nahe kommen. Die Würzburger Gärten darf man damit gar nicht vergleichen. Ihnen fehlt das Wesentliche einer Barockanlage, der weite Plan, die große Ebene.

Der König von Neapel verließ alle Märchenwunder und allen Linien- und Farbenzauber des Golf und des Posillipo und ging in die einförmige Capuanische Ebene hinaus, um dort sein Casserta zu schaffen.

Und bei allen großen Barockschöpfungen handelt es sich, in mehr oder weniger drastischer Form, um denselben Vorgang. Die Fürsten von Würzburg wollten keine Ebene aufsuchen oder hatten keine in ihrem Land und so erhielten ihre Gärten notwendig einen besondern Charakter, dessen Wesen darin besteht, daß sie, was ihnen an Weite des wirklichen Plans und an Vorspiegelung von Unendlichkeit mittelst Linienperspektiven abgeht, durch Reiz und Reichtum im Einzelnen zu ersetzen suchen, sich also, ob sie wollen oder nicht, dem Stil der ältern Renaissanceanlagen nähern. In der Tat denkt man zu Würzburg und Veitshöchheim weit eher an die Villa Medici zu Rom, an die Villa d'Este zu Tivoli oder an den Giardino Bobolo zu Florenz als an die spätern reinen Barockschöpfungen zu Versailles oder Casserta. Aber während in jenen berühmten Renaissance-Gärten die Skulptur schon durchaus unter den Barockstil fällt, gehört die von Würzburg diesem Stil schon wieder nicht mehr an. Hier bedarf es einer kleinen Ausholung.

Es gibt nicht oft zwei Begriffe, die im gemeinen Sprachgebrauch so viel miteinander verwechselt werden oder doch so viel fortwährend ineinanderfließen, ineinanderschillern wie die Begriffe Barock und Rokoko. Und doch ist, was sie in richtiger Anwendung bezeichnen, etwas so Verschiedenes, etwas so klar sich Unterscheidendes, daß man über die ewige Verschwommenheit der Begriffe sich wundern muß.

Wie aus dem Barock das Rokoko entstanden ist, gehört zu den größten Wundern der Kunstgeschichte.

Und zwar ist es nicht, wie so oft obenhin angenommen wird, ein fortwirkendes einheitliches Gesetz, das der ganzen Entwicklung von der Renaissance her zu Grunde liegt; sondern das Prinzip, unter dem die Rokoko-Metamorphose sich vollzog, ist gerade das entgegengesetzte von dem, das in der Fortbildung der Renaissance ins Barock wirksam war.

In dem letztern Fall war der Vorgang, wenigstens nach der Seite hin, die uns hier interessiert, nach der dekorativen Seite hin, folgender: Ein aus bürgerlichem Geist und religiöser Empfindung erwachsener Kunstbetrieb, hält sich in bürgerlichen Schranken, bevorzugt mußige Verhältnisse, liebt kleine Winkel, liebt das Detail, aber will beides so schön als möglich, so geschmückt und geziert als möglich, und da man gerade die antiken Schmuckformen wieder neu entdeckt zu haben glaubte und sich daran förmlich berauschte, so widmete man ihnen nicht nur die liebevollste, ja man kann sagen die seelenvollste Behandlung im Einzelnen, sondern man mochte auch nichts mehr ohne sie sehen, und man brachte sie überall an, oft auch wo sie nicht hingehörten.

Was bei den gotischen Völkern (wenn man so sagen kann) um dreihundert Jahre früher zu so üppiger Blüte trieb – wo die Italiener nur erst mit ungeschicktem Stammeln dabei waren – das vollzog sich jetzt, wenn auch nicht ganz so reich, aufs neue in Florenz und durch Florenz in ganz Europa. Beste Illustration dazu: die toskanischen Bilder des Quattrocento nebst dazu gehörigen gemalten und gemeißelten Rahmen, florentische und sienesische Grabmäler und Altäre derselben Schule, die vatikanischen Loggien und anderes.

Dieser Stil hielt nicht lange an. Indem das künstlerische Schaffen bald mehr von einem fürstlichen Sinn und Geist als von einem bürgerlichen beherrscht wurde und man mehr durch Großzügigkeit der Verhältnisse und die Wucht und Harmonie der Massen zu wirken trachtete, mußte das schmückende Beiwerk zurückstehen. Seine ganze Zierlichkeit, Sinnigkeit und Innigkeit, sein selbsteigenes seelisches Leben hatte bei den neuen Aufgaben, die man anstrebte, keinen Zweck mehr. Nur noch mit Wirkung auf weithin, auf das große Ganze hin, durfte es gelten.

Ein liebevolles Durcharbeiten der Formen, wie deren Zierlichkeit, Gefälligkeit und organische Logik überhaupt, war jetzt viel weniger wichtig als wirkungsvolle Profilierung mit entsprechenden Schlagschatten. Es mußte also das schmückende Beiwerk nicht nur in seiner Ausdehnung beschränkt, sondern auch in seiner Ausführung vergröbert werden.

Mit Notwendigkeit, möchte man sagen, wurde es immer gröber und roher. Und in dem Augenblick, wo der Barockstil, ah Architektur, in malerischer Harmonisierung der Massen und Wucht der Gesamtrhythmen noch auf höchster Höhe stand, war bereits die Verrohung des Details und besonders der Schmuckformen auf einem Grad angelangt, wie er in der Kunstgeschichte noch nicht da gewesen war.

Man schmückte am liebsten überhaupt nicht mehr mit Formen, sondern mit Materialien. Die Kostbarkeit oder auch nur die vorgetäuschte, die erlogene Kostbarkeit der Materialien galt höher als künstlerische Form. Beste Illustration dazu: die meisten römischen Kirchen und Paläste nebst Innendekoration.

Hier ist in Italien die Entwicklung der Kunst stecken blieben.

* * *

Aber in nördlicheren Ländern tat sie, bevor sie überhaupt wieder neue Wege einschlug, auf dem beschriebenen Weg noch einen Schritt weiter.

In Versailles wurde dieser Schritt gemacht. Der französische Esprit offenbar ist sein Vater, und die französische Galanterie scheint seine Mutter zu sein. Zu Pate stand Ludwig XV. der Roi bien-aimé, der auf den Roi soleil gefolgt war. Die Patin wird auch nicht gefehlt haben, ich glaube sie hieß Madame Pompadour.

Aber was ist damit gesagt? Wir stehen hier einfach vor einem Mysterium, vor einem der geheimnisvollsten Vorgänge der Kunstgeschichte.

Wahrlich, wie aus den verluderten Formen, wie aus dem rohen Materialismus des Barock das bezaubernde Spiel der Rokoko-Dekoration entstehen konnte: diese kapriziösen und scheinbar gesetzlosen Rhythmen von Linien, die – obwohl sie ihren Ursprung aus dem Anarchismus aller Formen nicht verleugnen können, auch allem Naturorganismus ins Gesicht schlagen und ihre wenigen Motive ins Unendliche wiederholen, ohne sie sonderlich zu variieren – uns doch immer entzücken, uns nie langweilen und die bei allem Getändel, das sie kokett zur Schau tragen, in Strenge und Solidität der Ausführung hinter den Leistungen keines Stils, nicht einmal der Gotik zurückstehen; wahrlich ich weiß nichts Erstaunlicheres.

Ich weiß auch keine andere Erklärung dafür als die, daß in dem neuen Stil, den wir im weitesten Sinn Renaissance nennen, den der italienische Genius der Gotik entgegengesetzt und womit er über die Alpen hinaus bis auf den heutigen Tag ganz Europa beherrscht hat, daß in diesem so fremden Stil, sobald er im Kern seiner Seele schwach geworden war, der nordische Geist, der Geist der Gotik plötzlich erwacht und zu neuem reichem Leben auferstanden ist, was eben auch nur diesseits der Alpen, nie aber im Süden möglich war.

Andere Formen sind es freilich. Aber derselbe Geist ist es. Und das XVIII. Jahrhundert, wenn es nicht von allem Geist der Historie und der Vergleichung verlassen gewesen wäre, hätte sein Rokoko erkennen müssen als seine Gotik, als eine moderne und eine höfische Gotik, als eine Gotik nicht mehr des schwärmerischen Gemüts, sondern des frei gewordenen und ausgelassenen Geistes, als eine Gotik der libertinage im guten, im moralischen Sinn des Wortes.

Man hat diesem Stil gegenüber von mangelndem Ernst, von oberflächlicher Spielerei, von Frivolität gesprochen, mit anderen Worten, man hat seine rein ästhetischen Werte mit moralischen Maßstäben gemessen, welche Lächerlichkeit!

Man darf auch gar nicht sagen, daß es sich allein um einen Dekorationsstil handelt. Eine neue Architektur hat er allerdings nicht geschaffen. Aber das hat im Grund das Barock auch nicht getan. In allen andern Künsten aber hat das Rokoko in hohem Grad schöpferisch gewirkt: am wenigsten günstig vielleicht im Tanz, aber entzückend, ja weltüberwindend in der Musik, mit Rossini, Haydn, Mozart; in weit schwächerem Maße in der Skulptur, aber triumphierend in der Malerei, in der französischen Malerei, die ihm ihre höchste nationale Blüte verdankt und in der, wie in der Mozartschen Musik, die leichte und lichte Grazie dieses Stils in ewiger Unsterblichkeit hinleuchtet über die ebenso unsterbliche aber weniger liebenswürdige Menschheit.

* * *

Um den Hauptgedanken zu wiederholen: Aus höchster Verrohung des Details erwuchs, unter dem Einfluß einer bis zum Raffinement verfeinerten Gesellschaft, ein neues Dekorationssystem von höchster Zierlichkeit und Grazie, das bald die Stilgesetze aller Kunst bis in die Wurzel hinein beeinflußte.

Im Garten der Residenz zu Würzburg ist diese Wandlung bereits vollzogen. Anstelle des Barock ist das Rokoko getreten. Die großen Linienperspektiven (die Unendlichkeitsvorspiegelungen) fehlen, das Wiederklingen der Hauptbaulinien in den konstruktiven Linien des Gartens ist nicht mehr oberstes Prinzip. Dafür ist das so lang vernachlässigte Detail wieder in seine Ehren eingesetzt und hat wieder – wie in der Frührenaissance und der Gotik, nur in anderer Sprache – für sich etwas zu sagen.

In den reinen Barockanlagen sind die Marmorbilder so gestellt, daß sie, von den Hauptpunkten aus und von weither gesehen, wirksame Akzente in der Architektur des Gartens bilden. Das ist ihre Aufgabe. Wenn sie das erfüllen, ist ihr Daseinszweck erreicht. Für sich gesehen, wollen sie nicht viel bedeuten; ihr Bildwert ist gering, wenn nicht ganz null, und oft genug wirken sie komisch. Es ist dann, als ob sie sich schämten. Sie wollen nicht für sich gesehen sein. Aber aus Marmor müssen sie sein, oder wenigstens als Marmor angestrichen, um als architektonische Akzente weithin zu wirken.

So verhält es sich, innerhalb des Barockstils, auch bei der Architektur an sich.

Wenn Bernini auf seinen Kolonaden am Petersplatz Hunderte von Heiligen aufstellt und wenn andere auf dem Kranzgesimse ihrer Fassade dasselbe tun, so kümmert sich kein Mensch mehr um diese Statuen an sich, sie sind keine Bilder mehr, sondern nur noch Architekturteile; ihre bloßen Massenverhältnisse und Silhouettengliederungen sind wichtiger als die Durcharbeitung der Form, die darum notwendig vernachlässigt wird, womit denn der Vergröberung und Verrohung das Tor geöffnet ist. Sie haben alle Einzelbedeutung eingebüßt. Sie sind nur noch Choristen. Nur noch der Zusammenklang ihrer Stimmen ist wichtig; was jeder Einzelne singen mag, darauf hört kein Mensch mehr. Denn was sie singen, ist Begleitung, die Melodie ist ihnen abgenommen.

Und ebenso ist es in der Malerei desselben Stils. Seitdem man am liebsten die höchsten Gewölbe und Kuppeln mit Tausenden von Gestalten bedeckte, mußte die einzelne Gestalt nach und nach allen individuellen Wert einbüßen und künstlerisch lüderlich werden. In der Frührenaissance hatte die Einzelgestalt manchmal zu viel selbständige Bedeutung, im Barock hat sie gar keine mehr.

Das Rokoko aber, das, nicht ohne Zusammenhang mit dem französischen Bedürfnis geistreichen Plauderns, aus der prunkvoll-kalten Weiträumigkeit des Barock heraus sich nach warmen, lauschigen Winkeln sehnte, mußte auch der Einzelgestalt wieder Wärme und Leben geben.

Damit war der Kreis von der Frührenaissance her geschlossen. Nur sprach man freilich jetzt eine andere Sprache. Damals hatte sich bürgerlicher Geist und bürgerliches Gehaben natürlich ausgedrückt; jetzt sehnte sich eine raffinierte Hofgesellschaft nach Schäferlichkeit. Das war nicht durchaus Verlogenheit, wie man lange meinte. Die Sehnsucht war echt, wenn ihr auch ein großes Mißverständnis zugrunde lag. Auch der Sehnsucht Rousseaus lag ein großes Mißverständnis zugrunde, aber es liegt auf der Hand, daß sich hier das Rokoko bereits mit der Romantik berührt.

In unsern ewigen Kreisläufen des Lebens ist nichts Ende, das nicht zugleich Anfang wäre.

Das Rokoko ist die Ueberwindung des Barock durch Germanen und Gallier – durch den Geist der Gotik. Man muß diesen Stil nicht darnach beurteilen, wie er sich in bäuerlich-schluddriger Behandlung in vielen deutschen Kirchen darstellt. Hier ist er oft geradezu karikiert. Er wirkt dann, wenn ich mich derb ausdrücken soll, wie ein vornehmer Tanz von besoffenen Bauern aufgeführt.

Aber deutsche Schlösser gibt es eine große Anzahl, wo er seiner höchsten Feinheit, die allerdings auf französischem Boden zu suchen ist, wenigstens sehr nahe kommt. Und soweit speziell die Gartenkunst in Betracht steht, hat Deutschland, dessen Schöpfungen durchaus jünger sind als die französischen, sogar die zahlreichsten und besten Beispiele. Ich kenne kein klassischeres als den Residenzgarten zu Würzburg und kein in tollster Uebertreibung lustigeres als den Lustgarten des benachbarten Veitshöchheim, jener aus der ersten, dieser aus der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts stammend.

* * *

Gerade um ein Gefühl davon zu bekommen, wie das Rokoko nicht nur die Arabeske, sondern auch die Figur mit seinem Geist durchdrungen und der Einzelgestalt wieder Leben und Seele – und feinste Ausführung zurückgegeben hat, braucht man nur den Würzburger Residenzgarten zu besuchen. Man muß aber unterscheiden zwischen den einzelnen Leistungen. Die großen Gruppenwerke z. B. in der Nähe des Fischbeckens, wie der Raub der Europa und ähnliches stehen unter Einflüssen, die außerhalb des Rahmens dieser Betrachtung fallen. Reiner im Stil und weitaus bedeutender ist das Zwergen- und Kindervolk, das den ganzen Garten belebt, das sich bald zwischen den geschorenen Laubgängen versteckt hält, bald frei sich auf den Staffelgeländern und den Balustraden der hohen Terrasse herumtreibt, das, entweder nackt oder in zierlicheleganten Rokokokostümen, außerdem daß es schmückt und belebt, noch dazu alles Mögliche vorstellt oder doch vorstellen soll: die vier Jahreszeiten und die vier Kardinaltugenden; die sieben Todsünden und die sieben Planeten, die sieben freien Künste und die siebenundzwanzig unfreien Gewerbe, und was weiß ich noch alles.

Von diesem allegorischen Sinn (und zum Teil Unsinn) mag man ganz absehen. Nicht darin liegt ihre Bedeutung. Er ist nicht ihre Seele. Er ist nur eine Maske sozusagen, deren sich die lustigen Kinder bedienen, um einen neckischen Fasching auszuführen. Aber nicht die Rollen, die sie spielen, machen sie uns interessant und liebenswert, sondern ihre einfache lebendige Gegenwart, ihre liebenswürdige Kindernatur, voll von Schalkhaftigkeit und Laune, ihre Feinheit und Grazie in jeder Gestalt und Bewegung.

Es sind Kunstwerke. Ihren Rang zu bestimmen? Sie sind erfreulich, das genügt.

Leider sind sie lang nicht mehr alle im Original vorhanden; viele sind längst verwittert und durch Kopien ersetzt. Einigen, scheint mir, bin ich im Münchner National-Museum wieder begegnet, und es sollte mich nicht wundern, wenn man die herzigen Kinder überall gern aufnehmen und beherbergen möchte; so schön wie im Residenzgarten zu Würzburg sind sie nicht überall gewachsen.

Und doch ist in diesem Garten etwas, das man fast noch mehr bewundert als diesen reichen Figurenschmuck: die durchgängige ornamentale Bearbeitung des Steins durch die ganze weite Anlage.

Da gibt es keine Treppenstufe, keinen Gliederungspfosten der Treppengeländer und der weitläufigen Balustraden, keinen Sockel für Statue oder Urne, keinen Mauergesimsstein, und vor allem keine Bank, die nicht durch den graziösen Linienschwung des Rokoko und durch reiches, minutiös ausgeführtes Ornament ins Gebiet der Kunst gehoben ist.

Die schmiedeeisernen Tore dieses Gartens, teils im üppigsten Rokoko, teils in einer höchst pikanten Verschmelzung dieses mit »Empire«, sind mit Recht längst weltberühmt. Die gedachten Steinskulpturen sind dagegen ganz unberühmt. Sehr mit Unrecht. Denn steinernen Gartenbänken von so reicher künstlerischer Arbeit und Schönheit wie die zu Würzburg und Veitshöchheim bin ich, in welchem Stil es auch sein möchte, noch in keinem Garten der Welt begegnet. Kein Florentiner Bildhauer des Quattrocento, kein noch so eifriger Gotiker hat einem geringen Gegenstand mit mehr Innigkeit und Hingabe das Schönheitssiegel seiner Kunst aufgeprägt, als wir es hier sehen. Da geh' einer hin und sehe es, und rede mir noch von Rokoko im moralisch abwertenden Sinne!

* * *

Veitshöchheim liegt anderthalb bis zwei Wegstunden von Würzburg entfernt. Wenn man über die Steinsburg auf dem Steinsberg (wo der berühmte »Bocksbeutel« wächst) und dann über eine Talschlucht hinweg, am Rand eines Kiefernwaldes hin, auf einen hohen Wartturm zugeht, braucht man bis zum Schloßgarten vielleicht gegen drei Stunden, macht aber auch eine der schönsten Exkursionen, die bei Würzburg möglich sind.

Ich habe oben Würzburg ein klassisches und Veitshöchheim ein tolles Beispiel von Rokokoschöpfungen genannt. In der Tat könnte man sagen, daß sich dieser Stil in Veitshöchheim (wie es ihm noch öfter vorgekommen ist) geistig übernommen hat und närrisch geworden ist.

In Würzburg hat offenbar ein in hohem Grad künstlerischer Geist (etwa der ältere Neumann, der Erbauer des Schlosses) eine einheitliche, innerhalb des Stiles nur irgend mögliche Schönheit angestrebt und hat zu seinem Zweck die talentvollsten Künstler auszufinden gewußt. Er hat, was er anstrebte, vollkommen erreicht. Der Garten ist, trotz seines verhältnismäßig geringen Umfangs, des Schlosses würdig. Und die geringe Flächenausdehnung ist eigentlich ausgeglichen durch die mustergültige Anlage der hohen, sich weit hinstreckenden Terrasse, die in Deutschland ihres gleichen nicht hat und die sich wohl mit der berühmten Terrasse der Villa Medici in Rom vergleichen läßt. Die vielen glücklichen Ausblicke von dieser Höhe, in deren Bau sich entschiedener Renaissancegeschmack (mitten im 18. Jahrhundert) fühlbar macht, lassen die mangelnde Weitspurigkeit des Ganzen vergessen, bei der das entzückende Detail, die sorgfältig liebevolle Ausführung des Kleinen und die Verinnerlichung der Einzelerscheinung – also die Hauptvorzüge und Eigentümlichkeiten des Gartens sich wohl schlecht würde vertragen haben. Fehlt auch jede läppische Spielerei, die in den Anlagen dieses Stils so häufig sind, ja die selbst in dem sakrosankten antiken Pompeji oft genug vorkommen.

Veitshöchheim wurde in demselben Geist wie Würzburg angelegt. Ein großer Teil der Skulpturarbeit, besonders das ornamentale der Bänke, Treppen, Balustraden, auch einzelne Statuen, stehen durchaus auf der Höhe der Würzburger Leistungen, und die Künstler sind wohl die gleichen in diesen Fällen, da wie dort.

Dann aber kommt rasch der Verfall. Die Tollheit bricht in die Gärten der Schönheit, noch dazu die gelehrte Tollheit. Da ist es aus mit der Schönheit. Der Sinn möchte an ihre Stelle treten; doch öfter ist es, ästhetisch gesehen, der Unsinn.

Historisch mag die Sache so verlaufen sein:

Der eigentlich kunstschöpferische Fürst, Karl Philipp von Greifenklau, starb. Auch sein großer Baumeister, Johann Baltasar Neuman, folgte ihm bald nach. Der neue Fürst, Adam Friedrich von Seinsheim, war zwar kein kunstfeindlicher Mann, setzte auch das Werk seiner Vorgänger fort; aber er war, so scheint es allem nach, ein Kunstfreund ohne eine Künstlernatur zu sein. Er liebte die Kunst, »liebte« in Anführungszeichen, hatte aber kein innerlich eigenes Kunstbedürfnis keine eingebornen Kunstinstinkte. Derartige Freunde sind der Kunst gefährlicher als ihre schlimmsten Feinde, die sich als solche geben.

Seinsheim war ein Mann der Aufklärung, der Philosophie und der Philosophien, der rationalistischen Religionsdeutung; ich glaube, er war in seinem Innersten ein Voltairianer, mit protestantisch-deutscher Färbung. Er gehört unstreitig zu den besten Fürsten Würzburgs. Aber gerade die »besten« Fürsten, wie ja auch die besten Menschen sind oft genug schlechte »Musikanten«.

»Während aber Ludwig der Vierzehnte, schreibt ein neuerer königlicher Bauamtmann, seine Gärten mit die Sinnlichkeit erweckenden Steinbildern ausstattete, griff Seinsheim zur Philosophie, ging auf Plato zurück, und hauchte seiner Schöpfung eine Seele ein.

Ob nun Seinsheim wirklich in seinem Garten all die Philosophien, Kosmogonien, Mythologien und Religionen symbolisieren und allegorisieren wollte, die die Beschreiber des Gartens (der genannte Bauamtmann und der gelehrte Kerch, Dechanatspfarrer zu Veitshöchheim) mit einem geradezu schwindelerregenden Aufwand von Gelehrsamkeit in die Dinge hinein interpretieren, das ist sehr die Frage. Denn unser rein sinnliches und unphilosophisches und ungelehrtes Verhältnis zur Kunst sträubt sich ein wenig gegen »die feste Ueberzeugung« ... »daß in dem Garten die erhabene Idee des Wesens und des Wirkens eines Mittlers in der Gestalt der Platonischen Weltseele und in seiner Beziehung zu den Einzelseelen niedergelegt ist ...«

Eines aber leuchtet unserem ungelehrten Künstlerverständnis wohl ein: daß wir es hier mit einem fürstlichen Kunstförderer zu tun haben, dem auch in der Kunst – er hätte kein Rationalist sein müssen – der Begriff mehr galt als die sinnliche Erscheinung und der in spiritualistischer Verkennung der Sache, das Leibliche der Kunst gegen ihr Seelisches durchaus verachtete und jeder Mißhandlung preisgab.

Was bei einer solchen Auffassung und Behandlung der Kunst herauskommt, dafür gibt es mehrere Beispiele. Und eines der Eklatantesten ist allerdings der Garten zu Veitshöchheim. Die Einzelbilder in diesem Garten – von früheren guten abgesehen – sind samt und sonders lächerliche Karikaturen. Viele, und gerade solche, die das Ernsteste und Heiligste vorstellen sollen, gehen bis zur äußersten Komik und erreichen manchmal einen Grad des Grotesken, der, gewollt, genial zu nennen wäre. Diese Sphinx soll einmal einer ansehen und nicht lachen.

Der hohe Genius der Kunst wurde hier beleidigt durch Mißhandlung seines eigensten Wesens als welches die sinnliche Erscheinung ist und nicht der Begriff; er hat sich gerächt, er hat den steifen Ernst des Begriffs der Lächerlichkeit überantwortet.

Ich habe mit Enthusiasmus von den Steinbänken im Residenzgarten zu Würzburg gesprochen, auch hier in Veitshöchheim stehen, aus der altern Zeit, gleich gute; vergleicht man damit dann jüngere Sachen, besonders Vasen und ähnliches, von Figürlichem hier nicht zu reden, so erschrickt man, bis zu welchem Grad von Roheit und Gemeinheit die bewunderungswürdige Kunst in so kurzer Zeit sinken konnte.

Alle zartesten Blüten vergehen schnell. Nur die einzige Gotik hat in einem verhältnismäßigen Hochstand fast zwei Jahrhunderte gedauert.

* * *

Der Veitshöchheimer Verschönerungsverein wird nun freilich mit dem letzten Teil meiner Darstellung sehr wenig zufrieden sein. Und da hat er vollkommen recht.

Er hat aber auch Recht, wenn er überzeugt ist, in seinem Schloßgarten ein seltenes Kleinod zu besitzen, wert, von weit her besucht und bewundert zu werden. Ich bin der letzte, der ihm hierin widerspricht. Auch auf diesem verwilderten (vom philosophischen Geist gespenstisch gemachten) Rokoko liegt, besonders wenn man es im Großen Ganzen nimmt, noch ein Abglanz früherer Grazie – und Heiterkeit, ganz abgesehen von der, die uns, ungewollt, in so reichem Maße drein gegeben wird und für die wir doch ebenfalls dankbar sein müssen in einer so überernsten Zeit wie der heutigen.

Und dann hat in dem Garten mit der Zeit eine Künstlerkraft mitgearbeitet, die der Gründer der Sternwarte und des Volkschullehrerseminars, genannt Adam Friedrich von Seinsheim, nicht bezahlen und nicht beeinflussen konnte: die webende Natur. Sie hat den Statuen darin ein Kleid gewoben, das selbst die häßlichsten fast schön macht. Sie hat das Ganze in Farben getaucht und eine Stimmung darüber gelegt, daß es der genialste Landschaftsmaler nicht besser gemacht hätte. Und wenn der Garten heiter ist, heiter bis zur Tollheit durch die unfreiwillige Komik stümperhafter Bildner und die Schrullen eines kunstfremden Kunstmäcens: durch die göttliche Patina eines kunstfremden und gleichgültigen Jahrhunderts ist er schön.

Er ist es besonders jetzt im Herbst.

Die Gestalten der Kaskade gehören auch als Plastik zum Besten im Garten; aber die hohe Schönheit, die dem Ganzen verliehen ist durch das wundersam farbige Geflecht von Moos und Algen und Schlingpflanzen, durch die das Wasser in Tropfen rieselt, die Statuen selbst von der Natur farbig damit zusammengestimmt: daneben kommt der eigentlich plastische Wert der Gruppe wenig in Betracht.

Und erst der Pegasusfelsen im großen See. Wie das Ganze heut wirkt, können wir ohne Mühe den komischen Aufputz der Neun Musen, können wir auch die gemeinen Gesichter dieser himmlischen Damen übersehen. Die Natur hat diese Parties honteuses gnädig überdeckt. Die Farben sind auch hier die Hauptsache geworden. Die Farben, die Lichter, die Reflexe. So ist es eine große Schönheit. Selbst das Wasser des Sees hat eine Patina, eine schönere als die schönste Bronce. Wer wird daran denken, daß der Pegasus da droben eigentlich eine plumpe Bestie ist! Das Ganze ist ein Zauber.

Aber deswegen wird der Garten nicht zu einem Hymnus. Er ist und bleibt ein komisches Gedicht. Und er stimmt uns mehr zum Lachen als zur Andacht.

Seines Schöpfers kann man darum doch in Dankbarkeit gedenken. Auch in Heiterkeit – bei allem Respekt. Der oben zitierte Bauamtmann stimmt freilich andere Töne an. »Osiris-Dionysos«, schreibt er, »ist das Vorbild aller Herrscher ... Gute Regenten nehmen sich mit Vorliebe Dionysos zum Vorbild. Der Kirchenfürst, der den Garten schuf, der ihn beseelte, war ein Menschenfreund, ein Beglücker seiner Untertanen, er verdient mit Dionysos verglichen zu werden; er selbst hielt sich wohl und zwar mit vollstem Recht für einen Dionysos. Diese Idee verbarg er aber bescheiden in seinem Innern.«

Wenn man sogar von längst verstorbenen Fürsten so redet!

Aber wir sind ja doch in dem Garten der unfreiwilligen Komik.

Und manch Einer denkt da an – einen andern »Osiris-Dionysos« ...


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