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Der Deutsche Künstlerbund.

Seine erste Ausstellung in der Münchener Sezession. 1904.

Wie heißt es bei Anselm Feuerbach? »Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen und haben wir keine Kunst, so haben wir doch ein Künstchen.« So ähnlich muß sich der Deutsche Künstlerbund trösten. Konnte er keine Ausstellung in St. Louis machen, so wurde ihm dafür eine solche in München ermöglicht. Um so besser für München! Das ist keine Frage. Aber wichtigere und ernstere Fragen gibt es hier.

Auf die Einzelheiten jener Vorgänge, wodurch es in unerhörter Weise den ersten deutschen Künstlern zur Unmöglichkeit gemacht wurde, auf der großen Weltausstellung als Repräsentanten der deutschen Kunst aufzutreten, soll heute nicht zurückgegriffen werden, sie sind bekannt genug; und überdies gibt es in diesen letzten Zeiten so viel der Ursachen und Gelegenheiten zur Mortifikation patriotischer Hochgefühle, daß man vielleicht nicht unnötig an schmerzhaften Wunden herumtasten soll. Ja, wenn man ausreichende wundärztliche Befugnisse und Wagnisse haben könnte, um dem Schaden mit Feuer und Eisen auf den Leib zu rücken ... Aber, die Zeit tut's auch, glauben Sie nur. Der Esel geht langsam aber sicher.

Einstweilen ist Herr von Werner der Mann und behauptet das Feld.

Und, wie es scheint, nicht mit Unrecht. Seine Widersacher sind offenbar nichts als Lumpe und Neidhämmel. In einer großen Münchner Zeitung, die künstlerischen Fragen und Interessen aus lokalen wie aus persönlichen Gründen näher steht als die meisten ihrer Schwestern, läßt ein Schreiber unter dem Strich folgende Sätze los: »Und nun meldet man uns aus St. Louis mit ziemlicher Uebereinstimmung, und zuverlässige Beobachter, die drüben waren, bestätigen es, daß sich die Amerikaner von der offiziellen Kunst Deutschlands à la Anton von Werner ganz unheimlich imponieren lassen. Das eigentliche ästhetische Verständnis ist ihnen noch nicht aufgegangen, und so halten sie sich an das Stoffliche, an die militärischen Repräsentationen, die ihnen als das spezifisch Deutsche gelten. Ob sie das auch aus unserer modernen Malerei schon herausgefunden hätten ..., das ist sonach höchst fragwürdig.«

So der Schreiber unterm Strich in der ersten Zeitung der Kunstmetropole München. Also laßt uns auf den Knieen danken der hohen Vorsehung, die es in ihrer unergründlichen – einst unergründlichen, jetzt aber durch den zitierten Schreiber ergründeten Weisheit verhindert hat, daß in St. Louis statt Herrn von Werner oder auch nur neben Herrn von Werner jene Künstler zu Wort kommen konnten, die sich dann wie ungezogene Knaben zu dem berüchtigten Deutschen Künstlerbund zusammenzutun die Frechheit hatten. Sie hätten Deutschland nur kompromittiert vor diesen kindlichen amerikanischen Gemütern, denen, allen samt und sonders, und ganz im Gegensatz zu den Deutschen »das eigentliche ästhetische Verständnis noch nicht aufgegangen ist«, so daß sie sich am rein Stofflichen halten müssen. Die armen Amerikaner ... nein halt, die glücklichen Amerikaner! – ich denke an die ungezählten Quadratmeter Leinwand des Herrn von Werner.

Jener Schreiber belehrt uns weiter: »Wir erhalten«, fährt er unmittelbar fort, »immer und immer wieder die Lehre, daß unsere deutsche Kunst nur insoweit Erfolg hat, als sie deutsche Werte (à la Werner?) bringt, d. h. Werte, welche die andern nicht haben ...«

Schmeichelhafter Zusammenhang! Deutschland hatte in neuerer Zeit zwei Künstler, Feuerbach und Marées, sie besaßen leider einiges, was auch »andere« schon besessen hatten, etwa die Italiener; ich sage einiges. War das nicht ein Verbrechen gegen das Deutschtum, und hatten die Deutschen darum nicht recht, diese Künstler zu zwingen, – wie der neueste deutsche Kunsthistoriker sagt –, sich selbst lebendigen Leibes zu verzehren?

* * *

Die Ausstellung am Königsplatz gab ein bedeutendes Bild vom künstlerischen Schaffen Deutschlands. Auch gar kein einseitiges. Wo neben den Brutalitäten eines Corinth, den Raffiniertheiten eines Slevogt, den Virtuositäten eines Liebermann die stille altmeisterliche Art eines Karl Haider, die humoristischen Phantasieen eines Hengeler, die kindlichste Naivität eines Thoma zu Wort kommen darf; wo neben den genialen Schrullen des Baron von Habermann und des Albert von Keller die bescheidene deutsche Meisterlichkeit eines Sohn-Rethel und Rudolf Riemerschmid und die berückenden venezianischen Nachklänge eines Ludwig von Zumbusch zusammentreffen; wo die rauschende Chromatik eines Schramm-Zittau die stille Weise eines Toni Stadler und der derbe Pleinairismus eines Trübner, die zage Märchenhaftigkeit eines Vogeler nicht ausschließt; wo man neben dem erstaunlichen malerischen Können der Samberger, Exter und Herderich, der Breyer und Philipp Klein die hochgesteigerte Schwarzkunst eines Greiner und Graf-Freiburg und die symbolischsatirische Plakatmanier eines Th. H. Heine genießen kann usw. usw.: da kann gewiß von Ausschließlichkeit des Programms keine Rede sein, da ist im Gegenteil der Grundsatz, daß jeder nach seiner Fasson selig werden möge, mit leuchtenden Lettern an die Wand geschrieben. Und vielleicht ist da die Frage nicht unberechtigt, ob der Bund überhaupt ein künstliches Programm hat und ob die Zugehörigkeit zu ihm nicht viel mehr von Zufälligkeiten als von künstlerischen Richtungen und sachlicher Zusammengehörigkeit abhängt?

Einige Tendenzen prinzipiell künstlerischer Natur, wodurch sich die Ausstellung am Königsplatz von der des Glaspalastes unterscheidet, springen allerdings sofort in die Augen. Unverkennbar ist, daß die Ausstellung des Bundes in erster Linie pädagogische und erst in zweiter Linie merkantile Zwecke verfolgt, daß demgemäß, bei aller noch so weitgehenden Liberalität gegen die heterogensten Richtungen und Persönlichkeiten, unerbittlich alles abgewiesen wird, hinter dem, nach der Ueberzeugung der Leiter, gar keine künstlerische Richtung und gar keine künstlerische Persönlichkeit steckt: alles, was nur Marktware ist, was auf alle möglichen Instinkte, nur nicht auf künstlerisches Verständnis spekuliert, was jede Förderung, nur keine künstlerische anstrebt, und daß, in weiterer Befolgung dieses Prinzips, das suchende Tasten einer billigen Fertigkeit, ja das weniger gute oder auch gar nicht gute Charakteristische einer oft viel besseren höheren Mittelmäßigkeit mit verwischtem Charakter vorgezogen wird. Das ist, sage ich, als Tendenz deutlich sichtbar. Daß die Tendenz auch durchgehends zur Tatsache geworden ist, sage ich nicht. In allen menschlichen Unternehmungen menschelt es. Ueberall werden persönliche Rücksichten die sachlichen durchkreuzen. Und daß Berühmtheiten den unberühmten Bessern gern im Wege stehen, ist einmal ganz unvermeidlich in dieser unvollkommensten aller Welten.

Aber allen Mängeln zum Trotz ist es und bleibt es eine große Errungenschaft, daß die bezeichnete Tendenz unser modernes Ausstellungswesen, soweit es sezessionistisch beeinflußt ist, in so hohem Grade charakterisiert. Dieses Verdienst der Sezessionen wird man ihnen nicht leicht streitig machen können. Ihr größtes und schönstes aber ist, daß sie zum Deutschen Künstlerbund geführt haben. An diesem – wenn er seine Mission erfüllen soll – ist es nun, die Sezessionen abzulösen. Aber nicht nur. Sein »Vaterland« muß größer sein. Muß weiter sein. Muß freier sein. Und diese Forderungen sind in der Hauptsache noch zu erfüllen.

Man braucht nur vom Königsplatz nach dem Glaspalast zu gehen, um die Notwendigkeit dieser Forderungen zu empfinden. Es ist einmal Tatsache: der Glaspalast ist, mit Recht oder Unrecht, nach und nach immer mehr in Verruf gekommen. In gewissen Kreisen bekommt man den Eindruck, als ob sich die Leute schämten, vom Glaspalast überhaupt nur zu reden. Viele gehen gar nicht mehr hin. Und doch war gerade wieder dieses Jahr viel Bedeutendes dort ausgestellt. Bei so vielen Künstlern, denen man hier begegnet, ja bei ganzen Gruppen hat man das Gefühl, daß ihnen ein Unrecht geschieht, hierher »verbannt« zu sein. Und der Unbefangene fragt sich: warum sind die nicht im Künstlerbund; warum tun die sich nicht, auch in ihren Ausstellungen, zusammen mit der Elite der deutschen Künstlerschaft, wozu sie doch gehören; warum trifft man die in Gesellschaft der Kitschmaler, der Industriellen und der Unmündigen?

Wenn man früher, als es die Sezession gab, diese Frage an einen der Betreffenden richtete, da hieß es: man kann uns nicht zumuten, daß wir von der Gnade des ... oder des ... (und da wurden berühmte Namen genannt) abhängen und uns jede Behandlung gefallen lassen sollen. Es schien in der Tat manchmal, als ob die ganze Sezession nur dazu da sei, um dem Prestige von dem und jenem allein zu dienen, und die auffallende Begünstigung Einzelner war nicht immer mit künstlerischen Gründen zu rechtfertigen. Es wurden, wenn auch nur heimlich, seltsame Dinge gemunkelt.

Gegen die diesjährige Ausstellung aber unter der Aegide des Deutschen Künstlerbundes wird nicht leicht eine derartige Verdächtigung das Haupt erheben: auch der Voreingenommenste wird kaum den Schein einer Parteilichkeit entdecken können. Warum sollte also nicht vereinigt werden, was dieses Jahr noch äußerlich getrennt, in seinem künstlerischen Streben aber eins ist? Erst wenn der Deutsche Künstlerbund alle schätzbaren Kräfte des künstlerischen Schaffens, welchen Richtungen sie angehören mögen, in sich vereinigt und diese Vereinigung in seinen Ausstellungen zum Ausdruck bringt, ist sein Name voll berechtigt; er darf sich der Tendenz nach Allgemeinheit nicht entschlagen.

* * *

Wie die Dinge heute in Deutschland liegen, ist der Künstlerbund sogar nicht ohne politische Bedeutung, und wer weiß, welche Rolle ihm noch vorbehalten ist. In dem »Kampf um St. Louis« hat er zwar seine Sache an die äußerliche Macht verloren; aber die moralische Niederlage war wahrhaftig nicht auf seiner Seite.

Das ist noch sehr gelinde gesagt. Denn ein Gegner, der sich lächerlich macht, das ist ein eigentümlicher Sieger. Gibt es aber etwas Lächerlicheres und Blamableres als gewisse Seiten in dem amtlichen Katalog der Ausstellung des Deutschen Reiches in St. Louis? Die Sache ist derartig grotesk, wenn man sie erzählt bekäme, würde man sie nicht glauben; wenn man sie liest, traut man seinen Augen nicht. So ironisch ist die Weltgeschichte nicht jeden Tag. Man sollte meinen, das sei ein Fressen für die Zeitungen, in deren Spalten die Langeweile zu dieser Jahreszeit noch etwas offener gähnt als zu anderen Zeiten; aber zur Stunde, da ich dieses schreibe, ist mir noch keine vorgekommen, die von dieser sehr lustigen Sache Notiz genommen hätte.

In dem genannten amtlichen Katalog des Deutschen Reiches hat zur Abteilung der bildenden Künste Lichtwark eine Einleitung geschrieben, und von allen Künstlern, die Lichtwark in seiner Einleitung einer Charakteristik und Würdigung für wert hält, hat ein Einziger, Moritz Geyger, in St. Louis tatsächlich ausgestellt. Dieser amtliche Katalog des Deutschen Reiches nennt z. B. als hervorragendste Vertreter der deutschen Kunst Leute wie Dietz, Dill, Hildebrand, Ludwig v. Hofmann, Liebermann, Olde, Kalckreuth, Klinger, Messel, Stuck, Thoma, Tuaillon, Uhde, Volkmann ... Und von allen zusammen ist keiner auch nur mit einem Werk in St. Louis vertreten.

So also macht das Deutsche Reich Kunstausstellungen im Ausland, und solche Kataloge läßt es dazu schreiben. Nein, so ironisch ist die Weltgeschichte nicht jeden Tag.

Ist es demnach zu viel behauptet, daß der Deutsche Künstlerbund berufen scheint, neben seiner besonderen Aufgabe, unbewußt und ungewollt, zugleich eine politische Mission zu erfüllen und keine geringe, und hat er nicht davon bereits etwas erfüllt; sind nicht bereits durch ihn und sein Auftreten böse Dinge in ein Licht gerückt worden, das sie auf die Länge vielleicht doch nicht ertragen können; und sind nicht durch all das bereits allgemeine Resultate erzielt, sind nicht bereits Gewissen aufgerüttelt und geschärft und trübe Augen ausgewischt worden?

Ich überlasse das Nachdenken über diese Fragen und ihre Beantwortung dem Leser. Ich komme nur noch einmal darauf zurück: dieser Bund kann nicht allgemein genug werden. Und wenn dann seine Ausstellungen einen etwas andern Charakter annehmen als seine diesjährige erste, in dem Sinne, daß diese Ausstellungen dann neben den Bildern, wie eben die Ausstellungen sie brauchen können, einen größeren Prozentsatz solcher Bilder bringen, wie eine allmählich wohlhabende und einer höheren Kultur gern sich rühmende Nation fürs Haus brauchen kann, so wird dies, wenn die Bilder nur zugleich gute Malerei sind, vielleicht kein Rückschritt sein.


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