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Von Botticelli, wenn ich nicht irre, ist jenes wegwerfende Urteil über die Landschaftsmalerei: daß es anmaßend wäre, etwas ein Kunstwerk zu nennen, was dadurch zustande gebracht werden kann, indem man einen mit Farben getränkten Schwamm an die Wand wirft.
Dieses Urteil wurde gefüllt in einer Zeit, wo die Malerei aus einem gewissen Naturalismus heraus sich zu einem höheren Stil emporrang. Denn gerade die landschaftliche Natur, mit Berg und Tal, mit Baum und Busch, Gewölk und Gewässern, schien in ihrem Reichtum ewig variierender Verhältnisse fast von der Willkür beherrscht zu sein und strengen Stilgesetzen die wenigste Handhabe zu bieten, während die menschliche Gestalt, wie jene ein Stück Natur, aber stabil in ihren Proportionen und nach dieser Richtung alle Willkür ausschließend, die strengen tektonischen Gesetze, denen man zustrebte, geradezu herausfordern und auf alle Weise begünstigen mußte.
Dies der tiefere Grund, warum allen Italienern jenes stillschaffenden Jahrhunderts die Landschaft mehr oder weniger verdächtig war und warum sie, wo sie Raum um den Menschen herum schaffen wollten, der Architektur den Vorzug gaben vor der Landschaft, die sie am liebsten nur unter der Bedingung zuließen, daß sie sich bereits selber den Gesetzen der Architektur unterworfen hatte und Gartenlandschaft geworden war.
Je strengere Stilisten jene Künstler waren, desto ausschließlicher hat das Gesagte für sie Geltung. Das belehrendste Beispiel ist Mantegna. In seinem großen Bild im Louvre ist die »Landschaft« zur reinen Architektur umgebildet. Ebenso streng zeigt sich der große Bellini. Ich erinnere an sein Bild in den Uffizien, die Madonna auf der Terrasse. Von dem jungen Leonardo gilt das gleiche. Man denke an die Verkündigung in dem genannten Palast. Und man vergleiche damit auch das Abendmahl des Ghirlandajo in San Marco. Ein Kerl wie Signorelli scheint die Landschaft überhaupt nicht zu kennen.
Ihre detaillierte Behandlung gar findet sich höchstens bei solchen Künstlern, deren Schöpfungen in der stilbildenden Tätigkeit des Jahrhunderts wenig mitzählen. Nur einer hat eine naturalistisch gewollte Landschaft gemalt, so ziemlich der roheste Realist unter den Florentinern, jener Baldevinetti in seiner Taufe Christi im Vorhof der Annunziata zu Florenz. Das Bild ist ein Unikum für seine Zeit. Auch ein sozusagen Genremaler wie Lorenzo di Credi würzt gern seine wenig bedeutenden Kompositionen – besonders in den kleinen Bildchen im dritten toskanischen Saal der Uffizien – mit landschaftlichen Fernsichten, die ihm fast zur Hauptsache werden.
Auch die naiveren Realisten, wie ein Pinturicchio oder Benozzo Gozzoli, mehr lustige Draufloserzähler als tiefe Poeten, lassen, im Quattrocento, der Landschaft einen weiteren und freieren Raum. Und auch diese geben der Zypresse, mit ihrem strengen fast geometrisch regelmäßigen Bau, den Vorzug vor allen Bäumen, und sie geben dieselben, im Gegensatz zu den dargestellten Menschen, mit äußerster Vereinfachtheit und aller Individualität entkleidet. Noch weiter geht später Raphael. Seine Bäumchen sind Abstraktionen, die sich nirgends in der Natur finden.
Es ist also, wenigstens für das Quattrocento, das Gesetz zu konstatieren: daß ein stark hervortretender Realismus in der Darstellung des Menschen und seiner häuslichen Umgebung und eine fast peinlich strenge Stilisierung der Landschaft Hand in Hand gehen. Einer der stärksten Reize jener Bilder beruht auf diesem Gesetz.
Welch ein Weg von diesem Zustand der Dinge bis an den Punkt, wo die Landschaft, die naturalistische Landschaft mit Haut und Haar, ausschließlicher Gegenstand der Mehrzahl aller Bilder und das vornehmste Ziel gerade der stärksten Talente geworden war.
Langsam, Schritt vor Schritt, wurde dieser ungeheure Weg gemacht. Einen starken Anstoß dazu gab die nordische, sagen wir die deutsche Kunst. Dann die Venezianer des Cinquecento. Salvator Rosa, Rubens und die Holländer, Elsheimer, Poussin und Claude bezeichnen die Höhepunkte in der klassischen Zeit. Watteau im XVIII. Jahrhundert ist ihr Fortsetzer in einer nur intimeren Tonart. Turner und Constable aber leiten hinüber ins XIX. Jahrhundert und den modernen Naturalismus. Sie sind Vorläufer und zum Teil Vorbilder nicht nur der Schule von Fontainebleau sondern bis herunter auf die letzten Modernen.
Was der Landschaftsmalerei des XIX. Jahrhunderts gemeinsam ist und was sie zugleich unterscheidet von der aller früheren Jahrhunderte, das ist ihr Ernstnehmen und Schwernehmen des Gegenstandes. Der Gegenstand an sich ist ihr heilig, dreimal heilig. Mit einer wahren Liebesraserei stürzt sie sich auf ihn und zieht sie aus auf seine Eroberung. Ihre Adepten kennen nur einen Glauben, den Glauben an den Gegenstand. Darüber, des geliebten Gegenstandes habhaft zu werden, scheinen sie alles andere zu vergessen. Und nichts scheuen sie, nicht Hitze noch Kälte. Und in Rausch und Jubel brechen sie aus, wenn sie ihm immer näher zu Leibe rücken, immer neue ungeahnte Intimitäten an ihm aufdecken und uns zeigen können. Ja, sie scheuen nicht davor zurück, ihn zu sezieren, vielmehr ihn in seine Elemente aufzulösen. Diese halten sie für seine Seele. Was sonst Mittel war, schien auf einmal Zweck geworden. Und wenn man auch von Einzelnen unter ihnen, mit denen der Genius im Bunde, sagen mag, daß sie in ihrem dunkeln Drange, dem rechten Weg von weitem zustrebten, vom großen Haufen gilt die Wahrheit, daß er vor dem Gegenstand, vor dem Mittel, vor der Natur, das vergaß, worauf es doch allein ankam, nämlich Wesen und Bedeutung des Kunstwerks.
Man glaubte, oder man suchte, erfolgreich mit der Natur zu wetteifern, der Natur näher zu kommen als je, und man hielt das für Kunst. Aber man kam weiter als je von der Kunst und ahnte es nicht.
Womit allein die Kunst bestehen kann, der Stil und seine Gesetze, darum kümmerte man sich am wenigsten. Erst nach und nach besann man sich wieder darauf, das Bedürfnis nach Stil erwachte allmählich wieder.
Man weiß genau, was im literarischen Kunstwerk Stil ist: nämlich nicht, wie es die Schulmeister definieren, die mehr oder weniger richtige Anwendung der Grammatik, sondern innerhalb der einen für alle gleich bindende Grammatik, die Ausdruckweise wodurch sich einer vom andern unterscheidet, wozu auch gehört, was einer von einem Dinge sagt und was er nicht sagt. Also Offenbarung einer Persönlichkeit innerhalb der Zeichnung eines Dinges, das ist Stil. Er ist darum überhaupt nur starken Persönlichkeiten möglich.
Denn wenn es auch wahr ist, daß ausnahmslos jedes Individuum das Ding auf seine eigene, von andern verschiedene Art sieht, so folgt daraus noch lange nicht, daß diese Unterschiedenheit stark genug sei, um auch andern als solche zu erscheinen, auch nicht, daß sie immer, bei jeder Aeußerung, in Uebereinstimmung mit sich selber sei, also einen Charakter habe und definiert werden könne. Nur wenn die eigene Art (oder Eigenart) in diesem Sinn stark genug ist und zugleich in Verbindung mit mehr als gewöhnlichen (mit ungewöhnlichen) Ausdrucksmitteln auftritt, wächst aus ihr der persönliche Stil.
Die äußeren Dinge sieht jeder; der Künstler aber in höherem Sinn abstrahiert sich von den äußeren Dingen ein eigenes inneres Bild. Dieses stellt er dar. Je deutlicher es ihm vor dem innern Auge stand und je größer es erfaßt war, um so mehr Stil wird seine Darstellung haben. Das Streben nach Stil ist deshalb ein Streben nach Freiheit vom Gegenstand, nach Herrschaft über den Gegenstand. Stil ist etwas der Natur entgegengesetztes, ist das der Natur entgegengestellte. Es ist derselbe Gegensatz wie Geist und Natur. Vom Künstler aussagen, er habe Geist, will sagen, er habe Stil.
Etwas anderes ist Witz; manchmal, in niedern Regionen, ein angenehmes Anhängsel, im ganzen aber das gefährlichste Gift für alle Kunst.
Wir pflegen, wenn wir die großen Perioden des Kunstschaffens im Geiste durchdenken, bald von einem strengern, bald von einem freieren Stil zu reden. Was wir dabei beurteilen ist das Verhältnis von Geist und Natur. Je mehr der Geist die Natur beherrscht, doch nicht so, daß er sie tötet, sondern vielmehr, daß er ihr ein höheres Leben verleiht, indem er selber, der Geist, ihrem Körper zur Seele wird, um so mehr, um so strengeren Stil werden wir einer Kunst zusprechen.
Es muß aber der Geist sein; wo die Schablone die Natur beherrscht und vergewaltigt, das ist nicht dasselbe.
Wenn man von einem schlechten Künstler sagt, er habe die Natur vernachlässigt, oder nicht respektiert, oder malträtiert, so ist das eine mißverstandene oder doch leicht irreführende Ausdrucksweise. Nicht die Natur, die Kunst, seine Kunst hat er vernachlässigt, hat er nicht respektiert, hat er malträtiert, und jene Ausdrucksweise will auch gar nichts anderes sagen. Wenn dem Künstler nur seine Kunst heilig ist, ist jede Bedingung erfüllt.
Aber die Natur? Ja; sie ist ja die conditio sine qua non seines Schaffens. Er muß sie lieben, wie er sich selbst liebt, wie er sein Schaffen liebt. Conditio ist sie ihm, Bedingung Voraussetzung, Mittel. Aber eben nicht Zweck.
Zweck ist allein die Kunst, das Werk, die neue zu schaffende Welt. Und wie dieser Zweck sich ausspreche, darauf kommt allein alles an.
Die Kunst muß wissen was sie will. Wo sie sich kein anderes Ziel setzt, als der Natur mit ungeordneten Begierden zu Leibe zu rücken, da ist sie ein Irrtum über sich selber.
Wir könnten in dieser Beziehung klarere Begriffe haben, wenn wir nicht durch so lange Zeit ganz einseitig die griechische Kunst – und noch dazu in ihren schlechtesten Aeußerungen – als einzige Offenbarung des Heils angesehen hätten, statt die ägyptischen, assyrischen und byzantinischen Stile in ebenso ernste und unbefangene Betrachtung zu ziehen.
Es gehört gewiß viel Können dazu, z. B. eine Lilie fein naturalistisch zu malen, mit allem Schmelz ihrer Blumenblätter, mit all den feinen Unregelmäßigkeiten ihres regelmäßigen Baues, mit dem ganzen durchscheinenden Leben ihres inneren und äußeren Gewebes und umspült von Luft und Licht: gewiß, es gehört etwas dazu. Aber, was herauskommt, ist eine tote Sache. Kaum ein Schmetterling kann sich darüber täuschen. Je mehr der Maler der Natur nahe gekommen scheint, desto offener klafft der Abgrund, der ihn von ihr trennt, desto fataler ist die Wirkung.
Ein ganz anderes Ding ist das: In der Lilie eine Bewegungs- und Formtendenz, die die Natur in ihr angedeutet, aber zugleich wieder mit nur ihr eigentümlichen Reizen versteckt hat, herauszufühlen, nackt herauszulösen und klar zu umreißen, mit einem Wort eine stilisierte Lilie zu geben. Hier handelt es sich um eine ganz andere schöpferische Tat – wenn sie eigen ist, wenn sie nicht Nachklatsch ist.
Und das ganze Geheimnis aller Kunst ist damit angedeutet. Der Naturalismus als Reaktion (ist die gesündeste Kur gegen den Schablonismus. Wo diese Auszehrungskrankheit die Kunst befallen hat, gibt es überhaupt außer dem Naturalismus keine Rettung. Das ist seine Bedeutung in der Kunstgeschichte. Und so hat auch der Naturalismus der modernen Landschaftsmalerei lange Zeit gewirkt. Er hat der falschen Historienmalerei den Garaus gemacht und das aufgeputzte Theatergesindel zum Tempel der Kunst hinausgejagt. Er hat vor allem die handwerkliche Potenz wieder gesteigert und alle Vorbedingungen zur Kunst aufs neue ihrer Erfüllung zugeführt.
Aber er hat auch, wie aller konsequente Naturalismus, vor lauter Bäumen den Wald übersehen: den Sinn der Kunst.
Erst allmählich fing man an, darnach wieder zu fragen. Und sofort wurde man sich auch bewußt, daß einzelne ihn nie aus dem Auge verloren, sondern ihm immer zugestrebt hatten, bald hellsehend, bald dunkel ahnend, was die Menge ihnen als Narrheit gedeutet die lange Zeit. Jetzt wurden sie auf einmal von mehreren erkannt als verborgene Hüter des heiligen Feuers, als heimliche Priester der langverhüllten Gottheit, als Künstler, die in dem Naturalismus, auch wo er sich noch so subtil gebärdete, so wenig das Heil sehen konnten, als in der gespreizten Geste und dem hohlen Pathos und aller verlogenen Schminke der gemalten Theaterwirtschaft.
Sie gingen zunächst nicht aus der Landschaftsmalerei hervor. Das ist natürlich. Diese glaubte ja in ihrem Naturalismus das Höchste erreicht zu haben oder sich ihm doch Schritt vor Schritt zu nähern, und selbst bedeutende Talente konnten in diesem Wahn befangen bleiben, weil der landschaftliche Naturalismus ihnen Aufgaben über Aufgaben zu lösen stellte, nur eben nicht in höherem Sinn künstlerische, immerhin aber solche, die als notwendige Vorbedingungen gelöst werden mußten.
Die bloße Landschaft ist eben vielleicht doch die bescheidenste Aeußerung der Malerei. Oder ist dies eine Dummheit? Und ist nicht vielmehr die Landschaft, gerade weil sie so leicht zur Stillosigkeit verführt, sich so leicht in der Stillosigkeit genügt, die gefährlichste und schwerste Aufgabe, der sich der Maler unterziehen kann?
Ob allerdings Marées und Feuerbach zu ihren hohen Stilprätentionen gelangt wären, wenn sie sich vorherrschend oder gar ausschließlich in der Landschaft betätigt hätten! Sie waren wohl beide, so gut wie die Italiener des Quattrocento, überzeugt, daß die große Kunst und der große Stil die menschliche Gestalt eben so unbedingt nötig haben als sie die Landschaft leicht entbehren können. In seinen früheren Bildern (bei Adolf Hildebrand in München) hat Marées der Landschaft noch recht viel Raum eingeräumt. Noch mehr in den Bildern der Witwe Fiedler Levi. Ja, diese sind zum Teil reine Landschaftsbilder. Er hielt es aber für nötig, die Landschaft zu verlassen, als er zu höheren Aufgaben vorschritt.
Sogar ein Böcklin wollte nicht Landschaftsmaler sein. Er scheint das gegen Flörcke wiederholt leidenschaftlich geäußert zu haben. Der kleinliche Naturalismus, mit dem er ringsum sich her die Landschaft darstellen sah, war ihm ein Greuel, war ihm vor allem eine Langweiligkeit. Er half sich mit Personifikationen und Inkarnationen und übersetzte die Sprache der Natur, die nun doch einmal kein Mensch nachsprechen kann, er mag sich anstellen wie er will, in seine eigene Sprache wie er sie sich selber geschaffen hatte. Und gab er damit nicht hundertmal mehr von der Natur als andere mit ihrem unverstandenen Nachlallen?
Er gab tausendmal mehr, obgleich er vielleicht, wie manche behaupten, nicht ganz die delikate Hand und nicht ganz die raffinierten Sinne besaß, deren die andern sich rühmten. Diese andern mögen die Befriedigung haben, daß sie einer seltsamen und allerdings auch seltenen Sorte von Menschen, Kenner oder Liebhaber genannt, oft ein ganz besonderes, prickelndes Vergnügen bereiten; er kann darauf verzichten, (wenn es nötig ist) er kann auf Größeres stolz sein: er hat sich als Künstler im höhern Sinn dokumentiert, er hat den Geist wieder über die Natur gesetzt und der göttlichen Phantasie ihren Thron zurückerobert; er hat den dekorativen Sinn und das Wesen der Kunst wieder geklärt, er hat, um mit Dürer zu reden, die Kunst aufs Neue aus der Natur herausgerissen und gezeigt, daß die Kunst nur sie selber ist, wenn sie auf eigne Gesetze gestellt, wenn sie der Natur entgegengestellt ist, wenn sie Stil hat.
In noch höherem Grad hat ein anderer moderner Maler schon sehr frühe die Landschaft stilisiert ohne das Hilfsmittel der Personifikation.
Moritz Schwind, mit noch geringerem technischem Raffinement, hat den deutschen Wald so typisch erfaßt und zur Darstellung gebracht und in so vereinfachter Größe und mit so vereinfachten Mitteln, daß uns seine Schöpfungen anmuten, so frei und groß, wie reine Schöpfungen der Phantasie und daß sie doch die Natur ganz aussprechen, so sehr, daß wir keinen klüftigen Buchwald sehen können, ohne ein Schwindsches Bild vor Augen zu bekommen, ja daß es uns dünken mag, wir würden den Wald nie gesehen haben, wenn uns nicht von Schwind der Sinn geöffnet worden wäre.
Schwinds Landschaftsmalerei ist eine Typen schaffende Kunst ersten Ranges. Wenn er sich gegenüber der menschlichen Erscheinung und Darstellung und was sie bedingt, gleich mächtig gezeigt hätte, wäre er einer der größten Künstler aller Zeiten.
Schwind hat indes nur eine Art deutschen Wald mit Vorliebe poetisiert, den Wald seiner engeren Heimat. Ein neuerer Künstler ergänzt ihn. Was Schwind für den felsigen Buchwald getan hat, wo helle Wasser über granitene Stufen springen und goldene Schmetterlinge um große weiße Doldenblüten gaukeln, das vollzieht heut Leistikow an dem Föhrenwald der Sandebene mit seiner düstern Melancholie, mit seiner an Tod und Nacht mahnenden Stille, Farblosigkeit und Regungslosigkeit. Leistikow tut es mit andern Mitteln, mit verfeinerten und kommt in gewissem Sinn zu andern Wirkungen, zu weicheren, flüssigeren malerischeren, (weil er mehr Atmosphäre mitmalt) aber er gehorcht denselben Gesetzen und kommt zu demselben Ergebnis: ein Kunstwerk zu schaffen, aus dem zwar die Natur mit allen Stimmen zu uns spricht, das aber nicht von der Natur abgeschrieben werden konnte, sondern aus ihr erst herausgezogen werden mußte, (wie die stilisierte Lilie aus der natürlichen) und das für sich einen Sinn hat, nämlich einen dekorativen, den ordnend eingreifenden Menschengeist offenbarend, den wir in der Natur nur finden, wo sie eben nicht mehr sie selber ist. Und was könnte sie da anderes sein als Kunstwerk. Nämlich Garten, Park oder wie man es nennen möge.
Die Ansätze zu einer bewußt stilvollen Behandlung der Landschaft sind mannigfaltige, wenn wir auch nur Deutschland in Betracht ziehen.
Nicht ohne Bedeutung ist dabei das Neuaufkommen der Lithographie. Denn nichts verführt so leicht zum Naturalismus als Oelmalerei. In keiner Technik hat sich die rein technische Prätention, die Langweiligkeit und die geistlose Oede von jeher so breit machen dürfen. Auch in der Radierung werden gar zu gern technische Finessen für Kunst ausgegeben. Nichts dagegen ist einer großzügigen Auffassung und vereinfachten Darstellung so günstig als die einfachen Mittel der Lithographie.
Die erste Anregung dazu ging in unserer Zeit von Hans Thoma aus und setzte sich zunächst im Karlsruher Künstlerbund fort. Die Karlsruher Jubiläumsausstellung von 1902 gab überraschende und erfreuliche Resultate. Mit dem einfachsten und ärmsten Stückchen Natur, mit wenigen Linien und Tönen sah man hier die stärksten Wirkungen erzielt. Man stand da etwas ähnlichem gegenüber, als etwa, in der Geschichte unserer Lyrik, die Tatsache ist, daß hier die Besten ihr Bestes in Volksliedtönen gesungen haben. Uhland, Eichendorff, Möricke.
Angegeben war der Ton von Hans von Volkmann. Er repräsentierte die stärkste Eigenart. Ebenbürtig neben ihm stand Kampmann. Karl Biese, Fikentscher, Daur und andere reihten, sich an. Die jungen Münchner, Rudolf Sieck und Ernst Liebermann, Paul Hay, Meyer-Basel u. a. haben sich ähnliche Ziele gesteckt. Ihnen allen drohen freilich zwei Klippen, die sie nicht immer glücklich umschiffen. Einförmigkeit und Sentimentalität.
Vom Karlsruher Künstlerbund ging noch ein ganz besonderes Unternehmen aus: die »künstlerischen Wandbilder für Schule und Haus«. Im ganzen erreichen diese zwar nicht die verblüffende Einfachheit und künstlerisch erzieherische Bedeutung ihrer französischen Vorbilder von Rivière. Aber einzelne Blätter darunter – von Volkmann, von Karl Biese, von Franz Hoch, von Georgi und noch einigen andern – haben eine ähnliche Größe und Einfachheit wie die französischen.
Dieses ganze lithographische Schaffen ist von weitgehendem Einfluß auf den Geschmack. Es hat bereits vielen die Augen geöffnet. Und es wirkt zurück auf die Künstler selbst, die ganze Karlsruher Landschaftsmalerei hat davon ihre eigene Physiognomie erhalten. Selbst bei einem so bedeutenden älteren Meister wie Schönleber ist dieser Einfluß sichtbar.
Bei Dill dagegen möchte ich nicht von Beeinflussung reden. Er hat seine Note anderswoher, und geht zugleich in der Vereinfachung und Stilisierung weiter wie alle. Er nimmt von der Natur nur gerade so viel als er zu seinem Zweck brauchen kann. Ueber nichts in der Natur, und wenn es auch der größte Zauber wäre, vergißt er seine künstlerischen Absichten. Dill ist der Leistikow des Südens.
In diesem Zusammenhang wäre vielleicht auch von Karl Heider zu reden. Auch Toni Stadler möchte hier zu nennen sein. Und sehr lehrreich ist ein Bild, das Rudolf Riemenschneider dieses Jahr in der Münchener Secession ausgestellt hat, eine Eva mit der Schlange. Noch vor zehn Jahren wäre ein solches Bild nur mit Hohn aufgenommen worden. Besonders interessant ist, daß das Bild von einem Künstler herrührt, der sich bis jetzt vorherrschend im Kunstgewerbe ausgezeichnet hat, wo, wie auch in der Architektur, die Kunst im Stil rein aufgeht.
Diese Andeutungen mögen genügen. Sie zeigen, glaube ich, deutlich genug, wie der Kampf um den Stil, der seit einem halben Jahrzehnt immer lebhafter geworden ist, auch auf dem Gebiet der Landschaft bedeutende Eroberungen gemacht hat. Möglich ist, daß in der Weiterverfolgung dieser Bahn es sich herausstellt, daß die Kunst großen Stils mit der reinen, sozusagen nackten Landschaft etwas zu kurz kommt, und dann mag vielleicht eine alte Wahrheit wieder mehr allgemeines Gewissen und Ueberzeugung werden, nämlich die: daß vor der großen Kunst und dem großen Stil die überwiegende Schätzung und Wertung der nackten Landschaft zurücktreten muß.
Diese Erkenntnis wäre ein Fortschritt. Oder meinetwegen ein – Rückschritt zu großen Zeiten.