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In dem ersten Weinen der Kinder liegt eine Bitte, so wie man aber die Vorsicht außer Acht läßt, verwandelt sie sich in einen Befehl. Haben sie sich anfänglich nur beistehen lassen, so wollen sie sich schließlich bedienen lassen. So entsteht grade aus ihrer Schwäche, der zunächst das Abhängigkeitsgefühl entspringt, später die Vorstellung des Befehlens und Herrschens. Da jedoch diese Vorstellung weniger durch ihre Bedürfnisse als durch unsere Dienstleistungen hervorgerufen wird, so beginnen sich hier die moralischen Wirkungen zu zeigen, deren unmittelbare Ursache keineswegs in der Natur zu suchen ist, und man sieht ein, weshalb es schon in diesem frühesten Lebensalter von Wichtigkeit ist, der geheimen Absicht nachzuforschen, welche die Kinder zu einer Geberde oder einem Schrei veranlaßt.
Wenn das Kind die Hand hastig und ohne etwas zu sagen ausstreckt, so steht es in dem Wahne den gewünschten Gegenstand erreichen zu können, weil es nicht im Stande ist die Entfernung richtig zu schätzen. Es befindet sich im Irrthum. Wenn es aber beim Ausstrecken der Hand klagt und weint, so täuscht es sich über die Entfernung nicht mehr, es befiehlt vielmehr dem Gegenstande, sich zu nähern, oder auch, ihm denselben zu bringen. Im erstern Falle muß man es langsam und mit kleinen Schritten zu dem Gegenstande hintragen; im zweiten Falle darf man es durchaus nicht thun, sondern muß sich stellen, als ob man es gar nicht verstehe; je mehr es schreit, desto weniger darf man darauf hören. Es ist wichtig, es schon früh daran zu gewöhnen, nicht commandiren zu wollen, weder den Menschen, denn es ist nicht ihr Herr, noch den Dingen, denn sie verstehen es nicht. Wenn deshalb ein Kind etwas, was es sieht, zu haben wünscht, und man es ihm geben will, so ist es besser, das Kind selbst zu dem Gegenstande hinzutragen, als umgekehrt den Gegenstand dem Kinde zu bringen. Aus dieser Handlungsweise zieht es einen seinem kindlichen Alter entsprechenden Schluß, und es gibt kein anderes Mittel ihn dazu anzuleiten.
Der Abbé de St. Pierre nannte die Menschen große Kinder; umgekehrt würde man die Kinder kleine Menschen nennen können. Als Sentenzen haben dergleichen Sätze ihre Wahrheit, als Grundsätze bedürfen sie einer Erläuterung. Allein als Hobbes den Bösen, den Teufel, ein kräftiges Kind nannte, enthielt diese Bezeichnung einen offenbaren Widerspruch. Jede Bosheit ist die Folge von Schwäche; das Kind ist also nur boshaft, weil es schwach ist; kräftigt es, so wird es gut sein. Wer Alles vermöchte, würde nie etwas Böses thun. Magnitudo cum mansuetudine; omnis enim ex infirmitate feritas est. Seneca, de vita beata, cap. 3. Unter allen Attributen der allmächtigen Gottheit ist die Güte diejenige, ohne welche man sich dieselbe am wenigsten vorstellen kann. Alle Völker, welche an das Dasein zweier göttlichen Wesen glaubten, haben das böse stets dem guten für untergeordnet gehalten, sonst hätte ihre Annahme völlig widersinnig erscheinen müssen. Man vergleiche damit das Glaubensbekenntnis des savoischen Vikars, welches ich weiter unten anführen werde.
Die Vernunft allein lehrt uns das Gute und das Böse erkennen. Das Gewissen, welches uns Liebe zu dem Ersteren und Haß gegen das Letztere einflößt, kann sich, trotzdem es von der Vernunft unabhängig ist, doch nicht ohne dieselbe entwickeln. Vor dem Alter der Vernunft thun wir das Gute wie das Böse, ohne es zu kennen, und es ist folglich mit unseren Handlungen keine Moralität verbunden, obgleich wir dieselbe bei den Handlungen Anderer, die uns in Mitleidenschaft ziehen, bisweilen herausfühlen. Ein Kind will Alles, was es sieht, aus einander nehmen; es zerbricht und zerschlägt, was es nur immer ergreifen kann; es packt einen Vogel, wie es einen Stein anpacken würde, und tödtet ihn, ohne zu wissen, was es thut.
Weshalb das? Die Philosophie wird sich diese Thatsache sofort aus den uns angeborenen Mängeln erklären; der Stolz, die Herrschbegierde, die Eigenliebe, die Bosheit des Menschen, wozu man noch das Gefühl seiner Schwäche fügen könnte, flößen dem Kinde die Sucht ein, Gewaltthaten zu verüben und sich von seiner eigenen Kraft zu überführen. Aber man betrachte jenen gebrechlichen und altersschwachen Greis, der im Kreislaufe des menschlichen Lebens wieder zur Schwäche der Kindheit zurückgeführt ist, er bleibt nicht allein selbst unbeweglich und ruhig, er verlangt sogar, daß Alles um ihn her so bleibe; die geringste Veränderung stört und beunruhigt ihn; er möchte eine allgemeine Stille herrschen sehen. Wie könnte nun die nämliche mit denselben Neigungen verbundene Ohnmacht so verschiedene Wirkungen in diesen beiden Lebensaltern hervorbringen, wenn nicht entgegengesetzte Ursachen zu Grunde lägen. Und worin kann man diese Verschiedenheit der Ursachen wol anders suchen als in dem physischen Zustande der beiden Individuen? Der Beiden gemeinsame Thätigkeitstrieb beginnt sich bei dem Einen zu entwickeln, während er bei dem Andern zu erlöschen droht; der Eine ist im Bildungs-, der Andere im Auflösungsprocesse begriffen, der Eine hat ein langes Leben vor sich, der Andere steht an der Schwelle des Grabes. Die halberloschene Thätigkeit concentrirt sich im Herzen des Greises, im kindlichen Herzen zeigt sich der Thätigkeitstrieb von überschäumender Kraft und macht sich nach außen Luft. Das Kind fühlt sich gleichsam so voller Leben, daß es seine ganze Umgebung beleben möchte. Ob es schaffe oder vernichte, darauf kommt es ihm nicht an, es ist schon damit zufrieden den Zustand der Dinge zu verändern und jede Veränderung bedeutet für dasselbe Thätigkeit. Der scheinbar größere Zerstörungstrieb desselben ist nicht die Folge einer angeborenen Bosheit, sondern läßt sich daraus erklären, daß die schaffende Thätigkeit stets eine langsame ist, und die zerstörende gerade um deswillen der Lebhaftigkeit des Kindes mehr entspricht, weil sie schnellere Resultate herbeiführt.
Während der Schöpfer der Natur den Kindern diesen Thätigkeitstrieb einpflanzt, trifft er aber auch gleichzeitig Sorge, daß derselbe nur in geringem Grade schädlich wirken kann, indem er ihnen nur wenig Kraft zur Bethätigung desselben verleiht. Können sie jedoch die Personen ihrer Umgebung als Werkzeuge betrachten, deren Verwendung nur von ihrem Gefallen abhängt, so bedienen sie sich derselben zur Befriedigung dieses Triebes und zur Ergänzung ihrer eigenen Schwäche. Dann werden sie lästig, tyrannisch, herrisch, boshaft, unbändig, kurzum ihre Entwickelung schlägt Bahnen ein, auf die sie nicht durch eine natürliche Herrschsucht gedrängt werden, die sie aber zu derselben führen, denn es bedarf keiner langen Erfahrung um zu fühlen, wie angenehm es ist, durch Anderer Hände zu handeln und nur die Zunge bewegen zu brauchen, um das Weltall in Bewegung zu setzen.
Mit der körperlichen Entwickelung nehmen die Kräfte zu, man wird weniger unruhig, weniger beweglich, man zieht sich mehr in sich selbst zurück. Leib und Seele setzen sich gleichsam ins Gleichgewicht, und die Natur verlangt von uns nur die zu unserer Erhaltung notwendige Bewegung. Aber die Lust zu commandiren erlischt nicht mit dem Bedürfniß, welches sie hervorgelockt hat; die Ausübung einer gewissen Herrschaft erweckt die Eigenliebe und schmeichelt ihr, und die Gewohnheit nährt und kräftigt sie. Auf solche Weise tritt bloße Launenhaftigkeit an die Stelle des ursprünglichen Bedürfnisses; auf diese Weise nisten sich Vorurtheile und Befangenheit schon frühzeitig ein.
Haben wir das Princip nun einmal erkannt, so sehen wir auch den Punkt deutlich, wo man von dem Wege der Natur abweicht. Lasset uns nachsehen, was wir thun müssen, um uns auf demselben zu erhalten.
Weit davon entfernt, überschüssige Kräfte zu besitzen, haben die Kinder für die vielen Anforderungen der Natur nicht einmal genug. Man muß sie also in dem ungestörten Gebrauche aller Kräfte lassen, die ihnen die Natur verleiht und die sie nicht mißbrauchen können. Erster Grundsatz.
Man muß sie bei Allem, was das physische Bedürfniß erheischt, unterstützen und ihnen überall, wo es ihnen an Verständniß oder Kraft fehlt, ergänzend zur Seite stehen. Zweiter Grundsatz.
Bei der Hilfe, die man ihnen leistet, muß man sich ausschließlich auf das wirklich Nützliche beschränken, ohne ihrer Launenhaftigkeit oder ihrem unvernünftigen Verlangen im Geringsten nachzugeben, denn die Launenhaftigkeit wird sie nicht quälen, wenn man sie nicht selbst groß gezogen hat, da sie keine Mitgift der Natur ist. Dritter Grundsatz.
Sorgfältig muß man ihre Sprache und ihre Zeichen studiren, damit man in einem Alter, wo sie sich nicht verstellen können, bei ihren Wünschen unterscheide, was unmittelbar der Natur und was ihrer Launenhaftigkeit entspringt. Vierter Grundsatz.
Der Geist der hier aufgestellten Vorschriften geht darauf aus, den Kindern mehr wahre Freiheit und weniger Herrschaft zu gestatten, sie mehr an Selbstthätigkeit zu gewöhnen und von dem Verlangen nach fremder Hilfe zu entwöhnen. Indem sie sich auf diese Weise schon frühzeitig gewöhnen, ihre Wünsche mit ihren Kräften in Einklang zu bringen, werden sie die Entbehrung dessen, was zu erlangen nicht in ihrer Macht steht, nur wenig empfinden.
Darin liegt denn ein neuer und sehr wichtiger Beweggrund, die Körper und Glieder der Kinder vollkommen frei zu lassen, mit der einzigen Vorsichtsmaßregel, die Gefahr des Fallens von ihnen fern zu halten und ihnen keine Gegenstände in die Hände zu geben, an denen sie sich verletzen könnten.
Unfehlbar wird ein Kind, dessen Körper und Arme frei sind, weniger weinen, als ein in ein Stechkissen eingeschnürtes Kind. Wer nur physische Bedürfnisse kennt, weint auch nur, wenn er leidet, und das ist ein sehr guter Fingerzeig, denn dann weiß man rechtzeitig, wenn es der Hilfe bedarf, und man darf, wenn es möglich ist, keinen Augenblick zögern, sie ihm zu gewähren. Kann man die Schmerzen des Kindes jedoch nicht lindern, so verhalte man sich ruhig und verschwende keine Liebkosungen an dasselbe, um es dadurch zu beruhigen; eure Schmeicheleien werden sein Leibschneiden nicht heilen; allein es wird in seiner Erinnerung behalten, was es nur zu thun braucht, um geliebkost zu werden, und wenn es erst einmal weiß, wie es euch um seinetwillen nach Belieben in unaufhörlicher Geschäftigkeit erhalten kann, dann ist es euer Herr geworden, dann ist Alles verloren.
In ihren Bewegungen weniger behindert, werden die Kinder weniger weinen; durch ihr Weinen weniger belästigt, wird man sie weniger peinigen, um sie zur Ruhe zu bringen; weniger häufig bedroht und gehätschelt, werden sie weniger furchtsam oder halsstarrig werden und in ihrem natürlichen Zustande besser verharren. Die Kinder können sich weniger durch anhaltendes Weinen als durch unsere unausgesetzten Beruhigungsmittel einen Bruch zuziehen, und zum Beweise will ich nur den Umstand anführen, daß gerade die vernachlässigtsten Kinder weniger häufig, als andere, mit diesem Uebel behaftet sind. Ich bin weit davon entfernt deshalb zu wünschen, daß man sie vernachlässige; es ist im Gegentheile von Wichtigkeit, daß man ihnen zuvorkomme und sich nicht erst durch ihr Geschrei auf ihre Bedürfnisse aufmerksam machen lasse. Aber ich will eben so wenig, daß die Sorgfalt, die man ihnen erweist, am unrechten Platze sei. Warum sollten sie sich des Weinens enthalten, wenn sie erst einsehen, welche Vortheile sie durch ihre Thränen erreichen können? Gar gut mit dem Preise bekannt, welchen man auf ihr Stillsein setzt, hüten sie sich, allzu verschwenderisch damit zu sein. Sie steigern ihn endlich in dem Maße, daß man ihn nicht mehr zu zahlen vermag, und dann tritt die Gefahr ein, daß sie sich durch vergebliches Weinen übermäßig anstrengen, erschöpfen, ja selbst tödten.
Unausgesetztes Weinen eines Kindes, welches weder eingeschnürt, noch krank ist und welchem man es an nichts fehlen läßt, rührt nur von Gewohnheit und Eigensinn her. Die Schuld trägt nicht die Natur, sondern die Amme, welche, weil sie sich nicht Mühe geben will, die kleine Unannehmlichkeit desselben zu ertragen, es lieber vermehrt, ohne zu bedenken, daß man das Kind gerade dadurch, daß man es heute zum Schweigen bringt, erst recht anstachelt, morgen desto mehr zu weinen.
Das einzige Mittel dieser schlechten Gewohnheit abzuhelfen oder ihr von vorn herein vorzubeugen, besteht darin, gar nicht darauf zu merken. Niemand unterzieht sich gern einer vergeblichen Mühe, nicht einmal die Kinder. Sie hören freilich in ihren Versuchen nicht sogleich auf, besitzt man indeß nur mehr Beharrlichkeit als sie Hartnäckigkeit, so ermüden sie bald und wiederholen dieselben nicht mehr. Auf diese Weise erspart man ihnen Thränen und gewöhnt sie, sie nur dann zu vergießen, wenn der Schmerz sie ihnen wirklich auspreßt.
Will man übrigens Kindern, die aus Launenhaftigkeit oder Eigensinn weinen, abhalten, darin fortzufahren, so ist ein sicheres Mittel, sie durch einen hübschen und in die Augen fallenden Gegenstand, der sie ihre Absicht zu weinen vergessen läßt, zu zerstreuen. Die meisten Ammen glänzen in dieser Kunst, und behutsam und nicht zu häufig angewandt, ist sie von großem Nutzen; dabei ist es jedoch von äußerster Wichtigkeit, daß das Kind nicht die Absicht, es zu zerstreuen, merke, daß das Kind sich unterhalte, ohne zu glauben, daß man es beobachte. Nun sind aber gerade in letzterer Hinsicht alle Ammen höchst ungeschickt.
Man entwöhnt die Kinder ohne Ausnahme zu früh. Der naturgemäße Zeitpunkt der Entwöhnung wird durch den Durchbruch der Zähne angezeigt, welcher gewöhnlich mit Schmerzen und mit Beschwerden verbunden ist. Instinctmäßig führt dann das Kind Alles, was es in den Händen hält, öfters nach dem Munde, um daran zu kauen. Man denkt dem Kind das Zahnen zu erleichtern, wenn man ihm irgend einen harten Körper, wie Elfenbein oder Wolfszähne, zum Spielzeug gibt. Meiner Ansicht nach täuscht man sich. Anstatt das Zahnfleisch zu erweichen, machen diese harten Körper dasselbe vielmehr schwielig, verhärten es und erhöhen die Schmerzen und Beschwerden des Durchbruchs. Nehmen wir uns nur immer den Instinct zum Muster. Man sieht nie, daß junge Hunde ihre hervorbrechenden Zähne an Kieselsteinen, Eisen oder Knochen üben, sondern an Holz, Leder, Lumpen und weichen nachgibigen Stoffen, in welche sich der Zahn eindrücken kann.
Auf allen Gebieten ist die Einfachheit verschwunden, selbst aus der Kinderstube. Schellen von Silber, von Gold, von Korallen, von geschliffenem Kristall, Klappern von jedem Preise und jeder Gattung, was für unnützes und verderbliches Zeug! Fort mit all' diesem Krame! Fort mit den Schellen! Fort mit den Klappern! Kleine Baumzweige mit ihren Früchten und Blättern, ein Mohnkopf, in welchem man die Samenkörner klappern hört, ein Stück Süßholz, an dem es saugen und kauen kann, werden es in eben so großes Entzücken versetzen als all diese prächtigen Schnurrpfeifereien, und sind vor allen Dingen nicht mit dem Uebelstande verbunden, es schon von Geburt an den Luxus zu gewöhnen.
Man hat allgemein anerkannt, daß Brei keine allzu gesunde Nahrung ist. Abgekochte Milch und Mehl in noch halbrohem Zustande sagen dem Magen nicht zu und verderben ihn. Im Brei ist das Mehl weniger zubereitet und durchgekocht als im Brode und hat außerdem den Gährungsproceß nicht durchgemacht; meines Erachtens sind Brodsuppe und Reisschleim vorzuziehen. Will man aber durchaus Brei kochen, so ist es rathsam, das Mehl vorher ein wenig zu rösten. In meinem Lande bereitet man aus solchem gedörrten Mehle eine sehr angenehm schmeckende und gesunde Suppe. Bouillon und Fleischsuppen sind ebenfalls für Kinder keine sehr empfehlenswerthe Nahrungsmittel, deren Genuß man so viel als möglich beschränken muß. Man muß sein Augenmerk darauf richten, daß sich die Kinder sogleich ans Kauen gewöhnen; das ist das eigentlichste und richtigste Mittel den Durchbruch der Zähne zu erleichtern. Beginnen sie erst das Gekaute hinunterzuschlucken, so befördert der sich mit den Speisen mischende Speichel wesentlich die Verdauung.
Ich würde sie deshalb sogleich an trockenen Früchten und Brodrinden kauen lassen und ihnen zum Spielen Stückchen harten Brodes oder Zwieback geben, ähnlich dem in Piemont gebräuchlichen Brode, welches dort unter dem Namen Grisse bekannt ist. Während sie dieses Brod in ihrem Munde erweichen, würden sie auch ein wenig davon verschlucken; ehe man sich dessen versähe, wären die Zähne durchgebrochen und die Kinder entwöhnt. Die Landleute haben gewöhnlich einen sehr guten Magen, und man hat sie nur auf die beschriebene Weise entwöhnt.
Die Kinder hören von ihrer Geburt an sprechen; man spricht nicht allein zu ihnen, bevor sie verstehen, was man ihnen sagt, sondern selbst bevor sie die Laute, welche sie vernehmen, wiederzugeben vermögen. Ihr noch in einer Art Erstarrung liegendes Sprachorgan gebraucht geraume Zeit, bis es die Fähigkeit erlangt, die vorgesprochenen Töne nachzuahmen, und es ist noch nicht einmal sicher, ob das kindliche Ohr sie von Anfang an eben so deutlich vernimmt wie das unsrige. Ich mißbillige es keineswegs, daß die Amme das Kind durch Lieder und durch fröhliche Töne zu erheitern sucht; aber das mißbillige ich, daß sie es durch einen Schwall überflüssiger Worte, von denen es nichts als den darauf gelegten Ton versteht, unablässig betäubt. Ich wünschte, daß die ersten Laute, welche man das Kind vernehmen läßt, genau articulirt, leicht faßbar und deutlich wären, häufig wiederholt würden, und daß die Worte, die sie bezeichnen, sich nur auf sichtbare Gegenstände bezögen, welche man sogleich dem Kinde zeigen könnte. Die nicht genug zu beklagende Leichtfertigkeit, uns mit leidigen Worten abzuspeisen, die uns doch unverständlich bleiben, beginnt früher als man denkt. Der Schüler hört in der Klasse das Gespräch seines Schulmonarchen an, wie er in den Windeln das Geplauder seiner Amme anhörte. Mir kommt es so vor, als ob es sehr weislich sein würde, ihn so zu erziehen, daß er für dergleichen gar kein Verständniß hätte.
Unwillkürlich werden sich uns vielfache Betrachtungen aufdrängen, wenn wir uns mit der Entstehung der Sprache und ersten Gespräche der Kinder beschäftigen. Wie man es auch immer anstellen möge, sie werden stets auf die nämliche Weise sprechen lernen, und alle philosophischen Speculationen sind hierbei völlig überflüssig.
Von Anfang an haben sie gleichsam eine besondere Grammatik für ihr Alter, deren Syntax weit allgemeinere Regeln hat als die unsrige, und wenn man seine Aufmerksamkeit darauf richten wollte, würde man sich über die Genauigkeit wundern, mit welcher sie sich nach gewissen Analogien richten, allerdings sehr fehlerhaften, wenn man will, die aber trotzdem sehr regelrecht sind und uns nur wegen ihrer Härte oder weil sie gegen den Sprachgebrauch verstoßen, mißfallen. Neulich hörte ich, wie ein armes Kind von seinem Vater ausgescholten wurde, weil es zu ihm gesagt hatte: Mein Vater, soll ich gehen hin? (Mon père, irai je-t-y?) Nun kann man aber gerade daraus ersehen, daß dieses Kind der Analogie weit besser folgte als unsere Grammatiker; denn da man zu ihm sagte: »Gehe hin! (vas-y!) warum sollte es nun nicht auch sagen: »Soll ich gehen hin?« Dabei lasse man nicht außer Acht, mit welcher Geschicklichkeit es den Hiatus von irai-je-y? oder y irai-je? zu vermeiden wußte. Ist es nun etwa die Schuld des armen Kindes, daß wir ganz unnöthiger Weise das bestimmende Adverbium »hin« aus dieser Phrase fortgelassen haben, weil wir damit nichts anzufangen wußten? Es ist eine unausstehliche Pedanterie und völlig überflüssige Mühe, sich darauf zu steifen, bei den Kindern unaufhörlich alle die kleinen Sprachschnitzel zu verbessern, die sie mit der Zeit unfehlbar schon selbst verbessern werden. Sprecht in ihrer Gegenwart nur immer selbst richtig, sorget dafür, daß sie sich bei euch am wohlsten fühlen, und ihr könnt dann sicher sein, daß sich ihre Sprache nach eurem Vorbilde allmählich reinigen wird, ohne daß ihr je ihre Fehler habt zu rügen brauchen.
Allein ein Mißbrauch von ungleich größerer Wichtigkeit und dem sich eben so leicht vorbeugen läßt, besteht darin, daß man die Kinder zu früh zum Sprechen bringen will, als ob man besorgte, sie würden es nicht von selbst lernen. Dieser rücksichtslose Eifer bringt gerade die entgegengesetzte Wirkung hervor. Sie sprechen in Folge dessen später und unzusammenhängender. Die übertriebene Aufmerksamkeit, die man Allem schenkt, was sie sagen, überhebt sie der Mühe gut zu articuliren, und da sie sich kaum dazu bequemen den Mund zu öffnen, so behalten viele lebenslänglich eine fehlerhafte Aussprache und eine unzusammenhängende Redeweise, die sie fast unverständlich macht.