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Phöbus Böhlaug vergaß nie, auf den blauen Anzug hinzuweisen, er nannte ihn »eine Pracht von einem Anzug«, »wie auf Maß geschnitten«, und lächelte. Einmal traf ich bei meinem Onkel Glanz, Abel Glanz, einen kleinen, schäbig gekleideten, unrasierten Menschen, der furchtsam zusammensank, wenn man ihn ansprach, und die Fähigkeit hatte, automatisch kleiner zu werden, durch irgendeinen rätselhaften Mechanismus seiner Natur. Sein dünner Hals mit dem ruhelos rollenden Adamsapfel konnte sich zusammenziehen wie eine Harmonika und im weiten Stehkragen verschwinden. Nur seine Stirn war groß, sein Schädel lichtete sich, seine roten Ohren standen weit ab und erweckten den Eindruck, als hätten sie diese Stellung eingenommen, weil alle Welt sich erlauben durfte, an ihnen zu ziehen. Abel Glanz' kleine Augen sahen mich gehässig an. Er betrachtete mich vielleicht als Rivalen.
Abel Glanz verkehrt seit Jahren in Phöbus Böhlaugs Hause, er ist einer jener ständigen Teegäste, an denen die wohlhabenden Häuser der Stadt zugrunde zu gehn fürchten und die sie abzuschaffen niemals den Mut finden.
»Trinken Sie einen Tee«, sagte Phöbus Böhlaug.
»Nein, danke!« sagt Abel Glanz. »Ich bin mit Tee gefüllt wie ein Samowar. Das ist schon der vierte Tee, den ich ablehnen muß, Herr Böhlaug. Ich trinke, seitdem ich das Besteck fortgelegt habe, fortwährend Tee. Nötigen Sie mich nicht, Herr Böhlaug!«
Böhlaug läßt sich nicht bekehren:
»So einen guten Tee haben Sie in Ihrem ganzen Leben nicht getrunken, Glanz.«
»Aber was denken Sie, Herr Böhlaug! Ich war einmal bei der Fürstin Basikoff geladen, Herr Böhlaug, vergessen Sie das nicht!« sagt Abel Glanz, so drohend, wie es ihm möglich ist.
»Und ich sage Ihnen, selbst die Fürstin Basikoff hat so einen Tee nicht getrunken, fragen Sie meinen Sohn, ob man in ganz Paris so einen Tee bekommt!«
»So, meinen Sie?« sagt Abel Glanz und tut, als ob er überlegte.
»Dann kann man ja kosten, kosten kann niemals schaden.« Und rückt mit seinem Stuhl in die Nähe des Samowars.
Abel Glanz war Souffleur in einem rumänischen kleinen Theater gewesen, aber er fühlte sich zum Regisseur berufen und hielt es in seinem Kasten nicht aus, wenn er zusehn mußte, wie die Leute »Fehler« machten. Glanz erzählte jedem Menschen seine Geschichte. Es war ihm eines Tages gelungen, probeweise Regie zu führen. Eine Woche später wurde er eingezogen und kam in die Sanitätsgruppe, weil ein Feldwebel den Beruf »Souffleur« für etwas Medizinisches gehalten hatte.
»So spielt der Zufall mit den Menschen«, schloß Abel Glanz.
»Glanz wohnt ja auch im Savoy«, sagte Phöbus Böhlaug einmal, und es schien mir, als wollte der Onkel einen Vergleich anstellen zwischen dem Souffleur und mir. Für Phöbus Böhlaug gehörten wir beide zusammen, wir waren irgendwo »Künstler«, irgendwo halbe Schnorrer, obwohl man gerecht zugeben mußte, daß der Souffleur sich redliche Mühe gab, einen anständigen Beruf zu ergreifen. Er wollte Kaufmann werden, und das wurde man am besten, indem man »Geschäfte machte«.
»Siehst du, Glanz macht ganz gute Geschäfte«, sagt Onkel Phöbus.
»Was für Geschäfte?«
»Mit Valuta«, sagt Phöbus Böhlaug, »gefährlich ist es, aber sicher. Es ist eine Glückssache. Wenn einer keine glückliche Hand hat, soll er nicht anfangen. Aber wenn einer Glück hat, kann er in zwei Tagen Millionär sein.«
»Onkel«, sagte ich, »warum handeln Sie nicht mit Valuta?«
»Gott behüte«, schreit Phöbus, »mit der Polizei will ich nichts zu tun haben! Wenn man gar nichts hat, handelt man mit Valuta.«
»Phöbus Böhlaug soll mit Valuta handeln?« fragt Abel Glanz. Und diese Frage kommt aus tiefer Empörung.
»Es ist nicht leicht, mit Valuta zu handeln«, sagt Abel Glanz. »Man setzt sein Leben aufs Spiel – es ist ein jüdisches Schicksal. Man läuft den ganzen Tag herum. Brauchen Sie rumänische Leis, bietet Ihnen jeder Schweizer Franken. Brauchen Sie Schweizer Franken, gibt ihnen jeder Leis. Es ist eine verzauberte Geschichte. Ihr Onkel sagt, ich mache gute Geschäfte? Ein reicher Mann glaubt, jeder macht gute Geschäfte.«
»Wer hat Ihnen gesagt, daß ich ein reicher Mann bin?« sagt Phöbus.
»Wer soll mir das sagen? Das braucht man mir nicht zu erzählen. Die ganze Welt weiß, daß die Unterschrift Böhlaugs Geld wert ist.«
»Die Welt lügt!« schreit Böhlaug, und seine Stimme springt in eine hohe Tonlage. Er schrie, als hätte ihn »die Welt« eines großen Verbrechens bezichtigt.
Alexanderl trat ein, im neumodischen Anzug, ein gelbes Netz über dem glattfrisierten Kopf. Er duftete nach allerlei, nach Mundwasser und Brillantine und rauchte eine süßparfümierte Zigarette.
»Es ist keine Schande, Geld zu haben, Vater«, sagt er.
»Nicht wahr?« rief Glanz freudig. »Ihr Vater schämt sich.« Phöbus Böhlaug goß neuen Tee ein. »So sind eigene Kinder«, jammerte er. Phöbus Böhlaug ist in diesem Augenblick ein ganz alter Mann. Aschgrau das Angesicht, Runzelnetze auf den Augenlidern, die Schultern vorgeneigt, als hätte ihn jemand verwandelt.
»Wir leben alle nicht gut«, sagt er. »Man arbeitet und schindet sich ein ganzes Leben, und dann wird man begraben.«
Es ist plötzlich sehr ruhig geworden. Auch dämmert der Abend schon.
»Man muß Licht machen!« sagt Böhlaug.
Das war für Glanz gesagt.
»Ich gehe schon, besten Dank für den guten Tee!«
Phöbus Böhlaug gibt ihm die Hand und sagt zu mir:
»Komm du auch nicht so selten!«
Glanz führte mich durch unbekannte Gäßchen, an Höfen vorbei, verwahrlosten Gehöften, freien Plätzen, auf denen Schutt und Mist lagerte, Schweine grunzten, mit kotigen Mäulern Atzung suchend. Grüne Fliegenschwärme summten um Haufen dunkelbraunen Menschenkotes. Die Stadt hatte keine Kanäle, es stank aus allen Häusern, und Glanz prophezeite plötzlich Regen aus allerlei Gerüchen.
»So sind unsere Geschäfte«, sagt Glanz. »Böhlaug ist ein reicher Mann mit einem kleinen Herzen. Sehen Sie, Herr Dan, die Menschen haben kein schlechtes Herz, nur ein viel zu kleines. Es faßt nicht viel, es reicht gerade für Frau und Kind.«
Wir kommen in eine kleine Gasse. Da stehen Juden, spazieren in der Straßenmitte, haben Regenschirme, lächerlich gewickelte, mit krummen Krücken. Sie stehn entweder still mit sinnenden Gesichtern oder gehen hin und zurück, unaufhörlich. Hier verschwindet einer, dort kommt ein anderer aus einem Haustor, sieht forschend nach links und rechts und beginnt zu schlendern.
Wie stumme Schatten gehen die Menschen aneinander vorbei, es ist eine Versammlung von Gespenstern, längst Verstorbene wandeln hier. Seit Tausenden Jahren wandert dieses Volk in engen Gassen.
Wenn man näher kommt, kann man sehn, wie zwei stehenbleiben, eine Sekunde lang murmeln und aneinander vorbeigehen, ohne Gruß, um sich nach wenigen Minuten wieder zu treffen und einen halben Satz zu murmeln.
Ein Polizist erscheint, mit gelben, knarrenden Stiefeln, schlenkerndem Säbel schreitet er gerade durch die Straßenmitte, an ausweichenden Juden vorbei, die ihn grüßen, ihm etwas zurufen, lächeln. Kein Gruß, kein Zuruf hält ihn auf, wie ein aufgezogener Mechanismus schreitet er seine Straße ab, mit abgemessenen Schritten. Seine Wanderung hat keinen einzigen erschreckt.
»Streimer kommt«, flüstert jemand an Abel Glanz' Seite, und da ist auch schon Jakob Streimer.
In dem Augenblick entzündet ein blaugekittelter Mann eine Gaslaterne, und es sieht aus, als wäre dies zu Ehren des Gastes geschehn.
Abel Glanz wird unruhig, alle Juden werden es.
Jakob Streimer wartet am Straßenende, prachtvoller noch als der Polizist erwartet er die Menge, die herankommt, wie ein morgenländischer Fürst eine Abordnung bittender Untertanen. Er trägt eine goldene Brille, einen gepflegten, braunen Backenbart und einen Zylinder. Es sprach sich bald herum, daß Jakob Streimer deutsche Reichsmark brauche.
Abel Glanz trat in einen Laden, in dem eine Frau scheinbar auf Kunden wartete. Die Frau verließ ihren Posten, eine Tür ging, ein Glöckchen schrillte, ein Mann trat aus dem Laden.
Glanz kam zurück, strahlend: »Ich habe Mark zu elf drei achtel. Wollen Sie sich beteiligen? Streimer zahlt zwölf dreiviertel.«
Ich will fragen, Glanz fährt mit seiner Hand in meine Brusttasche, mit unheimlicher Sicherheit zieht er die Geldtasche, nimmt alle Scheine, steckt mir ein Bündel zerknüllter Banknoten in die Hand und sagt:
»Kommen Sie.«
»Zehntausend«, sagt er und bleibt vor Jakob Streimer stehn.
»Dieser Herr?« fragt Streimer.
»Ja, Herr Dan.« Streimer nickte.
»Savoy«, sagte er.
»Gratuliere, Herr Dan«, sagt Glanz, »Streimer hat Sie eingeladen.«
»Wieso?«
»Haben sie nicht gehört? ›Savoy‹ hat er gesagt. – Gehn wir!« – »Wenn Ihr Onkel Phöbus Böhlaug ein weites Herz hätte, könnten Sie hingehn, Geld borgen, deutsche Mark kaufen – haben Sie in zwei Stunden hunderttausend verdient. Aber er gibt Ihnen nichts. So haben Sie nur fünf verdient.«
»Das ist auch viel.«
»Nichts ist viel. Viel ist eine Milliarde«, sagt Glanz träumerisch. »Es gibt heutzutage kein Viel. Weiß man, was morgen sein wird? Morgen ist Revolution. Übermorgen kommen die Bolschewiken. Die alten Märchen sind wahr geworden. Sie bewahren heute hunderttausend im Schrank und gehn morgen hin, und es sind nur fünfzigtausend. Solche Wunder geschehn heutzutage. Wenn nicht einmal das Geld noch Geld ist! Was wollen Sie mehr?«
Wir kamen ins Savoy, Glanz öffnete eine kleine Tür am Ende des Korridors, da stand Ignatz.
Es war eine Bar in einem dunkelrot getünchten Raum. Eine rothaarige Frau stand hinter dem Bartisch, und ein paar geputzte Mädchen saßen verstreut an kleinen Tischen und sogen Limonade durch dünne Strohhalme.
Glanz grüßte. »Guten Tag, Frau Kupfer«, und stellte vor: »Herr Dan – Frau Jetti Kupfer, die Alma mater.«
»Das ist Lateinisch«, sagt er zu Frau Kupfer.
»Ich weiß, Sie sind ein gebildeter Mann«, sagt Frau Kupfer, »aber Sie müssen mehr verdienen, Herr Glanz.«
»Jetzt rächt sie sich für mein Latein.« Glanz schämt sich.
Es war halbdunkel im Raum, in einer Ecke brannte rötlich eine Ampel, ein schwarzer Flügel stand vor einer kleinen Bühne.
Ich trank zwei Schnäpse und glitt in einen Lederfauteuil. Vor dem Bartisch saßen Herren und aßen Kaviarbrötchen. Ein Klavierspieler setzte sich an das Instrument.