Joseph Roth
Hotel Savoy
Joseph Roth

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III

Ich war nicht schläfrig. Eine Kirchturmglocke bettet regelmäßige Schläge in die weiche Nacht. Über mir höre ich Schritte, behutsame, sanfte, unaufhörliche, es müssen Frauenschritte sein – ging jene Kleine aus dem siebenten Stock so rastlos auf und ab? Was hatte sie? Ich sah hinauf zur Decke, weil mir plötzlich der Einfall kam, daß die Decke durchsichtig geworden war. Man sah vielleicht die zierlichen Fußsohlen des graugekleideten Mädchens. Ging sie barfuß oder in Pantoffeln? Oder in grauen Strümpfen aus Halbseide? Ich erinnerte mich, wie sehnsüchtig ich und viele Kameraden einen Urlaub erwartet hatten, der den Wunsch nach einem wildledernen Halbschuh erfüllen konnte. Gesunde Bauernmädchenbeine durfte man streicheln, breitsohlige Füße, mit abstehendem großem Zeh, die durch den Schlamm der Felder, durch den Lehm der Landstraße wanderten, Körper, für die die harten Schollen eines gefrorenen Herbstackers ein Liebesbett bildeten. Gesunde Oberschenkel. Minutenschnelle Liebe in der Dunkelheit vor einbrechendem Befehl. Ich entsann mich der ältlichen Lehrerin in einem Etappennest, der einzigen Frau jenes Orts, die vor Krieg und Überfall nicht geflüchtet war. Es war ein spitzes Mädchen, über dreißig, man nannte sie den »Drahtverhau«. Aber es gab nicht einen, der sie nicht umworben hätte. Denn weit und breit, im Umkreis von Kilometern, war sie die einzige Frau mit Halbschuhen und durchbrochenen Strümpfen.

In diesem Riesenhotel Savoy mit den 864 Zimmern, ja in dieser ganzen Stadt wachten vielleicht nur zwei Menschen, ich und das Mädchen über mir. Man könnte ganz gut beieinander sein, ich, Gabriel, und ein kleines braunes Mädchen mit freundlichem Gesicht, großen, grauen, schwarz bewimperten Augen. Wie dünn mußten die Decken dieses Hauses sein, wenn die Gazellenschritte so deutlich zu hören waren; selbst den Geruch ihres Leibes glaubte ich zu spüren. Ich beschloß nachzusehn, ob diese Schritte wirklich dem Mädchen gehörten. Im Korridor brannte ein dunkelrotes Glühlämpchen; Schuhe, Stiefel, Frauenhalbschuhe standen vor den Zimmertüren, alle ausdrucksvoll wie Menschengesichter. Im siebenten Stockwerk brannte überhaupt keine Lampe, schwaches Licht rann aus geblendeten Glasscheiben. Gelb und dünn floß ein Strahl durch eine Ritze, es ist Zimmer 800 – da muß der rastlose Spaziergänger wohnen. Ich kann durchs Schlüsselloch sehn – es ist das Mädchen. Sie schreitet in einem weißen Gewand – es ist ein Bademantel – auf und ab, bleibt eine Weile am Tisch stehn, sieht in ein Buch und beginnt ihre Wanderung von neuem.

Ich bemühe mich, ihr Gesicht zu erhaschen – sehe nur die schwache Rundung eines Kinns, das Viertel eines Profils, wenn sie stehenbleibt, ein Büschel Haare, und sooft der Mantel bei einem weiten Schritt sich lüftet, einen Schimmer ihres braunen Fleisches. Irgendwoher kam ein mühsamer Husten, jemand spuckte in einen Kübel, es klatschte laut. Ich kehrte in mein Zimmer zurück. Als ich die Tür schloß, glaubte ich einen Schatten im Korridor zu sehen; ich riß die Tür weit auf, daß das Licht meines Zimmers einen Teil des Ganges erhellte. Aber es war niemand gewesen.

Oben hörten die Schritte auf. Das Mädchen schlief schon wahrscheinlich. Ich legte mich angekleidet aufs Bett und zog die Gardinen vom Fenster weg. Sanftes Grau des beginnenden Tags legte sich weich auf die Gegenstände des Zimmers.

Unerbittlichen Morgenanbruch verkündeten eine knallende Tür und der brutale Ruf einer Männerstimme in einer unverständlichen Sprache.

Ein Zimmerkellner kam – er trug eine grüne Schusterschürze, und die aufgekrempelten Hemdsärmel ließen schwarz- und krausbehaarte muskelreiche Unterarme bis zum Ellbogen sehn. Zimmermädchen gab es offenbar nur in den drei ersten Stockwerken. Der Kaffee war besser, als man erwartet hätte, aber was nutzte das, wenn keine Mädchen da waren in weißen Hauben? Das war eine Enttäuschung, und ich dachte nach, ob denn keine Möglichkeit vorhanden wäre, in den dritten Stock zu übersiedeln.


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