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Kreisrichter Heiden zeichnet sich aus

Wir nähern uns jetzt dem Schluß dieser lehrreichen und moralischen Erzählung, wo die Tugend ihren Lohn erntet und das Laster die verdiente Strafe erhält. Wir teilen den Lohn aus und messen die Strafe zu, dann ist unsre Aufgabe zu Ende und wir nehmen Abschied.

Das Laster wird also jetzt entschieden von dem Arrestanten John Willumsen repräsentiert. Willumsen ist verhaftet und hat drei Monate in der Haft gesessen; weniger konnten es nicht tun, obgleich seine Schuld erwiesen und sein Geständnis überflüssig war. Aber Willumsen wollte nicht gestehen. Er leugnete hartnäckig seine Schuld.

Kreisrichter Heiden war ganz unglücklich. Gleich nach der Verhaftung wurde Willumsen in das Arrestlokal der Stadt gebracht; dort verblieb er, bis er am nächsten Tag vor den Richter, und zwar vor Heiden zitiert wurde.

Er leugnete seine Schuld.

Und nun begann eine Reihe von Verhören, worin Thomas Klem der Hauptzeuge war. Des Assessors kluges und klares Erforschen alles dessen, was gegen Willumsen sprach, alles dessen, was wir kennen, füllte Seiten in dem Verhörsprotokoll; voran standen Busgaard, Monny, Arthur, Stine Steiffinger, Klemmesen, Tyr, Niels. Sie alle legten Zeugnis gegen Willumsen ab.

Und es traten andere auf, die wir nicht kennen und nicht kennen zu lernen brauchen. Der Markeur aus der Harmonie, Kaare Mortensen & Co., eine Schar Kellner, Pfandleiher, zweifelhafte Damen usw., die in verschiedener Weise Willumsens Niederträchtigkeit in seinem vorangegangnen Leben bestätigten sollten. Soweit war alles in schönster Ordnung, es gab keinen Menschen unter der Sonne, der daran zweifelte, daß Ingenieur John Willumsen der Dieb war, der an jenem Sonntagmorgen die 2500 Kronen aus Gutsbesitzer Busgaards Sekretärfach genommen hatte.

Aber der Arrestant wollte nicht gestehen. Er leugnete nicht, daß er nach dem Brief gesehen und das Bruchstück des Manschettenknopfes verloren hätte. Er gab zu, daß er seine Manschetten vertauscht hätte, und daß dies beim Billardspiel geschehen sein müsse. Er gestand seine Schulden an Kaare Mortensen & Co. zu, kurz alles das, was er nicht leugnen konnte, weil es bewiesen war. Mit umso größerer Bestimmtheit leugnete er jedoch zwei Dinge. Erstens, daß er das Geld genommen, und zweitens, daß er es in Arthur Francks Handtasche gelegt hätte.

Den ersten Punkt hatte er leicht leugnen, es gab ja in Wirklichkeit keinen Zeugen dafür, und es war ganz unmöglich, der Sache näher zu kommen, als man gekommen war. Um so größeres Gewicht lag denn auch auf dem zweiten Punkt, der den Gegenstand von Willumsens Leugnen bildete.

Assessor Klem behauptete, Willumsen wäre in eine Falle gegangen, die er, der Assessor, ihm gestellt hätte. Er hätte Francks Tasche nach Hause getragen und sie in dem Glauben geöffnet, daß er sie mit seinem eignen Siegelring wieder versiegeln könne, und um den Verdacht und die Schuld von sich zu wälzen, hätte er das gestohlene Geld in die Tasche gelegt und sie so dem Assessor wieder überliefert. Es gab nicht einen, der daran zweifelte, und es lagen zwei Zeugnisse vor: Thomas und Tyr konnten bezeugen, daß das Siegel durch ein andres ersetzt worden war, das nur Willumsen auf die Tasche gesetzt haben konnte, und Polizeidiener Hansen konnte bestätigen, daß der Assessor ihn darauf aufmerksam gemacht habe, daß das Siegel kurz vor dem Mittagessen, an dem Tage, wo das Verhör stattfand, warm und eben aufgedrückt war.

Dagegen behauptete Willumsen, daß Tyr lüge. Tyr war zu klein, um vereidigt zu werden, und sein Zeugnis konnte den Arrestanten kaum fällen. Thomas dagegen war ein in jeder Weise vortrefflicher Zeuge, aber ihn entkräftete Willumsen mit der Bemerkung, er sage wohl, daß er seinem Opfer eine Falle gestellt habe, aber diese sei von allzu unnatürlicher, unwahrscheinlicher und romanhafter Beschaffenheit, als daß man ihr Glaubwürdigkeit beilegen könne. Willumsen behauptete ferner, das Geld sei schon draußen im Waldhüterhaus in der Tasche gewesen, und daß man dies nicht untersucht habe, sei ausschließlich die Schuld des Assessors, der die Durchsuchung hätte erzwingen können.

Das war nicht zu leugnen; es war durch Zeugen erhärtet, denn sowohl Arthur wie Klemmesen und Monny waren bei der Szene zugegen gewesen, wo Willumsen allerdings Thomas in seinem Zugeständnis an Arthur unterstützt hatte. Aber keiner der Betreffenden wagte zu leugnen, daß, wenn Thomas wirklich die Tasche hätte öffnen lassen wollen, sie auch geöffnet worden wäre.

Dies war nicht geschehen.

Und Willumsen behauptete, es wäre nicht geschehen, weil Thomas die Hand über Arthur Franck, den er immer gekannt hätte und dessen Verhältnis zu Monny er protegierte, zu halten wünschte.

Das war das Vortreffliche an Willumsens Verteidigung, daß er dadurch in gewisser Weise seinen gefährlichsten Gegner und den Hauptzeugen in der Sache, den Assessor Klem, schwächte. Doch war die Schwierigkeit eigentlich nur formeller Natur, denn in Wirklichkeit zweifelte niemand daran, daß Willumsen der Dieb sei.

Thomas erklärte einmal über das andere, der Kreisrichter Heiden könnte die Sache ruhig abschließen und Willumsen auf Indizien verurteilen; er fügte spitz hinzu, wenn der Arrestant der Obhut der achten Kammer anvertraut wäre, würde er ihn schon so mürbe gemacht haben, daß er ein aufrichtiges Geständnis abgelegt hätte. – Aber wie gesagt, das war in diesem Falle überflüssig. Kreisrichter Heiden, der äußerst dankbar und voller Wohlwollen für Thomas war, war in diesem Punkte störrisch und hartnäckig.

Er hob hervor, es läge wohl eine Reihe wichtiger Indizien gegen den Arrestanten Willumsen vor, aber keins weise mit Notwendigkeit auf ihn als den einzig möglichen Übeltäter hin. Und das eine feste, gesetzmäßige Indizienmoment, daß die Beute sich im Besitz des Angeklagten finden solle, fehle hier, denn die Beute, das gestohlne Geld, habe sich eben im Besitz eines andern, jedenfalls in der Handtasche eines andern gefunden, ohne daß aufgeklärt wäre, wie es dahin gekommen war.

Kreisrichter Heiden wollte Arthur Franck nicht bezichtigen; er ließ seine Erklärung, daß er unschuldig sei, gelten, aber er wollte Willumsen nicht verurteilen, solange er nicht selber ein unumwundenes Geständnis abgelegt habe.

Thomas meinte, dies sei Prinzipienreiterei, aber Kreisrichter Heiden war nicht zu erschüttern.

So vergingen drei Monate, ohne daß die Sache soweit gefördert worden wäre, daß man eine Bestimmung über die öffentliche Verhandlung hätte treffen können.

Willumsen leugnete standhaft und hartnäckig. Er behauptete keck, entweder habe Franck das Geld gestohlen und es sei in der Tasche gewesen, als der Assessor sich weigerte sie im Waldhüterhause öffnen zu lassen, oder der Assessor habe es selbst in die Tasche hineinpraktiziert, nachdem er solche Taschenspielerkünste mit dem Band gemacht habe, daß man es öffnen konnte, ohne das Siegel zu erbrechen.

Und dies hätte der Assessor getan, um den Widerstand des Gutsbesitzers zu überwinden und seine Einwilligung zur Heirat mit Tine zu gewinnen. Das Geld hätte er selber mitgebracht, um mit der Entdeckung des Diebstahls zu glänzen.

Ja.

So stand die Sache.

Thomas ärgerte sich gelb und grün, aber der Kreisrichter mit seiner eigentümlichen milden Unbestimmtheit gab keinen Fußbreit nach. Es gab keinen andern Ausweg. Entweder mußte Thomas Klem beweisen, daß Willumsen das Geld in die Tasche gelegt habe, oder Willumsen mußte gestehen, daß er es wirklich getan habe.

Thomas Klem war nicht der Mann, der etwas aufgab. Die Folter konnte er nicht anwenden; auch nicht die moderne Form der Folter, die nach Gesetz und Recht und nach den geltenden Bestimmungen von einem rücksichtslosen Untersuchungsrichter gegen einen eingesperrten, vom Richter ganz abhängigen Angeklagten angewendet werden kann. Kreisrichter Heiden war mild und freundlich, und Willumsen saß behaglich und warm in seinem Arrest, bereit sitzen zu bleiben, solange man es wünschte.

Daher wählte Thomas einen ganz andern Ausweg, der den liebenswürdigen Kreisrichter, als er ihm seine Gedanken vortrug, äußerst nachdenklich stimmte.

Der Schauplatz war das Gericht nach einem der gewöhnlichen, resultatlosen Verhöre des Angeklagten. Willumsen war wieder in Arrest abgeführt, die Zeugen waren vorläufig entlassen.

Der Kreisrichter saß auf einem Stuhl hinter dem mit grünen Tuch bezogenen Richtertisch, und Thomas ritt auf der Schranke, eine von seinen eignen Zigarren rauchend.

»Lieber Herr Kreisrichter,« sagte er, an das oft diskutierte Thema anknüpfend. »Ich erkenne an, daß unter den vorliegenden Umständen geringe Aussicht dafür vorhanden ist, daß unser bewährter Freund Willumsen mürbe wird und gesteht. Ich sollte meinen, daß die höhere und höchste Gerichtsbarkeit ihn verurteilen würde, aber ich muß sagen, es gibt Momente in der Sache, die es mir bedenklich erscheinen lassen, sie vor das Forum der höchsten Gerichtsbarkeit kommen zu lassen. Ich wünsche nicht vor offnem Vorhang mitzuspielen und Gegenstand für die Taschenspielerkünste irgend eines ehrgeizigen Advokaten zu sein. Sie wollen den Mann also nicht auf Indizien verurteilen, und er wird sicher appellieren, wenn Sie ihn verurteilen. Ihn ohne weiteres laufen zu lassen, geht vermutlich auch nicht, jetzt wo die Sache durch seine Verhaftung öffentlich geworden ist und es kaum zu erwarten ist, daß die Anklagebehörde die Anklage gegen ihn fallen läßt.

Ich schlage Ihnen daher vor, daß wir Herrn Willumsens Geständnis erkaufen.«

Der Kreisrichter zuckte zusammen.

»Verstehn sie mich recht,« fuhr Thomas fort. »Ich gehe davon aus, daß der Mann gewillt ist mit uns zu handeln. Er gesteht nicht gutwillig – und ehrlich gesagt, warum in aller Welt sollte er auch? Dann wird er sicher verurteilt; solange er leugnet, hat er eine Chance freizukommen, und für ihn ist das Ganze eine Zeitfrage. Mein Vorschlag geht ganz einfach dahin, daß Sie ihn auf freien Fuß setzen, Sie sollen nicht einmal Kaution verlangen. Sie schließen die Verhöre und sagen dem Manne, daß er jetzt geleistet habe, was er Ihrer Ansicht nach leisten könnte, und daß er frei sei.

Nur darf er diese Stadt nicht verlassen; es soll dafür gesorgt werden, daß er Existenzmittel hat. Den Rest werde ich dann besorgen, wenn Sie es mir überlassen wollen. Er kann nicht weglaufen, ohne Verdacht zu erregen, und versucht er es, so sind wir eher weiter, als wir vorher waren.

Also tun Sie, wie ich Ihnen sage.«

Kreisrichter Heiden erhob sich von seinem Richtersitz und ging in dem kleinen abgegrenzten Stück des Gerichtslokals, wo er seinen Platz hinter dem Schranke hatte, auf und ab.

Der Plan gefiel ihm ausnehmend. –

Aber er wollte nicht gleich ja sagen; er wollte sich die Sache fünf Minuten überlegen. Es gibt Leute, die das unweigerlich müssen, und es ist selten schwierig mit ihnen zurecht zu kommen.

Als er mit der Überlegung fertig war, ging er auf den Plan ein.

»Gut!« sagte Thomas. »Jetzt ist also die Reihe einzugreifen, wieder an mir! Sie werden mir vermutlich zugeben, daß ich bisher ganz gut vorwärts gekommen bin, und daß ernste Schwierigkeiten auf unserm Weg erst entstanden sind, als die Sache in Ihre Hände überging. Ich sage das nicht um unbescheiden zu sein oder zu prahlen, aber es ist wahr.«

Der Kreisrichter bestätigte es sanftmütig.

»Also,« fuhr Thomas fort, »jetzt handle ich. Ich habe die Erlaubnis, alles innerhalb der Grenzen von Gesetz und Anstand vorzunehmen, was ich für gut befinde. Und Ingenieur Willumsen wird auf freien Fuß gesetzt unter der Bedingung, daß er sich innerhalb der Grenzen der Jurisdiktion aufzuhalten hat, nicht wahr?«

Der Kreisrichter nickte.

»Wollen Sie dann den Arrestanten rufen lassen!« sagte Thomas.

Und der Kreisrichter ließ den Gefangenenwärter holen, der kurz darauf mit Willumsen und Polizeidiener Hansen zurückkam.

Der Kreisrichter schrieb in seinem Protokoll. Er, der sonst alle Arbeit, wo er es anständigerweise konnte, andern überließ, führte die Arbeit selbst aus, die er ebensogut einen Protokollführer hätte tun lassen können, er schrieb selbst das Gerichtsprotokoll und las Willumsen folgendes vor:

»Nachdem der Arrestant hartnäckig trotz wiederholter und eindringlicher Vorhaltungen von seiten des Richters geleugnet hat, daß er des ihm zur Last gelegten Verbrechens schuldig sei, wird ihm vom Richter mitgeteilt, daß die Sache abgeschlossen und der Anklagebehörde zur Beschlußfassung übersandt wird. Da seine Anwesenheit somit in Rücksicht auf die Untersuchung der Angelegenheit nicht länger notwendig ist, und da der Richter nach der vom Angeklagten während der Untersuchung angenommenen Haltung keinen Grund hat zu befürchten, daß er sich dem eventuellen gerichtlichen Verfahren entziehen werde, so wird er, unter der Bedingung den Jurisdiktionsbezirk nicht zu verlassen, um bei einer eventuellen Vorladung dem Richter zur Verfügung zu stehen, entlassen. Die Haft ist aufgehoben, die Sache abgeschlossen. –«

Hansen fiel beinahe auf den Rücken und schielte nach dem Assessor wie um Beistand in seinem Entsetzen zu finden.

Thomas rauchte ruhig seine Zigarre weiter.

Willumsen stutzte und betrachtete die beiden Herren mißtrauisch.

Der Kreisrichter stand auf.

»Sie können also gehen, Herr Willumsen, die Haft ist aufgehoben! Ihre Sachen und Ihr bares Geld werden Ihnen vom Gefängniswärter ausgehändigt werden. Soweit es Sie angeht, ist die Sache also vorbei.«

Willumsen fand sich in guter Haltung darein und verbeugte sich.

Er fügte keinen Kommentar zu den Worten des Kreisrichters.

Assessor Klem trat an ihn heran.

»Herr Willumsen,« sagte er. »Sie können gehen, ohne mich anzuhören, wie der Kreisrichter sagt. Sie sind frei. Sie können mich auch anhören, und ich glaube, Sie täten klug daran, da sie ja doch riskieren unter Anklage gestellt zu werden und gewissermaßen noch einen Strick am Bein haben.«

Willumsen warf seinem Feinde einen scharfen Blick zu.

»Ich wüßte nicht, worüber ich mit Ihnen zu reden hätte,« sagte er: »ich halte mich an das Gesetz. Ich wünsche nicht anderes als Gerechtigkeit und bin bereit in der Haft zu bleiben.«

Der Assessor nickte.

»Wenn das Gericht dies nicht annähme, würden Sie kaum die Erlaubnis erhalten zu gehen. Aber wie Sie gegen den Willen des Gerichts nicht gehen können, so können Sie gegen seinen Willen auch nicht bleiben. Es handelt sich also nur darum, ob Sie ein paar Worte mit mir zu reden wünschen, wie ich sie mit Ihnen zu reden wünsche. Ich werde Ihnen nichts zu leide tun.«

Willumsen schwieg, er fürchtete wie die seligen Trojaner die Danaer, auch wenn sie Geschenke brachten. Aber Kreisrichter Heiden fand eine Lösung, die dem vortrefflichen Kreisrichter alle Ehre machte.

»Herr Willumsen,« sagte er, »Sie sind jetzt nicht mehr Arrestant; es wird Ihnen vielleicht unter diesen Umständen unangenehm sein, den Arrest zu verlassen und in die kleine Stadt hinauszugehen, wo Sie bekannt sind. Ich kann Sie noch nicht von hier Wegreisen lassen. Ich werde für einen Aufenthaltsort für Sie sorgen. Wollen Sie mein Gast sein? Assessor Klem speist bei mir, und da können wir zusammen reden.«

Hansen beruhigte sich, er ahnte eine Falle.

Willumsen dagegen wappnete sich mit Mißtrauen und seinem gewohnten Starrsinn, aber er schlug ein.

Es wäre zu viel gesagt, wollte man die Stimmung, die während des Mittagessens bei Kreisrichter Heiden herrschte, animiert nennen. Das Essen war gut, der Kreisrichter hatte das ganze Verständnis des Junggesellen für gut zubereitetes Essen, und er war ein in jeder Weise vortrefflicher Wirt. Jeder wird indes zugeben, daß seine Aufgabe bei dieser Gelegenheit mehr als schwierig war. Und wir wollen darum nicht bei der Mahlzeit verweilen, die etwas peinlich verlief, sondern die drei merkwürdigen Tischgenossen betrachten, wie sie nach dem Essen im Zimmer des Kreisrichters beim Kaffee saßen, Willumsen eine von Assessor Kleins guten Zigarren rauchend.

Thomas war merkwürdig mild, er machte keine schlechten Witze, er war sehr höflich gegen Willumsen und sprach von anderen Dingen; aber er versuchte andrerseits durchaus nicht so zu tun, als wüßte er die Situation nicht richtig einzuschätzen.

Und allmählich ging er zur Ausführung seiner eigentlichen Absicht über.

»Herr Willumsen,« sagte er, »ich bin moderner Kriminalist und habe meine eigene Ansicht von Verbrechen, seiner Ursache und seiner Bekämpfung. Sie wissen, daß ich Sie für schuldig halte, und ich will nicht versuchen aus meiner Auffassung ein Hehl zu machen. Auf der andern Seite wollten Sie als Arrestant nicht gestehen. Das kann ich begreifen, ich möchte nun erfahren, ob Sie als freier Mann denselben Standpunkt einnehmen.«

»Ja,« antwortete Willumsen fest, »ich spreche die Wahrheit und halte mich an die Wahrheit.«

»Gut,« fuhr Thomas fort, »aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß es nicht genug ist, daß Sie Ihre Stellung in Worten festlegen, Sie müssen auch durch die Tat dafür eintreten. Ich fordere Sie nun auf, mit mir nach Braendholt hinaus zu kommen; Sie treffen dort eine Familie, die Sie kennen, ich komme selber mit, und ich garantiere Ihnen dafür, daß Sie aufgenommen werden.«

Willumsen schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich – –«

Der Assessor fuhr fort: »Sie unterbrechen mich zu zeitig. Ich akzeptiere Ihre Unschuld; nicht weil ich daran glaube, das können Sie nicht verlangen, aber ich akzeptiere sie. Ich tue mehr als das, ich trete dafür ein. Ich räume meinem Onkel gegenüber ein, daß möglicherweise Franck der Dieb sein könne, daß ich mich in den Ringen geirrt haben könnte, als ich die Tasche versiegelte. Franck ist zur Zeit in der Hauptstadt. Ich verlange von Ihnen, daß Sie sich unter einem Dach mit der Familie aufhalten, mit ihr leben, und durch die Tat für Ihre Unschuld eintreten. Ich garantiere Ihnen, daß Sie aufgenommen werden, und daß Sie jede Gelegenheit, die Sie wünschen, erhalten werden, zu sagen, was Sie meinen zu sagen zu haben.«

»Das ist unmöglich,« sagte Willumsen scharf. Es ist nur eine neue Falle.«

Thomas strich die Asche von seiner Zigarre ab. »Nein, Herr Willumsen, das ist es nicht! Ich weiß, wenn Sie nicht der Dieb sind, so ist es Franck. Er behauptet er sei unschuldig, er ist offiziell mit meiner Kusine Monny verlobt, er kann hinkommen und seine Unschuld Ihnen gegenüber verteidigen. Es handelt sich bei diesem Kampf nur darum, wer auf eine gerechte Sache baut, und bauen Sie auf die Ihre, so sollten Sie den Kampf aufnehmen.«

»Ich habe Franck nicht in Verdacht,« erwiderte Willumsen fest; »ich habe Sie im Verdacht – nicht daß Sie gestohlen haben, sondern daß Sie das Geld in die Tasche gelegt haben, um die Schuld auf mich zu wälzen.«

Thomas lächelte: »Ja, ich weiß, daß ich das nicht getan habe und darum kann ich frei und ruhig Ihnen gegenüber auftreten. Aber auf der andern Seite können Sie ja diesen Standpunkt der Familie Busgaard gegenüber vertreten. Sie können nicht verlangen, daß ich ihn teile, ich habe im Gegenteil im Sinn, mich sehr heftig dagegen zu verteidigen, aber auf gleichem Fuß mit Ihnen.«

»Das ist doch nur Spiegelfechterei,« sagte Willumsen finster. »Sie wissen recht gut, daß Ihre Verwandten mir nicht glauben werden; sie werden Ihnen glauben und mich wie einen Verbrecher behandeln!«

»Jawohl, aber gerade durch Ihr Auftreten sollen Sie ja diese Menschen gewinnen. Sie glauben die ganze Zeit, Sie befinden sich im Verhör, Willumsen! Das tun Sie nicht, Sie sind Gast bei Kreisrichter Heiden, wo ich ebenfalls Gast bin. Wir haben beide Sie im Verdacht, das gebe ich zu; aber sind Sie unschuldig, so irren wir eben beide. Menschen können irren. Sie irren sich, wenn Sie glauben, ich hätte das Geld in die Tasche gelegt. Ihr Glaube macht mich nicht unsicher. Ich weiß nicht, ob Sie irgend welche Unsicherheit an mir bemerken. Ich verlange nur, daß Sie mit nach Braendholt hinauskommen und durch Ihr Benehmen Ihre Unschuld beweisen.«

»Das würde unnütz sein,« sagte Willumsen bestimmt. »Unangenehm für Busgaards, unerträglich für mich – nur die Verlegung des Verhörs in ein Privathaus, in die ich mich nicht zu finden brauche, und in die ich mich nicht finden will!«

»Wie Sie wollen,« sagte der Assessor und zuckte die Achseln. »Sie geben also den Versuch mich und die Welt zu überzeugen auf. Es ist also nur das Formelle, worum es sich jetzt handelt. – Sie meinen, Sie können der Strafe entgehen – ich glaube, Sie irren sich; aber es ist ja möglich, daß Sie freigesprochen werden. Was dann? Wollen Sie auch dann sich von Braendholt fern halten?«

»Ja,« erwiderte Willumsen; – »ich wünsche nicht die Menschen, die mich in dieses Unglück gestürzt haben, zu belästigen. – Ich habe diesen Verdacht nicht verdient, und ich mag die Menschen nicht sehen, die mich unverdient im Verdacht haben. – Die Welt ist groß, ich werde meinen Weg schon machen, wenn nicht hier, dann im Ausland.«

»Richtig,« sagte Thomas freundlich. »Jetzt sind wir so weit. – Ich kaufe Ihnen Ihr Geständnis für den Betrag, den Sie dafür haben wollen, ab. Er darf meine Mittel natürlich nicht übersteigen, aber ich bin bereit eine runde Summe dafür zu opfern. Wie die Sache jetzt steht, haben Sie eine Chance freigesprochen zu werden, – sie ist minimal. Sie haben neun von zehn verurteilt zu werden, und in dem Fall ist es aus mit Ihnen.

Nun komme ich und sage, Sie können sich freikaufen. Wir kommen dem Beweis nicht näher, als wir gekommen sind, sonst würde ich nicht mit Ihnen handeln. Sie entrinnen dem Verdacht nicht, höchstens können Sie der Strafe entrinnen. Davon können Sie sich durch Ihr Geständnis freikaufen, und dann können Sie das Leben von neuem beginnen, draußen in der weiten Welt.«

Willumsen schwieg.

»Sie verstehn,« fuhr Thomas fort, »daß ich nur mit Ihnen handle, weil ich von Ihrer Schuld überzeugt bin.

Sie können nicht unter diesen Menschen leben, weil Sie schuldig sind. Es handelt sich nur um die Folgen. – Sie sollen sich nicht übereilen – aber überlegen Sie sich die Sache!«

Willumsen schwieg andauernd.

Jetzt trat Kreisrichter Heiden zu ihm hin und sagte:

»Tun Sie mir den Gefallen, Willumsen, da Sie gerade hier sind – und spielen Sie mit mir das Duo in F moll, Sie wissen, das, was ich so liebe.«

Willumsen konnte nicht nein sagen, und die beiden, der Kreisrichter und der Angeschuldigte, spielten ein Duo in F moll. Das war seltsam.

Und noch seltsamer war es, daß Kriminalassessor Klem ruhig in einen Stuhl zurückgelehnt da saß und die Musik scheinbar von ganzer Seele genoß.

Sie spielten einmal und sie spielten zweimal, und Thomas blieb in seinem Stuhl sitzen.

Aber als sie nach langer Zeit fertig mit spielen waren und sich nach Assessor Klem umsahen, da war der Stuhl leer und Kreisrichter Heiden und Willumsen waren allein in der Stube.

Es war spät geworden, und es wurde noch später; aber als die Märzsonne auf die Fenster des Kreisrichters zu scheinen anfing, saß Willumsen im Lehnstuhl des Kreisrichters zusammengesunken in tief menschlichem Weinen, das aus dem innersten Herzen kam.

Warum es leugnen? – Auch Kreisrichter Heiden weinte; so war er nun einmal, er fand, daß er das Erhabene entweiht habe, als er sich das Geständnis erspielte.

Kriminalassessor Klem nahm es anders auf, als er am nächsten Morgen erfuhr, was vorgegangen war. Er sagte bloß:

»Dachte ich es mir doch, wenn Sie sich auszeichnen sollen, lieber Herr Kreisrichter, so müssen Ihre Handlungen in Musik umgesetzt werden.«

Aber das Geständnis hatten sie, und der Sünder kam einigermaßen billig davon.

Für Juristen sei bemerkt, daß § 228 in Verbindung mit dem Gesetz über bedingte Begnadigung in Anwendung kam.

Laien interessiert das Juristische ja nicht.


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