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Polizeidiener Hansen ist ein vollkommener Gardesergeantentypus. Ursprünglich war er Spielmann Nr. 5 gewesen und hatte die Trommel auf Amalienborg geschlagen, wenn die königliche Familie ins Theater fuhr. Die Spielmannschule ist streng, und der Obersergeant, der sie leitete und unter dem Namen »der Waschbär« bekannt war, versagte sich nichts, wenn es galt, den Burschen die Rücken zu gerben.
Sie lernten gehorchen, turnen, Instrumente spielen, sie lernten wie Landsknechte fluchen und Tabak rauchen und Branntwein trinken, Prügel mit Anstand ertragen und sie an Schwächere weitergeben. Kurz, sie wurden für ein Kriegerleben geschult, dessen Voraussetzungen in Friedenszeiten nicht ganz erfüllt werden konnten. Und als sie 17 bis 18 Jahr alt wurden, nahmen sich die Amazonen der Gasse ihrer an und vollendeten die Erziehung durch leichtfaßliche Kurse über den Unterschied von gut und böse.
Hansen nahm das Leben, wie es zu ihm kam, mit Saurem und Süßem; er wurde Rekrut, Unterkorporal und Sergeant und ging dann zur Polizei über, für welche Stellung er wohlgeeignet war infolge seines durch eigene Erfahrung erworbenen intimen Verständnisses der offenen und verschlossenen Bücher der Großstadt, wie sie in Menschenschicksalen auf Straßen und Plätzen, in Schlupfwinkeln und Hinterhöfen geschrieben sind; die Disziplin brachte er vom Militärdienst mit; der gerade Rücken wurde zum Katzenbuckel gegenüber den Vorgesetzten.
Nach unten schlug Hansen zu, das hatte er gelernt und befand sich wohl dabei.
Auf diesem Wege war er ein vortrefflicher Geheimpolizist geworden, und wurde ein ausgezeichneter Polizeidiener auf dem Lande.
Thomas kannte und schätzte ihn aus langer Tätigkeit am Kriminalgericht; von Vertraulichkeit konnte keine Rede sein, zur Not von einem gewissen gemütlichen Unterhaltungston, wie er in Thomas' Naturell lag, ohne zu weit zu gehen.
In diesem speziellen Falle war Hansen ja nicht Thomas' Untergebener, aber noch immer bestanden zwischen ihnen diese Voraussetzungen, von denen keiner sich frei machen konnte. Tine hatte Hansen geholt, und als sie das Zimmer verließ, blickte Hansen ihr nach, ein bißchen abschätzend, wie es Thomas vorkam, aber enfin –
»Was Neues, Hansen?« fragte er, als die Tür sich hinter Tine geschlossen hatte.
Hansen schlug die Hacken zusammen. »Das Neue soll von Ihnen kommen, Herr Assessor!«
Thomas lächelte.
»Sie sind höflich,« sagte er, und lud Hansen mit einer wohlwollenden, ein wenig herablassenden Bewegung ein, Platz zu nehmen. Selber warf er sich in einen Stuhl.
Hansen blieb stehen.
»Ich kenne den Herrn Assessor,« sagte er. »Sie sind nie besser aufgelegt, als wenn ein bißchen – genug – um Verzeihung, mit im Spiel ist.«
Thomas nahm es gnädig auf. – Pst, Hansen, die Wände haben Ohren!«
Hansen fuhr fort: »Es war einmal, wie der Herr Assessor noch junger Protokollführer waren ...«
Thomas unterbrach ihn: »Sie haben recht, Hansen, ehe ich mich für die eine entscheiden konnte, mußte ich, um nicht ungerecht gegen die anderen zu sein, auch prüfen, was sie zu bieten hatten. Das war ja nur recht und billig.«
»Gut, sagen wir das,« erwiderte Hansen.
»Nein,« fiel Thomas ein, »das sagen wir nicht. – Wir schweigen damit. – Verstanden?«
»Mein Mund ist verschlossen,« antwortete der Polizeidiener und verbeugte sich.
Aber es war doch durch diesen kleinen Wortwechsel in den beiden ein Gefühl des Zusammenarbeitens entstanden, das zwischen Männern ganz nützlich sein kann.
»Zur Sache,« sagte Thomas und zog sein Notizbuch heraus.
»Sagen Sie mir Hansen,« fuhr Thomas fort, indem er die Augen zusammenkniff; »ist ihr schöngelockter Vorgesetzter nicht eigentlich ein ganz tüchtiger Mann?«
Hansen antwortete mit Vorbehalt:
»Ich habe ihn so kurz gehabt,« sagte er, wie zur Entschuldigung. »Er schlägt nicht ganz schlecht an. Aber es interessiert ihn nicht. Seine Violine und seine Musik füllen seine Zeit aus. Aber wenn man auf ihn aufpaßt, so glaube ich nicht, daß er Unheil anrichtet.«
»Das ist also Ihre Auffassung?« fragte Thomas langsam und biß in den Bleistift.
»Ja,« antwortete Hansen mit großer Bestimmtheit.
»Ich habe den größten Respekt vor Ihnen,« fuhr Thomas fort.
»Gleichfalls,« erwiderte der andere. »Sollen wir also den Verwalter verhaften.«
Thomas sah nachdenklich aus.
»Die formelle Grundlage ist in Ordnung,« sagte er. »Aber glauben Sie auch, daß der Kreisrichter will? Er schien einen wahren Türkenglauben an den Jütländer zu haben. Und der Gutsbesitzer ...«
»Ich habe mit beiden gesprochen,« erwiderte der Polizeidiener mit Selbstgefühl. Und ich glaube schon, daß die Sache jetzt ins Rutschen gebracht ist.«
»Wir lassen es sein,« sagte Thomas mit Wucht.
»Wie beliebt?« fragte der Polizeidiener und starrte ihn ungläubig an.
»Ich sage, wir lassen es sein,« fuhr Thomas sehr ruhig und in vollster Offenheit fort. »Ich habe mehrere Gründe. Einer der wichtigsten ist, daß ich überzeugt bin, der Mann hat das Geld nicht gestohlen.«
»Ist der Grund entscheidend?« wagte der Polizeidiener zu fragen.
»Nein,« räumte Thomas ein. »Aber er ist nicht ganz unwesentlich. Es gilt nur zu erfahren, ob man Ihren musikalischen Vorgesetzten dazu kriegen kann eine Untersuchung einzustellen, wenn die Umstände es erfordern.«
»Darin ist er großartig,« erklärte Hansen mit breitem Lächeln. »Wenn er eine Arbeit loswerden kann ...«
»Na, ist er so?« fiel Thomas ein. »Ja, wissen Sie was, Hansen, das ist im Grunde der Beamtentypus, der am wenigsten Schaden in einem Lande anrichtet, und solche haben wir Gott sei Dank eine ganze Anzahl. Sie meinen also, daß es nicht schwer sein wird, den Kreisrichter zu veranlassen, die Untersuchung ruhen zu lassen, und das Ganze nach mehr privaten und familienrechtlichen Gesichtspunkten zu ordnen.«
Der Polizeidiener nickte.
Es entstand eine Pause.
»Hören Sie, Hansen,« sagte Thomas, »lassen Sie mich nun einmal wissen, was Sie selber über die Sache denken.«
Hansen räusperte sich. »Der Herr Assessor haben selber meine Aufmerksamkeit auf den Verwalter gelenkt, und der Herr Assessor wissen ja, daß wir Kammerbeamten gewohnt sind unseren Richtern zu gehorchen. Ich habe einen Rapport über den Verwalter geschrieben, der drinnen auf dem Neumarkt eine vortreffliche Verhaftungsgrundlage abgeben würde, dafür garantiere ich. Das habe ich für meine Pflicht gehalten und der Herr Assessor haben mir auch nicht Order gegeben, andere Untersuchungen anzustellen.«
»Aber Ihre eigene Meinung?« unterbrach ihn Thomas.
Hansen fuhr fort: »Der Herr Assessor wissen, daß ich nie durch eigene Meinungen unbequem gewesen bin. Wenn man einen tüchtigen Vorgesetzten hat, so gilt es ja nur sich seine Meinung anzueignen und ihr die faktischen Verhältnisse anzupassen. Das habe ich gelernt und ich glaube, ich kann es ganz gut. Ich habe nie zu den Beamten gehört, die ihre Vorgesetzten kritisieren, das kommt, weil ich Soldat gewesen bin, das liegt im Blut ...«
Thomas unterbrach ihn wieder.
»Das kann alles recht gut sein, Hansen, aber hier draußen müssen Sie doch auf eigene Hand handeln; nach Ihren Worten haben Sie ja keine große Stütze an Ihrem Chef. Wenn Sie also hier auf eigene Faust hätten handeln sollen, was dann?«
Hansen verbeugte sich bescheiden. »Dann würde ich dasselbe getan haben wie der Herr Assessor und wäre jetzt soweit, daß ich eine Untersuchung darüber anstellen müßte, wie Klemmesen zu dem Geld gekommen ist, das er auf die Bank gebracht hat. Ich würde ihn verhaften und den Weg weiter verfolgen.«
Thomas zuckte die Achseln.
»Das wäre nicht richtig, Hansen! Klemmesen ist unschuldig.«
»Woher wissen der Herr Assessor das?« fragte der Polizeidiener etwas pikiert.
»Instinkt,« sagte Thomas und zuckte die Achseln.
»Kenne ich nicht,« kam es scharf von den Lippen des Polizisten.
Thomas lächelte. »Nein, mein guter Hansen, das ist mir nichts Neues – das weiß ich. Instinkt haben weder Sie, noch die meisten Ihrer Kollegen. Es ist nicht notwendig, aber es ist verteufelt angenehm, wenn man ihn hat. Na – sehen wir also von Klemmesen ab!«
Hansen bekam einen roten Kopf.
»Ist es der Ingenieur?« fragte er.
Thomas blickte auf.
»Sieh, sieh – haben Sie ihn im Verdacht.«
»Einer muß es doch gewesen sein,« erwiderte der Polizeidiener mürrisch. Er hatte trotz allem eine leichte Pieke auf den Jütländer, und dann hatte er den ausgezeichneten Rapport geschrieben.
Thomas überlegte ein Weilchen, dann sagte er: »Sie können bisweilen genial sein, Hansen! Aber Sie können sich auch irren. Ich finde, es ist nicht schön, alle zu verdächtigen. Und es ist ja klargestellt, daß Willumsen nichts von dem Versteck gewußt haben kann.«
»Wer hat das festgestellt?« fragte Hansen bissig.
»Der Kreisrichter,« lautete die Antwort.
»Na, dann!« Hansens ganzer Unwille richtete sich jetzt gegen den Kreisrichter. »Ja, der Ingenieur ist ja auch Musikant, und die beiden haben manche Melodie zusammen abgeleiert. Aber es ist sonst nicht wahrscheinlich, daß jemand von dem Hofgesinde das Geld genommen hat. Und nach allem, was festgestellt ist, liegt doch nicht der entfernteste Grund vor zu glauben, es sei ein Einbruch von einer nicht zum Hause gehörigen Person verübt worden.«
»Das wissen wir eben nicht,« antwortete Thomas sehr sanft. Es machte ihm doch Vergnügen zu sehen, wie die unnütz verrichtete Arbeit den höflichen Beamten mürrisch und verdrießlich machte. Und dann war es so echt, daß es über den Kreisrichter herging und nicht über Thomas, den doch die Hauptschuld traf. Thomas wollte Hansen nicht verspotten, er konnte ihn möglicherweise brauchen, und es war das Sicherste ihn mit entgegenkommendem Wohlwollen zu behandeln.
»Sehen Sie, Hansen,« fuhr er daher mit gedämpfter Stimme fort. »Sie kenne ich; Ihren Kreisrichter habe ich heute zum erstenmal getroffen, und Sie meinen ja selber, daß er kein besonderer Hexenmeister ist. Lassen Sie mich Ihnen darum mitteilen, welche Rolle ich den beiden Herren in diesem spannenden kleinen Schauspiel bestimmt habe. Sie sollen mir helfen den Dieb zu fassen; zu dieser Arbeit bedarf ich Ihrer Hilfe. Wenn wir den Burschen haben, wird es sich vielleicht herausstellen, daß es das Bequemste und Praktischste für alle Teile ist, wenn wir ihn laufen lassen, und den Teil des Geschäftes soll Kreisrichter Heiden besorgen, verstehn Sie?«
»Nein,« antwortete Hansen aufrichtig. »Ich verstehe kein Wort. Das heißt, daß der Kreisrichter den Kerl laufen lassen soll, das verstehe ich, das ist etwas, was er mehr als gern tun wird. Aber worauf ich mir keinen Vers machen kann, das ist, wen der Herr Assessor im Verdacht hat, wenn es nicht der Ingenieur ist.«
»Nun will ich Ihnen das Ganze erklären, Hansen,« sagte Thomas – und damit meinte der eingefleischte Geistesaristokrat, daß er dem Polizeidiener die Hälfte erklären wollte.
Doch Hansen, der von seiner eigenen Vortrefflichkeit voll überzeugt war, konnte selbstverständlich nicht glauben, daß er nicht das Ganze zu wissen kriegte.
Thomas fuhr fort: »Wir sind also einig, daß Klemmesen aus dem Spiel bleibt. Auch um den Ingenieur handelt es sich kaum, ihn lasse ich also auch ganz außer Betracht. Aber Niels und Klemmesen haben meine Aufmerksamkeit auf eine Person gelenkt, die sich drüben beim Waldhüter aufhält. Da ich das Einschreiten des Kreisrichters noch nicht wünsche, habe ich Klemmesen und Niels gebeten, sich dieser Person zu versichern. Er soll indessen nicht verhaftet werden aus Gründen, die ich Ihnen noch nicht erklären kann. Er soll bloß hierhergebracht werden, und dafür habe ich, wie gesagt, die beiden braven Männer um ihre Mitwirkung ersucht.
Nun ist Willumsen aus Gründen, die Sie selbst entdecken werden, und die ich Ihnen überlasse selber zu finden, im höchsten Grade daran interessiert, daß dieser Bursche in Güte entfernt wird, und ich habe daher aus privaten Gründen so getan, als ob ich mich Willumsen fügte. Es ist verabredet worden, daß Willumsen den Burschen nach Tische aufsuchen und versuchen soll, die Wahrheit aus ihm herauszukriegen. Aber noch vor dem Mittagessen werden Klemmesen und Niels ihn hier auf dem Hofe in Sicherheit gebracht haben. Verstehn Sie?«
Hansen schüttelte den Kopf. »Das ist zu ausgeklügelt.«
Thomas lächelte. »Vielleicht, aber ich habe meine Gründe. Ich habe keinen Verdacht auf Willumsen, aber ich kenne ihn nicht. Darum bitte ich Sie, sich des Ingenieurs anzunehmen und einen Rapport darüber zu verfassen, was er in den letzten Tagen vorgenommen hat.«
Hansen schnitt eine häßliche Grimasse.
Thomas lachte.
»Ich kann wohl begreifen, daß Sie keine Lust haben, noch mehr unnütze Rapporte zu schreiben, aber ich wünsche es. Willumsen bietet bisher absolut keinen Angriffspunkt für einen Verdacht, und es gilt nur Material gegen den Unbekannten zu sammeln; aber zu gleicher Zeit sähe ich gern, daß Sie soviel wie möglich über den Ingenieur herauszubringen suchten, damit wir dort einsetzen können, wenn es sich wider Erwarten herausstellen sollte, daß wir jetzt auf einer falschen Spur sind.«
Hansen sah etwas bedenklich aus.
»Um Sie noch weiter aufzumuntern, ist hier eine Zigarre,« sagte der Assessor und erhob sich. »Es ist eine alte Bekannte.«
Der Polizeidiener nahm die Zigarre. »Verzeihung,« sagte er, »wollen mich der Herr Assessor aus dem Spiel haben?«
Thomas lachte.
»Keineswegs, Hansen! Und um Ihnen das Gegenteil zu beweisen, will ich Sie bitten, meine Kusine Monny aufzusuchen und ihr zu sagen, daß ich augenblicklich mit ihr sprechen müsse. Gehn Sie nun!«
Und Hansen ging mit einer Verbeugung – aber unleugbar etwas desorientiert.