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Zehntes Kapitel.

Die widerstreitendsten Gefühle bewegten Lars Berghs Brust, als er das schattige, von Vogelfang und Blumenduft erfüllte Sanatorium verließ. Es war ihm zu Mute, als ob er eben einen Roman erlebt hätte, spannender als einen, den er je gelesen und so seltsam ergreifend dazu. Der tiefe Eindruck, den Ellida mit ihrer unvergänglichen Liebe für einen Verlorenen gemacht, drängte für den Augenblick das praktische Interesse, das er an dem Verbrechen in der Lindströmschen Villa nahm, in ihm zurück. Doch schon die kommende Viertelstunde sorgte dafür, daß es wieder mächtig in ihm wurde, denn während er in der Elektrischen durch die Straßen von Stockholm fuhr, sah er einen Zeitungsverkäufer mit einem Extrablatt in der Hand, umdrängt von einer Volksmenge, dastehen. Der Name »Jonsson« drang laut und deutlich an sein Ohr. Bei der nächsten Haltestelle sprang er aus dem Wagen und kaufte sich ein Blatt. Er hatte nicht falsch gehört, denn da war mit fettem Druck zu lesen:

Leutnant Jonsson verschwunden!

Darunter stand in gewöhnlicher kleiner Schrift:

»Leutnant Olaf Jonsson wird seit heute morgen vermißt. Man vermutet, daß der junge Mann in einem Anfall von Geistesstörung, hervorgerufen durch den Hieb, den er über den Kopf bekommen, die Wohnung seiner Tante heimlich verlassen hat. Wer des Verschwundenen habhaft werden sollte oder Nachrichten über ihn zu geben weiß, der wird gebeten, sich an das Polizeiamt III zu wenden.«

Lars starrte betroffen auf das Blatt. »Donnerwetter!« dachte er. »Nun gilt's! Wenn ich jetzt nicht rasch mit dem Kram fertig werde, hat die ganze Geschichte keinen Zweck und meine arme Sigrid kommt dennoch um ihre Reise. Nun aber dalli, dalli!«

Statt, in Saltsjöbaden angelangt, gleich nach Hause zu gehen, begab er sich fürs erste ins Grand Hotel, trank ein Glas Bier und knüpfte mit dem Oberkellner ein Gespräch an, das er auf den Einbruch in der Lindströmschen Villa und das Verschwinden des Leutnants Jonsson geschickt überleitete. Ohne daß der Oberkellner es selbst recht merkte, nötigte er ihn zu einer Antwort auf die Frage, um welche Zeit der Leutnant in der Nacht, in der das Verbrechen geschah, das Grand Hotel verlassen habe. »So ungefähr um halb zwei,« erwiderte der Mann. Lars nickte, er hatte eine ähnliche Auskunft erwartet. Hatte der Leutnant doch angegeben, daß er bis lange nach zwei Uhr im Grand Hotel gesessen und dann noch im Garten zwei Zigarren geraucht habe, indes Larka, wie er aus der Lektüre der Zeitungen wußte, ausgesagt, daß er um zwei Uhr mit dem »großen Unbekannten« hinter dem Lindströmschen Garten zusammengetroffen sei. Weder der Untersuchungsrichter, noch der Kriminalkommissar hatten bezüglich dieses Punktes im Grand Hotel Nachforschungen angestellt, denn da sie nicht einen Schatten von Mißtrauen gegen den Leutnant Jonsson hegten, war ihnen die Sache bedeutungslos erschienen.

»Nun wünschte ich bloß, daß mein Freund Tyllgren Wort gehalten und den Inhalt des Fläschchens untersucht hat,« dachte Lars. »Er hatte mir fest versprochen, die Arbeit sofort vorzunehmen und mir bis heute abend über das Resultat seiner Untersuchung Nachricht zukommen zu lassen.«

Tyllgren war ein Stockholmer Apotheker, mit dem Lars im verflossenen Winter bekannt geworden war und der ihm erzählt hatte, daß er sich früher viel mit chemischen Analysen beschäftigt hatte, und dann in einem Faluner Laboratorium angestellt gewesen war, um organotherapeutische Heilmittel zu bereiten. Erst, als eine Erbschaft ihn vor zwei Jahren in den Stand gesetzt hatte, sich selbständig zu machen, war er nach seiner Heimatsstadt Stockholm zurückgekehrt, um daselbst eine Apotheke zu kaufen. Im Hinblick auf seine Vorbildung hatte Lars Bergh diesen Tyllgren für den geeigneten Mann gehalten, um ihn mit der Untersuchung der eingetrockneten braunroten Flüssigkeit zu betrauen, die er in einem Fläschchen in Byströms alias Jonssons Stockholmer Zimmer gefunden hatte.

Zu seinem großen Verdruß teilte Frau Sigrid ihm bei seiner Rückkunft jedoch mit, daß Tyllgren während seiner Abwesenheit persönlich dagewesen, aber als er ihn nicht zu Hause gefunden habe, wieder fortgegangen sei.

»Hat er denn nicht gesagt, ob er wiederkommen würde?« erkundigte sich Lars verdrießlich.

»Nein, kein Wort hat er davon gesagt. Aber, es ist Dir ganz recht, wenn die Leute, an deren Besuche Dir etwas liegt, Dich verfehlen,« schmollte die kleine Frau. »Wozu bleibst Du nicht zu Hause, wie sich's für einen soliden Ehemann und Vater gehört? Die ganzen Tage treibst Du Dich neuerdings herum, kaum, daß man Dich noch bei den Mahlzeiten sieht. Da lohnt sich's wirklich nicht, verheiratet zu sein.«

»Es lohnt sich schon, Maus, wirst's schon erfahren,« erwiderte er gleichmütig.

Dann begab er sich in sein Arbeitszimmer und setzte sich an den Schreibtisch, um an einer kleinen Novelle zu arbeiten, zu der er bereits eine ausführliche Disposition gemacht hatte. »Wer war's?« lautete der Titel. In der kurzen Inhaltsangabe, welche noch etwas älteren Datums war als die Disposition, war folgendes verzeichnet:

Eine alte Dame, eine Frau Mörstlind, lebte mit ihrem Adoptivsohn Falo Nanssion und ihrer Gesellschafterin in einer einsamen Villa vor den Toren einer großen Stadt. Falo war ein leichtsinniger Mensch von verschwenderischen Neigungen, der seine Adoptivmutter fortwährend um Geld anging. Als sie sich am Ende weigerte, seine Forderungen zu erfüllen, verfiel er auf ein seltsames Mittel, sie sich gefügig zu machen. Es gab in dem Hause eine photographische Reproduktion der Lionardoschen Mona Lisa, welche Frau Mörstlind in hohen Ehren hielt, weil sie täuschend ihrer verstorbenen Jugendfreundin, Falos Mutter, glich. Der Vater des letztern war Maler gewesen und von ihm hatte der Sohn ein nicht unbedeutendes Zeichentalent geerbt. Mit Hilfe desselben zeichnete er mehrere, dem Körper der Mona Lisa angepaßte rechte Arme, deren Hände sich nicht, wie die auf dem Bilde des großen Malers, in ruhender Stellung befanden, sondern je mehr und mehr erhoben waren. Der letzte war wie zum Fluche ausgestreckt. Jeden dieser Arme klebte Falo auf eine Photographie der Mona Lisa, worauf er ihren ursprünglichen rechten Arm ausschnitt und die entstandene Lücke mit einer Zeichnung von Kleiderfalten ausfüllte. Dann photographierte er diese Bilder, beseitigte alle scharfen Ränder durch Retouche und befestigte zuerst das Bild, auf dem der Arm am wenigsten erhoben war, in dem für diesen Zweck vorher schon sorgsam zugerichteten Rahmen. Als Frau Mörstlind die Veränderung des Bildes bemerkte, glaubte sie zuerst an eine Selbsttäuschung; als der Arm der Mona Lisa am folgenden Tage noch höher erhoben und schließlich wie zum Fluch ausgestreckt war, bildete sie sich infolge ihrer stark abergläubischen Gemütsart ein, Falos Mutter zürne ihr wegen ihrer Härte gegen den Sohn, und gab ihm das Geld, das er verlangte. Von Stund' an hielt die Mona Lisa die rechte Hand über die linke gelegt, aber so oft Differenzen zwischen Adoptivmutter und Adoptivsohn entstanden, hob sie den Arm. Falo, der seine Mühe von günstigem Erfolge gekrönt sah, steigerte seine Ansprüche jedoch so sehr, daß Frau Mörstlind ihnen beim besten Willen nicht mehr willfahren konnte. Das Bild der Mona Lisa, mit dem nunmehr ständig erhobenen Arm flößte Frau Mörstlind indessen so furchtbares Grauen ein, daß sie es nicht mehr sehen mochte, und als Falo erkannte, daß seine Adoptivmutter sich auch durch ihren abergläubischen Schrecken davon nicht mehr beherrschen ließ, nahm er es und trug es – angeblich aus zärtlicher Sorge für die »geliebte Mutter« – nach einem Gartenhause, das am äußersten Ende des Villenparkes, hart an dessen Zaun lag.

In seiner verderbten Seele war der Plan entstanden, seine Adoptivmutter und Wohltäterin zu ermorden, denn wenn sie ohne Testament starb, so erhielt er als ihr alleiniger Erbe ihre ganze Hinterlassenschaft. Blieb ihr jedoch Zeit, ein Testament zu machen, so mußte er, wie sie ihm bereits gedroht, fürchten, daß sie ihn enterben würde. Natürlich mußte die Sache fein eingefädelt werden, daß niemand Verdacht gegen ihn faßte.

In der Mörstlindschen Villa hatte in letzter Zeit häufiger ein junger Tapezierer, namens Aklar, gearbeitet, ein heruntergekommener Mensch, den Falo zu einem gefügigen Werkzeug seiner Pläne zu machen hoffte. Er näherte sich ihm in einer Verkleidung, die ihn gänzlich unkenntlich machte, und überredete ihn, mit ihm zusammen einen Einbruch bei Frau Mörstlind zu unternehmen. Falo wollte Wache stehen und Aklar sollte durch das offene Fenster des Badezimmers einsteigen und den Geldschrank in Frau Mörstlinds Schlafzimmer ausräumen. Zu diesem Zwecke überlieferte Falo dem ihm blind vertrauenden Aklar einen angeblichen Chubbschlüssel zum Öffnen des Geldschrankes. Der Schlüssel war aber ein Brahmaschlüssel, der zu dem Schlosse des Geldschrankes überhaupt nicht paßte. Falo hatte eben keinen andern Geldschrankschlüssel auftreiben können und die Beschaffenheit desselben war ihm auch völlig gleichgültig, da er nie daran dachte, daß Aklar den Schrank ausräumen sollte. Es war ihm nur darum zu tun, diesem die Überzeugung beizubringen, daß er, Falo, es mit dem Einbruchsdiebstahl ernst nahm, und selbstverständlich mußte Aklar die Frage an ihn richten: »Wie soll ich den Geldschrank öffnen?« Daher mußte er ihm einen Schlüssel einhändigen. Falo hatte nun vor, während Aklar draußen wartete – er hatte ihm gesagt, daß er nicht vor Ablauf von fünfzehn Minuten einsteigen sollte, damit er, Falo, Zeit hätte, das Terrain zu rekognoszieren – auf seinem gewöhnlichen Wege durch die Haustür in die Villa zu gehen, um seine Pflegemutter durch einen Messerstich zu ermorden. Damit niemand von den übrigen Einwohnern der Villa ihn hören könnte, hatte er in das scharfe Ragout, welches das Abendessen der Dienstboten bildete, Chloralhydrat gegossen. Wenn dann Aklar in das Schlafzimmer Frau Mörstlinds trat, wollte Falo sich auf ihn stürzen und mit gellender Stimme »Hilfe, Mörder!« schreien. Dieser Hilferuf – so hoffte er – würde selbst die von dem Schlafmittel betäubten Dienstboten erwecken, jedenfalls aber die im andern Flügel wohnende Gesellschafterin, die kein Chloral bekommen hatte, herbeirufen. Vielleicht vernahmen auch Leute von draußen durch das offene Fenster den Hilferuf. Im übrigen vertraute Falo auch auf seine Körperstärke, die der des durch Hunger und Ausschweifungen entkräfteten Aklar weit überlegen war. Doch, es sollte anders kommen, als er gedacht. Nachdem er sich in seiner Wohnung rasch des falschen Bartes, der Perücke und der andern Sachen entledigt hatte, die einen Strolch aus ihm gemacht hatten, schlich er sich in das Zimmer seiner Tante und stieß der in tiefem Schlummer Ruhenden das Messer in die Brust. Hatte er ihr nun zuvor ein mit Chloroform getränktes Tuch übers Gesicht geworfen oder ihr den Mund zugehalten, um sie am Schreien zu hindern oder hatte der Messerstich ihr sofort die Besinnung geraubt, so daß sie keine Zeit mehr fand, einen Schrei auszustoßen – genug, sie lag, ohne daß sie auch nur einen Laut von sich gegeben, leblos da. Indes Falo noch über sein Opfer gebeugt stand, erwägend, ob sie wirklich tot sei, war Aklar bereits durch das offene Fenster eingestiegen. Er sah einen Mann, in dem er seinen Verführer vermutete, vor dem Bette der alten Dame stehen und sein Instinkt sagte ihm, daß hier ein Mord verübt werden sollte. Von Grauen und Abscheu gepackt, stürzte er auf Falo zu und versetzte ihm mit der geballten Faust einen Schlag über den Kopf, der jenen sofort umwarf und des Bewußtseins beraubte. Bei dem ersten Blick auf ihn sah Aklar, daß das Gesicht des Mannes, den er, wie er meinte, getötet, ihm ganz fremd war. Falo hatte sich eben eine so vorzügliche Maske gemacht, daß niemand, der ihn als Strolch gesehen, ihn als eleganten jungen Mann der höheren Stände wiedererkannt haben würde. Da Aklar fürchtete, daß Leute dazukommen könnten, entfloh er, ohne den Versuch zu machen, das Geld aus dem Geldschrank zu nehmen, auf dem nämlichen Wege, auf dem er gekommen war.

Am andern Morgen fand man Frau Mörstlind und ihren Adoptivsohn leblos in der ersteren Schlafzimmer. Jedermann glaubte, daß beide das Opfer des nämlichen Einbrechers geworden seien, auch nicht der leiseste Verdacht streifte Falo. Er hatte seine Karten gut gemischt. Damit anscheinend die Unmöglichkeit vorliegen sollte, daß er die Tat hätte begangen haben können, hatte er bereits, bevor er mit Aklar zu verbrecherischem Tun zusammentraf, ein scharf geschliffenes Messer, dessen Spitze er in Blut getaucht, draußen im Garten unter das Buschwerk geworfen. Er kalkulierte, man würde glauben, Aklar habe das Messer, nachdem er von ihm, Falo, überrascht worden, schleunigst durchs Fenster geschleudert. Das Messer jedoch, mit dem er in Wahrheit die Tat vollbracht, versteckte er unmittelbar danach schleunigst in seiner Kleidung. Daß man diese durchsuchen würde, deuchte ihm ausgeschlossen, weil er ja meinte, daß niemand einen Verdacht auf ihn werfen würde. Außerdem – warum sollte man nach einem Messer forschen, da man ein blutbeflecktes bereits draußen im Garten gefunden hatte? Damit dasselbe rasch entdeckt werden sollte, hatte er es an eine Stelle getan, wo es nicht leicht übersehen werden konnte. – – –

So ungefähr lautete die Inhaltsangabe der Erzählung, an der Lars Bergh arbeitete. Allzuweit war er damit jedoch noch nicht gekommen, als es an seine Tür pochte und auf sein: »Herein« Tyllgren eintrat.

»Gut –« sagte er, kaum, daß er Lars kurz begrüßt – »daß ich Sie jetzt zu Hause finde, denn andernfalls hätte ich in einer halben Stunde mit dem Boot noch Stockholm zurückkehren müssen. Dann wäre Ihnen nichts übrig geblieben, als mich aufzusuchen, denn nochmals zu Ihnen herauszukommen hätte ich beim besten Willen keine Zeit gehabt und andererseits Ihnen über das Ergebnis meiner Untersuchung zu schreiben, würde ich mich schwer entschlossen haben. Ich weiß ja zwar nicht, warum Sie mir das Fläschchen gegeben, um den Inhalt zu untersuchen, aber ich habe doch so eine Ahnung, daß es sich dabei um etwas Diskretes handelt und –«

»So sagen Sie mir doch nur erst das Resultat der Untersuchung,« unterbrach ihn Lars, der mit schlecht verhehlter Ungeduld die weitschweifigen Auseinandersetzungen des etwas pedantischen Apothekers mit angehört.

»Das Resultat?« wiederholte Tyllgren. »Das ist mit kurzen Worten folgendes: das Fläschchen enthält eingetrocknetes Blut, aber kein Menschen- sondern Tierblut – Rinderblut.«

Der biedere Tyllgren ahnte wenig, warum dieser kuriose Schriftsteller, der Bergh, ihm nach dieser Mitteilung wieder und wieder in überfließendem Dank die Hand drückte und lachend und aufgeregt allerhand närrisches Zeug schwatzte. Dann aber drängte er den Besuch mit fast unhöflicher Hast aus dem Hause. »Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich mich jetzt im Augenblick auf nichts weiter einlassen kann,« bat er den Freund. »Sie sollen später alles erfahren, jetzt aber habe ich keine Zeit.«

Kopfschüttelnd verließ Tyllgren das Haus, Lars Bergh aber warf sich auf einen Stuhl und dachte angestrengt nach.

Tierblut, Rinderblut war in dem Fläschchen enthalten, das er aus Jonssons Stockholmer Wohnung mitgenommen! Wenn es noch eines Argumentes bedurfte, um die Richtigkeit seiner Ansichten über das Verbrechen zu beweisen, so war es dies. Jonsson hatte, als er das Messer mit Blut beflecken wollte, kein Menschenblut so ohne weiteres bekommen, Rinderblut aber konnte er sich bei jedem Fleischer verschaffen – nichts war einfacher als das. Der Umstand, daß Tierblut an dem Messer klebte, mußte auch den begriffsstutzigsten Menschen davon überzeugen, daß nicht der wirkliche Täter das Messer fortgeworfen haben konnte, denn welche denkbare Möglichkeit konnte es geben, die diesen bewog, die Klinge mit Rinderblut zu benetzen? Daß jemand auf die Idee kommen möchte, dasselbe untersuchen zu lassen, war Jonsson wohl nicht eingefallen, vielleicht wußte er, der sich nie für wissenschaftliche Dinge interessiert hatte, nicht einmal, daß Tier- und Menschenblut verschieden zusammengesetzt waren.

Am Abend, zur festgesetzten Stunde, begab Lars sich zu dem Rendezvous mit der Karin. Wenn sie indessen gehofft, wieder einige Stunden bei Abendbrot und Punsch mit ihm zu verleben, so fand sie sich getäuscht. Um sie bei guter Laune zu erhalten, brachte er ihr jedoch, wie er versprochen, einen weiß und rosa gestreiften Seidenshawl mit, schöner, als sie ihn sich erträumt. Darauf bestellte er rasch zwei Glas Bier und ließ sich von ihr Bericht erstatten. Sie hatte, seiner Anweisung gemäß, in der Nähe des Gartenhauses gesucht, ob sich irgendwo Spuren fänden, daß ein Stück Brett entfernt worden war, und tatsächlich entdeckt, daß reichlich dreiviertel von einer alten Fensterlade, die im Innern des Gartenhauses nur noch lose in den Angeln hing, abgesplittert war. Ursprünglich hatten alle Fenster des Häuschens Laden gehabt, als sie dann aber im Laufe der Jahre schadhaft geworden waren, hatte man sie nicht repariert, sondern eine nach der andern entfernt. Nur eine einzige war übriggeblieben, die sich freilich auch nicht mehr gebrauchen ließ, und von dieser hatte der Leutnant den größern Teil losgetrennt, um ihn an Stelle des zerbrochenen Stegs über den Graben zu legen.

»Wie geht's dem gnädigen Fräulein?« erkundigte sich Lars.

Die Karin lachte über das ganze Gesicht. »Der Doktor meint, sie wird wieder gesund werden. Schwach ist sie zwar noch sehr und der Doktor erlaubt unter keinen Umständen, daß sie spricht, weil das doch mit der Lunge gefährlich ist, aber sie will durchaus sprechen. Die Schwester Petra sagt, daß sie schon so und so oft den Namen des Herrn Leutnants genannt hat und so ängstlich, gerad', als ob sie ahnte, daß mit dem nicht alles in Ordnung ist. Die Schwester Petra hat sie aber nicht aussprechen lassen und hat ihr erwidert, der Herr Leutnant wäre nicht recht wohl und könnte deshalb nicht in ihr Zimmer kommen. Darauf hat das gnädige Fräulein geseufzt und ganz still geschwiegen, aber wir sind in der größten Angst wegen der Wirkung, die es auf sie haben wird, wenn sie erfährt, daß der Herr Leutnant verschwunden ist.«

»Weiß sie denn, was mit ihr vorgegangen ist? Ich meine, weiß sie von dem Einbruch und dem Mordanfall. oder denkt sie, sie wäre nur so krank?« erkundigte sich Lars.

Das Mädchen wiegte zweifelnd den Kopf. »Wie kann das jemand so bestimmt sagen, da das gnädige Fräulein nicht sprechen darf? Der Doktor sagt, sie wäre überhaupt noch nicht genügend bei Bewußtsein, um über so etwas nachzudenken. Bloß, daß sie immer den Namen des Herrn Leutnants nennt – das ist das Erstaunliche. Gott und nun zu denken, daß der Herr Leutnant vielleicht nie wieder kommt! Der Doktor sagt, er ist nicht richtig im Kopf gewesen, weil er so heimlich auf und davon gelaufen ist.«

»Sie werden ihn schon wiederfinden,« tröstete Lars, der sich eines boshaften Grinsens nicht enthalten konnte. »Die Polizei ist ja in Bewegung, um ihn zu suchen.«

»Ja aber –« die Karin schwieg eine Weile und meinte dann in tragischem Tone: »Wer kann wissen, wie sie den finden werden! Vielleicht tief unten im Wasser. Was ich glaub', ist, daß der von jener Nacht an, wo er den Hieb auf den Kopf bekam, nicht mehr seinen vollen Verstand gehabt hat. Ich bin öfters seinem Zimmer gewesen, um ihm das Essen zu bringen und dann lag er immer da mit geschlossenen Augen, und die Schwester, die ihn pflegte, erzählt, daß er immer so gelegen hat. Und der Doktor soll ihm immer zugeredet haben, aufzustehen, weil das mit dem Schlag auf den Kopf gar nicht so schlimm gewesen wär', aber dann hat er allemal gesagt, er könne nicht aufstehen und er könne auch nicht denken und er wäre überhaupt viel kränker, als der Doktor glaubte. Er ist eben seit jener Nacht nicht mehr richtig im Kopf gewesen – dabei bleib' ich.«

»Oder er hat simuliert, um vorläufig nicht verhört zu werden,« dachte Lars bei sich.

Sobald es irgend anging, verabschiedete er sich von der Karin und ging nach seiner Wohnung zurück.

Dort saß er bis gegen Morgen an seinem Schreibtisch, um seine Erzählung fertig zu machen. Zuvörderst fügte er hinzu, daß das Blut, mit dem das Messer befleckt war, Rinder- und nicht Menschenblut war, und erläuterte diese Tatsache, alsdann schrieb er, daß der Mann, den er in seiner Novelle »Falo« nannte, bezüglich der Stunde, zu der er das Grand Hotel verlassen, eine falsche Angabe gemacht hatte und schließlich schilderte er ausführlich den Weg, den er genommen, um in der Nacht, in der das Verbrechen geschah, in die Villa seiner Adoptivmutter zu gelangen. Er wies darauf hin, daß der Gartenzaun viel zu sehr mit Gestrüpp durchwachsen war, um über ihn hinwegzuklettern. Falo war vom Grand Hotel quer über diese Wiese, welche der Bach durchschnitt, gekommen und war mit Aklar hinten am Zaun zusammengetroffen, beide waren dann durch das Gartenhaus in das Grundstück gelangt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er diesen Weg schon früher in Aussicht genommen und ihn, um nicht auf irgend ein unerwartetes Hindernis zu stoßen, probeweise wiederholt zurückgelegt. Dabei war er mit dem alten morschen Steg eingebrochen. Er hatte ihn in den Graben geworfen und aus dem Gartenhause ein Stück der außer Gebrauch gesetzten Fensterlade geholt, um es an Stelle des alten Stegs über den Graben zu legen. Auch dieser Umstand war ein Beweis für seine Schuld, denn wer außer ihm hätte die Lade aus dem Gartenhause holen sollen? Nur Frau Mörstlind und er besaßen Schlüssel dazu. Lars erzählte auch noch, daß Falo sich eine Wohnung in Stockholm in der Karduanmakaregatan gemietet, nicht, um dort, wie die Dienstboten seiner Pflegemutter meinten, Bacchanalien zu feiern, sondern um die photographischen Bilder anzufertigen und überhaupt alles für seinen verbrecherischen Plan ungestört vorbereiten zu können.

Als Lars Bergh seine Novelle, die alles eher als ein Meisterstück der Erzählungskunst war, fertig hatte, schloß er sie in ein Manuskriptkuvert, legte seine Visitenkarte nebst Angabe seiner Wohnung dazu und adressierte das Ganze an den Untersuchungsrichter Strindberg.

Am nächsten Morgen zu früher Stunde gab er die Sendung eingeschrieben zur Post.


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