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Das Legionslächeln. – Der Lasterherd. – Die Taktik der alten Legionäre. – Demoralisiert, verroht, verloren! – Die Quelle aller Übel: fünf Centimes tägliche Löhnung! – Wie Le Joli verdarb. – Indo-Chinesisches. – Eine bunte Versammlung menschlicher Sünden. – Vom algerischen Rotwein. – Schum-Schum. – Opfer des Weins. – Ein hartes Leben regierte.
Es wunderte mich, daß weder Spielkarten noch Würfelbecher auch nur die geringste Rolle im Fremdenlegionsleben spielten, im scharfen Gegensatz zum englischen Tommy und besonders zum amerikanischen Söldner, der eine ganz unverbesserliche Spielratte ist. In einem kleinen Militärposten in Texas erlebte ich einmal, wie sämtliche Cowboys der Umgebung von den gerissenen alten regulars im Pokern total ausgeplündert wurden! (Ich war einer der Leidtragenden.) Aber das ist eine andere Geschichte ... Die Legion jedenfalls war vom Spiellaster völlig frei. So sehr verwunderlich war das schließlich nicht: fünf Centimes Löhnung! Die Möglichkeit, fünf Centimes zu gewinnen oder fünf Centimes zu verlieren, mochte rollender Würfel nicht wert sein.
Dafür wurden alle übrigen Laster aller Nationen liebevoll gepflegt. Das ist nicht zu viel gesagt – ich habe zugesehen. Ein Laster aber löste sich aus der Unmenge von Sünden scharf heraustretend los. »Legionslaster« will ich es nennen, weil es wohl hier und dort sich findet, aber unter weißen Männern nirgends in der Welt eine Keimstätte hat wie im Regiment der Fremden. Sein Schatten lag über der Legionskaserne. Man hätte blind sein müssen, um die sonderbaren Gesten, das anzügliche Lächeln, das Legionslächeln, nicht zu sehen; man hätte taub sein müssen, um nicht Dinge zu hören, die nicht mißzuverstehen waren.
Häßliche Histörchen wurden alltäglich erzählt – schlechte Witze über junge, bartlose Legionäre hörte man auf Schritt und Tritt, und Klatschereien über sonderbare Freundschaften waren an der Tagesordnung. Selbst der Unbefangenste konnte nicht lange im Regiment sein, ohne aufmerksam zu werden und sich über den merkwürdigen Ton im Verkehr zwischen alten und jungen Legionären Gedanken zu machen. Das Legionslaster gehörte zum Regiment, es war tief eingewurzelt in der modernen Landsknechtsschar. Seit vielen Jahren schon – heute noch.
Denn: so oft auch das Menschenmaterial der Legion wechselt, so viel neue Rekruten ihr alljährlich zuströmen: der Lasterherd bleibt. Er besteht aus einem Teil der alten, langgedienten Legionäre, einem bald größeren, bald kleineren Prozentsatz aus ihren Reihen, denen in langen Jahren ihre Art von Freundschaft zu etwas Selbstverständlichem geworden ist. Unter den Neuankommenden werben sie neue Anhänger, die in langsamem Werdegang zu ihrem Niveau sinken.
Der Beginn einer derartigen Freundschaft ist leicht zu verstehen. Ganz junge Menschen, häufig unter zwanzig Jahren, kommen in die Legion, werden ins Fremdenregiment verschlagen, weil es ihnen schlecht ging irgendwo in der Welt, weil sie leichtsinnige Streiche oder Schlimmeres verübt hatten. Im besten Fall sind es immer Leichtsinnige, deren moralischer Halt nicht besonders fest ist. Als Rekruten fühlen sie sich unendlich hilflos und unsäglich verlassen. Sie haben so viel zu lernen, daß sie gar nicht wissen, wo sie anfangen sollen; sie sind so ungeschickt und unerfahren, daß sie mit ihren kleinen Putz- und Reinigungsarbeiten niemals zur rechten Zeit fertig werden und in ewiger Hetze und Angst vor Strafe leben. Da ist der alte Legionär ein Freund in der Not. Seine geschickten Finger helfen ihnen. Er lehrt sie Hunderte von kleinen Tricks, die den mühevollen inneren Dienst erleichtern. Sie kommen gar nicht aus der Verwunderung darüber hinaus, wie schnell er den komplizierten Inhalt des feldmäßigen Tornisters packen kann, wie rasch er eine schmutzige Drillichhose zu glänzend weiß schimmernder Sauberkeit bringt – wie klug er ist, wie erfahren, wie wertvoll seine Hilfe. Sie bewundern ihn. Sie sind ihm dankbar. Das natürliche Anschmiegungsbedürfnis ihrer Jugend kommt hinzu. Der »Alte« ist ein guter Freund, der sie durch die Fährlichkeiten der Rekrutenzeit hindurchsteuert. Und so schlau ist er; immer weiß er auf den merkwürdigsten Wegen ein paar Kupferstücke aufzutreiben für eine Flasche Wein, und immer teilt er mit ihnen, der gute Kamerad. Die Freundschaft wächst, er wird unentbehrlich. Die jungen Soldaten haben das sehr natürliche Gefühl, als würde das Legionsleben ohne ihn unerträglich sein, als könnten sie gar nicht bestehen ohne seine Führung. Häufig schwärmen sie für ihn (man vergesse nicht, daß es ganz junge Menschen sind) – wie kleine Mädchen ihre Lehrerin anschwärmen. Dann kommen eines Tages, fast von selbst, Gespräche über aufreizende Dinge und ein Hindrängen zum ersten Schritt über die Grenze. In vielen Fällen sträubt sich die gesunde Natur in den jungen Menschen, und sie geben ihrem merkwürdigen Freund den Laufpaß. In anderen Fällen sinken sie langsam von Stufe zu Stufe: demoralisiert – verroht – verloren.
Selbst dann noch besteht ein Unterschied zwischen girons und girons. Man kann es als versöhnendes Moment betrachten, wenn, wie es häufig vorkommt, der junge Legionär und der alte Legionär in den schweren Zeiten ihrer Dienstjahre noch zusammenhalten und sich in allen Lagen gegenseitig helfen. Sie sind unzertrennlich und in jeder Minute ihrer freien Zeit beisammen. Wenn durch Abkommandierungen oder durch Strafen der eine von dem andern fortgeschickt werden soll, schrecken sie vor nichts zurück, um vereinigt zu bleiben. Ich habe das an einem interessanten Beispiel mit erlebt. Ein giron, der sich eine Insubordination hatte zuschulden kommen lassen, wurde mit Versetzung in das gefürchtete Bataillon der Disziplinäre bestraft. Wenige Wochen vergingen, da beging auch der alte Legionär, der sein Freund war, einen schweren Verstoß gegen die Disziplin und erlitt die gleiche Strafe. Das war, was er gewollt hatte. Er hatte sein Vergehen und die wahrscheinliche Strafe sehr genau berechnet – er ging freiwillig den Schrecken des Strafbataillons entgegen, nur um nicht von seinem Freund getrennt zu sein.
Allzuoft aber wird aus dem Verführten ein völlig verrohter, brutal gewinnsüchtiger Mensch, der sich bewußt prostituiert, gegen Entgelt – gegen Legionslohn.
Demoralisiert – verroht – verloren! Den Werdegang eines giron, das rasche, tiefe Sinken fast ohne Uebergang, lernte ich in einem typischen Beispiel in meiner nächsten Umgebung kennen, als ich noch Rekrut war, die Uniform kaum einen Monat getragen hatte. Dies ist die Geschichte:
Guttinger war – für einen alten Legionär – ein gutmütiger Mensch. Aber Le JoliLe Joli war ein junger Rekrut in meiner Kompagnie, ein Oesterreicher. Ich habe keine Veranlassung, seinen richtigen Namen anzugeben, »Le Joli« ist ein in der Legion sehr häufiger Spitzname, der wörtlich »hübscher Bengel« bedeutet und einen üblen Nebensinn hat. – Der Verf. konnte er nicht leiden!
Le Joli war ein Prahlhans, und Prahlhänse haßte Guttinger, trotzdem seine neun Dienstjahre ihn zu einem Stoiker gemacht hatten, der sonst allen Legionsdingen mit unendlicher Gleichgültigkeit gegenüberstand. Für ihn gab es aber nichts Aufreizenderes als die naiven Aufschneidereien mancher Rekruten, die meinten, Wichtigkeit und Respekt zu erringen, wenn sie recht viele erlogene Geschichten über ihr vergangenes Leben erzählten. Ein »Alter« ist jedoch weise in diesen Dingen, zu weise, um leichtgläubig zu sein. Er kennt die Leute gar zu gut, die sich Grafen und Barone nennen, die beständig eine niemals eintreffende ungeheure Geldsendung erwarten, mit der sie der ganzen Kompagnie zur Flucht verhelfen wollen, die aber für die imaginären Zukunftsleistungen einen realen Gegenwartsvorschuß beanspruchen – in Form von Hilfe bei der Arbeit, beim Waschen und Putzen. Im Regiment der Rothosigen, das ja so viel Sinn für Phantastik hat, sind schon viele auf diese Leute hereingefallen und vorsichtig geworden. Vielleicht hatte auch Guttinger einmal für solch' einen vielversprechenden Aufschneider gratis gewaschen und geputzt und war nun mißtrauisch.
Jedenfalls war seine Abneigung gegen Le Joli etwas Begreifliches. Der junge Mensch, der behauptete, direkt von einem österreichischen Gymnasium nach der Legion gekommen zu sein, spielte sich von allem Anfang an als »aus besserem Stoff gemacht« auf und nützte die Gutmütigkeit seiner Kameraden auf jede Weise aus. In seiner Arbeit war er völlig hilflos und bettelte jeden um kleine Gefälligkeiten an. Wenn dagegen im Zimmer über irgend etwas gesprochen wurde, so führte Le Joli das große Wort und vertrat seine Meinung in einer anmaßenden Manier, die nirgends schlechter angebracht war als im »alles nivellierenden« Regiment der Fremden. Für mich war er ein ungezogener Junge, der mich nicht weiter interessierte. Ich sprach fast nie mit ihm.
Ich hatte keine Ahnung, daß er schlimmen Wegen zuwandelte, bis mir eines Abends durch Guttinger die Augen geöffnet wurden. Wir saßen bei der Abendsuppe. Alle Legionäre unseres Zimmers. Nur Le Joli stand bei seinem Bett und zog in großer Eile seine Ausgehuniform an. Guttinger sah ihm ironisch lächelnd zu und fragte:
»Willst nix esse'?«
Le Joli tat, als hätte er nicht gehört.
»Ob d' nix esse' willst?« fragte Guttinger nochmals.
»Das geht doch dich nichts an! Ich hab kein' Hunger.«
»So – oh,« meinte Guttinger in einem gedehnten, näselnden, spöttischen Ton. »So–o–oh! Du hast kein' Hunger ... Gestern hast auch kein' Hunger g'habt – vorvorgestern hast auch kein' Hunger g'habt! Des is' mir merkwürdig. Sonst is' man nach 'm Arbeite' froh, wenn man d' Supp' kriegt.«
Da wurde Le Joli puterrot und schrie wütend, daß es den Trommler nichts angehe, ob er etwas esse oder nicht.
Guttinger löffelte grinsend seine Suppe aus und sagte nichts mehr.
Gleich darauf kamen Freunde zu Le Joli, um ihn abzuholen – drei Mann, anciens, alte Legionäre. Zwei von ihnen gehörten zu unserer Kompagnie, der dritte war Schreiber beim Regimentsbureau. Sie waren fix und fertig angezogen in vorschriftsmäßiger » en ville-Uniform«; auch sie mußten sich sehr beeilt und die Abendsuppe »überschlagen« haben. Alle drei trugen den roten Aermelstreifen der Soldaten erster Klasse und alle drei hatten scharfe, verwitterte, brutale Gesichtszüge. Typische alte Legionäre.
»Aha! Mit dene ißt er in der Stadt!« murmelte Guttinger.
Die drei begrüßten Le Joli in einer übertriebenen, überschwänglichen » camaraderie«, die bei diesen alten Soldaten einem jungen Rekruten gegenüber etwas Unnatürliches, etwas Komisches hatte. Sie stellten sich um das Bett, auf dem er saß, stritten sich darum, wer ihm eine Zigarette geben durfte, fragten ihn, wie es ihm denn gehe, ob er die Arbeit auch aushalten könne, ob ihm auch niemand etwas täte. Er solle es nur ihnen sagen, wenn irgend einer von den »Alten« ihn schlecht behandle. Sie würden ihm schon helfen! Dabei balgten sie sich mit ihm herum, spielend wie Katzen. Dann machten sie ihm sanfte Vorwürfe, daß er noch nicht fertig sei.
»Eigentlich kann ich gar nicht fort,« sträubte er sich, »ich müßt' waschen.«
»Hoh!« sagte einer der Alten, »wenn's sonst nichts ist! Bring' mir dein Zeug morgen ganz früh herüber, dann wasch' ich es. Das macht mir gar nicht viel aus, wenn ich deine paar Sachen noch mitwasch'. Für dich tu' ich's gern.«
Auch die anderen beiden boten ihm an, er solle sich nur an sie wenden, wenn er mit seiner Arbeit nicht fertig würde. Solch' ein Blauer stelle sich ja immer so ungeschickt an, und sie wüßten, wie die Sache gemacht würde. Sie wollten ihm schon sein Zeug herrichten für die Inspektion in der nächsten Woche. Kein Rekrut würde seinen paquetage so prachtvoll in Ordnung haben wie er! Sie täten alles für einen guten Freund!
Der junge Faulpelz lächelte befriedigt. Er hatte nicht nur die Arbeit des Waschens für den nächsten Tag von sich abgehalst, sondern schwelgte auch noch in den schönsten Aussichten für die Zukunft.
Nun drängten die anciens aber zur Eile. Sie halfen, wo sie nur helfen konnten. Sie machten alle seine Arbeiten für ihn. Sie verstünden das doch viel besser, sagten sie. Der eine nahm Le Joli's Stiefel in Behandlung und putzte sie blinkeblank; der andere polierte seinen Ledergürtel, wie nur ein ganz alter Legionär einen Gürtel zu polieren versteht, zu leuchtendem, tiefem Schwarz, in dem man sich spiegeln konnte. Der dritte machte das Bett und baute die paquetage kunstvoll auf. Schließlich fielen sie alle zusammen über ihn her und bürsteten ihn säuberlich ab.
Endlich gingen sie fort, Le Joli in der Mitte.
Guttinger trat ans Fenster und sah ihnen nach. Dann räkelte er sich wieder gemütlich auf seinem Bett zurecht.
»Ich bin en alter Leschionär, aber solche G'schichten mag i' net. 's ist wahrhaftig schad' um den jungen Kerl, aber da is' nix zu helfe'. Ich misch' mich net d'rein. Ich will kei' Bajonett im Leib habe'. Ich kenn' die G'schicht! Zum Teufel geht er, – schnurg'rad auf 'm nächste Weg, im pas gymnastique, im G'schwindschritt! E giron wird er!!«
»Morgen werd' ich ihn aber doch emal durchhaue',« fügte Guttinger nachdenklich hinzu.
Abends kam Le Joli gerade noch vor Torschluß in die Kaserne zurück, schwankend, betrunken.
Der alte Guttinger behielt mit seiner Diagnose recht. Mit erschreckender Schnelligkeit vollzog sich die Metamorphose des frischen Jungen zum Opfer des Legionslasters. Kaum eine Woche war seit der Episode im Mannschaftszimmer vergangen, als man ihn schon im ganzen Regiment als »giron« kannte, als passiven Päderasten.
Er nützte (vom winzig kleinen Standpunkt der Legion gerechnet) seine Schande weidlich aus. Wenn es ihn nach kleinen Genüssen gelüstete, einem Absinth zum »Augenöffnen« in aller Frühe, gleich nach dem Aufstehen, einem Glas Wein nach dem Exerzieren, einem lustigen Abend in Sidi-bel-Abbès, mit Kuskusessen im Araberviertel und Kneipen in der »Bar de la légion« oder im »Restaurant des étrangers«, machte er bei seinen vielen Freunden die Runde und fand sicher wenigstens einen, der sich auf irgend einem Schleichweg einige Sousstücke zusammengegaunert hatte. Ein Unteroffizier der Kompagnie nahm ihn schleunigst zum Putzer und erwirkte ihm alle möglichen kleinen Bevorzugungen. Le Joli war durch die Protektion dieses lieben Vorgesetzten in der Lage, sich regelmäßig vom harten Arbeitsdienst zu drücken und dann und wann sogar vom Exerzieren.
Schenken ließ er sich, was nur zu haben war. Seine Besitztümer mehrten sich. Er trug kunstvoll gearbeitete Legionsgürtel, aus Stückchen von rotem und blauem Uniformtuch zusammengenäht, mit blanken Knöpfen und allerlei Legionsemblemen besetzt. Eine ganze Sammlung solcher Gürtel hatte er – seine Freunde waren fleißige Leute, die sich ihre Neigungen ziemliche Arbeit kosten ließen. Sie machten ihm bequeme Schuhe aus rotem Tuch, mit aus Schnüren mühsam gearbeiteten Sohlen. Sie schenkten ihm Raritäten aus ihren Feldzügen: arabische matraques, lange arabische Stöcke mit hübsch geschnitzten Knöpfen: Geldtäschchen aus gepuntztem goldverziertem Leder; spitz zulaufende Sandalen, wie sie arabische Frauen tragen; alle möglichen hübschen Dinge, in langen Jahren zusammengeplündert und zusammengestohlen.
Arbeiten war für Le Joli etwas ziemlich Ueberflüssiges geworden. Er plagte sich niemals am Waschtrog im »cercle d'enfer«. Seine Freunde besorgten das für ihn. Sie reinigten seine Uniformen und hielten seine Siebensachen in musterhafter Ordnung.
Eine Zeitlang kamen sogar zwei alte Soldaten mehrere Male im Tag aufs Zimmer, um sein Bett zu machen und ihm Stiefel und Waffen zu putzen, bis Guttinger wütend wurde, Händel suchte und sie unter unser aller Assistenz hinauswarf, nach einer bösartigen Schlägerei, bei der auf beiden Seiten die Bajonette gebraucht wurden. Es war ein Wunder, daß es ohne ernsthafte Verwundungen abging. Der Unteroffizier du jour kam hinzu und bestrafte uns alle (nur Le Joli nicht!) mit ungezählten Extra-Corvées. Außerdem versetzte er Le Joli in ein anderes Zimmer.
Schlägereien, bei denen Le Joli das Objekt darstellte, um das gerauft wurde, waren übrigens häufig. Nach merkwürdiger Legionsgewohnheit betrachteten seine Freunde in unserer Kompagnie ihn als zur Kompagnie gehörig, und es gab jedesmal Streit und Händel, wenn er mit Legionären anderer Kompagnien auch nur sprach.
Der junge Mensch sank rapide. Er war zu schwach gewesen, um auf die lächerlich kleinen Vorteile zu verzichten, die seinen Kaufpreis darstellten – ein bißchen weniger Arbeit, Kneipereien, kleine Genüsse dann und wann. Faulheit und Gewinnsucht waren das treibende Moment bei ihm. Dazu kam ein merkwürdiger Instinkt für häßliche Dinge. Er lebte sich in alle möglichen Arten von Gemeinheit hinein; wurde ein gefürchteter Zwischenträger und Denunziant; es machte ihm Freude, seinen Unteroffiziersfreunden Material zu Bestrafungen zu liefern. Mehr als einmal wurde er von Legionären, die ihm irgendwo in der Stadt auflauerten, fürchterlich geschlagen, weil sie um seinetwillen bestraft worden waren. Seine frischen Gesichtsfarben verwelkten. Fortwährend war er in einem Stadium halben Betrunkenseins.
Aus Le Joli war der häßlichste Typ eines giron geworden – ein gewinnsüchtiger, gewissenloser junger Satan, der aus Eigennutz, aus purer Freude am Unheil, intriguierte und spionierte, denunzierte und verleumdete, bis er der bestgehaßte Soldat des Regiments war.
Das unausbleibliche Ende kam sehr rasch, nach kaum einem halben Jahr. Man fürchtete ihn nachgerade auch in den Kreisen seiner Unteroffiziersfreunde, unter denen er den einen gegen den anderen ausspielte und nach Kräften hetzte. Der Unteroffizier, bei dem er putzte, meldete ihn schließlich wegen Diebstahls. Es war zweifellos eine arrangierte Affäre, nur zu dem Zweck inszeniert, um den gefährlichen Menschen auf längere Zeit unschädlich zu machen.
Das Kriegsgericht verurteilte Le Joli zu einem Jahr Gefängnis.
Wahrscheinlich ist er heute noch, sei es im Gefängnis, sei es im Regiment, in der Fremdenlegion. Ob er nun dort bleibt oder nach so und so viel Jahren entlassen wird, verdorben ist er für sein ganzes Leben, – der arme Le Joli, der einst ein frischer Junge war.
Mag er auch ein denkbar schlecht veranlagter Mensch gewesen sein, die Fremdenlegion war es, die ihm den Hals brach. Ihre jämmerliche Armut, ihre Geldlosigkeit – immer wieder das gleiche! Wer das Regiment der Fremden kennt, wer sich bemüht, sein Wesen zu erforschen und den inneren Gründen seines Elends und seiner Sünden, seiner Roheit und seiner Laster nachzugehen, kommt, wie in einem Kreise wandelnd, immer zum gleichen Ausgangspunkt, zur Quelle aller Uebel zurück: der Geldlosigkeit der Legion, der erbärmlichen Löhnung, die keine Löhnung ist, dem militärischen Schmutzgeschäft, das eine ritterliche Nation so lange duldete und noch immer duldet!
*
Das Legionslaster wissenschaftlich zu klassifizieren, ist schwierig. Am naheliegendsten dürfte seine Bezeichnung als Notpäderastie sein. Dennoch sind die verschiedenen Einflüsse nicht zu vergessen, die auf das Regiment der Fremden eingewirkt und seine Laster mitgezüchtet haben. Bei den algerischen sowohl wie den marokkanischen Arabern ist die Päderastie von altersher eine gewöhnliche Erscheinung, freilich nicht im Sinne einer Perversität, sondern als gesteigertes Raffinement einerseits, als Schändung des besiegten Feindes andererseits.
Schon in Algerien also, in ihrer eigentlichen Heimat, ist die Fremdenlegion von allem Anfang an unter derartige Einflüsse gekommen. Weit stärker, weit potenzierter wurden diese Einflüsse in Indochina, im französischen Tonkin, auf dessen Militärposten ja ständig ein Bataillon Fremdenlegionäre verteilt ist. Unter den weibischen Eingeborenen dort, den Annamiten, grassiert die Päderastie.
Alte Legionäre, Leute wie Guttinger, erzählten mir haarsträubende Dinge aus dem Legionsleben im Tonkin. Die Militärstationen im Innern sind winzig klein, und wenige Legionäre halten eine enorme Zahl von Eingeborenen im Zaum. In den Händen der jüngsten Offiziere, der Unteroffiziere, der Korporale liegt auf den entlegenen Posten die zivile Gerichtsbarkeit, die Macht über Leben und Tod. Die Mannschaften leben in steter Gefahr, in einem mörderischen Klima, unter unsäglichen Strapazen, zu denen sich die unvermeidliche Langeweile gesellt. Der eine sieht im chinesischen Schnaps ein Zerstreuungsmittel, der andere hält sich an Opium. Die Tatsache, daß unter französischen Kolonial- und Marineoffizieren das Opiumrauchen eine bedenkliche Rolle spielt, ist schon häufig ventiliert worden – daß in Toulon und Marseille zahlreiche Opiumspelunken sich von Offizierskundschaft nähren, weiß jeder alte Legionär. Anläßlich der Affäre des Schiffsfähnrichs Ullmo wurden diese Opiumspelunken in der französischen Presse einer gründlichen Besprechung unterzogen.
Die Gewohnheit des Opiumrauchens ist fast in allen Fällen in Indochina erworben worden! Schnaps, Opium, Einsamkeit bilden dort den Boden, auf dem das Legionslaster gedeiht. Es greift sogar auf die Offiziere über, wenn auch nur in Einzelfällen. Das Resultat ist der Schrecken.
In den Mannschaftszimmern der Legion werden fürchterliche Dinge darüber erzählt. Am berüchtigsten waren seinerzeit die Garnisonen Sui-can und Bac-le. Ein Oberstleutnant Duchesne, der später in einem Gefecht erschossen wurde, wahrscheinlich von seinen eigenen Leuten, denn die Kugeln trafen ihn in den Rücken, hat seinen Namen auf traurige Weise in der Legion unsterblich gemacht. Ueber seine Grausamkeit wird immer wieder, viele Jahre nach seinem Tod, erzählt. Er betrachtete seine Legionäre nur von dem Standpunkt aus, ob sie für seine Lasterzwecke geeignet waren. Wer sich nicht fügte, flog ins Strafbataillon. Und die Strafbataillone in Tonkin sind zehnmal schlimmer wie diejenigen in Algerien.
Aus den Willigen aber wurden Unteroffiziere ...
Aehnliche Zustände sollen da und dort heute noch in Indochina existieren. Ich kann nur darauf hinweisen, daß die Legionsfama von solchen Historien wimmelt, daß höchst ungeniert Namen von adjudants und sous-officiers genannt werden, die ihre Beförderung der Lastervorliebe eines Offiziers verdanken sollen. Es mag viel boshafter Legionsklatsch in diesen Geschichten stecken, aber sie sind so häufig, so detailliert, daß man zu der Ueberzeugung kommen muß, etwas mindestens sei wahr daran.
Zu den äußeren Einflüssen kommt für das Legionslaster ein weiterer Grund: die Frauenlosigkeit, das unfreiwillige Zölibat, dem der Legionär unterworfen ist, und dieses Zölibat wieder hat als letzte und schwerwiegendste Ursache einen finanziellen Begriff: fünf Centimes Löhnung im Tag!
... Man kommt doch immer wieder zum Geld zurück!
*
So sah ich einer bunten Versammlung von menschlichen Sünden zu. An ihrer Spitze marschiert die Trunksucht. Sie verdient die erste Stelle als jenes Laster des Fremdenregiments, das am häufigsten ist, am meisten charakteristisch, dem am leichtesten gefrönt werden kann in einem Lande, in dem der Preis eines Liters schweren Rotweines zwischen zehn und zwanzig Centimes variiert.
»Es ist ein Brauch von Alters her,
Wer Sorgen hat, hat auch Likör.«
Oder algerischen Rotwein ... oder in Indochina einen berüchtigten Schnaps, aus Reis gegoren, glaub' ich, der den schönen Namen »Schum-Schum« führt und den großen Vorteil eines ungemein hohen Alkoholgehaltes hat, dagegen auch den kleinen Nachteil eines niederträchtigen, infernalischen Geruches, der für europäische Nasen unerträglich ist. Der Legionär trinkt ihn aber doch. Nur hält er sich beim Trinken vorsichtig die Nase zu, da er auf den schlechten Geruch weit weniger Wert legt als auf den hohen Alkoholgehalt. Ich hörte häufig, wie alte Legionäre von »Schum-Schum« schwärmten. An das Riechen gewöhne man sich, sagten sie. Dafür mache er sehr betrunken – außerordentlich betrunken!
Die lustigen Verse des Altvaters Wilhelm Busch mit ihrer traurigen Weisheit könnten der Legion auf den Leib geschrieben sein. Was wurde in der Kantine des Fremdenregiments alles zusammengetrunken! Der Liter – der Liter Wein – war ja die Scheidemünze, nach der gerechnet wurde. Das ist etwas Selbstverständliches im Rayon der Fremdenkaserne, so selbstverständlich, daß der Legionär, wenn er von einem begüterten Kameraden gefragt wird, ob er für ihn waschen wolle, nur in beredter Mimik antwortend einen Finger hochhält; das bedeutet natürlich: un litre!
»Ja, wenn der Wein net wär' ...« Guttingers Lieblingsausspruch ist mir unvergeßlich!
Exakte statistische Belege sind nicht beizubringen. Aber ich bin sicher, daß nicht nur die gute Hälfte der mageren Löhnungspfennige in rotem Algierwein ihre Verwendung fanden, sondern daß neun Zehntel, nein, neunundneunzig Hundertstel der vielen, vielen Silberstücke, die aus allen Ländern Europas von bekümmerten Eltern und Verwandten an Legionäre fortwährend gesandt werden, die Revenuen von Madame la cantinière und den Wohlstand des algerischen Weinbaus heben.
Dies soll keine Denunziation sein. – Niemand hat, wenn man mit den Augen des Verständnisses den Legionssoldaten betrachtet, mehr Sorgen als er, mehr Anrecht auf trostspendendes Vergessenkönnen – der Mann der roten Hosen ist übel genug daran. Ich möchte nur illustrieren, welch' ungeheure Rolle der Wein im Legionsleben spielt. Er ist das einzige Zerstreuungsmittel, die einzige Quelle des Vergnügens. Aber auch das Generallaster.
Der Wein ist schuld an so vielen Strafen. Trunkenheit ist eine »sale offense« im militärischen Jargon, ein schmutziges Vergehen, das schwer bestraft wird und dem Strafbataillon wie dem Kriegsgericht fortwährend neue Klienten zuführt.
In meiner Kompagnie war eines von diesen Opfern des Weins, der Belgier Lascelles. Von irgendeinem Verwandten bekam er öfters eine Postanweisung über eine ganz kleine Summe; fünf Franks waren es immer, glaube ich. Sobald er das Geld in Händen hatte, verschwand er prompt nach Beendigung des Dienstes aus der Kaserne und kam nach etwa 24 Stunden zurück, sinnlos betrunken. Solange die Kupferstücke reichten, war er von Weinschenke zu Weinschenke getaumelt und hatte Flasche auf Flasche geleert. Ins Gefängnis kam er nach seiner Rückkehr schon wegen der Urlaubsüberschreitung; gewöhnlich aber machte er zur Feier des Tages auch noch großen Skandal und sammelte sich eine ganze Bescherung an kleinen und großen Delikten zusammen, die alle einzeln mit der entsprechenden Strafe geahndet wurden. Von Monat zu Monat stieg die Zahl seiner im Gefängnis verbrachten Tage. Von simplen acht Tagen bis zu dreißig Tagen Einzelhaft. In der Zwischenzeit war Lascelles ein ausgezeichneter Soldat, der willig seinen Dienst verrichtete. Wenn jedoch sein Name beim Appell aufgerufen wurde: Lascelles, Postanweisung abholen! – so saß er sicherlich genau einen Tag später von neuem im Gefängnis. Er konnte von seinem Austoben in Algierwein nicht lassen! In wenigen Monaten machte er die Skala der Regimentsstrafen durch, bis das vorläufige Ende kam mit seiner Verschickung in das Bataillon der Disziplinäre.
Lascelles war wenigstens selbst an seinem Unglück schuld. Andere aber werden, wenn sie dem Wein der Legion unterlegen sind, in voller Absicht ins Unglück hineingetrieben. Es ist ein alter Trick schlauer Unteroffiziere der Fremdenlegion, die Trunkenheit eines Mißliebigen zu seinem Verderben auszunützen. Sie warten den Moment ab, bis er einmal betrunken in die Kaserne kommt, gehen ihm in sein Mannschaftszimmer nach und geben ihm irgendeinen Befehl. Der Betroffene fühlt natürlich das Unmotivierte, Gehässige der Handlungsweise heraus und ist gerade in der richtigen Laune, um an Gefahr nicht zu denken. Er antwortet mit einem derben Schimpfwort. Das hatte der Unteroffizier nur gewollt. Selbst wenn der Mißliebige nun so weit ernüchtert ist, daß er den dienstlichen Befehl ausführt, so wird er doch für das Schimpfwort schwer bestraft. Beharrt er aber im »Ungehorsam«, dann kommt er vor das Kriegsgericht!
Der Trick ist berüchtigt in der Legion, und fast nur Rekruten und ganz alte Legionäre, wenn sie nicht nur betrunken sind, sondern auch noch am Cafard laborieren, werden seine Opfer. Der Durchschnittslegionär kennt die Geschichte und führt, nüchtern oder betrunken, jeden Befehl, sei er auch noch so verrückt, grinsend aus. »Nix zéphirs pour moi!« sagt er.
... Man sieht, es gibt auch einen anderen, düsteren Sinn des Legionswortes: »Ja, wenn der Wein nicht wär'!«
*
Alle Laster waren vertreten! Die brutale Gewinnsucht, der schrankenlose Egoismus eines harten Lebens regierte. Man neidete dem Kameraden den Bissen Fleisch, den Schluck Wein, das Stückchen Brot; man betrachtete mit bösen Augen der Mißgunst und des Neides den Glücklichen, der ein paar Silberstücke gesandt bekam.
Es wird intriguiert – verleumdet – gelogen – gestohlen – – die Legion bringt alle schlummernden schlechten Seiten des menschlichen Charakters zu voller Entwicklung.