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Bahntransport der Legionsrekruten. – Der kleine Faden am Bein. – Ein Patriotischer Kondukteur. – Marseille. – Die Pforte zu den französischen Kolonien. – Das Truppenhotel. – Von gelben und blauen Farben und der Symbolik des Herrn von Rader. – Die Zähmung des Schiffskochs. – Die Fama vom preußischen Prinzen der Legion. – Oran. – Algerischer Wein. – Wie der Legionär nach Spanien desertierte.
Am nächsten Morgen mußten wir uns im Kasernenhof aufstellen. Ein Sergeant gab jedem von uns ein Silberstück – einen Frank. Das war die Reisezehrung für die lange Fahrt ans Mittelländische Meer. Ein Küchensoldat verteilte Brotlaibe, und dann marschierten wir unter Führung eines Korporals zum Bahnhof. Ich muß sehr komisch ausgesehen haben mit dem Brotlaib unterm Arm – jedenfalls sah ich beharrlich auf den Boden, weil ich mir – es gibt keinen anderen Ausdruck dafür – so »deplaciert« vorkam, daß ich fürchtete, in den Augen Vorübergehender so etwas wie Verwunderung oder gar Mitleid zu lesen.
Wir kamen auf den Bahnhof. Der Korporal brachte uns an den Marseiller Zug, gab uns seinen Segen, drehte sich eine Zigarette und wartete geduldig auf dem Perron, bis der Zug aus dem Bahnhof hinausrumpelte. Jede weitere Aufsicht war unnötig. Das kollektive Militärbillett bezeichnete uns in deutlichen roten Lettern als Legionäre der Fremdenlegion. Und der Kondukteur sah in bravem Patriotismus auf jeder Station, auch auf der kleinsten, getreulich nach, ob die neuen Söhne Frankreichs nicht vielleicht das fluchwürdige Verlangen trügen, irgendwo anders als in Marseille auszusteigen. Es wäre aber nicht gegangen – mit dem Billett wäre man an keiner Perronsperre vorbeigekommen! Es ist eine praktische Einrichtung, dieses Militärbillett. Herr von Rader behauptete, er sei eine kleine Fliege, und das Militärbillett sei der Faden, mit dem man ihn an den Beinchen festgebunden habe.
Als wir in Marseille ankamen und aus dem Zug stiegen, sahen wir, wie unser fürsorglicher Kondukteur die Bahnhofshalle entlangsauste und mit herumfuchtelnden Armen einem Sergeanten an der Perronsperre Semaphorensignale machte.
»Ich Hab' sie, da sind sie!« sollte das vermutlich heißen.
Dieser Kondukteur war ein Steuerzahler und ein Patriot und sorgte dafür, daß Frankreich auch behielt, was Frankreichs war.
Der Sergeant, hinter dem noch ein Korporal auftauchte, nahm uns liebevoll in Empfang. Der Korporal führte uns durch die Stadt, der Herr Sergeant aber schlenderte in gehöriger Entfernung auf dem Trottoir voraus – er wollte zweifellos den Anschein vermeiden, als ob er zu uns gehöre. Man konnte ihm das nicht übelnehmen, denn wir sahen nicht hübsch aus, und die Nachtfahrt hatte uns sicherlich nicht verschönert.
Den langen Hafen entlang marschierten wir, durch eine wimmelnde Menschenmasse, durch ein kosmopolitisches Getriebe, zwischen arabischen Lastträgern, fetten Levantinern und gestikulierenden Südfranzosen. Da lag Schiff an Schiff. Elegante Salondampfer. Eiserne Tramps, denen man die Nöte des Lebens und die zu hohen Kosten des dringend erforderlichen neuen Farbanstrichs ansah; levantinische Barken mit komischen Rundsegeln und einer Besatzung, die für ihre Hemden nur die Wahl zwischen zwei Farben zu haben schien, zwischen schreiendem Rot und gellendem Blau; Segelschiffe in etlichen hundert verschiedenen Konstruktionen, Riesenkräne, eine kolossale Drehbrücke, die von ihrem einzigen Pfeiler aus hoch droben in der Luft herumbaumelte und sämtlichen Gesetzen der Schwerkraft Hohn zu sprechen schien. Fässer, Kisten und Säcke flogen uns an der Nase vorbei, von wuchtigen Fäusten gestoßen, geschoben, geschleudert. Ueber allem Schreien, Gellen und Lärmen.
Wir gelangten an das kleine, uralte Hafenfort, das die Durchgangspforte für alle Kolonialtruppen Frankreichs bildet. Das Fort St. Jean. Ueber eine mittelalterliche Fallbrücke schritten wir. In dem riesigen Eichentor tat sich ein kleines Pförtchen auf. Pfeifen und Johlen schallte uns von innen entgegen. Der Salut für die neuen Legionäre! Auf dem Hofe drängten sich, stoßend und gestikulierend Spahis und Tirailleurs, die hier auf das nächste Truppenschiff warteten. Das Herumstehen mochte ihnen langweilig genug geworden sein. Neugierig umringten sie uns.
» Oh la, la, les bleus pour la légion!« Die Blauen für die Legion. ...
Ein Korporal der Spahis erklärte mir die sonderbare Bezeichnung.
»Was heißt das eigentlich, die Blauen?« fragte ich ihn.
»Blau?« sagte er. »Oh, das sind Rekruten. Offiziell nennt man Rekruten: die jungen Soldaten ( les jeunes soldats). Im Armeejargon sagt man aber: »die Blauen«.«
»Komischer Ausdruck!« meinte ich.
Der Spahikorporal zündete sich eine neue Zigarette an und nickte nachdenklich. »Man weiß auch nicht recht, woher der Name kommt. Mein Kapitän erklärte mir einmal, die Bezeichnung stamme noch aus napoleonischen Zeiten. Damals trugen die französischen Soldaten steife Halsbinden, um den hohen Kragen der Uniform gerade zu halten. Diese Halsbinden sollen etwas Fürchterliches gewesen sein, eine Marter. Sie hielten den Kopf wie in einem Schraubstock, und man brauchte lange Zeit, sich an sie zu gewöhnen. Die Rekruten wurden von dieser famosen Halsbinde während der ersten Zeit ganz blau im Gesicht vor lauter Anstrengung und Gewürgtsein. Und die altgedienten Soldaten riefen ihnen lachend zu: Aha, die Blauen – die Blauen!
Herr von Rader (er lebt in meiner Erinnerung nur als »Herr von Rader«) – Herr von Rader stieß mich an.
»Bruderherz, wat machen die Kerle mit die kolossalen Hosen?«
Die Spahis waren bei der Toilette. Sie zogen ihre Zuavenjäckchen aus und zupften die riesigen roten Pluderhosen zurecht, die in ungeheuren Falten bis zu den Knöcheln herabfielen.
»Junge, Junge, wat for 'ne Verschwendung,« meinte Herr von Rader. »Aus einer solchen Hose mach' ick Hosen for 'ne janze Famillje, und dann bleibt noch 'n Unterrock for die Jroßmutter übrig.«
Dann kam das Anlegen der Schärpen. Je zwei Mann halfen sich gegenseitig. Sie hielten ein etwa fünf Meter langes, einen Viertelmeter breites hellblaues Tuch aus seinem dünnen Stoff straff gespannt. Der eine legte es sich an die Hüften und drehte sich blitzschnell um sich selbst, bis er in die Binde eingerollt war.
Die Spahis legten offenbar großen Wert auf diese Schärpen! Sie schlangen sie kunstvoll, möglichst straff, möglichst glatt und beäugelten sich kokett, ob auch ja die ceintures recht gut säßen. ...
Immer lauter wurde der Lärm auf dem Hof. Von einer Galerie herab schrie ein Unteroffizier Namen aus, und rottenweise stiegen die Soldaten die Treppen empor, um ihre Reiselöhnung in Empfang zu nehmen. Wir Legionsrekruten standen in einem Winkel und wußten nicht recht, was wir anfangen sollten. Schließlich rief uns ein Korporal zu, wir sollten uns zum Teufel scheren. Hier seien wir im Wege. Wir kämen noch lange nicht daran, wir verdammten Blauen! Als er brummend weiterging, trugen Soldaten lange Holzgestelle herbei, mit langen Reihen von Blechnäpfen darauf. Die Spahis und die Zuaven bildeten sofort einen dichten Knäuel um die dampfenden Eßgeschirre, aber Herr von Rader stürzte sich schleunigst dazwischen und eroberte auch richtig Portionen für uns alle. So lernte ich zum eisten Male la gamelle kennen, den ehrwürdigen blechernen Eßtopf des französischen Soldaten, der schon zu Zeiten des ersten Napoleons la gamelle genannt wurde. Die französische Militärsuppe, aus Brot, allen möglichen Gemüsen und einem Stückchen Fleisch, ist ebenso alt und ebenso ehrwürdig in ihrer Zubereitung. Die Musketiere des Sonnenkönigs kochten sich genau die gleiche Suppe und aßen sie aus fast den gleichen Feldgeschirren.
Dann schlenderten wir umher. Lärmender Wortschwall aus einer Ecke des Gebäudes, Weinfässer vor einer Türe, zeigten die Kantine an. Wir gingen hinein. Kaum hatten wir uns an einen Tisch gesetzt, so fielen der Kantinenwirt und seine Leute sofort über uns her. Geschäfte wollten sie mit uns machen. ... Rader verkaufte seine Stiefel für einen halben Frank. Als der Handel anfänglich daran zu scheitern drohte, daß er nicht barfuß laufen wollte, schleppte der Wirt ein Paar zerfetzte alte Zuavenschuhe als Ersatz herbei. Mich plagte er, ihm meinen Mantel zu überlassen. Ja, es sei ein sehr guter Mantel. Ein armer Mann wie er möchte gerne einen solchen Mantel haben. In der Legion müsse ich ihn doch sofort verkaufen, und ich bekäme sicherlich nicht mehr als zwei Franks dafür. Er würde mir vier geben. So viel würde ich nie bekommen in Algerien. Eine halbe Stunde lang redete er auf mich ein. Da der arme Mann aber sehr behäbig aussah, und ein Zuave mir zuflüsterte, das cochon von einem Wirt werde reich durch solche Geschäfte, ging ich auf den »Handel« nicht ein. Nun versuchte er es mit den anderen und erhandelte für Kupferstücke allerlei Sachen, die zwanzigmal soviel wert waren, als er für sie bezahlte. Stiefel, Röcke, Portemonnaies – alles mögliche. Der Schweizer verkaufte sogar seine Hose, von den Beinen weg. Fünf Sous bekam er und eine schmierige Infanteristenhose, weil er doch irgendeine Bekleidung für seinen unteren Menschen haben mußte. ... Des dicken Wirtes Augen funkelten vor Gier. Er kaufte auf, was er nur erhaschen konnte.
Die armen Teufel von Legionsrekruten waren noch ein Objekt für Ausbeutung.
Draußen war's schöner. Ich ging fort, während die anderen über dem schweren Wein lachten und lärmten, und schritt durch das Fort. Droben auf der höchsten Bastion setzte ich mich auf ein grasbewachsenes Plätzchen. Weithin war der Blick frei. Wie feiner gelber Dunst lag es über der Stadt und der Hafenseite. In massigen Häuservierteln lag die Stadt da. Weiter draußen wuchsen die Terrassen in leichter Steigung empor, mit kleinen Häuschen, deren flache Dächer das Gelb zurückwarfen und den Farbenton verstärkten und verdoppelten. Ueber dem Hafen breitete es sich wie ein Spinnengewebe. Das waren Schiffsmasten und Tauwerk und Kräne und Brücken, die in der Entfernung so zart und winzig klein erschienen wie Schleierfäden.
Auf der anderen Seite wohnte die große Ruhe. Zwischen die Fortmauern und ihrem Gegenüber von dunkelgelben Felsen schob sich eine kleine Bucht, ein Nebenpfad des Meeres. Wenn man hinunterblickte, sah man tief unter sich das schönste, tiefste, abgründigste Blau, das es in dieser Welt gibt.
Herr von Rader war mir nachgegangen. Er nickte mir zu, ließ, sich auf die Mauer setzend, die Beine baumeln und spuckte gedankenvoll in das raunende Meer tief unter ihm. Er freute sich sehr, wenn es ihm gelang, einen Fischer zu treffen.
Und ich dachte, welch' ein merkwürdig Ding dieser wellenbespülte Festungsbau, mit den uralten Bastionen und den leeren Plätzen für Lafetten und Festungskanonen war. Eine Herberge war aus ihm geworden in seinen alten Tagen, eine Karawanserai, ein Bungalow, das jahraus, jahrein nichts anderes zu tun hatte, als immer wieder anderen Rekruten der Kolonialarmee Obdach zu geben, bis das Schiff sie fortführte nach Afrika oder nach dem chinesischen Tonkin oder nach Madagaskar. Das alte Fort war die Pforte, durch die Frankreichs Regimenter in die Kolonien zogen. Für manchen die Pforte zur Ehrenlegion, für die Mehrzahl die Pforte zu Elend, Leiden, Krankheit, zu einem namenlosen Grab im heißen Sand.
Welchen Weg würde ich gehen? Ins Verderben hinaus. ...
*
Ich ging vorne an den Bug und hielt mir die Ohren zu, damit nicht irgendein französisches Wort mich daran erinnere, daß ich Legionär war. Ich vergaß Legion und Schiff und Elend und starrte hinaus auf das Märchen von Marseille. Da war ein stilles Meer. Aus seinem Wasser heraus wuchsen Halbinseln und Landzungen. Die hatten sich in blaugraue Dunstschleier gehüllt und spielten miteinander Verstecken, genau wie im Märchen. Bis Frau Sonne kam, den Dunstschleier wegstrahlte und nacheinander die Hügel und Häuserchen ins rechte Farbenlicht setzte. Eine Felseninsel stieg auf mit einem düstern alten Kastell, dem Gefängnis, aus dem Dumas seinen Abenteurer Monte Christo entfliehen ließ. Und dann nur das weite Meer, die Inkarnation blauer Schönheit. Meer und Sonne hatten sich zusammengetan, einen armen Teufel von Legionär das Vergessen zu lehren. Immer neue Bilder schufen sie in raschem Wechsel. Da war eine kleine Welle weit draußen, die mit der Sonne Haschen spielte. Bald gelang es ihr, zu entfliehen, bald wurde sie gefangen und spottend mit einer Flut von Licht überschüttet. Dann kam sie brausend auf uns zu, stieß sich den Kopf an der harten Schiffswand, prallte zurück, fing entrüstet zu zanken an und machte großen Lärm. Langsam beruhigte sie sich und fing an, leise zu erzählen. Plitsche – platsche – vom Frieden unten im Meer – plitsche – platsche – von den allerschönsten Meernixen – plitsche – platsche – lief sie lachend davon und balgte sich mit einer andern Welle.
Ich wußte, daß ich ein Deklassierter war. Aber daß die Verachtung, die Geringschätzung, die niederträchtige Behandlung schon beim Schiffskoch des Transportdampfers beginnen würde, hatte ich nicht erwartet.
» Nix comprend!« schrie der Koch. Das Paketboot der » Compagnie des Messageries Maritimes«, das uns neun Legionsrekruten von Marseille nach Oran brachte, hatte an dem Koch eine ganz miserable Akquisition gemacht. Der Mensch antwortete auf den Namen Jacques, wenn es ihm gerade paßte. Er war boshaft, heimtückisch, verlogen, cholerisch und schmutzig.
Am ersten Tag bekamen mir bis gegen Abend nichts zu essen. Als es am zweiten Tage drei Uhr wurde und wir immer noch nüchternen Magens auf die erste Mahlzeit warteten, sagte ich ihm, daß unsere Verpflegung bezahlt sei und daß er uns gefälligst etwas zu essen geben solle.
Die Antwort war zunächst ein reichhaltiges Assortiment von Flüchen. Fluchen konnte er sehr schön. Dreckige Legionäre müßten eben warten. Wenn er gerade übrige Zeit hätte, würden wir schon etwas zu essen bekommen.
Ich freute mich! Wie man mit der Sorte umgeht, wußte ich von meinen amerikanischen Zeiten her.
»Siehst du, mein Sohn,« wandte ich mich liebevoll an ihn, »diese acht Kameraden von mir sind Deutsche und können kein Französisch. Sie können aber prügeln! Siehst du, wie sie um dich herumstehen? Ich glaube, sie werden dich sehr prügeln.«
» Allez donc!« meinte der Koch zweifelnd und unruhig.
»Sie werden dich wahrscheinlich totschlagen!«
Der Koch wurde bleich, schob sich rückwärts in seine Kombüse zurück und fischte aus dem Herd ein Blech heraus, in dem Makkaroni schwammen. Dann brachte er uns Brot in Fülle und eine Art Gießkanne, in der drei Liter Wein sein mochten. Dafür gab es aber keine Messer, nur vier Gabeln für neun Mann und einen einzigen Blechtopf zum Trinken.
Neulich ist eines dieser Paketboote gestrandet. Hoffentlich war es dieses Boot und hoffentlich ist dieser Koch dabei ersoffen! –
Zwei Tage und zwei Nächte dauerte die Fahrt. Am Abend des zweiten Tages kam aus dem Territorium der ersten Kajüte ein Sergeant der Fremdenlegion zu uns Bewohnern des Vorderschiffs herüber. Wollte sich mal die neuen Legionäre ansehen. Da er ein Belgier war und mit den anderen nicht Deutsch sprechen konnte, so wurde mir für einige Stunden die Ehre seiner Gesellschaft zuteil.
Die Deutschen seien ein sehr gutes Soldatenmaterial, jedoch viele Dickschädel darunter. Eigensinnig, ein bißchen schwerblütig. Ich sollte in der Legion nur mit Franzosen verkehren, auf daß sich mein Französisch bessere. Worauf der Herr Sergeant eine Flasche Wein bestellte und von der Legion sprach. Das meiste, was er sagte, war gelogen. Eine dieser Geschichten ist dennoch des Erzählens wert.
»Im Jahre 1880 diente in der Legion ein junger Deutscher. Er war ein ausgezeichneter Soldat, sprach brillant Französisch und galt als guter Kamerad. Eine Abteilung der Legion, zu der dieser Deutsche gehörte, wurde bei Saïda von Beduinen überfallen. Der führende Offizier, ein Leutnant, wurde verwundet, die Unteroffiziere fielen. Da übernahm der junge Deutsche das Kommando und befahl einen tollkühnen Bajonettangriff, der dem Häuflein Luft schaffte, bis Hilfe kam. Mit einem Schuh in der Brust brachte man den jungen Helden ins Hauptquartier des Regiments, und der Oberst heftete dem tödlich Verwundeten sein eigenes Kreuz der Ehrenlegion an die Brust. Der fragte den Doktor, ob er eine Chance habe, durchzukommen. Der Arzt sagte natürlich ja. Der Verwundete wurde grob und verlangte die Wahrheit zu wissen. Er erfuhr sie. Als er wußte, daß sein Tod nur eine Frage von Stunden war, flüsterte er seinem Regimentskommandeur ein paar Worte ins Ohr.
In der nächsten Stunde jagten sich die Telegramme zwischen der kleinen Wüstenstation und Deutschland. Am Abend starb der Legionär. Eine Woche darauf aber kam eine tiefverschleierte Dame nach Saïda, die die Leiche des tapferen Jünglings mit sich nach Deutschland nahm. Um den kostbaren Sarg wurde die französische Flagge gehüllt, und Ritter der Ehrenlegion trugen ihren Toten auf den Wagen, der ihn nach Oran bringen sollte. Der junge Deutsche war ein königlicher Prinz von Preußen gewesen ...«
Also erzählte der Sergeant.
»Glauben Sie diese Geschichte?« fragte ich.
»Absolute Tatsache!« antwortete der Sergeant ernst ...
Die gleiche Historie, besser oder schlechter erzählt, je nach dem Erzählenden, wurde mir später noch dutzendemal aufgetischt. Sie ist ein Bestandteil der von Legionär zu Legionär erzählten Chronik der Fremdenlegion, und ich habe mich oft darüber gewundert, wie dieses Märchen wohl entstanden sein mochte. Es stellt wahrscheinlich das Schicksal irgendeines Jungen aus gutem deutschem Hause dar, den die Legionsfama im Laufe der Jahre zum königlichen Prinzen avancieren ließ.
*
In der Mittagssonne tauchte Oran auf. Neun Legionsrekruten standen Schulter an Schulter an der Reling und betrachteten mit neugierig wundernden Augen das Land, in dem sie Kriegsdienste leisten sollten, die zickzackige Küstenlinie, die gewaltigen ockergelben Sandsteinfelsen. Da begannen Küstenbatterien zu feuern, Schuß auf Schuß. Als das Schiff näher kam, sahen wir die schwimmenden Scheiben im Meer. Aber die Schrapnells, die jedesmal eine kleine Wassersäule emporwarfen, platzten in ganz gehöriger Entfernung vor und hinter der Scheibe.
Der alte Sergeant zuckte die Achseln.
»Mich interessiert nur unser Schießen,« sagte er. »Wenn es darauf ankommt, mit dem guten alten Lebelgewehr zu schießen, dann schießt die Legion besser als alle französischen Regimenter zusammengenommen.«
Auf seine Legion ließ er nichts kommen, der graubärtige Sergeant.
Jedenfalls waren die Küstenbatterien ausgezeichnet maskiert. Selbst als mir der Sergeant die Positionen zeigte, konnte ich nichts entdecken. Hoch oben in die Sandsteinfelsen waren die Geschütze eingebaut, hinter kleinen Sandhügeln, deren Künstlichkeit kein Mensch hätte entdecken können. Absolut versteckt.
Langsam liefen wir in den Hafen ein. Die Felsen auf beiden Seiten schienen sich zu spalten, und in dem klaffenden Riß erschien, wie herausgezaubert, die Festungsstadt Oran. Flache Dächer – ein hügelig aufsteigendes Häusergewimmel. Der eigentliche Hafen winzig klein. Ein mit starken Wellenbrechern umsäumtes Quadrat, in dem schnurgerade ausgerichtet, dicht nebeneinander zwölf Torpedoboote, zwei kleine Kreuzer und ein halbes Dutzend Kauffahrteischiffe lagen. Wir legten am Quaischuppen an, und sofort kam der unvermeidliche Korporal an Bord. Der berühmte Korporal der französischen Armee, der das Mädchen für alles ist und mehr wirkliche Arbeit leistet, als alle übrigen Chargen zusammengenommen. Der Mann zählte uns umständlich ab, auf daß ihm ja kein teures Haupt fehle. Dann marschierten wir nach der Kaserne.
Neun Rekruten rissen die Augen weit auf. Neger im Lendentuch und roten Fes mit ungeheuren Lasten auf den Schultern eilten mit trippelnden kleinen Schritten vorbei; schweigsame Araber, von Kopf zu Fuß in den weißen Burnus eingehüllt, standen regungslos in den Ecken; Offiziere promenierten, Damen in duftigen Sommerkleidern blieben stehen und sahen uns mit einem Gemisch von Neugierde und Mitleid an. Eine Spahi-Ordonnanz in knallroter Uniform mit weitflatterndem Mantel jagte auf schaumbedecktem Schimmel vorbei und rief uns grinsend zu:
» Bon jour, les bleus!« Ueber große Plätze mit europäischen Dutzendhäusern, die ebensogut irgendwo in Deutschland oder Österreich hätten stehen können, ging es hinein in kleine Gassen, in denen sich halbnackte schwarze und braune Kinder herumbalgten.
Dann wurde es sandig. Der afrikanische Sand, der im Leben eines Legionärs eine große Rolle spielt, begrüßte uns. Wir kamen auf eine Straße, eine ideale Straße, deren leichtgebogene Oberfläche hart wie Stein war. Eine längst verflossene Generation von Fremdenlegionären hatte sie gebaut.
»Leschionär' ham' die Straß' baut,« sagte der Korporal.
In langen, langsam ansteigenden Serpentinen wand sich die Straße um die Küstenfelsen herum. Eine Stunde lang mochten wir marschiert sein, als die Mauern eines alten Kasernements auftauchten. Wieder eines der Hotels, eine der Durchgangsstationen für das immer neue Menschenmaterial, das Frankreichs Algerien fortwährend verschlingt. Unsere Schritte hallten auf dem steingepflasterten Hof. Ein Leutnant verlas unsere Namen und amüsierte sich über das kräftige deutsche »Hier«, mit dem geantwortet wurde.
Wir wurden in eine Art Verschlag gebracht. Die eine, kaum fünf Meter messende Langseite des dunklen Raumes entlang lief eine Art Pritsche, eine schräge, aus Brettern zusammengenagelte Lagerstatt. In einer Ecke stand ein großer Tonkrug mit Wasser, und in einem Winkel waren ein halbes Dutzend dünner brauner Wolldecken hingeworfen. Von früheren Bewohnern zeugten Hunderte von Zigarettenstummeln und eine reichhaltige Kollektion von Kehricht auf dem Boden.
Das Soldatenleben begann.
Als es dunkel wurde und meine Kameraden sich auf der Pritsche ausstreckten, schlich ich mich davon. Es war zu dumpf und zu eng in dem Raum. In einem stillen Winkel im Hof legte ich mich hin, in meinen Ueberzieher gewickelt. Fünf Minuten war ich allein. Dann kamen Gestalten in Legionsuniform ...
Es sei ein schöner Abend. Es sei eine ausgezeichnete Idee, hier draußen zu schlafen. Sie wären von Sidi-bel-Abbés abkommandiert, um das Kasernement hier in Ordnung zu halten. Ob ich schon wüßte, daß ein Liter hier nur vier Sous loste? Sehr guter Wein! Sie hätten allerdings keine vier Sous. Dagegen sei die Kantine noch offen! ...
So kam es, daß in der ersten Nacht auf afrikanischem Boden ein Frankstück in fünf Flaschen algerischen Weins umgewandelt wurde.
Die Flaschen klirrten, und der Wein gluckte hörbar.
Jemand klopfte in der Nähe an eine Tür. Erst leise und vorsichtig, dann lauter, dringender.
»Das ist der Rote! Der hat Durst!« sagte einer der Legionäre, ohne eine Miene zu verziehen. »Er ist eingesperrt.«
Als ob das etwas Selbstverständliches wäre. Wir gingen alle hin. Ganz oben an der Türe, über Mannshöhe, war ein kleines Gitter, durch dessen Stäbe man eine Hand sah, die ein blechernes Eßgeschirr emporhielt. Ein Legionär kletterte auf die Schulter eines anderen. eine Flasche wurde emporgereicht, und durch das Gitter hindurch ergoß sich der rote Wein in das Eßgeschirr. Gleich darauf ertönte aus der Zelle ein vergnügliches Schmatzen.
»Warum ist der eingesperrt?« fragte ich.
Dies ist die Geschichte:
Man nannte ihn den Roten, weil sein Haar in brennendem Rot leuchtete. Er war ein alter Legionär mit zehn Jahren Dienstzeit und wußte ganz genau, daß er auf der Welt zu nichts mehr taugte als zum Legionär. Denn zehn Jahre sind eine lange Zeit ... Als er aber in dieses langweilige Kasernenhotel kommandiert wurde, und den ganzen Tag lang das Meer vor sich sah, regte sich ein gewaltiger Freiheitsdrang in ihm. Und eines Abends ging er hinunter an den Hafen, spazierte die Küste entlang, suchte sich ein arabisches Fischerboot aus, das ihm gefiel, sprengte in aller Gemütlichkeit die Kette mit einem großen Stein, zog das Segel auf und fuhr hinaus ins Meer. Spanien war ja nicht weit. In etlichen siebzehn oder achtzehn Stunden trieb ihn ein günstiger Wind nach der spanischen Küste. Es war ein felsiges, steiniges Ufer, an dem er landete, und außer ein paar Fischerhütten war nichts zu sehen. Die Fischer erstaunten über den Mann in den roten Hosen und gaben ihm getrocknete Fische zum Essen und Quellwasser zum Trinken. Der Rote hatte sich das längst vergessene Zivilleben eigentlich weit schöner vorgestellt. Als aber ein hübsches spanisches Mädel erschien, fand er das Zivilleben doch schön und wurde – nun, er wurde so, daß die Fischer ergrimmten. Mit knapper Not rettete er sich in sein Boot. Und in weiteren zwanzig Stunden war er wieder in Oran, band das Boot seelenruhig an, gab dem zeternden arabischen Eigentümer einen gewaltigen Fußtritt und erzählte seinem Kommandeur ein schönes Märchen von einem ganz zufälligen Einsteigen in das Boot und einem gewaltigen Wind, der das Boot losgerissen und ihn ins Meer hinausgetrieben habe. Weil der Offizier Humor hatte, kam der Mann der roten Haare mit ein paar Tagen Arrest davon.
Die Legionäre griffen gierig nach der letzten Flasche Wein. Ich starrte in ihre Gesichter, ob sie etwas ahnten von der Tragik dieses gewaltigen Freiheitsdranges, von der Tragik eines Menschen, der mit der hart gewonnenen Freiheit nichts anzufangen wußte.
In ihren Gesichtern war nichts zu lesen. Herrgott, zehn Jahre Fremdenlegion ...