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Dierkhof, den 27. Oktober 19 ..
Alles schläft ringsum. Ich aber will noch mein Leben weiter leben im »Fullianten«. Den heutigen Tag werd' ich niemalen vergessen. Der ist wieder mal eingebrannt in mein Herz. Aber dieses »Brandmal« schmerzt nicht. Das hat einen ganzen hohen, üblen Berg von Pharisäertum, Zorn und Überheblichkeit verbrannt, also daß ich wieder aufschnaufen kann, wie einst. Nur das Heimweh ist geblieben, nach dem Jochen, der nichts mehr von mir wissen will, und den nur doch Gott selbst bestellte zum Freunde, und mich ihm. Es war aber ein wunderliches Fest heute bei uns. Eine Verkündigung. – Die übernimmt jedesmal die derzeitige Älteste der Sippe. Und muß streng darauf halten, daß sie geschieht bei einschneidenden Anlässen, wie es die uralte Sleefkamp-Urkunde vorschreibt und befiehlt. Ist diese Älteste auf einer Reise, so muß sie sofort zurückkommen. Ist sie krank, so treten die Sippenglieder an ihre Bettstatt.
Es ist wohl nur Sleefkampsitte und -brauch: »Die Verkündigung.« Sie soll auch wohl eigentlich nur im Sleefkamp vor sich gehen. Aber Doktor Jochen ahnt ja nichts, und vertreiben wollten wir ihn nicht aus seinem Haus. So wurde »die Verkündigung« in den Dierkhof gelegt.
Muhme Kordula kam herübergefahren. Tetje Bur hielt die Zügel. – Er war im Gottestischkleid wie wir alle, auch die Insten. Sie wußten nicht, wie ihnen geschah, daß sie Feierabend machen durften zu ungewohnter Zeit. »Vadder Ernst Sleef« hatte seines Kaisers Rock angezogen mit den blitzenden Orden. Er tat es den Insten zu Liebe, damit sie sahen, wie er die feierlichen Gebräuche seiner Sippe zu ehren wisse. So legte auch ich meine »Tracht« an, und dazu die schlichten eisernen Kreuze aus dem Kriege.
Muhme Kordula stieß dreimal mit dem Handstock auf die Diele: »Verkündigung!« rief sie laut. So frisch, so fröhlich – und patzte doch gut in unsere Feierlichkeit. »Administrator vom Sleefkamp – schließt die Türen alle, die auf das Fleet münden! Tue kund und zu wissen dem alten Sleefkamp, und den Manen der alten, ehrenhaften Dierkhofer, die uns heute durch Wien Sleef, den Oberknecht vom Sleefkamp und Erbberechtigten alldort, aber derzeitigen Hausvater im Dierkhof Einstand gegeben haben, um zu tagen im Namen des dreiein'gen Gottes. Verkünde auch allen andern, daß die Ehe meines Großneffen Wien Sleef und der Frau Amei, meiner Großtochter gesegnet worden ist. Also, daß der Sleefkamp hoffen darf in der Zukunft, auf noch zwei Augen mehr zu stehen, denn bisher. Das walte Gott! Wollet nun auch alle die junge Sleefkampin grüßen, da sie auf ›schweren Füßen‹ geht. Tetje Bur tritt vor und sag' deinen Spruch.«
Schier hatte der brave Tetje seine Fassung verloren. Ich mußte ihn bei der Hand nehmen, damit er feststand. Und der General schenkte ihm ein Glas Ehrenwein ein. Das hob der Altknecht, aber seine Hand zitterte dabei: »Wir Insten geloben dem Sleefkamp die Treu, er wachse um hundert Jahr wieder neu! In Gottes Namen! Amen!«
Er leerte feierlich das Glas, und ging dann gleich zur Tür hinaus, die er aufgeschlossen. Aber ein schwarzer Schatten stand plötzlich an seiner Stelle. Die Amei packte meinen Arm, und ich konnt' mit Mühen einen Aufschrei unterdrücken: Jochen! Der ging auf Muhme Kordula zu, und sie war blaß bis in die Lippen. Sie raunte: »Willst frevelhaft die Verkündung stören?«
Er sprach ebenso leise, ich stand aber neben der Muhme und konnt' jedes Wort verstehen: »Stören will ich nicht, wenn ich auch ein Störenfried zu sein scheine. Da ist dein Handstock, Muhme: »Es gibt noch eine Verkündigung!« Das rief er laut in die Versammlung. Und ich sah doch, daß der Jochen sich kaum auf den Füßen halten konnt'. Und ich spürt, daß es ihm bis in binnelste Herz peinlich war, so vor aller Augen zu stehn. Er hatte sich längst dieser altvoderischen Sitten entwöhnt. – Dreimal stieß der Handstock auf. »Verkündigung!« Aber diesmal drückte Jürgen-Jochen Sleef die Älteste des Hauses in ihren Ohrenstuhl sacht zurück, und sprach dann starke Worte und sah gradaus mit toternsten Augen, die ganz fremd waren an ihm: »Verkünde als Hoferbe vom Sleefkamp, daß Birgitt Dierk mir ihre Krone gegeben hat. Und ihr Kind Lütt-Birgitt ist das meine. Ich werde es zu mir nehmen und ihm meinen Namen geben und ihm ein guter Vater sein. Wer also dem Wien Sleef üble Nachred' gibt, ist fürderhin mein Feind.«
Jochen war hinausgegangen, ehe wir uns noch besannen. Mein Arm und meine Hand, die ich nach ihm ausgestreckt hatte, blieben in der Luft hängen. Dann donnerten die Hufschläge seines Pferdes über das Kopfpflaster des Hofes und verloren sich im Heidesand. »Geht Leute!« sagte die Muhme Kordula heiser. »Und richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!«