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Im Altgedinge, 17. Juli 19 ..

Gestern abend klappte mir die Muhme etwas zusammen. Arbeiten und rauchen kann sie noch immer as 'ne junge Veern, aber Aufregungen gehen ihr an die Nieren. Und sie hat ja so ein Temperament, daß sie sich von Sinn und Verstand freut, wenn der Wien Gemeindevorsteher wird. Sie gab nicht recht Hals, als wir zusammen auf dem Kanapee saßen. Es war, als bedrückte sie noch etwas. Aber wenn mir jemand sein Inneres vorenthält, so frag' ich ihn nicht aus.

Ich hab' schlecht geschlafen in der Nacht. – Bin überrumpelt worden mit allem. Hätte sagen müssen: »Wie kann ein Knecht Gemeindevorsteher sein?« Ich möcht' es rückgängig machen und scheue mich doch vor der Wetterwendigkeit.

Heute hatt' ich einen Tanz mit der alten Gesine.

Sie ist die bravste Haut in weiter Runde, und hat auch eine Vertrauensstellung. Immer hat es einen Putfarken auf dem Sleefkamp gegeben seit dreihundert Fahren. Sie heißt Gesine Putfarken. Ich hab's schon einmal im Folianten vermerkt, daß sie meine Freundin ist, aber der Respekt muß doch da sein von ihr, da helpt nix. – Wollte ich heute mal wieder Lütt Birgitt sehen, denn ein Vormund und Pate muß sich drum kümmern. Finde ich die Gesine in ihrem Pesel in einem Stickdunst, der vom Holzkohlenplätteisen herkommt, und wie ich ihr sag': »Bist unklug, Gesine? Das Gör soll wohl sticken in der Luft?« Und das Fenster aufreiß', sagt sie stockfischig: »de Lütten is gor nich dor.«

»Wo is es?«

»Bi de Frölen Amei.«

»Was macht's da? Warum fragt man mich nicht? Ich verbitt' mir das! Gleich holst es rüber!«

Da läßt sie in heller Verschrockenheit das heiße Eisen auf der Leinwand stehen, daß noch ein neuer Gestank zu dem alten kommt. Und als sie das Unglück merkt, heult sie erst los, und reißt alles runter, und dann stemmt sie doch wahrhaftig die Hände in die Seiten und sagt sehr laut: »Wenn dir der Vorsteher zu Kopf gegangen ist, dann sag's, Wien, dann geh' ich auch rüber zur ›Frau‹ und laß dich hier sitten.«

»Wie der Will'«, sag' ich fünsch. Und mit dem Vorsteher sollt' sie mir vom Halse bleiben, ich hätt' mich umbesonnen. Da fängt doch dies weibliche Geschöpf an to hulen un to jammern, daß ich zum ersten Male Gott dankte, nicht verheiratet zu sein. So einer Hulerei wär' ich niemalen gewachsen.

»Was is denn nu los?« frag' ich.

Da hebt sie die gefalteten Hände hoch. »Vorsteher bleibst, Wien! Das tust mir nicht an, so ein Ehr abzuschlagen. Un mich um alle Reputation bringen...«

»Schnappst über, Gesine?«

»Ja, tu ik, wennst dickschädelig bleibst. Hast es überall verzählt, daß ich dein Freundin bin, und nun will ich auch deine Ehren mit haben.« Ich hatte Angst, sie floß mir ganz auseinander, die gute Obermagd. Aber ich werd's nicht von ihr abhängig machen, ob ich Vorsteher sein will. Ich weiß, ich quäl' mich da noch lang mit herum.

»Büst jo durchgedreht«, sagt' ich nur. Und das schien sie für eine Zusage zu nehmen. Aber mir war unrastig zu Sinn. Ich kann die alte liebe Muhme Kordula nicht immer zu mir hinüberrufen lassen – es muß eine Änderung gemacht werden. Und weil ich vorhin die Kalesche hab' einspannen lassen für die Amei »von Sleef«, die in die Kreisstadt fährt, so kann ich, wenn sie fort ist, wieder hinüber in den Sleefkamp gehen, um ein Stündchen, oder zwei mich mit der Muhme zu beraten.

Abends will die Deern wiederkommen, ich bin voll Ärger, daß man mir just jetzt meine Gespanne fortholt. Das kommt davon, wenn Stadtleute in die Landwirtschaft hineinplumpsen und drin rumschnöckern und von tuten und blasen nix weeten. – Unser Administrator ist auch vom Vorwerk rübergekommen, der sitzt jetzt bei der Muhme und packt seine Sorgen und Nöte aus. Man sollte sich schämen, der Achtzigjährigen so viel aufzuladen. Aber sie will's ja partuh. Würde uns höllisch anlappen, wenn wir auch nur eine einzige Sach' allein erledigten ohne ihren Rat. Und sie weiß Bescheid auf dem Hof, das ist das Gute.

Als ich zu ihr in die Stube trat, war der Administrator schon gegangen. Aber die beiden hatten ganz verständig miteinander geschnackt, und zwar das, was auch mir in meinen Kram paßte. Ich soll das Ausgedinge nun ganz allein haben, man richtet mir ein »Büro« ein – – dor rük an. Und ein großes buntes Schild kommt dran, sonst denken die Leut', es ist nichts rechtes. »Dat is öwerall so, bi Rik un bi Arm, dat Kleed, das matt dat«, hatt' he de Administrater seggt. – Und das Schild soll nun das Kleid von Wien Sleef sein. Na, denn man to! – »Also meinst wirklich, ich soll mich so überheben und das Amt annehmen?«

»Du überhebst dich nicht. Die Sleefs müssen wieder einmal heran. Damit unsere Gerechtsame nicht verjähren.«

»Ich wüßt' nicht, daß Gerechtigkeit verjährt, ich dacht', die blieb in Zeit und Ewigkeit.«

»Mach' keine Spitzfindigkeiten, Wien. Ich hab wichtiges mit dir zu besprechen.«

»Noch wichtigeres, als meinen Gemeindevorsteher?«

»Brauchst nicht zu spotten, Wien. Die Amei holt ihren Bräutigam von der Kreisstadt. Jochen Sleef kümmt hüt abend – – –«

Wie lange ich vor der Muhme gestanden, ohne ein Wort rauszubringen, kann ich nicht sagen. – Sie hat mich gerüttelt, die alte Frau. Da kam ich zu mir. »Siehst aus wie der Kalk an der Wand«, raunte sie. »Wien, wach' auf! Wirst mich nicht allein lassen in meiner Bedrängnis. Es ist schwer für uns beide Wissende. Und die Amei muß geschont werden.

»Muß sie

»Wie meinst, Wien? Kannst du Zweifel haben?«

»Ich mein, daß wir der Deern groß Unrecht tun, wenn wir ihr nichts sagen ...«

Da sah mich die Muhme Kordula an. Ich hab so einen Blick nie an ihr gesehen. Spähend war er. Als wollt' sie mich durch und durch erforschen. Oh, ich hatte keine Ursach' mich zu schämen. Ich dacht' mit keinem Gedanken an mich selbst. Aber ich dacht', daß die Amei uns mal könnt' zur Rechenschaft ziehen, und daß wir dann nicht bestehen könnten.

»Siehst Wien, das ist das Schlimme an uns Heidjern, daß wir das Maul nicht auftun zu rechter Zeit. Wenn ich's mich getraute, ich würd' sagen, es ist schier ein grob' Versehen vom lieben Herrgott. Du machst ›schmalen Mund‹, ich kenn' das, tu's ja auch zu tausendmalen. Hinter dem schmalen Mund verbirgst du, wie's aussieht in dir, und ich kann dir nicht helfen. Und du mir auch nicht, und willst doch mein Ritter sein.«

Ja, so sprach die Muhme, und das tat bitter weh. Und so wird mein Mund noch etwas schmaler geworden sein. Ich schickte mich zum Gehen an. Da weinte die alte Frau bitterlich. Geht die Welt unter? Muhme Kordula weint laut?

»Muhme, hör auf! Ich kann nicht mehr ... Wir faseln von Altgedinge und Vorsteherbüro, und du sagst: ›Der Doktor Jochen – mein Herr – kommt heute abend.‹ – Muhme denk nach! Ich hab' dann hier nichts mehr verloren. Es ist dann alles in der Reih'. Doktor Jochen ist der eigentliche Hoferbe. Ich bin der Außenseiter. Er wird jetzt seßhaft sein. Und er wird dann den Bauern gefallen. Wird Vorsteher. – Und wird – – die Amei heuern. Und zwischen der Amei und mir gibt's nix Gemeinsames, auch nicht eine Nachbarschaft zwischen Ausgedinge und Sleefkamphaus ... ich gehe nach dem Dierkhof, Muhme!«

»Und ich geh mit dir. Red'nix dawider! Wenn du meine eingewurzelten Füße aus dem Sleefkampboden reißest, mußt mir eben eine andere Heimat schaffen.«

»So wird aber dein Bestes doch im Sleefkamp bleiben, Muhme – dein großes, braves Herz, Muhme. Und deine Füße werden im Dierkhof nicht Wurzel schlagen. Verdorren wirst, und mir graut vor der Verantwortung.«

»Das wäre dann Herrgottssach', Wien. Aber ich verdorr' nicht bei dir. Ich hab' dich lieb, Wien! Keinen Menschen hab' ich so lieb wie dich!«

Ich schlug meine Pranken vor mein Gesicht. Garstige weibische Tränen liefen durch meine Finger. Vornehm, rührend gütig stand die alte Frau vor mir. Ich kriegte sie rundum, und wie ein schämiges Dirnlein schmiegte sie sich an mich. Aber dann kommandierte sie: Loslassen, Wien! Es könnt' jemand kommen und uns ins Gerede bringen. Und hör' eins: für Brasils mußt mir immer sorgen, da drüben in deinem langweiligen Moor.«

Da lacht' ich laut und befreit.

»Und weißt auch, Wien, daß die Amei zu Pastor Eichstaedt zieht bis zur Hochzeit?«

Was ficht's mich an? Was brauche ich denn noch auf der Welt? Einen Freund. – Einen sauberen, verläßlichen Freund. Das ist die Muhme Kordula.

Im Altgedinge, den 20. Juli 19 ..

Mich kann nichts mehr anfechten. So dunkel ist die Welt ... Und so undankbar die Bauern ... Undankbar? Hab' ich also doch auf Dank gehofft? So hab' ich ja meinen Lohn dahin ... Schick' dich drein, Wien! – Ich braucht' also gar nicht den Bauern ihre schöne, einstimmige Wahl zurückzugeben. Davor hatte ich mich ja gescheut. So eine ehrenfeste Gesamtheit vor den Kopf zu stoßen, die sich einen Knecht wählte, nur seines Innerlichen halber. Denn mit dem äußerlichen Wien konnten sie ja keinen Staat machen.

Haben mir aber alle Mühe und alles Besinnen abgenommen. Haben mir mein Wort zurückgegeben. Haben mich wieder arm gemacht. Es ist einer zum Vorsteher gekommen aus der Kreisstadt. Hat ihm gesagt: »Macht erst Bewährungsfrist. Das ist vielleicht nicht alles ganz sauber beim Wien. Das Kind, was er betraut, und was die alte Frau fatscht und wie einen leibhaftigen »Sleef« hält – – gebt's acht! Und die verlassene junge Deern is drob irre geworden und gestorben. Die Welt ist leichtsinnig, die Welt ist schlecht. Man drückt auch gern ein Auge zu bei Knechten. Aber euer Oberknecht, der ein Recht auf dem Sleefkamp hat und ausgezahlt wird vom Hoferben, der soll sich was schämen. Und als Vorsteher? Als Beispiel? Wo sie alle draufschauen? Geht nicht, geht nicht – – – Fertig! Schluß! Der König ist tot, es lebe der König! – – –

Der Gemeindevorsteher hat mir's schön hergesagt. – War 'n büschen verlegen, ist ja sonst ein honetter Mann, und vielleicht tat's auch den andern Bauern leid, daß der Wien so ein Heimlicher war. So ein Unguter. Ein Wolf im Schafspelz. Aber sie schwiegen stur. Und ich sagt' kein Wort. Solchen Zweiflern biet ich keinen Eid an. Hab' nur im stillen Schlafpesel bitter herausgelacht. Nie die Liebe zu kennen, darben müssen sein Leben lang, und dann mit einem unehelichen Kind in aller Leut' Schandmäuler zu sein und schuld haben sollen an einer jungen Mutter Tod ... Wien, Wien! »Wenn Gott für dich ist, wer kann wider dich sein??«

Seltsam fahrig und wunderlich scheint mir die Amei. Aber schön! Gottsunmöglich schön! Schweig, Wien! – – Sie lief umher im Gewese, als sucht' sie den vergangenen Tag. Aber sie hat gar nicht aufgeschaut, da ich an ihr vorbeiging. Und war doch viele Stunden fortgewesen. Selbst einen Hund grüßt man, wenn man wiederkehrt von einer Reise: »Gun Dag, mien olen Phylar, ik bün wedder dor!« Und dann is Mensch und Hund glücklich. Ich hab' auch seit einigen Tagen den Phylar bei mir im Pesel. Er war sonst nicht von der Amei wegzuschlagen gewesen, sie tut's ja allen an. Und zu jedem ist sie lieb Kind, nur mir gibt sie keine Ehre. Aber den Phylar streichelte sie, ehe sie fortfuhr, als gelte es einen Lebensabschied. Und dann lief der Hund zu mir und legte sich zu meinen Füßen, »als wär's ein Stück von mir«. Und jetzt liegt er noch da.

Der Nachtwächter hatte schon geblasen, einen wilden Ton in sein Riesenhorn. Wir nehmens für ein Schlaflied. Phylar bläffte kurz. Und dann klopfte es hart dreimal an meine Tür: »Guten Abend, Wien!«

Ich schoß in die Höhe und setzte mich gleich wieder. Fiel in den Ohrenstuhl zurück. Eiskalt war ich, wie abgestorben. Und gab meine Hand nicht dem Dr. phil. et rer. pol. Versteckte sie hinter dem Rücken. »Wien, sei kein Pharisäer! Es steht dir gar nicht. Es ist klein, und du bist so riesenhaft. Guten Abend, Wien! – Mephisto meint, man muß es dreimal sagen. Ich tu's: Guten Abend, Wien!«

Das ist das hundsföttisch Schlappe an mir, daß mir's war, ich müßt' nicht nur die Hand geben – nein, ich müßt' die Arme rund um den Heimgekehrten legen, müßt' ihn schütteln, müßt' rufen: ›Bist endlich da, Jochen! Jochen! Ich hab' dich vermißt, wie's liebe Brot‹

Kein Wort hab' ich gesagt, die Hand nicht mehr gesehen. Rot und schwarz war's mir vor den Augen. Nur das Gehör war gut. Die Tür klappte zu, und dieser leise Klapp dröhnte wie Drommetenton in meine Ohren.

Vorbei. – –


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