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Sleefkamp, den 19. Juni 19 ..

Die Amei hat wohl jeden Tag einen Brief gekriegt, dünkt mich. Woher die Schreiben kommen, weiß ich nicht. Amei lauert den Boten auf am Waldsaum. Kann's wohl nicht erwarten. Ist recht. Wir haben ihr nichts gesagt von dem Häßlichen, was um die lüttje Birgitt drumrum ist. Muhme Kordula ist noch aus der alten Schul, die brächt' es nicht über die Lippen der Enkelin gegenüber. Und ich? Da sei Gott vor, daß ich der Jungfrau den Verlobten verekeln sollt. Vielleicht ist sie auch als Großstadtkind wissender, als ihr reines Gesichtel verrät. Und die großen Augen, die schauen wie Kinderfragen aus: »Mutterle, wo komm ich her?« Kann auch sein, sie weiß Bescheid, und in der Stadt nimmt man es nicht so genau mit dem Bräutigam. Da hat sich manch einer eine Last vorzuwerfen, und spricht doch einem reinen Geschöpfchen von seiner Liebe, und macht es zu seinem Weibe und verdirbt es bis ins dritte und vierte Glied. Wie die Bibel von den Sünden der Väter sagt. Aber der Doktor Jochen ist ja nur leichtsinnig, nicht schlecht. – Ich komme auf die Schliche der Muhme Kordula, die ja auch bei Jedem das Gute rausfindet. – Briefe wegschicken tut die Amei nicht viel. Gestern ritt ich nach der Poststation, da gab sie mir einen mit. Der trug die Aufschrift: »Seiner Exzellenz dem Herrn Generalleutnant von Sleef.« Eine Handschrift hat die Deern, wie jemand, der alleweil zu befehlen gewohnt ist. Ich glaub', die wird sie behalten, auch wenn sie mal zu gehorchen lernt. Hat aber keine Not, daß es je geschieht. Ich bin recht im Zusammenhang mit Sr. Exzellenz. Wenn wir auch nichts von einander hören und sehen, ist es mir doch immer, als ließe er mich grüßen, wie damals vor Wochen. Da warf mir jemand seinen Gruß an den Kopf. Ich fing ihn auf und bewahr' ihn seitdem. Möcht' ihn wohl gern wieder grüßen.

Am selben Abend.

Hab' mich nicht lang besonnen. Den besten Bogen sucht' ich heraus. Hab' freilich nicht viel gute: »Eure Exzellenz, ich bedank' mich schön für den Gruß. Der ›Onkel Ernst‹ will mir nicht mehr über die Lippen, oder aus der Feder. Weil wir uns nicht mehr sehen. Aber wie ein Vater war Eure Exzellenz immer zu mir, das soll wahr sein. Unsern Abschied vergesse ich nie. Der ganze Sleefkamp, soweit ich drüber zu befehlen habe, grüßt herzlich. Gesund sind sie alle.

Wien Sleef, Oberknecht auf Sleefkamp.«

Nun weiß er Bescheid, der General. Denn die Deern wird ihm wohl nicht geschrieben haben, auf welche Art und Weis' sie mir den hohen Gruß übermittelt hat. Das war die richtige Insubordination. Ich bin rechtschaffen drin in der Arbeit und muß eine Nachtstunde für den Folianten verwenden. Macht mir nichts aus, denn es ist schier meine einzige Freude. Muhme Kordula hat sich zwar wieder zurecht gerückt, aber so ein Erleben an der eigenen Sippe, auf die sie so bannig stolz ist, das kann wohl tiefen Schatten werfen auf solch' feine Seele. Ich selbst geh' herum, als hätt' ich einen Kater. Wie der ist, das hat mir der Doktor Jochen mal erzählt und ausgedeutscht, denn ich kannte so ein Tier nicht, das vom Suff herstammt. – Bin also eigentlich kein braver Mann, weil ich nie einen Rausch hatte. »Sollst dich was schämen, Wien«, sagt selbst die alte Gesine. Und das Schlimmste ist wahrscheinlich an mir, daß ich mich nicht mal schäme. Denn meine Nachfahren können es hier lesen: »Ich war nie neugierig.« Von der Neugierde kommt viel Ungutes. Sie ist ja auch höchstens eine Stiefkusine von der »Wißbegierde«. Nun hab' ich deshalb allerhand beim Schicksal zugute. Ob es mir wohl noch die große Liebe schenkt? Und den Rausch? Manchesmal ist ja beides dasselbe, hab' ich irgendwo gelesen. Aber da müßt' ich ja ganz und gar ein anderer werden, sollte das bei mir zutreffen. Verhoffs nicht.

Heute ist Sonntag. Da kommt man leicht ins Sinnieren. Nach der Kirche, die ich nur mit dem Knecht Hannes besuchte – die Muhme ist noch nicht wohl genug, und die Amei, die das Gotteswort immerhin am nötigsten hätte, fehlte im Sleefkampstuhl. Gesine desgleichen. Aber die kann wohl die lüttje Birgitt nicht verlassen. Die Zeit, die mir noch zum pünktlichen Mittagsmahl blieb – Muhme Kordula ist immer auf die Minute da – warf ich mich in die grüne Heide. Arg schön ist sie jetzt und riecht so wundergut. Stärker noch als die rote Blust im August. Beinahe, wie die Erde im Herbst, wenn man durch den Kiefernforst wandert.

Wenn man so einsam ist, wie ich, ohne Freund, noch Feind, nur so selten mit der alten Frau zusammen, ohne Weib und Kind, denn das Lüttje gibt mir ja noch nichts, spricht mich auch nicht an wie eigen Fleisch und Blut – da wird man leicht zum Kalendermacher. Muß auch mal sein. Ich liege gern in der Heide, wenn die Tage hintereinander warm waren, wie eben jetzt. Dann habe ich den blauen Himmel über mir, und wenn ich blinzele, könnte ich mir einbilden, die Augen der Amei schauten auf mich. Das liebe Gesicht meiner Mutter und das gottstausendschöne von der Base Amei verschwimmen jetzt manchesmal ineinander, und dann schüttelt mich das Heimweh. Es muß mir vom Ahnen, dem Heideschäfer Erne Sleef, überkommen sein, oder auch vom Urgroßvater Ode Sleef, der ein ganzer Sinnierer war. Gedichte soll er gemacht haben, sagt die Muhme, und zutiefst in einer alten Truhen müßte noch so was liegen. Kann gar nicht angehen. Ich könnt's um Leib und Leben nicht. Und doch hab' ich's gern, wenn schöne, gute und seltsame Worte sich aneinanderreihen, und daß sie zuletzt einen gleichen Laut geben. – Muhme Kordula hat ein feines Büchel mit lauter Gesängen über die Heide und die Kirche und die beiden Flüsse, das liest sich rechtschaffen und manchesmal hab' ich die Worte singen müssen, so stark tönte es beim Lesen. Und heute in der Kirche mußt ich dran denken und der Pfaarer wird's mir schon verzeihen, daß eine Weillang seine Worte an meinem Ohr vorbeigingen, ohne zu zünden. Denn die hohe Kerze vor dem gekreuzigten Heiland gab so lichten Schein, und da dacht' ich an das Gedichtbüchel und was ich drin gelesen vom Jemand, der viel gute Worte sprach und ein Herz betörte. Und der so wunderschön singen konnte, daß man wie in einer Kirche sich dünkte. Und die Worte und Töne –

Rauschten hin wie Orgelklang
Durch mein lauschend Herze,
Drinnen auf dem Altar sang
Eine weiße Kerze ...

So sagt das Gedicht.

Und vor mir brannte just die weiße Kerze. Schlank und lilienfein war sie, wie die blonde Amei. – – – Ich mußte aufspringen aus der grünen Heide, sonst hätte ich den Sleefkamp vergessen und das Mahl.

Da kam auch die Deern gegangen, hatte wieder das blaue Kleid an und einen großen Strauß Vergißmeinnicht in der weißen Hand. Ordentlich weh tat es mir, daß sie keine braungebrannte derbe Bauernhand hatte. – Was ging's mich an?

Schier mürrisch gesellte ich mich zu ihr, und wir schritten selbander nach dem Sleefkamp.

»Ich hab' Sie nicht gesehen in der Kirchen«, hub ich grämlich an. Das Grämliche ist ja aber nur eine Waffe von mir. Könnt' sein, daß aus sanften Worten gleich eine Flamme zu ihr züngelte, das darf nicht sein.

»Hab' Sie auch nicht gesehen, Vetter Wien, denn ich war nicht drinnen«, gab sie zurück und lachte.

Wenn jemand spottet, bin ich schon gleich der Tölpel. Und deshalb sagt' ich gar nichts. Aber sie hat ja Worte und Weisen im Sack je nach Gutdünken. Und war ganz Sanftmut: »Die Obermagd Gesine mußte ganz rasch ins Nachbardorf zu einer kranken Verwandten, da hab' ich die kleine Birgitt übernommen ...«

Und so stand ich verbast da, und sie war wieder mal der Engel gewesen. – Dann gab sie mir plötzlich »den Letzten«, wie wir früher als Kinder taten, und hatte ordentlich zugeschlagen, die feine Deern, und lief mir fort zur Muhme Kordula. Und das war mir doch zu dumm, daß ich alter Mann von sechsunddreißig Jahren sollt' nachlaufen. Fangen kann ich sie ja doch nicht, und aufheben und hineintragen in die grüne Heide, wo sie am dichtesten ist ...

Wir fanden zum Mittagsmahl die Muhme Kordula recht gedrückt und grau aussehend vor. Die Haare sind schlohweiß, und wie bei allen Sleefs dicht und voll. Aber das Antlitz war grau. – Wie mich das ängstigt!

»Wo kommt ihr Herumtreiber mitsammen her?« fragte sie aber mit Humor. Ich kann dann jedoch nicht in diese Kerbe hauen, es hindert mich meine Tölpelhaftigkeit.

»Siehst ungut aus, Muhme. Macht dein Herz dir zu schaffen?« Sagt' sie ruhig: »Des Menschen Herz schlägt seinen Weg an, aber Gott gibt, daß es weiter gehe.« Ist das auch eine rechte Antwort? Und sie bleibt aufrecht stehen, faltet die Hände.

»Willst dich nicht setzen, Muhme Kordula?« fragt auch die Amei besorgt. »Vor meinem Herrgott stehe ich, weil ich nicht mehr knien kann.« Und da schießt es mir doch ins Gebein, daß ich am Tisch hinknie, was ich noch niemalen getan an einem schlichten Sonntag, ohne Feiertagsbedeutung, und – die Amei kniet neben mir. Du wirst nicht ungut auf uns schauen, lieber Herrgott, weil du weißt, wir taten's nicht deinetwegen, sondem für die Muhme Kordula. – Aber so glückselig bin ich noch nie gewesen, wie in diesen Minuten. Die Amei neben mir knieend. Die Stube ward zum Altar. »Amen« sagte Muhme Kordula.

So kann es ja gar nicht weiter fortgehen. Ich bin ein ganz schlechter Kerl. Es gibt ja keinen Gedanken, keine Tat, die ich nicht mit der söten Deern verknüpfe. Schluß wollt' ich machen. Und ruf' die Amei an zwischen Suppe und Braten, daß die Muhme sich baß verschrickt:

»Wann gibt es denn nun Hochzeit?« Gabel und Messer fallen der Deern aus der Hand. Aber was sagt sie nach einer ganzen Weil'?

»Es ist gut, Vetter Wien, daß Sie nicht in die diplomatische Laufbahn gehen.«

So ein Ding, so ein Junges, so ein Garnichts – – – und haut einen Satz hin, der mich wieder für viele Wochen mundtot macht.

»Ihr seid nicht unterhaltlich«, meint Muhme Kordula, hat aber schon wieder Farbe im Gesicht. Amei und ich schauen uns an wie Todfeinde. Was weiß so ein Lebewesen, wie schwer mir die Frage geworden ist. Ein Opfer war's. Und weiß eine glückliche Braut nix anderes zu antworten, als von der Diplomatie? – Ich bin hinausgegangen. Eine Verbeugung kann ich nicht machen. Mutter Amei hatte mich als Bübel einen Kratzfuß gelehrt. Totlachen wollten sich dazumal die Insten, als ich ihn dem Landrat vorsetzte. Hab's nicht wieder getan. So kam die Muhme Kordula um einen Händedruck vom Knecht Wien Sleef. Und ich lief mehr, als ich ging zur Arbeit im Hof und in den Ställen, in Speichern und Scheunen.

»Hast wohl ein böses Gewissen, Wien, bist so unrastig?«, fragte der brave Knecht Onnen Tewes, der damals auf mich gewartet hatte, als ich nach Mitternacht erst heimkehrte von dem grüblerischen Gang. Ich fuhr zusammen und schaute ganz verstört in sein Gesicht. Dann sagte ich schwer: » Ja! Hast recht!« Und bin in meinen Schlafpesel bei den Ställen geschwankt, den ich benutze, wenn mal ein wertvolles Stück Vieh bewacht werden muß, das krank geworden ist. – Wertvoll bin ich nicht, aber krank. – – –


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