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Den 23. Februar.

Da sitz' ich nun in einer Mietsstube zwei Meter im Geviert, und hab zu Hause im Sleefkamp einen großen Pesel, der mein eigen ist. Dazu laufen vier Eisenbahnzüge am Tage an meinem Fenster vorbei, und so einen Lärm bin ich nicht gewohnt. Und der Tetje, dem ich Bescheid gab, der kommt und kommt nicht. Nun, ich brauche schließlich nicht mehr als die eine Kluft, die ich am Leibe trage, und Wäsche hab' ich genug in der »Bonvoyage«. Dazu den Folianten, den ich jetzt vor mir habe. Närrisch – er ist so schwer wie mein Herz. Was doch bei Mutter Amei liegt. Und so groß ist er – ich wunder mich, daß er in diese vertrackte Zwergenstube reingeht. Aber ich mußte ihn doch mitschleppen. Das Heimweh hätt' mich ja aufgefressen, wär' der Foliant nicht dagewesen.

Noch einmal am 23., aber in der Nacht.

So viel, wie ich erlebe, das tut kein Mensch. Und ich hab' gemerkt, es nützt mir gar nichts, daß ich vor etwas fliehe, es kommt doch hinter mir her. Und dann muß ich es noch aufschreiben, sonst würde der Foliant ja kein »Zeitbuch«, wie der Heidjer sagt. Ich sitz' also und laure. Wie schon all die letzten Tage. Immer mit den Augen mehr auf der Landstraßen, woran dies Wirtshaus liegt, als auf dem Folianten. Denn ich dacht' immer los: Einmal muß doch der Karren kommen, worauf mein großer Koffer schwankt. Und achter an muß der Tetje schieben mit seinem mordsdämlichen Gesicht, das aber er selbst und alle Deerns schön finden, weil es keine Wunden und keine Narben hat. Was klöhn ich von Tetjes Gesicht? – Ein Gaul prescht heran. Wie dem Heidekönig sein Gespensterroß aus dem Märchenbuch der Muhme. Und der Gaul hebt an zu wiehern. Denn er spürt seinen Kameraden, der im Wirtsstall an der Krippe stund und mich hergetragen hatte. Beide waren ja Sleefkamper. Und auf dem Rücken vom Ajax liegt die Teufelsdeern, als ob sie aus dem Zirkus käme. Und ist von dem gachen Reiten außer Atem. Ich dacht', sie braucht ihn gar nicht wieder zu kriegen, den Atem, denn wenn sie ihn jetzt an mich verschwenden tut, dann wird doch nur was Unbotmäßiges draus. Ich schlender also langsam, ganz langsam hinaus – mich dünkt, mir verschlugs auch den Atem wie ihr. Aber richtig, sie hat sich derweilen erholt, ist abgesprungen, lehnt sich an den Gaul, wie ich's mal im Theater sah, aber da hieß er »Grane«. Und sagt, und wurde wieder weiß im schönen Gesicht: »Hab' eine Meldung: der Tetje hätte den Fuß gebrochen, könnte nicht kommen und Vetter Jochen hätte keine Lust und zu viel Arbeit. Wien Sleef, der Knecht, soll mir den andern Gaul mitgeben. Ich warte. – Und da ist ein Brief von der Muhme Kordula. Antwort wär nicht nötig.«

Ich war schon im Stall. Um sich so was Messerscharfes in die Ohren schneiden zu lassen, dazu braucht man nicht daneben zu stehen, das hört man auch von Ferne durch dicke Bohlentüren. – Das Pferd war bald geholt. Die Deern saß schon droben auf dem Ajax. Die beiden Kameraden wieherten sich wieder an, es hätt' nur gefehlt, der Raudi hätt' eingestimmt. Tat's aber nicht; weg waren alle drei, ich stand da wie »Trumpf sös« und ein arg verknüllter Brief lag auf dem Tisch vor dem Wirtshaus hingeworfen. Wie man eben einem Knecht etwas hinschmeißt.

Mir war's, als kreiste das ganze Firmament um mich. Es war aber nicht Besmiemelung, sondern nur helle Wut. Darüber, wie man mit mir umging. Und noch mehr darüber, wie mir das weh tat. Nun wollt' ich mir Arznei holen aus Muhme Kordulas Brief. Ein erschrecklich großer Umschlag war's, und ein Riesenbogen, als käm er vom Amt. Aber nur zwei Zeilen drauf in verschiedener Handschrift. Wie mit einem Pinsel dick hingestrichen von der Muhme:

Wien, du bist ein Esel!
Deine treue Muhme Kordula.

Und drunter mit feiner, pünktlicher Doktorenhandschrift:

Beglaubigt, genehmigt und unterschrieben:
Jochen Sleef, Dr. phil. et rer. pol.

Das war meine liebe Verwandtschaft. Und das Mammut warf beide Arme über den Tisch und legte seinen dicken Kopf darauf.


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