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Dankwart fuhr in einem riesigen Kinderwagen, der fortan die »Bombe« genannt wurde, die beiden Neugeborenen zur Mutter hinauf in die Burg. Tante Hermine hatte die Kleinen schon besichtigt, etwas erschrocken, daß es mehr waren, als man erwartete. Zwillinge waren bei den Eulenrieds nicht Mode. Aber auch ihr wurde klargemacht, daß auf jedem vernünftigen Hof ein Dirnlein zum »Einheiraten« sein müsse.
Der Hütejunge hatte die Bombe zuerst glückselig über seine Berufung mitgeschoben, war aber so rasch und übermütig in seiner Freude, daß der Wagen ein paarmal stieß und die Kleinen anfingen zu meckern. Darauf übernahm der junge Vater das Kutschieren allein.
»Warum meckert ›sowas‹?« fragte Kaspar grollend. »Wenn es Ziegen wären, dann könnten sie den Berg schon 'nauflaufen.« Dankwart überhörte die Beleidigungen. »Gib acht auf den Weg!« gebot er rauh.
Oben in der Burg wartete schon Tante Hermine vor dem Schloßtor und übernahm das Maidli, während der stolze Vater den Erben trug. Kaspar verstaute auf Befehl die leere Bombe in der großen Halle und gab ihr aus irgendeiner Bosheit, die ihm aufstieg, einen leichten Tritt, so daß sie ein ganzes Stück in die Halle allein hineinfuhr. Dann trottete er hinter den anderen die breite Treppe hinauf.
»Was willst du denn oben?« fragte ihn Dankwart.
Aber Kaspar war ja nicht gekommen, um nur zu helfen und dann das »ahle Frölen« zu sehen, und so fand er es richtiger, die Frage unbeantwortet zu lassen.
Oben an der steinernen Balustrade stand das Englein. Es begrüßte mit lieblichem Lachen die kleine Karawane, und der Hütejunge meinte bei sich, sie gliche auf ein Haar der »Prinzessin auf der Erbse«, deren Bild er einmal in der Schule in einem Märchenbuch gesehen hatte. Als der Herr Baron und das »Freilein« vorangegangen waren, sprang er rasch auf Angela zu und drückte etwas in ihre Hand. Aber sie schrie: »Igitt!« und das kleine Tütchen fiel zu Erde. In diesem Augenblick starb seine Liebe. Er hatte drunten auf dem Jahrmarkt für einen sauer ersparten Groschen diese Bonbons getauft und sie nachher alle »angelutscht«, ob sie auch gut schmeckten. Nun wischte sich die »Prinzessin« die klebrigen Finger verächtlich ab.
»Das darfst du nie wieder tun«, sagte sie freilich ganz freundlich, »komm', ich hole dir ein großes Stück Torte!«
Aber er rief laut und wütend: »Ich bin satt!« und lief klappernd mit seinen Holzschuhen die steinerne Treppe hinunter. Drunten heulte er. Über seine verlorene Liebe und über die verlorene Torte. Er hatte gelogen. Er war in seinem ganzen vierzehnjährigen Leben noch niemals satt gewesen. Das hätten aber Dankwart und Elisabeth nicht hören dürfen, sie hätten Kaspar sofort einer Mastkur unterworfen wie schon oft.
Das klebrige Tütchen blieb an der Balustrade liegen, bis die Schloßkatze es holte. Sie war nicht so heikel wie das Englein.
Während noch Tante Hermine, die Mutter und Dankwart über den Köpfchen der Kleinen hundert Pläne schmiedeten, fiel wie ein Deus ex machina der Dr. Senfkorn in die Versammlung. Er hatte es in Eisenach nicht mehr ausgehalten, sondern war heimgekehrt, um bei den Zwillingen Hauslehrer zu werden. Zwölf Lebensjahre traute er sich noch zu, dann mußte der Junge ja doch aufs Gymnasium und das Mädchen ins Lyzeum. Vorläufig konnte er allerdings dem Säugling nicht die unregelmäßigen Verba auf mi beibringen, der würde ihnen denselben Widerstand entgegensetzen, wie es sein Vater Dankwart sein Lebelang getan hatte.
Dr. Senfkorn bezog auf Bitten der alten Baronin wieder die Turmstube und nahm den Titel Schloßhauptmann an. Hatte das kleine Männchen auch keine »Kompanie«, so führte er doch ein gutes »Regiment«.
Die gesunde, stattliche Elisabeth stillte beide Kinder. Das war die größte Freude von Vater Kreihorst, daß sein Fleisch und Blut auf die rechte altväterische Art ernährt wurde. Und Elisabeth blühte auf. Sie verließ am neunten Tage zum erstenmal das Bett und ging nach vierzehn Tagen am Arm des Gatten durch Hof und Park. Und wenn es Dankwart vielleicht lieber gewesen wäre, wenn sein Hoferbe auf Burg Eulenried das Licht der Welt erblickt hätte, so freute er sich doch, daß das freudige Ereignis sein junges Weib in ihres Vaters Hause überrascht hatte. So konnte er viel rascher vom eigenen Gut, das so eng an das Bauernhaus grenzte, hinüberlaufen. Und Vater Kreihorst genoß alle Freuden des Großvaters.
Man konnte nach sechs Wochen, wie es üblich in Burg Eulenried war, eine ernstfrohe Tauffeier veranstalten. Dankwart hatte die kleine Schloßkapelle neu herrichten lassen. Bei den Instandsetzungsarbeiten legte man ein wertvolles Freskogemälde frei. Das zog später viele Besucher und gelehrte Herren nach Ilmenbach. Der Fürst, als Pate des Täuflings, stiftete das Kruzifix aus Marmor und Silber. Tante Hermine legte eine alte Familienbibel auf den Altar. Großvater Kreihorst ließ ein neues Harmonium aufstellen. Hinter vergoldeten Gittern lagen die Trümmer einer uralten Orgel. Requiescat in pace!
Illo gab seinem Paten einen Wechsel auf lange Sicht. Sobald die letzten Schulden der Burg und des Gutes Eulenried getilgt seien, würde er beide Kinder reich bedenken, so wahr ihm Gott helfe.
Der Taufzug ging vom Schloß hinunter in die Kapelle durch das Burgtor, von dem der Spruch des Eulenried-Ahnen beredte Sprache sprach.
Die liebliche Angela Distelfink trug ihr Patenkind, das im alten Taufkleid seiner Ahnen steckte. Zu der Taufschleppe waren alle Namen der je vorhergegangenen Täuflinge eingestickt. Eine lange Geschlechterreihe. Als Dankwart durch das Tor und das Spalier, das die Dorfbewohner bildeten, schritt, begegnete ihm Illos Blick. Vier Augen leuchteten auf. Sie hatten beide zugleich an den Spruch gedacht, der von oben zu ihnen sprach.
»Niemals zurück von der Pflicht gegen die Heimat«, dachte Dankwart. »Niemals von der Scholle weichen, die heiliges Erbgut trägt! Niemals vergessen, daß es höchste Ehre bedeutet, für das Vaterland zu arbeiten! Mein Blut, meinen Schweiß, meine Kraft will ich in den Acker versenken, der mir zugewiesen ist.
Mit Gott! Niemals zurück von dem, was ich mir vorgenommen! gelobte sich Illo. Ich will noch heute zu Meister Distelfink gehen, ihm bei der Arbeit helfen und Dankschuld abtragen. Dabei still warten, was die Uhrmachermeister über mich und mein selbsterbautes Werk sagen werden. Aber dann, wenn sie mich zum Meister gemacht, zurück in die »Eulenriedwerkstatt«. Mir schwebt Neues, Großes vor, ein Wert, das Vielen Brot gibt.
Verachtet mir die Meister nicht!
Diesen Spruch trug Illo in Herz und Sinn, und er sollte zum Wahlspruch eines neuen Geschlechtes werden.
Ende!